In der jüngeren Geschichte wurde wohl noch nie so deutlich die Existenz und die Wirkmacht von Verschwörungstheorien vor Augen geführt wie in der Corona-Pandemie. Was lange als Randphänomen in dunklen Nischen des Internets galt, scheint auf einmal allgegenwärtig. Von der Nachbarin bis zum Abgeordneten im US-Kongress reicht das Spektrum derer, die hinter der Pandemie ein Komplott vermuten: das Coronavirus existiere entweder gar nicht oder sei absichtlich in die Welt gesetzt worden. In beiden Varianten steckt die Vorstellung, dass die Pandemie bloß ein Vorwand einer Gruppe Verschworener sei, deren eigentliches Ziel die Errichtung einer weltumspannenden Diktatur ist.
Derartige "Theorien" werden nicht geglaubt, weil sie inhaltlich überzeugend wären. Sie werden von Menschen geglaubt, die an sie glauben wollen. Denn sie bieten eine Erklärung der Welt an, die komplexe Ereignisse und Prozesse auf eine einfache Ursache zurückführt – in der Regel die Machenschaften dunkler Mächte. Derartige Behauptungen verbreiten sich in einem Netzwerk aus Medien, vermeintlichen Expertinnen und Aktivisten, die Fakten umdeuten, aber auch "alternative" Fakten und Statistiken – oder: alternatives Wissen – verbreiten. Anlass zur Sorge bietet nicht nur die Verbindung von Verschwörungstheorien mit Rechtsextremismus und Antisemitismus, sondern auch die Entkopplung eines Teils der Bevölkerung von der Realität.
Die Folgen lassen sich seit März 2020 alltäglich beobachten. Wer die Pandemie für eine Erfindung hält, wird eher keinen Abstand zu seinen Mitmenschen halten und keinen Mundnasenschutz tragen. Wer befürchtet, mit der Impfung einen Mikrochip eingepflanzt zu bekommen, wird sich eher nicht impfen lassen und damit die Allgemeinheit gefährden. Dabei kann der grassierende Glaube an Verschwörungstheorien auch als ein Symptom für die Entfremdung großer Teile der Bevölkerung von der institutionalisierten Politik gedeutet werden – genau hier sollten Lösungsversuche ansetzen.