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Abgrenzung oder Anpassung? | Wahlkampf | bpb.de

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Abgrenzung oder Anpassung? Zum Umgang mit populistischen Parteien

Marcel Lewandowsky

/ 14 Minuten zu lesen

Die Wahlerfolge von AfD und BSW setzen die etablierten Parteien verstärkt unter Druck. Wie lassen sich Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen? Eine Übernahme populistischer Positionen scheint eher den Populisten selbst zu nützen.

Die vorgezogene Bundestagswahl im Februar 2025 hat sich, rückblickend betrachtet, lange angekündigt. Immer wieder zogen Politiker der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP den Fortbestand ihres Bündnisses öffentlich in Zweifel, wurden die Unvereinbarkeiten der Partner offensichtlich. Am 6. November 2024 kam es mit der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner zum finalen Bruch. Spätestens ab diesem Moment befanden sich die Parteien im sprichwörtlichen "Wahlkampfmodus", begannen also, ihre Strategien auf die Maximierung der Wählerstimmen beim baldigen Urnengang auszurichten.

Die Wahlkampfarena, die die Parteien vorfanden, erwies sich in mancherlei Hinsicht als herausfordernd. Die Sozialdemokraten hatten zunächst zu klären, ob der Bundeskanzler noch einmal antreten oder dem populäreren Verteidigungsminister Boris Pistorius den Vortritt lassen sollte. Der Parteivorsitzende der CDU/CSU, Friedrich Merz, war bereits als sein Gegenkandidat gesetzt und konnte auf günstige Umfragewerte für seine Partei blicken, mit denen seine persönlichen Beliebtheitswerte jedoch nicht mithielten. Zudem beharrte die CSU auf ihrer Ablehnung von Schwarz-Grün, sodass eine Koalition zwischen den Grünen und der Union entweder unwahrscheinlich schien oder mit erheblichen politischen Kosten verbunden sein würde – auch deshalb, weil die Partei mit Robert Habeck den Vizekanzler der amtierenden Regierung als Spitzenkandidat ins Rennen schickte. Die FDP musste sich öffentlich für eine Strategie verantworten, mit der sie den Bruch der Koalition scheinbar zu planen versucht hatte. Kurzum: Bereits im frühen Wahlkampf schienen sich sowohl die Regierungs- als auch die Oppositionsparteien unversöhnlich gegenüberzustehen, sodass es fragwürdig wirkte, zwischen welchen Akteuren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nach der Wahl überhaupt möglich sein würde.

Diese Konstellation erschien wiederum günstig für die beiden populistischen Parteien an den Rändern des deutschen Parteiensystems: Die 2013 gegründete AfD deckt dabei das Spektrum der radikalen bis extremen Rechten ab, während das im Januar 2024 ins Leben gerufene Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ein ökonomisch linkes Profil mit einem gesellschaftspolitisch konservativen Programm verbindet. Beide Parteien eint der Anspruch, die Interessen "des Volkes" gegen die vermeintlich abgehobenen "politischen Eliten" zu vertreten, und beide insinuieren eine Krise der Demokratie, in der die Interessen der "Normalbürger" – oder jene, die sie jeweils als solche verstehen – von "denen da oben" systematisch missachtet werden.

Die Populisten verfügten zu Beginn des Wahlkampfs im Winter 2024 über eine gefestigte Position im Parteiensystem. Der AfD war es gelungen, nach und nach in alle Landesparlamente einzuziehen – wobei sie in Schleswig-Holstein und Bremen inzwischen auch wieder ausgeschieden war; 2017 schaffte sie erstmals den Sprung in den Bundestag. Aus ihrer Sicht war es folgerichtig, dass sie angesichts von Umfragewerten, bei denen sie beständig hinter der Union auf dem zweiten Platz rangierte, ihre Co-Vorsitzende Alice Weidel als Kanzlerkandidatin nominierte. Dem BSW gelang es bereits kurze Zeit nach seiner Gründung, in die Landtage von Brandenburg, Sachsen und Thüringen einzuziehen und teils in Regierungskoalitionen eingebunden zu werden. Seine populistische und migrationskritische, aber nicht-extremistische Positionierung deutete darauf hin, dass sich die Partei langfristig als "Alternative" neben der AfD etablieren könnte.

Die schiere Präsenz der Populisten ist für die Parteien des politischen Mainstreams schon deshalb ein strategisches Problem, weil die Herausforderer gezeigt haben, dass sie in der Lage sind, eine beträchtliche Zahl von Wählern an sich zu binden, die – zumindest im Falle der AfD – kaum bereit sind, ihre Stimme einem Mitbewerber zu geben. Wie sich bei den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland im Herbst 2024 gezeigt hat, ist es mit einer starken AfD im Parlament für die anderen Parteien deutlich schwerer geworden, tradierte (Mehrheits-)Koalitionen zu bilden. Gleichzeitig erschwert die geringe Wechselbereitschaft der AfD-Wähler deren Rückgewinnung.

In diesem Beitrag wird die Ausgangslage unmittelbar vor der "heißen Phase" des vorgezogenen Bundestagswahlkampfs untersucht. Der Fokus liegt dabei auf der Rekonstruktion von Strategien, wie sie sich seit 2021 vor allem in den Kernthemen der Populisten entwickelt haben. Grundlage sind theoretische Überlegungen, nach denen a) politische Parteien auf die Themenstrategien ihrer Mitbewerber reagieren und ihnen dabei b) ein Set von Strategien zur Verfügung steht: erstens das Ignorieren der Themen der neuen Partei, zweitens eine Anpassung der eigenen thematischen Ausrichtung an die neue Partei oder drittens die Annahme einer gegensätzlichen Position zur neuen Partei. Im Folgenden werden zunächst die Positionen der Wählerschaft von AfD und BSW und deren Erreichbarkeit für die Parteien des Mainstreams nachvollzogen, bevor deren Strategien im populistischen Kernthema Migration und Asyl nachgezeichnet und eingeordnet werden.

Ausgangslage: Die Wähler von BSW und AfD

Wollen die Parteien die Unterstützer der Populisten zurückgewinnen, stellt sich für sie die Frage, ob sie in der Lage sind, diese Wählergruppen – oder zumindest Teile davon – noch zu erreichen, und wenn ja, mit welchen Themen und Strategien. Aufschlussreich ist hierbei ein Blick auf die Verteilung der Positionen in den Elektoraten von AfD und BSW und in drei relevanten Themenbereichen: Klimawandel, Migration und Russlandpolitik (Tabelle).

Während die Wähler aller anderen Parteien tendenziell der Bekämpfung des Klimawandels Priorität gegenüber der Förderung des Wirtschaftswachstums einräumen, sehen 56,3 Prozent der BSW- und insbesondere 79 Prozent der AfD-Wähler die Sicherstellung ökonomischer Prosperität als wichtiger an als den Klimaschutz. Ähnlich deutlich stellen sich die Unterschiede in der Migrationspolitik dar: Rund 93,2 Prozent der AfD-Wähler und 92,2 Prozent der BSW-Unterstützer wollen Zuzugsmöglichkeiten für Ausländer (eher) erschweren, während rund 57,2 Prozent der Wähler aller anderen Parteien sich vergleichbar äußern. Zuletzt zeigen sich deutliche Unterschiede in der Positionierung gegenüber Russland. 68,4 Prozent der AfD-Wähler und 75 Prozent der BSW-Wähler wünschen sich einen weniger konfrontativen Kurs. 40,8 Prozent aller anderen Wähler nehmen in dieser Frage eine Mittelposition ein, während ein geringerer Anteil von 35,8 Prozent eine eher konfrontative Strategie oder aber einen kooperativen Kurs fordert (23,3 Prozent). Insgesamt zeigt sich also, dass Wähler beider populistischen Parteien zu diesen Fragen sehr prononcierte Positionen einnehmen, die sie vom Durchschnitt der anderen Wähler deutlich unterscheiden.

Ein weiteres Merkmal der Wähler populistischer Parteien ist deren Kritik am demokratischen Status quo sowie dem Populismus selbst als spezifisch illiberaler Demokratievorstellung, die auf der Idee der völligen Souveränität des "wahren Volkes" beruht und dieses gegen die politischen Eliten in Stellung bringt. Populismus ist nicht nur eine Kommunikationstechnik politischer Akteure, sondern auch eine politische Orientierung vieler Bürger, die für ihr Wahlverhalten eine bedeutende Rolle spielt. Deutlich ist, dass populistische Einstellungen zwar in der Bevölkerung generell vorhanden, jedoch besonders stark unter den Wählern von BSW und AfD vertreten sind. Bedeutsam ist dies, weil populistische Einstellungen die vergleichsweise hohe Loyalität der Wähler zu ihren jeweiligen Parteien bedingen. Weil sie dem "Establishment" mit Misstrauen begegnen und sich für Angehörige einer "schweigenden Mehrheit" halten, die von den politischen Eliten unterdrückt wird, sind sie für andere Parteien auch dann kaum erreichbar, wenn sich diese thematisch deutlich auf sie zubewegen. Da der Populismus sowohl bei BSW- als auch AfD-Wählern stark ausgeprägt ist, kann es hier leichter zu "Wechselwahl" kommen.

Diese Frontstellung von AfD- und BSW-Wählern gegen die "Etablierten" und die mögliche Binnenkonkurrenz der Populisten zeigt sich auch in deren Bewertung der anderen Parteien. Während das Bild für alle anderen Wähler insgesamt recht ausgeglichen ist und nur die AfD extrem negativ bewertet wird, begegnen die Unterstützer von AfD und BSW den anderen Parteien äußerst reserviert. Insbesondere die deutliche Unbeliebtheit der Grünen fällt bei den Parteigängern von AfD und BSW ins Auge. Bei beiden Wählergruppen schneiden die konservativen Parteien etwas besser ab, und auch die jeweils andere populistische Partei wird von AfD- beziehungsweise BSW-Wählern etwas positiver bewertet als von den Wählern der anderen Parteien.

"Rechtsruck"? Themensetzung der Parteien

Zu Beginn des vorgezogenen Wahlkampfs im Spätherbst 2024 hatte sich das deutsche Parteiensystem durch die Erfolge von AfD und BSW bereits gewandelt. Beide populistischen Parteien hatten hohe Zugewinne bei den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen eingefahren. In Brandenburg und Thüringen waren die Rechtspopulisten stärkste Kraft geworden, in Sachsen knapp hinter der CDU in den Landtag eingezogen. Das BSW konnte etwas mehr als ein halbes Jahr nach seiner Gründung Ergebnisse zwischen 11,8 Prozent in Sachsen und 15,8 Prozent in Thüringen verzeichnen.

Es überrascht daher nicht, dass die anderen Parteien sich unter Zugzwang gesetzt sahen. Insbesondere das Thema Migration entpuppte sich als Problemfeld, auf dem sie die direkte Auseinandersetzung mit der AfD suchten. Das entsprach dem Anspruch von Friedrich Merz, der sich bereits 2019, lange vor seinem Antritt als CDU-Parteivorsitzender im Jahr 2022, die "Halbierung" der Wahlergebnisse der AfD zugetraut hatte, auch wenn er diese Aussage später relativierte. Hatte sich in der Union während der Kanzlerschaft Angela Merkels vereinzelt Widerstand gegen die Asylpolitik der Regierung geregt, setzte die Partei in der Opposition auf einen konservativeren Kurs und stellte dabei zum einen die Senkung der Asylzahlen in den Mittelpunkt. In diesem Kontext forderte die Union wiederholt die Bearbeitung von Asylverfahren in sicheren Drittstaaten, um die europäischen Verwaltungen zu entlasten. Auch eine Obergrenze für Asylbewerber wurde erneut ins Spiel gebracht. Zum anderen wurde der Themenkomplex Migration sozial-, sicherheits- und identitätspolitisch aufgeladen. Das zeigte sich auch in der Sprache. Geflüchteten aus der Ukraine unterstellte der christdemokratische Parteivorsitzende "Sozialtourismus", Schüler mit arabischer Migrationsgeschichte bezeichnete er als "kleine Paschas" und behauptete, dass Asylbewerber leichter an Zahnarzttermine gelangten als deutsche Bürger. In ihrem Leitantrag zum Parteitag forderte die CSU im Oktober 2024, dass die "Sicherheit der Bürger und die Beendigung der illegalen Migration oberste Priorität für die Bundesregierung haben" müsse und "[u]nsere Gastfreundschaft (…) nicht ausgenutzt und zum Nährboden für importierte Konflikte, Gewalt, organisierte Kriminalität und Hass gegen unsere Lebensart werden" dürfe. Immer wieder verband die Union ihre asylpolitisch restriktive Haltung mit Kritik an den Regierungsparteien, die sie als von den Bedürfnissen der Bürger entkoppelt darstellte. Der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, bezeichnete die Migrationspolitik in diesem Zusammenhang als "Vertrauenskiller" und stellte fest, dass "die erwarteten Sicherheitsbelange der eigenen Bevölkerung in der Abwägung der Politik offenbar keine Rolle mehr spielen", was "zu Wut, teilweise zu Resignation, jedenfalls zu Protestwahlen" führe.

Die SPD setzte mit der Bildung der Ampelkoalition zunächst auf eine Fortsetzung humanitärer Asyl- und Migrationspolitik. Im Oktober 2022 beschloss der Bundestag das Chancen-Aufenthaltsrecht, mit dem unter bestimmten Bedingungen "geduldete Asylbewerber (…) nach fünf Jahren die Möglichkeit erhalten, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen". Den Ländern und Kommunen, die auf die Entlastung ihrer Verwaltungen pochten, sicherte die Bundesregierung im Mai 2023 zusätzliche finanzielle Mittel zu und versprach eine Beschleunigung der Asylverfahren. Angesichts des wachsenden politischen Drucks und des Anstiegs von Asylanträgen schwenkten die Sozialdemokraten auf einen restriktiveren Kurs um. Im Oktober 2023 wurde der Regierungschef auf dem Cover des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" mit den Worten zitiert, man müsse "endlich im großen Stil abschieben". Im November desselben Jahres kam es zu Leistungskürzungen für Dublin-Flüchtlinge, also für Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, sowie stärkere Kontrollen. Im Mai 2024 trat das Gesetz in Kraft, das eine Bezahlkarte für Asylbewerber vorsah, die Bargeldleistungen ersetzen und nur bestimmte Ausgaben decken sollte.

Die FDP hatte als Teil der Ampelregierung zunächst einen Mittelweg vertreten, indem sie eine stärkere Kontrolle der Migration mit einer humanitären Agenda verband. Im September 2023 forderte sie allerdings einen "Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik" und stellte die Verringerung der Migration in den Vordergrund. Während die Grünen im Sommer 2023 die geplante Verschärfung des EU-Asylrechts mittrugen und damit interne Spannungen provozierten, gerieten die Liberalen immer wieder mit ihren Koalitionspartnern in Konflikte. Im Oktober 2024, kurz vor dem Bruch der Koalition, legte die FDP einen Neun-Punkte-Plan vor, der eine Ausweitung sicherer Herkunftsländer und eine Streichung von Leistungen für Asylbewerber vorsah. Damit ging sie über das Maßnahmenpaket hinaus, das die Bundesregierung als Reaktion auf den im August 2024 verübten Messeranschlag eines syrischen Asylbewerbers beschlossen hatte und das Messerverbote in öffentlichen Räumen, schnellere Abschiebungen und Leistungskürzungen vorsah.

"Rechtsdruck": Ausgangslage der Populisten

Die Verengung der Mainstream-Parteien auf einen konservativeren Kurs in der Asyl- und Migrationspolitik verleitete manch Beobachter zu dem Urteil, dass die AfD ihres Kernthemas verlustig geworden sei. Das vorzeitige Scheitern der Koalition, die Rolle der FDP und das Kandidatenproblem der SPD lenkten zudem die mediale Aufmerksamkeit von den Themen der AfD ab, während ein neuer Konflikt um die "Junge Alternative" (JA) in den eigenen Reihen die Partei in ein kritisches Licht rückte. Auf ihrem Parteitag im Januar 2025 trennte sich die AfD von ihrer Jugendorganisation.

Die dennoch hohen Umfragewerte für die Rechtspopulisten lassen sich durch die Loyalität ihrer Anhänger erklären, die sich aus migrationspolitischen und populistischen Einstellungen speiste. Es überraschte also nicht, dass die Partei in der Asylpolitik ihren rigiden Kurs beibehielt und in der Russlandpolitik weiterhin für ein Ende der Sanktionen gegen das Putin-Regime eintrat. Außerdem war abzusehen, dass die AfD diese thematischen Positionen mit einem harschen Anti-Establishment-Kurs verbinden würde, der ihre Wähler mobilisieren und einen "Absprung" zu den ebenfalls migrationskritischen Konservativen und Liberalen verhindern sollte, während das BSW als nicht-extremistische Konkurrenz in diesem Feld verblieb.

Zugleich konnte sich das BSW noch keiner loyalen Stammwählerschaft sicher sein. In Umfragen kam die Partei Anfang Dezember 2024 auf vier bis sieben Prozent. Gleichzeitig verfüge sie insbesondere unter den Wählern von Kleinparteien, Nichtwählern sowie unter Unterstützern der Linken und der SPD über ein gewisses Potenzial. Die vorgezogene Bundestagswahl traf die junge Partei jedoch zur Unzeit. In Brandenburg und Thüringen hatte man sich gerade auf Koalitionen mit genau jenen Parteien verständigt, von denen man sich in der Russlandfrage besonders stark abgrenzen wollte. Das BSW musste fürchten, dass diese schnelle Etablierung in ihrer protestgetriebenen Wählerschaft auf Widerstand stoßen und sich bei der Bundestagswahl rächen würde. Hinzu kam, dass der Kanzler der Ukraine zwar nach wie vor Unterstützung zusagte, aber sowohl der Entsendung deutscher Bodentruppen als auch der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern eine Absage erteilte. Damit schien es, als könne einem Kernthema der jungen Partei zumindest bis zur Wahl die Relevanz genommen werden. Ob das BSW mögliche Enttäuschungen in ihrer Wählerschaft durch sein populistisches Profil würde ausgleichen können, war zu Beginn des Wahlkampfs nicht abzusehen.

Mainstreaming statt Schwächung der Populisten?

Das abrupte Ende der Ampelkoalition markierte auch den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung des Parteiensystems, die eng mit den anhaltenden Erfolgen der Populisten verbunden ist. Im Kontext ihrer Wahlerfolge und unter beständigem politischem Druck insbesondere beim Thema Asyl waren die Mainstream-Parteien auf einen restriktiveren Kurs geschwenkt, ähnlich wie vor allem konservative Parteien in anderen europäischen Ländern.

Dass die Themenstrategien der Mainstream-Parteien zumindest bis zum Spätherbst 2024 nicht den gewünschten Erfolg brachten, entsprach durchaus den Erwartungen, die man aufgrund der Studienlage haben konnte. Gerade dann, wenn konservative Parteien eher rechte Positionen einnehmen, gewinnen Rechtspopulisten an der Wahlurne eher hinzu, als nennenswerte Verluste einzubüßen.. Zwar kann sich eine restriktive Migrationspolitik für sozialdemokratische Parteien auszahlen, wie das dänische Beispiel zeigt. Allerdings rechtfertigten die Umfragewerte für die SPD Anfang 2025 eine solche Deutung nicht.

Zumindest mit Blick auf die Rückgewinnung populistischer Wähler stellte sich die Situation vor der vorgezogenen Bundestagswahl gerade nicht als dynamisch, dar, sondern als elektoral segmentiert. Die Unterstützer von BSW und AfD nahmen erstens vom Wählerdurchschnitt deutlich abweichende Positionen in der Klima-, Russland-, und der Migrationspolitik ein. Weiter zeigten sie zweitens starke Unzufriedenheit mit dem Zustand der Demokratie und ausgeprägte populistische Einstellungen. Drittens blickten sie trotz einer gewissen Varianz negativ auf alle anderen Parteien.

Während das Wahlverhalten insgesamt volatiler wird und die meisten Parteien mit weniger Stamm- und einer wachsenden Zahl von Wechselwählern umgehen müssen, bildet sich bei den Rechtspopulisten ein umgekehrter Trend ab. Je weiter rechts Wähler sich zum Migrations-/Integrationsthema positionieren und je deutlicher sie die populistische Haltung der AfD zur Demokratie teilen, desto weniger sind sie bereit, noch eine Partei des linken oder rechten Mainstreams zu wählen. Damit widersprechen die Befunde der Empirie auch der Vorstellung, dass es sich um Protestwähler handle, die der AfD aus Unmut über die Regierung ihre Stimme geben, ohne mit ihrem Programm konform zu gehen. Tatsächlich erklärt sich die Wahl der AfD gerade aus der inhaltlichen Übereinstimmung.

Diese Segmentierung kann erklären, warum es den Parteien des Mainstreams trotz der Anpassung ihrer Positionierung vor allem im Themenbereich Migration und Asyl bis kurz vor Beginn des Wahlkampfs nicht gelang, populistische Wähler in nennenswerter Zahl zurückzugewinnen. Eher lässt sich argumentieren, dass die thematische Rechtsverschiebung und das Präsenthalten des Migrationsthemas den politischen Diskurs so verändert haben, dass vor allem die Rechtspopulisten noch begünstigt wurden. Das "Mainstreaming" ihrer Themen, Positionen und Sprache könnte ihnen erst jenen sprichwörtlichen "Nährboden" für weitere Wahlerfolge bereiten.

ist Privatdozent an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg und Lehrbeauftragter für das Fach Politikwissenschaft an der Universität Mainz.