Niemand weiß so recht, worum es sich beim Commonwealth eigentlich handelt. Seit Jahrzehnten ist die Suche nach einer Identität oder einem Daseinszweck (purpose) eine Lieblingsbeschäftigung in Commonwealth-Politik und Politikwissenschaft. Die paradoxe Feststellung, die der Politologe Hedley Bull 1959 in einem Aufsatz traf, gilt bis heute: Die Mitgliedschaft im Commonwealth werde von den Beteiligten selbst dann als vorteilhaft empfunden, wenn ein purpose nicht erkennbar sei.
Schon der Name hat sich mehrfach geändert.
Der entscheidende Gedanke bestand darin, dass Großbritannien nicht das Ganze sei, also der britische imperiale Staat, sondern selbst nur ein Teil eines zusammengesetzten und größeren Ganzen. Nachdem Indien, Pakistan und Ceylon (seit 1972: Sri Lanka) als erste "nicht-weiße" Ex-Kolonien dem Commonwealth beigetreten waren, verschwand 1948 das Adjektiv "British". Der Zusatz "of nations" kam später allmählich außer Gebrauch. Der Vorschlag des Labour-Ministers Patrick Gordon Walker aus dem Jahre 1962, vom "Euro-Afro-Asian Commonwealth" zu sprechen, hätte den Sachverhalt schon damals gut getroffen, allerdings die umständliche Ergänzung "-Caribbean-Pacific" verlangt.
Was das Commonwealth nicht ist
Man kommt den Eigenarten des Commonwealth näher, wenn man sich vor Augen hält, was es nicht ist.
Erstens ist das Commonwealth kein Instrument britischer Außenpolitik. Es ist ein Spielfeld mit zahlreichen unterschiedlichen Akteuren, dessen Regeln nicht in der Downing Street bestimmt werden. Großbritannien kann als primus inter pares nicht politisch dominieren, sondern tritt nur symbolisch als erstes Land unter Gleichen auf, weil sein Monarch per Konsens in der Rolle des Head of the Commonwealth anerkannt wird.
Zweitens ist das Commonwealth, obwohl eine seiner Wurzeln in der Hilfe der Dominions für das Vereinigte Königreich in den beiden Weltkriegen liegt, kein Militärbündnis, wie etwa die Nato, und keine Einrichtung der kollektiven Sicherheit. Anders als das frühere British Empire, wird es nicht durch die Stationierung von Streitkräften der Zentrale zusammengehalten. Es gibt keine gemeinsamen militärischen Strukturen. Großbritannien setzt seine militärische Stärke nicht auf dem Weg über das Commonwealth um, wie umgekehrt kaum ein Mitgliedsland dem Vereinigten Königreich seine Sicherheit anvertraut. Staaten wie Kanada oder Australien verlassen sich seit Jahrzehnten lieber auf die USA. Deshalb ist das Commonwealth kein Machtfaktor in der Weltpolitik und auf der internationalen Bühne ein Leichtgewicht. Statt militärischer hard power besitzt es allein die soft power gewaltfreier Werbung für Ziele, die per Übereinkunft festgelegt werden.
Drittens ist das Commonwealth kein supranationaler Staatenverbund wie die Europäische Union. Es gibt keine Commonwealth-Exekutive, die, ähnlich wie die EU-Kommission, verbindliche Festlegungen treffen kann, kein Commonwealth-Parlament und keine Commonwealth-Gerichtsbarkeit. Die Mitgliedstaaten übertragen dem Commonwealth keinerlei Souveränitätsrechte. Sofern eine gemeinsame Rechtskultur – "Commonwealth law" – die teilnehmenden Länder verbindet, handelt es sich um historisch gewachsene Ähnlichkeiten, jedoch nicht um ein eigenes, höherrangiges Gemeinschaftsrecht.
Viertens ist das Commonwealth kein nach außen geschützter und im Inneren homogener Wirtschaftsraum, keine "Alternative zum Weltmarkt".
Fünftens ist das Commonwealth keine einfache Verlängerung des British Empire in eine postimperiale Epoche hinein, kein Ersatz-Empire, obwohl es von der britischen Politik zunächst als ein solches interpretiert wurde. Neben dem Fehlen eines imperialen Zwangsapparats besteht der wichtigste Unterschied zu einem Imperium darin, dass die Mitgliedschaft freiwillig ist und ausschließlich auf dem Beitritt aus freien Stücken beruht. Anders als in einem Imperium gibt es keine hierarchische Trennung zwischen Zentrum und Peripherien und deshalb auch keinen Machtanspruch des Zentrums, der auf militärischer Eroberung beruht. Aus einem Imperium kann man nur durch Sezession ausscheiden, die in der Geschichte oft die Form von Unabhängigkeitskriegen angenommen hat. Aus dem Commonwealth hingegen verabschiedet sich ein Land, das nicht länger Mitglied sein will, durch eine bloße Austrittserklärung. Während in einem imperialen Verhältnis Kolonien Objekte von Ausbeutung sind, nutzt das Commonwealth den kleineren unter seinen Mitgliedern mindestens ebenso wie den großen. Länder mit geringer Bevölkerung und schwacher Wirtschaft können organisatorische Ressourcen nutzen, zu denen sie sonst schwer Zugang hätten, und Kontakte knüpfen und pflegen, die über bilaterale Diplomatie und auf der großen Bühne der Vereinten Nationen schwieriger zu gestalten sind.
Weil das Commonwealth in seiner heutigen Gestalt all das nicht ist, was man von einem gewichtigen Akteur in den internationalen Beziehungen erwartet – kein Imperium, kein Bundesstaat, kein Staatenbund, keine supranationale Struktur, kein Militärbündnis und keine Wirtschaftsgemeinschaft – empfiehlt es sich, den vagen Begriff des "Gebildes" zu bemühen. Das Commonwealth ist eine überregionale internationale Organisation, aber eine solche sui generis und ohne erfolgreiche Nachahmer.
Drei Aspekte des Commonwealth
Die allgemeinste Definition des Commonwealth hat die Organisation selbst 1971 in ihrer Singapore Declaration gegeben
Commonwealth Nummer 1, das offizielle Commonwealth, ist heute eine Vereinigung von 56 Ländern; ungefähr ein Viertel der UN-Mitgliedstaaten zählt dazu (Karte).
Fast alle Mitgliedstaaten waren früher britische Kolonien. Mit Mosambik (1995) und Ruanda (2009) traten allerdings Staaten bei, die niemals zum British Empire gehörten.
Von den 56 Mitgliedsländern sind 36 Republiken. Königin Elizabeth II. war Staatsoberhaupt von 15 Commonwealth-Staaten; fünf weitere haben andere Monarchen. Sämtliche Mitglieder betrachteten Elizabeth II. als Head of the Commonwealth. 2018 wurde Prinz Charles in dieser nichterblichen Funktion als Nachfolger anerkannt, sodass der Übergang für König Charles III. vorbereitet war. Als "Grundkleber" ("ultimate glue")
Commonwealth Nummer 2, das bürokratische Commonwealth, gruppiert sich um das in London ansässige Commonwealth Secretariat, an dessen Spitze die Generalsekretärin steht, aktuell die von der Karibikinsel Dominica stammende Juristin Baroness Patricia Scotland. Verglichen mit den Bürokratien der großen internationalen und supranationalen Organisationen, ist die Commonwealth-Verwaltung winzig. Sie besteht aus etwa 300 Personen. Mit 22,8 Millionen Pfund (etwa 26 Millionen Euro) im Haushaltsjahr 2021/22 ist das Jahresbudget vergleichsweise niedrig und liegt bei weniger als einem Prozent des UN-Etats. Der Löwenanteil fließt in technische Kooperation und Jugendprogramme. Die Kosten des Sekretariats werden überwiegend vom Vereinigten Königreich, Kanada und Australien getragen.
Commonwealth Nummer 3, das zivilgesellschaftliche Commonwealth ("the people’s Commonwealth"),
Diese informellen und vorpolitischen Vernetzungen sind letzten Endes das, was das Gebilde insgesamt integriert. Sie sind kulturell in den weiteren Zusammenhang der "Anglosphäre" eingebettet.
Phantom-Empire und Antirassismus-Forum
Das "moderne" Commonwealth entstand in den Jahren 1947 bis 1949, als die Dominions um die ersten asiatischen Mitglieder ergänzt wurden. Mit dem Beitritt Ghanas 1957 und Jamaikas 1962 wurde es zum Normalfall, dass unabhängig gewordene Ex-Kolonien sich dem Commonwealth anschlossen. Nur Burma (seit 1989: Myanmar) und Aden (Südjemen) verweigerten diesen Schritt. Je mehr das British Empire schrumpfte, desto größer wurde die Zahl der Mitglieder des Commonwealth. Die Konservative Partei, die zwischen 1951 und 1964 im Vereinigten Königreich regierte, sah das Commonwealth als Polster für eine sanfte Landung nach dem Zerfall des Weltreichs. Die neuen Nationen, so hoffte man bei den Tories, würden aus Dankbarkeit die Stimme Großbritanniens in der Welt verstärken und die wirtschaftlichen Beziehungen aus der Empire-Zeit freiwillig fortsetzen wollen. Diese Illusion scheiterte einerseits an der ökonomischen Schwäche des britischen "Mutterlandes", andererseits am Selbstbewusstsein der einstigen Peripherie, die sich keineswegs als Londons außenpolitische Hilfstruppe instrumentalisieren ließ. Dies wurde spätestens 1956 klar, als Indien der Regierung Anthony Edens in der Suezkrise die Gefolgschaft verweigerte.
Um die Mitte der 1960er Jahre waren die Hoffnungen der verschiedenen politischen Kräfte zerstoben, Großbritannien könne aus den Trümmern des Empire irgendeine Art von "British world-system" retten, einen Sonderstatus als "dritte Weltmacht", unterhalb der Ebene der nuklearen Supermächte, doch mit großem Vorsprung vor allen anderen Konkurrenten.
Um die Mitte der 1960er Jahren war das Commonwealth aus britischer Sicht je nach politischer Präferenz zu einem unsicheren Kantonisten oder einer Arena partnerschaftlicher Begegnung mit der aufstrebenden "Dritten Welt" geworden. Zugleich entwickelte es ein stärkeres Eigenleben. Durch die Einrichtung des Sekretariats 1965 wurde aus einem locker gestrickten Club eine internationale Organisation.
Ebenfalls in den 1960er Jahren fand das Commonwealth das größte Thema, das es je hatte. Nun begannen die heroischen Jahrzehnte des Zusammenschlusses. Obwohl die Londoner Regierung Südafrika im Commonwealth halten wollte, erzwangen die neuen afrikanischen Mitglieder 1961 den Austritt des Apartheid-Staates. Auch in seiner Abwesenheit blieb dieses weltweit drastischste Beispiel für institutionalisierten Rassismus der Konzentrationspunkt der Commonwealth-Politik. Der Historiker Saul Dubow spricht von Südafrikas "abwesender Anwesenheit" ("South Africa’s absent-presence").
Zwar war das Commonwealth nur ein Player unter mehreren im Kampf gegen die rassistischen Systeme in Südrhodesien und Südafrika. Aber es spielte eine große Rolle in den komplizierten Prozessen, die in Südrhodesien (das nun Simbabwe hieß) 1980 und in Südafrika 1994 zu Wahlen und demokratisch legitimierten Regierungen führten und damit in beiden Fällen zum Ende der rassistischen Herrschaftsordnungen. Verschiedentlich brachte eine Mehrheit im Commonwealth ihr Gewicht gegenüber Londoner Regierungen zur Geltung, die eher zu einem vorsichtigen Umgang mit den weißen Herrschern Südafrikas neigten. In der jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit der weißen Rassenherrschaft wurde das Commonwealth zu einer sich bewusst als "multi-racial" verstehenden Organisation mit eindeutigen ethischen Prinzipien. Seine 1991 in Harare proklamierte und bis heute gültige Menschenrechtsorientierung hat hier ihren Ursprung.
Das Commonwealth im 21. Jahrhundert
Mit seinen beschränkten finanziellen Ressourcen und mehr noch mit seinem Prestige tritt das Commonwealth heute als – wie es in der Charta von 2013 heißt – "eine unwiderstehliche Kraft des Guten" ("a compelling force for good") für eine progressiv-reformistische Entwicklung der Weltgemeinschaft ein.
Da Commonwealth-Erklärungen im Konsens zustande kommen, hat die britische Regierung 2022 die lange Liste des "Guten" mitgetragen. Dass sie im Rückgriff auf Tory-Phantasien der 1950er Jahre das Commonwealth unter dem Motto "Global Britain" neoimperial reaktivieren könnte, hat sich als Illusion erwiesen. Das Commonwealth machte 2021, also bereits unter Brexit-Bedingungen, 9 Prozent des Außenhandels des Vereinigten Königreichs aus, verglichen mit 43 Prozent für die EU. 73 Prozent des britischen Commonwealth-Handels entfielen auf nur fünf wirtschaftlich starke Partner: Indien, Kanada, Australien, Singapur und Südafrika. In all diesen Fällen werden die Handelsbeziehungen bilateral geregelt und nur geringfügig durch die Commonwealth-Mitgliedschaft geprägt.
An diesen Verhältnissen dürfte sich in Zukunft wenig ändern. Die großen Ökonomien im Commonwealth haben kein Interesse daran, sich als Ersatz-EU vor den Brexit-Karren spannen zu lassen; viele von ihnen sehen in China den wichtigsten Handelspartner der Zukunft. Zum Gipfeltreffen im Juni 2022 in Kigali erschien der indische Premier Narendra Modi nicht persönlich, sondern schickte seinen Außenminister. Zudem krankt die neoimperiale Vision der Brexiteers an einem Grundwiderspruch: Ausgerechnet das, was Commonwealth-Staaten am ehesten als Gegenleistung für Handelsvergünstigungen fordern könnten, ist unter Brexit-Prämissen nur schwer möglich: die Erleichterung von Einreise und Zuzug auf die Britischen Inseln.
Während race heute auf internationaler Ebene und in vielen nationalen Öffentlichkeiten, nicht zuletzt in Großbritannien, ein viel diskutiertes Thema ist, hat das Commonwealth diese Diskussion im Grunde schon hinter sich. Diskriminierungsvorwürfe werden intern selten erhoben. Dringender ist die eher akademische Aufgabe, die imperiale Tiefendimension der eigenen Geschichte besser aufzuarbeiten, als dies bisher geschehen ist. Sie ist deshalb wichtig, weil gerade konservative Commonwealth-Lobredner die historischen Wurzeln in einer gemeinsamen Empire-Erfahrung bagatellisieren und die Organisation als einen geschichtslosen Verein von Marktwirtschaftlern darstellen.
Das Commonwealth hat bereits 1989, früher als manch andere internationale Organisation, auf die Gefahren des Klimawandels hingewiesen und später auf das Pariser Klimaschutzabkommen hingearbeitet.