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Dauerstreit und Dauerwahlkampf | Wahlkampf | bpb.de

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Dauerstreit und Dauerwahlkampf Ampelzoff als Interpretationsfolie und strategisches Instrument

Christina Holtz-Bacha

/ 13 Minuten zu lesen

Die Ampelkoalition stand seit Regierungsbeginn unter dem Zeichen des Dauerstreits – zu groß schienen die parteiprogrammatischen Differenzen. Aber nicht nur die Parteien selbst, sondern auch die Medien befeuerten den Clinch zwischen der SPD, FDP und den Grünen.

"Knatsch-Koalition" und "Gegeneinander-Koalition" – dieses Etikett haftete der Ampelregierung von Anfang an. Immer wieder gab es Spekulationen über ein "Ampel-Aus". Dabei hatte alles so gut angefangen. Anders als nach der Bundestagswahl 2017, als die FDP die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition platzen ließ, einigten sich SPD, Grüne und FDP 2021 beinahe geräuschlos und hinter verschlossenen Türen auf einen Vertrag für die rot-gelb-grüne Dreiparteienkoalition. Sogar die Konkurrenz von Robert Habeck und Christian Lindner um den Posten des Finanzministers ließ sich lösen. Die Fotos vom Abschluss der Koalitionsverhandlungen suggerierten seinerzeit Harmonie und Vorfreude.

Zum scheinbar glatten Verlauf der Koalitionsverhandlungen trugen Vorsondierungen von Grünen und FDP bei. Das gemeinsame Selfie von Volker Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck versinnbildlichte, je nach Lesart, die "narzisstischen Zuspitzungen der digitalen Selbstkultur" auf der einen und Aufbruchsstimmung und gute Laune auf der anderen Seite. Schnell fiel dann auch die Entscheidung, Sondierungen mit der SPD aufzunehmen. Dass die zwei kleineren Partner der künftigen Dreierkoalition Vorgespräche führten, zeigte nicht nur, wo zuerst Dissens erwartet wurde, sondern verwies gleichzeitig auf die Entschlossenheit, ihre Rollen neben der Kanzlerpartei zu markieren, und auf den ständigen Kampf um die Deutungsmacht, der die Ampel bestimmen sollte.

Erwartbarer Streit

Die Medien diskutieren das Konfliktpotenzial der Koalitionäre und der Koalition und trüben die anfängliche Euphorie. "Spannung garantiert" heißt es doppeldeutig noch vor Beginn der Koalitionsverhandlungen; "erste Risse" stören die bisherige Harmonie. Lindner lässt sich zitieren mit der Einschätzung, diese Koalition sei ein Zweckbündnis, dessen Partner sich nicht gesucht hätten und auch in Zukunft deutliche Bewertungsunterschiede erwarten ließen. In den Koalitionsgesprächen sind "wechselnde Allianzen" auszumachen, "das Fremdeln ist reihum zu beobachten." Der Konkurrenzkampf von Habeck und Lindner um das Finanzministerium bleibt nicht hinter den Kulissen, sondern wird in die Öffentlichkeit getragen, um den Druck zu Gunsten der einen oder anderen Seite zu verstärken.

"Konflikte lauern [auch] in den eigenen Reihen" und tragen zum Bild von der Streit-Koalition bei. Vor der Urabstimmung zeichnen sich bei den Grünen Flügelkämpfe ab und machen die Partei zum "Unsicherheitsfaktor im Ampelbündnis." Die FDP-Führung steht vor der Herausforderung, "der eigenen Basis wie auch den Wählern die Vorzüge einer Ampel zu vermitteln." Und auch die SPD-Spitze muss an der Basis um Zustimmung werben; vor allem die Parteilinke hat an den Zugeständnissen an die Koalitionspartner zu knabbern.

Als der Koalitionsvertrag steht, haftet das Etikett: Streit-Koalition. Für die Medien ein erfolgversprechendes Attribut, denn der Konflikt verheißt Aufmerksamkeit. Schon die "Verschwiegenheitsregeln" der Zitrus-Connection ärgern die Presse; auch bei den Vorsondierungen ist von einem "Schweigekartell" die Rede. Im "Spiegel" verweist Melanie Amann auf das Recht der freien Presse und führt das öffentliche Informationsinteresse ins Feld, für dessen Befriedigung die Medien verantwortlich seien.

Auch wenn und weil aus den Gesprächen der Zitrus-Connection, den Sondierungen und den Koalitionsverhandlungen der drei Parteien wenig nach draußen dringt, wird das Streitpotenzial zum Thema. "Denn sicher ist nur, dass es gewaltig kracht", heißt es über die Koalitionsgespräche. Die Presse bemüht sich, die demonstrative Harmonie als Fassade zu enttarnen. Die verbreiteten Fotos "können nicht verdecken, dass es zähen Streit gibt". Die Kommentierungen zum Ampelvertrag stützen sich dann auch auf ein Sieger-Verlierer-Schema. "Der Spiegel" berichtet von einer Umfrage, nach der eine relative Mehrheit der Befragten der Meinung seien, die FDP habe sich bei den Koalitionsverhandlungen am stärksten durchgesetzt, und stellt dazu fest: "Ampel auf Gelb". Andere Zeitungen übernehmen das Urteil von Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, der dem Koalitionsvertrag eine "gelbe Handschrift" attestiert. "So richtig Freude kommt nur bei der FDP auf", lautet daher das Fazit. Noch bevor die Regierung gebildet ist, haben sich die Erwartungen an Streit unter den Ampelparteien festgesetzt und der Blick auf Lindner gerichtet, dem schon jetzt eine prägende Rolle in der Koalition vorhergesagt wird.

Schwindendes Vertrauen

Die neue Regierung startet unter schwierigen Bedingungen. Die symbolische 100-Tage-Schonfrist, in der die Kommentare traditionell zurückhaltender ausfallen, bleibt ihr versagt. Gerade mal zwei Monate nach der Wahl von Kanzler Olaf Scholz und der Ernennung der Ministerinnen und Minister seines Kabinetts stellt der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 die Regierung vor eine unvorhergesehene Herausforderung und lässt die Diskussionen über den Umgang mit der Pandemie in den Hintergrund treten. Finanzielle Unterstützung der Ukraine, Waffenlieferungen, Versorgung von Geflüchteten und schließlich die wegen ausbleibender Gaslieferungen aus Russland einsetzende Energiekrise drängen Themen auf die Tagesordnung, die den Koalitionsfahrplan durcheinanderbringen und zum Krisenmanagement zwingen.

Nach seiner Zeitenwende-Rede am 27. Februar 2022, die der Ukraine die Unterstützung Deutschlands versichert und die Einrichtung eines Sondervermögens für die Bundeswehr in Aussicht stellt, steigt die Zahl derjenigen, die meinen, der Bundeskanzler mache seine Arbeit alles in allem gut, auf 73 Prozent. Die Zufriedenheit mit Olaf Scholz erreicht damit nur drei Monate nach seinem Amtsantritt einen Wert, den er danach nie wieder erreichen sollte.

Ähnlich sieht es bei der Zufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung aus. In der Differenzierung für die drei Ampelparteien zeigen sich jedoch Unterschiede, die einen ersten Hinweis darauf geben, warum die Koalition in Dauerstreit und permanenten Wahlkampfmodus verfällt. Während die FDP bis zum März 2022 eine bessere Bewertung erfährt als die Grünen, fällt sie ab April zurück und gerät ab Juli 2022 in den Minusbereich. Zur gleichen Zeit sinkt auch der Sympathiewert für FDP-Parteichef Lindner ins Minus. Bei den Landtagswahlen im Mai in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen und im Oktober in Niedersachsen verzeichnet die FDP zum Teil empfindliche Verluste oder verpasst ganz den Einzug in den Landtag. Bereits im Mai 2022 fällt die Zustimmung zur Ampel-Formation im Bund unter zehn Prozent. Bis in den Herbst 2023 favorisiert die Wählerschaft eine Koalition aus SPD und Grünen, dann steigt ein Zusammengehen von SPD und CDU/CSU als gewünschte Koalition an erste Stelle.

Das Vertrauen in die Dreierkoalition ist schwach. Im Winter 2021/22 geben 48 Prozent der Deutschen ab 15 Jahren in einer repräsentativen Umfrage an, der Regierung "eher zu vertrauen". Im darauffolgenden Winter verzeichnen Umfrageergebnisse einen deutlichen Vertrauensschwund. Nun sagen 54 Prozent der Befragten, der Regierung "eher nicht zu vertrauen", im Vergleich zu 40 Prozent, die Vertrauen in die Regierung äußern. Diese Entwicklung geht einher mit einem allgemeinen Vertrauensverlust für die Parteien: Im Winter 2021/22 liegt die Zahl derjenigen, die den Mainstream-Parteien eher vertrauen, bei 36 Prozent. Dieser Wert bricht bereits im Sommer 2022 ein und sinkt bis zum Frühjahr 2024 auf 27 Prozent.

Die mediale Resonanz im ersten Jahr der Ampelregierung festigt das Image einer Koalition im Dauerstreit. Obwohl die Sorgen wegen einer möglichen Ausbreitung des Krieges und die wirtschaftlichen Folgen ein Zusammenrücken der Regierungsparteien nahelegen, dominiert schon bald wieder die Kontroverse. Die Energieversorgung, Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger, die Laufzeiten der Atomkraftwerke und die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine bieten Anlass für Streit zwischen den Parteien. Die Bilanz nach einem Jahr Ampelregierung fällt kritisch aus. "Beziehungsstatus: Es ist kompliziert", lautet das Resümee in der "Süddeutschen Zeitung".

Führung und Kommunikation

Die Krisen steigern die öffentlichen Erwartungen an politisches Management und Kommunikation. Noch bevor der Ukrainekrieg und die Energieversorgung die Pandemie auf der Prioritätenliste der Bevölkerung ablösen – und angesichts eines deutlichen Einbruchs in der Beurteilung seiner Arbeit nur kurz nach Amtsantritt baut sich das Bild eines Kanzlers mit Kommunikationsproblemen und Führungsschwäche auf. Sein aus der Hamburger Zeit stammendes Versprechen "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch" wird zum vermutlich häufigsten Zitat von Scholz. Dieser ist noch nicht einmal vereidigt, da heißt es schon: "Einmal Führung, bitte!" Sein Führungsstil findet den Weg in die Umfragen. Im Mai 2022 berichtet das "Handelsblatt", zwar halte ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger Scholz für kompetent, sympathisch und vertrauenswürdig, aber nur ein Drittel nenne ihn führungsstark. Überraschung macht sich daher breit, als Scholz seinen "Richtlinien-Wumms" verkündet und mit einem Machtwort den Streit über die Laufzeit der letzten Atomkraftwerke beendet.

Ebenso wie der Führungsstil kommt sein Kommunikationsverhalten in die Diskussion. Die "Süddeutsche Zeitung" ernennt Scholz zu "Meister Ungefähr" und führt das Umfragetief so kurz nach Beginn seiner Kanzlerschaft weniger auf seine Politik als auf seine Art der Kommunikation zurück. "Der Spiegel" bescheinigt Scholz eine "verheerende Kommunikationsstrategie", und stellt fest, am schlimmsten sei es, "wenn Olaf Scholz versucht, über Gefühle zu reden". Sein Kommunikationsstil mache ihn auch international zum "Mann, dem die Herzen nicht zufliegen". Manches erinnere an Angela Merkel, "unaufgeregt, in sich ruhend, in allen Themen mit großer Sachkenntnis beschlagen, aber mit Schwächen, wenn es um den öffentlichen Auftritt und das Erklären von Politik geht".

Mit der Kritik am Kommunikationsverhalten des Kanzlers machen sich die Medien zum Anwalt der Wählerschaft, der er seine Entscheidungen besser erklären sollte. In ihrem eigenen Interesse beklagen sie damit aber auch mangelndes Entgegenkommen gegenüber der Presse. Empörung über Scholz macht sich breit, als er in einer Pressekonferenz beim G7-Gipfel 2022 in Elmau eine Journalistin "unter Maximaleinsatz scholzischem Augenkneifschmunzelns" auflaufen lässt. Die "taz", die sich an den früheren SPD-Kanzler erinnert fühlt, nennt das einen "Schröder-Moment" und stellt fest: "Abbügeln, Fragenverdrehen, Auflaufenlassen sind Kulturtechniken, die nicht mehr zukunftsfähig sind".

Den Kontrast zu Scholz bildet "Erklärbär" Robert Habeck, der als bürgernah gilt: "Seine Art zu sprechen zieht Leute in den Bann, er berührt Menschen". Er ist ein "politischer Erzähler", der das Zustandekommen von Entscheidungen transparent machen wolle. Als Wirtschaftsminister zuständig für die Sicherung der Energieversorgung überholt Habeck im Sommer 2022 den Kanzler in der Sympathie- und Leistungsbewertung, während der entsprechende Wert für Lindner auf den Minusbereich zusteuert. Trotz eines Rückgangs des Sympathiewerts im Zuge des Streits über die Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland und Unzufriedenheit der Wählerschaft mit dem Entlastungspaket bleibt Habeck bis ins Frühjahr 2023, zusammen mit seiner Parteikollegin Annalena Baerbock, beliebtester Politiker. Habecks Absturz steht im Zusammenhang mit der Kontroverse um das Gebäudeenergiegesetz, kurz: Heizungsstreit. Die mediale Berichterstattung ist überwiegend negativ. Die "Bild" kanzelt das Gesetz als "Habecks Heiz-Hammer" ab. Zwischen den Koalitionsparteien kommt es zum "Ampel-Zoff auf offener Bühne" und "giftgelbgrüne[n] Krisenzeichen". Habeck selbst räumt Fehler in der Kommunikation des Gesetzesvorhabens ein und kritisiert zugleich das Erscheinungsbild der Regierung.

Dauerwahlkampf

"Lindner geht ins Risiko", heißt es schon während der Ampelsondierungen. Und: "Es geht für ihn und seine Partei wieder einmal um alles". Die Erinnerung daran, wie die FDP in der Koalition mit der Union aufgerieben wurde und bei der Bundestagswahl 2013 an der Fünfprozenthürde scheiterte, hat die FDP gelehrt, wie wichtig es ist, sich (nach außen und nach innen) in der Koalition zu behaupten und Aufmerksamkeit für die eigene Arbeit zu schaffen. Im Ampelbündnis gilt das zuerst gegenüber den Grünen, denen die FDP bislang "nur in herzlicher Abneigung verbunden" war. Gegenüber der SPD als stärkster Koalitionspartei fürchtet die FDP eine Koch-Kellner-Hierarchie, wie sie Gerhard Schröder einmal für eine rot-grüne Koalition beschrieb.

Die regelmäßige Berichterstattung über Umfrageergebnisse zur Sonntagsfrage, Sympathiewerte für einzelne Politikerinnen und Politiker, Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger zu Sachfragen sowie der Realitätstest durch Landtagswahlen verleiten die Parteien zum pandering, der Anbiederung an die momentane Stimmung in der Bevölkerung. Einbrüche bei der Stärke der Parteien setzen deren Führung aber auch unter Druck, Koalitionsentscheidungen und Kompromisse gegenüber der eigenen Partei zu rechtfertigen.

Das Schielen auf das Abschneiden der Partei in der Sonntagsfrage und das Urteil über die Regierungsarbeit führen zur Aufhebung der Grenze zwischen Wahlkampfmodus und Regierungsmodus – und damit zu einer Politik der permanenten Kampagne. In diesem Kontext dient der Streit "machttaktischen Spielereien" zur Profilierung im Dreierbündnis. Als strategisches Instrument vollzieht sich der Streit zum Selbstzweck. Um Wirkung zu erzielen, bedarf solcher Streit der medialen Öffentlichkeit und einer Medienarbeit, die es erlaubt, die Aufmerksamkeit der Medien unter Wahrung der eigenen Deutungshoheit zu halten. Indiskretionen, vermeintliche Querschläger und meist über die digitalen Plattformen verbreitete Profilierungsbemühungen einzelner Politikerinnen und Politiker füttern umso mehr den Streit im Kampf um machtpolitische Positionen. Da Konflikte einen hohen Nachrichtenwert haben, wird der Streit zur Interpretationsfolie für die Ampel und impliziert die Berichterstattung nach einem Gewinner-Verlierer-Schema, das sich auf Ergebnisse von Umfragen zur Parteienstärke und Kandidatensympathie stützt und Spekulationen über die Konsequenzen im strategischen Verhalten innerhalb der Koalition und mit Blick auf kommende Wahlen auslöst.

Spannung und Selbstzweck

Die Ampel hatte keine gute Presse. Der Streit – aufgrund politischer Positionen oder als Instrument des Marketings – markiert den Blick auf die Dreierkoalition von Anfang an. Schon die Selfies aus den Koalitionsgesprächen werden als "Instagram-Inszenierung" und "Illusion der Realität" entlarvt.

Obwohl die "ständige geistige Auseinandersetzung" und der "Kampf der Meinungen" unter den Bedingungen der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit ein "Lebenselement" der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung ist, erfährt der Streit in der Kommentierung der Ampel eine negative Konnotation. Der Streit erscheint als Zank, der nicht dazu dient, im Austausch gegensätzlicher Meinungen einen Kompromiss herbeizuführen und die beste Lösung zu finden. So kritisiert Politikwissenschaftler Joachim Behnke bereits die Koalitionsverhandlungen als "unvernünftig", weil die Parteien "feilschen, statt zu argumentieren" und "die Vernunft zugunsten der Eigeninteressen der Parteien hintanstehen muss".

Als Erklärung für die negative Bewertung und die "tiefe Verachtung demokratischen Streits" gilt Harmoniedenken, das "ein Spezifikum der politischen Kultur in Deutschland war und offensichtlich zum Teil auch noch ist". Das Image der Ampel als einer Koalition im Dauerstreit schiebt sich dann auch vor die Wahrnehmung ihrer ansehnlichen Bilanz: "Mehr Koalition wagen" lautet daher die Empfehlung einer Studie der Bertelsmann Stiftung, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Ampelregierung in den ersten zwanzig Monaten beinahe zwei Drittel des Koalitionsvertrages umgesetzt oder mit der Umsetzung begonnen hat, in ihrem Ansehen davon aber nicht profitieren kann.

Dass die Medien auf den Streit fokussieren, erklärt sich aus den professionellen Routinen der Nachrichtenselektion, bei denen der Konflikt einen hohen Nachrichtenwert hat. Der Konflikt paart sich hier mit dem Bezug zu den politisch Mächtigen – den Eliten – und zu einzelnen Politikerinnen und Politikern, die zum Zweck ihrer bevorzugt auf den sozialen Plattformen verbreiteten Selbstpromotion den Streit anheizen, um Aufmerksamkeit für sich zu generieren. Die mediale Selbstkritik beklagt die Fixierung auf "Koalitionsstreit-Ticker und Insider-Tweets vom parteipolitischen Hickhack" und "das hingebungsvolle Beschreiben von Koalitionskrächen".

Die Berichterstattung über Streitigkeiten folgt dem game frame und dem strategy frame, die als zwei Dimensionen eines strategic game frame gelten. Der game frame stellt Politik als spannendes Rennen mit Gewinnern und Verlierern dar und ist in der politischen Kommunikation längst nicht mehr auf Wahlkämpfe beschränkt. Der strategy frame konzentriert sich auf die Motive politischer Akteure für ihr Handeln und die Strategien, die sie zum Erreichen ihrer Ziele einsetzen. Während der game frame auch positive Wirkungen entfalten kann, indem er das Interesse an Politik steigert, könnte Berichterstattung, die dem strategy frame folgt, durch Ablenkung von der Sachpolitik und Betonung des Eigeninteresses der Politikerinnen und Politiker zu politischer Entfremdung beitragen.

Die Ampelparteien liefern den Stoff. Lindners Bezeichnung der Koalition als "Zweckbündnis", die Ankündigung fortwährender Bewertungsunterschiede und sein Selbstverständnis als "Korrektiv, das dafür sorgt, dass nichts schiefgeht", setzen den Ton. Der Wettbewerb unter den Koalitionspartnern führt zur Instrumentalisierung des Streits für den Dauerwahlkampf, in dem es mit Blick auf Umfragen und Parteibasis um Sichtbarkeit und Durchsetzen der eigenen Positionen geht. Der fortwährende Kampf, sich gegenüber den Koalitionspartnern zu behaupten, macht den Streit zum Selbstzweck. Es wird gestritten, um des Streites willen. So erfüllen sich die Prophezeiungen, die der Dreierkoalition den Streit vorhersagten.

war von 2004 bis 2019 Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Politische Kommunikation, Wahlkampagnen, Mediensysteme und Gender.