Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Das Commonwealth | Vereinigtes Königreich | bpb.de

Vereinigtes Königreich Editorial Der Kampf der Nostalgien The Battle of Nostalgias Vom Brexit zum Bregret? Britische Wirtschaft und Politik drei Jahre nach dem EU-Austritt Das Commonwealth. Geschichte und Gegenwart eines postimperialen Gebildes Schottlands umstrittene Zukunft Die erste britische Kolonie. Irland und das Vereinigte Königreich Long Live the King? Vergangenheit und Zukunft der britischen Monarchie Karten

Das Commonwealth Geschichte und Gegenwart eines postimperialen Gebildes

Jürgen Osterhammel

/ 16 Minuten zu lesen

Nach dem Brexit ruhte viel Hoffnung auf dem Commonwealth, es ließe sich unter dem Motto "Global Britain" neoimperial revitalisieren. Tatsächlich aber sind die meisten Mitgliedsländer wirtschaftlich nicht auf den Staatenbund angewiesen. Dennoch ist er nicht bedeutungslos.

Niemand weiß so recht, worum es sich beim Commonwealth eigentlich handelt. Seit Jahrzehnten ist die Suche nach einer Identität oder einem Daseinszweck (purpose) eine Lieblingsbeschäftigung in Commonwealth-Politik und Politikwissenschaft. Die paradoxe Feststellung, die der Politologe Hedley Bull 1959 in einem Aufsatz traf, gilt bis heute: Die Mitgliedschaft im Commonwealth werde von den Beteiligten selbst dann als vorteilhaft empfunden, wenn ein purpose nicht erkennbar sei.

Schon der Name hat sich mehrfach geändert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts übertrugen der südafrikanische Staatsmann und General Jan Smuts und der Oxforder Historiker Alfred Zimmern die frühneuzeitliche Verfassungskategorie "Commonwealth" auf die Gemeinschaft der "weißen", das heißt von europäischen Siedlereliten beherrschten, Teile des British Empire. Diesen Proto-Staaten (seit 1907 auch "Dominions" genannt) – vor allem Kanada, Australien, Neuseeland und Südafrika – wurde die Fähigkeit zugeschrieben, eigene Nationen zu sein und sich in demokratischen Formen selbst zu regieren. Ab dem Ersten Weltkrieg waren diese Länder (Südafrika ging seinen eigenen Weg) weitgehend souveräne Staaten mit geringen Resten kolonialer Abhängigkeit von London, vor allem in ihrer Außenpolitik. In der Balfour Declaration von 1926 wurde die Bezeichnung "British Commonwealth of Nations" eingeführt: Die Dominions ebenso wie das Vereinigte Königreich selbst seien freiwillige ("freely associated") Mitglieder dieses Bundes der Demokratien unter dem imperialen Dach.

Der entscheidende Gedanke bestand darin, dass Großbritannien nicht das Ganze sei, also der britische imperiale Staat, sondern selbst nur ein Teil eines zusammengesetzten und größeren Ganzen. Nachdem Indien, Pakistan und Ceylon (seit 1972: Sri Lanka) als erste "nicht-weiße" Ex-Kolonien dem Commonwealth beigetreten waren, verschwand 1948 das Adjektiv "British". Der Zusatz "of nations" kam später allmählich außer Gebrauch. Der Vorschlag des Labour-Ministers Patrick Gordon Walker aus dem Jahre 1962, vom "Euro-Afro-Asian Commonwealth" zu sprechen, hätte den Sachverhalt schon damals gut getroffen, allerdings die umständliche Ergänzung "-Caribbean-Pacific" verlangt. Die offizielle Bezeichnung ist heute schlicht "The Commonwealth".

Was das Commonwealth nicht ist

Man kommt den Eigenarten des Commonwealth näher, wenn man sich vor Augen hält, was es nicht ist.

Erstens ist das Commonwealth kein Instrument britischer Außenpolitik. Es ist ein Spielfeld mit zahlreichen unterschiedlichen Akteuren, dessen Regeln nicht in der Downing Street bestimmt werden. Großbritannien kann als primus inter pares nicht politisch dominieren, sondern tritt nur symbolisch als erstes Land unter Gleichen auf, weil sein Monarch per Konsens in der Rolle des Head of the Commonwealth anerkannt wird.

Zweitens ist das Commonwealth, obwohl eine seiner Wurzeln in der Hilfe der Dominions für das Vereinigte Königreich in den beiden Weltkriegen liegt, kein Militärbündnis, wie etwa die Nato, und keine Einrichtung der kollektiven Sicherheit. Anders als das frühere British Empire, wird es nicht durch die Stationierung von Streitkräften der Zentrale zusammengehalten. Es gibt keine gemeinsamen militärischen Strukturen. Großbritannien setzt seine militärische Stärke nicht auf dem Weg über das Commonwealth um, wie umgekehrt kaum ein Mitgliedsland dem Vereinigten Königreich seine Sicherheit anvertraut. Staaten wie Kanada oder Australien verlassen sich seit Jahrzehnten lieber auf die USA. Deshalb ist das Commonwealth kein Machtfaktor in der Weltpolitik und auf der internationalen Bühne ein Leichtgewicht. Statt militärischer hard power besitzt es allein die soft power gewaltfreier Werbung für Ziele, die per Übereinkunft festgelegt werden.

Drittens ist das Commonwealth kein supranationaler Staatenverbund wie die Europäische Union. Es gibt keine Commonwealth-Exekutive, die, ähnlich wie die EU-Kommission, verbindliche Festlegungen treffen kann, kein Commonwealth-Parlament und keine Commonwealth-Gerichtsbarkeit. Die Mitgliedstaaten übertragen dem Commonwealth keinerlei Souveränitätsrechte. Sofern eine gemeinsame Rechtskultur – "Commonwealth law" – die teilnehmenden Länder verbindet, handelt es sich um historisch gewachsene Ähnlichkeiten, jedoch nicht um ein eigenes, höherrangiges Gemeinschaftsrecht.

Viertens ist das Commonwealth kein nach außen geschützter und im Inneren homogener Wirtschaftsraum, keine "Alternative zum Weltmarkt". Es bildet keine eigene Zollunion und Freihandelszone, auch wenn aus praktischen Gründen manche Geschäfte zwischen den Mitgliedstaaten leichter und preisgünstiger abzuwickeln sind als wirtschaftliche Kontakte zu Drittländern. Die Praxis intraimperialer Zollvergünstigungen (imperial preference) konnte ab den 1950er Jahren nicht ins Zeitalter des liberalisierten Welthandels hinübergerettet werden. Reste einer "Sterling Area", einer auf dem Britischen Pfund beruhenden Währungssphäre, verschwanden im Laufe der 1970er Jahre. Spätestens Mitte der 1960er Jahre war offensichtlich: Das Commonwealth eignete sich nicht als Angelpunkt für eine globale britische Wirtschaftsstrategie.

Fünftens ist das Commonwealth keine einfache Verlängerung des British Empire in eine postimperiale Epoche hinein, kein Ersatz-Empire, obwohl es von der britischen Politik zunächst als ein solches interpretiert wurde. Neben dem Fehlen eines imperialen Zwangsapparats besteht der wichtigste Unterschied zu einem Imperium darin, dass die Mitgliedschaft freiwillig ist und ausschließlich auf dem Beitritt aus freien Stücken beruht. Anders als in einem Imperium gibt es keine hierarchische Trennung zwischen Zentrum und Peripherien und deshalb auch keinen Machtanspruch des Zentrums, der auf militärischer Eroberung beruht. Aus einem Imperium kann man nur durch Sezession ausscheiden, die in der Geschichte oft die Form von Unabhängigkeitskriegen angenommen hat. Aus dem Commonwealth hingegen verabschiedet sich ein Land, das nicht länger Mitglied sein will, durch eine bloße Austrittserklärung. Während in einem imperialen Verhältnis Kolonien Objekte von Ausbeutung sind, nutzt das Commonwealth den kleineren unter seinen Mitgliedern mindestens ebenso wie den großen. Länder mit geringer Bevölkerung und schwacher Wirtschaft können organisatorische Ressourcen nutzen, zu denen sie sonst schwer Zugang hätten, und Kontakte knüpfen und pflegen, die über bilaterale Diplomatie und auf der großen Bühne der Vereinten Nationen schwieriger zu gestalten sind.

Weil das Commonwealth in seiner heutigen Gestalt all das nicht ist, was man von einem gewichtigen Akteur in den internationalen Beziehungen erwartet – kein Imperium, kein Bundesstaat, kein Staatenbund, keine supranationale Struktur, kein Militärbündnis und keine Wirtschaftsgemeinschaft – empfiehlt es sich, den vagen Begriff des "Gebildes" zu bemühen. Das Commonwealth ist eine überregionale internationale Organisation, aber eine solche sui generis und ohne erfolgreiche Nachahmer.

Drei Aspekte des Commonwealth

Die allgemeinste Definition des Commonwealth hat die Organisation selbst 1971 in ihrer Singapore Declaration gegeben und 2013 in der ersten Charta ihrer Geschichte bestätigt: "ein freiwilliger Zusammenschluss unabhängiger und gleichberechtigter souveräner Staaten, von denen jeder für seine eigene Souveränität verantwortlich ist und die im gemeinsamen Interesse unserer Völker und zur Förderung der internationalen Verständigung und des Weltfriedens zusammenarbeiten (…)". Diese Selbstdefinition betont den nur minimal bindenden Charakter der Überstimmung, die zwischen den Mitgliedstaaten erwartet wird. Das Bild, das dabei immer wieder beschworen wird, ist das einer Familie, deren Oberhaupt freilich so schwach ist, dass es keine erzieherischen oder gar disziplinierenden Aufgaben übernehmen kann und will. Trotz seiner Schwäche und organisatorischen "Flachheit" ist das Commonwealth ein komplexes Gebilde. Diese Komplexität erfassen die Politikwissenschaftler Francis Baert und Timothy M. Shaw, indem sie drei unterschiedliche Commonwealths unterscheiden, also drei Aspekte derselben Sache: das Commonwealth als zwischenstaatliche Organisation, als Bürokratie und als zivilgesellschaftliche Arena.

Commonwealth Nummer 1, das offizielle Commonwealth, ist heute eine Vereinigung von 56 Ländern; ungefähr ein Viertel der UN-Mitgliedstaaten zählt dazu (Karte). Es umfasst etwa ein Drittel der Weltbevölkerung, verteilt sich über sämtliche Kontinente und schließt alle großen Religionsgemeinschaften ein, darunter auf viele Länder verteilt etwa 40 Prozent der Muslime der Welt. Die Dimension der Mitgliedstaaten variiert zwischen dem gigantischen Indien mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern und dem pazifischen Inselstaat Nauru, der nur rund 12500 Einwohner hat. Unter den Mitgliedern finden sich einige der reichsten (Australien, Kanada, Neuseeland, Singapur, Brunei) und einige der ärmsten (Malawi, Mosambik, Sierra Leone, Ruanda) Staaten der Erde. Sie alle sind bei Entscheidungsprozessen im Commonwealth formal gleichberechtigt.

Fast alle Mitgliedstaaten waren früher britische Kolonien. Mit Mosambik (1995) und Ruanda (2009) traten allerdings Staaten bei, die niemals zum British Empire gehörten. Kamerun (1995) und Togo (2022), früher deutsche Kolonien, waren nach dem Ersten Weltkrieg überwiegend französische Mandatsgebiete. Die Mitgliederliste weist erhebliche Fluktuationen auf. Südafrika zog sich 1961 unter Druck zurück und wurde 1994 unmittelbar nach Aufhebung der Apartheid wieder zugelassen. Gambia trat 2013 aus und 2018 wieder ein; Pakistan ging 1972 und kehrte 1989 zurück. Einige Länder wurden wegen Menschenrechtsverletzungen suspendiert, so etwa Nigeria (1995–1999), Sierra Leone (1997/98) oder Fidschi (2000/01, erneut 2009–2014). 2018 stellte das geächtete Simbabwe nach dem Sturz des Diktators Robert Mugabe einen heute noch laufenden Antrag auf Wiederaufnahme.

Von den 56 Mitgliedsländern sind 36 Republiken. Königin Elizabeth II. war Staatsoberhaupt von 15 Commonwealth-Staaten; fünf weitere haben andere Monarchen. Sämtliche Mitglieder betrachteten Elizabeth II. als Head of the Commonwealth. 2018 wurde Prinz Charles in dieser nichterblichen Funktion als Nachfolger anerkannt, sodass der Übergang für König Charles III. vorbereitet war. Als "Grundkleber" ("ultimate glue") zum Zusammenhalt des Commonwealth wesentlich beigetragen zu haben, gehört zu den großen politischen Leistungen der Monarchin. Elizabeth II. erarbeitete und verdiente sich ihre Position durch diplomatisches Geschick und vorbildliche Pflichterfüllung. Die wichtigste formale Klammer der Organisation sind die Commonwealth Heads of Government Meetings (CHOGM), die seit 1971 alle zwei Jahre stattfinden, zuletzt im Juni 2022 in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda.

Commonwealth Nummer 2, das bürokratische Commonwealth, gruppiert sich um das in London ansässige Commonwealth Secretariat, an dessen Spitze die Generalsekretärin steht, aktuell die von der Karibikinsel Dominica stammende Juristin Baroness Patricia Scotland. Verglichen mit den Bürokratien der großen internationalen und supranationalen Organisationen, ist die Commonwealth-Verwaltung winzig. Sie besteht aus etwa 300 Personen. Mit 22,8 Millionen Pfund (etwa 26 Millionen Euro) im Haushaltsjahr 2021/22 ist das Jahresbudget vergleichsweise niedrig und liegt bei weniger als einem Prozent des UN-Etats. Der Löwenanteil fließt in technische Kooperation und Jugendprogramme. Die Kosten des Sekretariats werden überwiegend vom Vereinigten Königreich, Kanada und Australien getragen.

Commonwealth Nummer 3, das zivilgesellschaftliche Commonwealth ("the people’s Commonwealth"), ist ein diffuser Bereich, in dem an die hundert zivilgesellschaftliche Organisationen tätig sind, die mit dem Commonwealth-Sekretariat in Verbindung stehen. Dazu gehören Assoziationen von Universitäten, Juristen oder Presseorganen. Vor allem fällt in diesen Bereich die Organisation der Commonwealth Games, die alle vier Jahre als Sommerspiele alternierend zu den Olympischen Spielen stattfinden: eine der sichtbarsten und beliebtesten Aktivitäten unter dem Dach des Commonwealth.

Diese informellen und vorpolitischen Vernetzungen sind letzten Endes das, was das Gebilde insgesamt integriert. Sie sind kulturell in den weiteren Zusammenhang der "Anglosphäre" eingebettet. Deshalb hat das Commonwealth kein Problem mit kultureller Globalisierung. Weil es zur "Anglophonie" gehört, muss es weniger als beispielsweise deutsche, französische oder chinesische auswärtige Kulturpolitik aktive Sprachverbreitung betreiben. Es bleibt durch seinen historischen Hintergrund im British Empire in letzter Instanz eher englisch als amerikanisch geprägt. Das Commonwealth spricht mit einem "British accent" – auch nach der Aufnahme französisch- und portugiesischsprachiger Mitglieder.

Phantom-Empire und Antirassismus-Forum

Das "moderne" Commonwealth entstand in den Jahren 1947 bis 1949, als die Dominions um die ersten asiatischen Mitglieder ergänzt wurden. Mit dem Beitritt Ghanas 1957 und Jamaikas 1962 wurde es zum Normalfall, dass unabhängig gewordene Ex-Kolonien sich dem Commonwealth anschlossen. Nur Burma (seit 1989: Myanmar) und Aden (Südjemen) verweigerten diesen Schritt. Je mehr das British Empire schrumpfte, desto größer wurde die Zahl der Mitglieder des Commonwealth. Die Konservative Partei, die zwischen 1951 und 1964 im Vereinigten Königreich regierte, sah das Commonwealth als Polster für eine sanfte Landung nach dem Zerfall des Weltreichs. Die neuen Nationen, so hoffte man bei den Tories, würden aus Dankbarkeit die Stimme Großbritanniens in der Welt verstärken und die wirtschaftlichen Beziehungen aus der Empire-Zeit freiwillig fortsetzen wollen. Diese Illusion scheiterte einerseits an der ökonomischen Schwäche des britischen "Mutterlandes", andererseits am Selbstbewusstsein der einstigen Peripherie, die sich keineswegs als Londons außenpolitische Hilfstruppe instrumentalisieren ließ. Dies wurde spätestens 1956 klar, als Indien der Regierung Anthony Edens in der Suezkrise die Gefolgschaft verweigerte. Die asiatischen Ex-Kolonien solidarisierten sich mit den später einsetzenden Unabhängigkeitsbestrebungen in Afrika. Gleichzeitig scheiterten diejenigen, die Großbritanniens Zukunft eher in Europa als in Übersee sahen, 1963 am Widerstand des französischen Präsidenten Charles de Gaulle gegen einen britischen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorläuferin der EU. Die oppositionelle Labour Party misstraute dem kapitalistischen Europa ohnehin und stellte ihm den patriotischen Traum von einem "multi-racial Commonwealth" entgegen.

Um die Mitte der 1960er Jahre waren die Hoffnungen der verschiedenen politischen Kräfte zerstoben, Großbritannien könne aus den Trümmern des Empire irgendeine Art von "British world-system" retten, einen Sonderstatus als "dritte Weltmacht", unterhalb der Ebene der nuklearen Supermächte, doch mit großem Vorsprung vor allen anderen Konkurrenten. Das Commonwealth hielt nicht, was es Einigen als "Empire light" zu versprechen schien. Auch in großen Teilen der Tory-Partei erkaltete die Begeisterung für eine Organisation, in der Musterdemokratien vom Westminster-Typ seltener wurden. Im Kalten Krieg ließ sich das Commonwealth nicht ohne Weiteres dem Westen zuschlagen. Indien, sein nach der Bevölkerungszahl dominierendes Mitglied, tendierte zunehmend in Richtung Sowjetunion; das in Afrika gewichtige Tansania schlug seinen eigenen sozialistischen Pfad ein. Die USA hatten zunächst erwartet, das Commonwealth könne Südasien stabilisieren und im westlichen Lager verankern. Ab 1954 setzten die Amerikaner jedoch auf ihr eigenes bilaterales Bündnissystem mit Pakistan als wichtigstem Klienten in der Region. Damit endete schon früh Londons außenpolitischer Einfluss in einer Weltgegend, die noch kurz zuvor ein Herzland des Empire gewesen war. US-amerikanisches Misstrauen begleitete die weitere Entwicklung des Commonwealth, das quer zur Ost-West-Bipolarität der Nachkriegszeit stand und auch Staaten von blockfreier Orientierung einbezog.

Um die Mitte der 1960er Jahren war das Commonwealth aus britischer Sicht je nach politischer Präferenz zu einem unsicheren Kantonisten oder einer Arena partnerschaftlicher Begegnung mit der aufstrebenden "Dritten Welt" geworden. Zugleich entwickelte es ein stärkeres Eigenleben. Durch die Einrichtung des Sekretariats 1965 wurde aus einem locker gestrickten Club eine internationale Organisation. Am Ende der größten Dekolonisationswelle des Jahrhunderts um etwa zwanzig neue Mitglieder gewachsen, verwandelte es sich ungeplant in eine Art von Mini-UN. Niemand konnte es mehr ernsthaft für ein Schatten-Empire halten.

Ebenfalls in den 1960er Jahren fand das Commonwealth das größte Thema, das es je hatte. Nun begannen die heroischen Jahrzehnte des Zusammenschlusses. Obwohl die Londoner Regierung Südafrika im Commonwealth halten wollte, erzwangen die neuen afrikanischen Mitglieder 1961 den Austritt des Apartheid-Staates. Auch in seiner Abwesenheit blieb dieses weltweit drastischste Beispiel für institutionalisierten Rassismus der Konzentrationspunkt der Commonwealth-Politik. Der Historiker Saul Dubow spricht von Südafrikas "abwesender Anwesenheit" ("South Africa’s absent-presence"). Südafrika war das reichste und mächtigste Land im subsaharischen Afrika und ein schwieriger Nachbar für die neuen afrikanischen Staaten. Es wirkte stilbildend für "white supremacy" in Siedlergesellschaften. 1965 erklärte sich eine weiße Siedlerregierung in Südrhodesien für unabhängig von der britischen Krone. Die Weltmeinung war inzwischen eindeutig antirassistisch geworden. Anders als die früher unabhängig gewordenen Staaten unter afrikanischer Mehrheitsherrschaft wurde das südrhodesische Minderheitsregime international nicht anerkannt und von den UN mit Sanktionen belegt; aus Londoner Sicht handelte es sich um eine illegale Rebellion gegen das imperiale Zentrum.

Zwar war das Commonwealth nur ein Player unter mehreren im Kampf gegen die rassistischen Systeme in Südrhodesien und Südafrika. Aber es spielte eine große Rolle in den komplizierten Prozessen, die in Südrhodesien (das nun Simbabwe hieß) 1980 und in Südafrika 1994 zu Wahlen und demokratisch legitimierten Regierungen führten und damit in beiden Fällen zum Ende der rassistischen Herrschaftsordnungen. Verschiedentlich brachte eine Mehrheit im Commonwealth ihr Gewicht gegenüber Londoner Regierungen zur Geltung, die eher zu einem vorsichtigen Umgang mit den weißen Herrschern Südafrikas neigten. In der jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit der weißen Rassenherrschaft wurde das Commonwealth zu einer sich bewusst als "multi-racial" verstehenden Organisation mit eindeutigen ethischen Prinzipien. Seine 1991 in Harare proklamierte und bis heute gültige Menschenrechtsorientierung hat hier ihren Ursprung.

Das Commonwealth im 21. Jahrhundert

Mit seinen beschränkten finanziellen Ressourcen und mehr noch mit seinem Prestige tritt das Commonwealth heute als – wie es in der Charta von 2013 heißt – "eine unwiderstehliche Kraft des Guten" ("a compelling force for good") für eine progressiv-reformistische Entwicklung der Weltgemeinschaft ein. Das 22-seitige Kommuniqué der Gipfelkonferenz von Kigali 2022 behandelt Themen wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Demokratie, Geschlechtergerechtigkeit, Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Gesundheit, Erziehung, Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit, resiliente Urbanisierung und andere mehr. Das alles ist ebenso wichtig wie unoriginell, und das Commonwealth ringt wieder einmal um ein eigenes Profil, um sein purpose. Am ehesten ist es noch ein Markenzeichen, dass zahlreiche kleine Inselstaaten (Small Island Developing States, SIDS), die vom Anstieg des Meeresspiegels besonders bedroht sind, hier ein Forum finden, um ihre Interessen und Sorgen zum Ausdruck zu bringen.

Da Commonwealth-Erklärungen im Konsens zustande kommen, hat die britische Regierung 2022 die lange Liste des "Guten" mitgetragen. Dass sie im Rückgriff auf Tory-Phantasien der 1950er Jahre das Commonwealth unter dem Motto "Global Britain" neoimperial reaktivieren könnte, hat sich als Illusion erwiesen. Das Commonwealth machte 2021, also bereits unter Brexit-Bedingungen, 9 Prozent des Außenhandels des Vereinigten Königreichs aus, verglichen mit 43 Prozent für die EU. 73 Prozent des britischen Commonwealth-Handels entfielen auf nur fünf wirtschaftlich starke Partner: Indien, Kanada, Australien, Singapur und Südafrika. In all diesen Fällen werden die Handelsbeziehungen bilateral geregelt und nur geringfügig durch die Commonwealth-Mitgliedschaft geprägt. Keines dieser fünf Länder zählt zu den zehn wichtigsten britischen Handelspartnern.

An diesen Verhältnissen dürfte sich in Zukunft wenig ändern. Die großen Ökonomien im Commonwealth haben kein Interesse daran, sich als Ersatz-EU vor den Brexit-Karren spannen zu lassen; viele von ihnen sehen in China den wichtigsten Handelspartner der Zukunft. Zum Gipfeltreffen im Juni 2022 in Kigali erschien der indische Premier Narendra Modi nicht persönlich, sondern schickte seinen Außenminister. Zudem krankt die neoimperiale Vision der Brexiteers an einem Grundwiderspruch: Ausgerechnet das, was Commonwealth-Staaten am ehesten als Gegenleistung für Handelsvergünstigungen fordern könnten, ist unter Brexit-Prämissen nur schwer möglich: die Erleichterung von Einreise und Zuzug auf die Britischen Inseln.

Während race heute auf internationaler Ebene und in vielen nationalen Öffentlichkeiten, nicht zuletzt in Großbritannien, ein viel diskutiertes Thema ist, hat das Commonwealth diese Diskussion im Grunde schon hinter sich. Diskriminierungsvorwürfe werden intern selten erhoben. Dringender ist die eher akademische Aufgabe, die imperiale Tiefendimension der eigenen Geschichte besser aufzuarbeiten, als dies bisher geschehen ist. Sie ist deshalb wichtig, weil gerade konservative Commonwealth-Lobredner die historischen Wurzeln in einer gemeinsamen Empire-Erfahrung bagatellisieren und die Organisation als einen geschichtslosen Verein von Marktwirtschaftlern darstellen. Diese Aufarbeitung dürfte allerdings kaum ein völlig neues Geschichtsbild zutage fördern. Das Commonwealth war selbstverständlich in seinen postimperialen Anfängen rassistisch hierarchisiert, aber es ist, anders als das Empire, wegen seiner pluralistischen Verfasstheit kein Akteur, dem direkt koloniale Verbrechen zugeschrieben werden können. Die aktuelle Kritik am Commonwealth zielt eher darauf, dass Menschenrechtsverstöße in einzelnen Mitgliedstaaten und Gesetze gegen Homosexualität nicht nachdrücklich genug angeprangert werden. Doch das hat mit race wenig zu tun.

Das Commonwealth hat bereits 1989, früher als manch andere internationale Organisation, auf die Gefahren des Klimawandels hingewiesen und später auf das Pariser Klimaschutzabkommen hingearbeitet. Aber hat es in den jüngsten Nord-Süd-Konflikten, etwa bei der Impfstoffverteilung während der Covid-19-Pandemie oder der globalen Nahrungsmittelversorgung nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine 2022, seine Möglichkeiten ausgeschöpft? Der Mythos von Harmonie und geteilten Werten ist ins Wanken geraten. Dass sich zwei Mitglieder – Indien und Pakistan – seit Jahrzehnten gegenseitig mit Atomkrieg bedrohen, hat die Überzeugungskraft des Mythos seit Langem eingeschränkt. Im März 2022 wurde zudem ein tiefer Riss sichtbar, als sich neun Commonwealth-Mitglieder bei der Abstimmung über die UN-Resolution ES 11/1, die den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt, der Stimme enthielten. Angesichts solcher Uneinigkeit und des Fehlens großer Themen, die kaum jemand besser als das Commonwealth bearbeiten könnte, empfiehlt das einflussreiche Wochenmagazin "The Economist" Bescheidenheit: "Das Beste, was der Club heutzutage zu bieten hat, ist die Möglichkeit, das eigene Netzwerk zu erweitern." Was der "Club" vielleicht sonst noch anbieten kann, ist symbolischer Zuspruch – aber auch nicht mehr – in einer Lage, die der Journalist Philip Stephens mit zwei Worten beschrieben hat: "Britain alone".

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Hedley Bull, What Is the Commonwealth?, in: World Politics 11/1959, S. 577–587, hier S. 581f.

  2. Vgl. W. David McIntyre, The Britannic Vision. Historians and the Making of the British Commonwealth of Nations, 1907–48, Basingstoke 2009, S. 82–85.

  3. Vgl. zur Einführung Benedikt Stuchtey, Geschichte des Britischen Empire, München 2021; John Darwin, Das unvollendete Weltreich. Aufstieg und Niedergang des Britischen Empire 1600–1997, Frankfurt/M.–New York 2013; Bernard Porter, The Lion’s Share. A History of British Imperialism 1850 to the Present, London–New York 20207.

  4. Vgl. Balfour Declaration, 1926, Externer Link: http://www.foundingdocs.gov.au/resources/transcripts/cth11_doc_1926.pdf.

  5. Vgl. Patrick Gordon Walker, The Commonwealth, London 1962, S. 382.

  6. James Mayall, Democratizing the Commonwealth, in: International Affairs 74/1998, S. 379–392, hier S. 380.

  7. Vgl. David Thackeray, Forging a British World of Trade. Culture, Ethnicity and Market in the Empire-Commonwealth, 1880–1975, Oxford 2019, S. 180.

  8. Vgl. Timothy M. Shaw/Lucian M. Ashworth, Commonwealth Perspectives on International Relations, in: International Affairs 86/2010, S. 1149–1165, hier S. 1154.

  9. Vgl. Declaration of Commonwealth Principles, 1971, Externer Link: https://thecommonwealth.org/declaration-commonwealth-principles-1971.

  10. Original: "a voluntary association of independent states and equal sovereign states, each responsible for its own sovereignty consulting and co-operating in the common interests of our peoples and in the promotion of international understanding and world peace". Charter of the Commonwealth, 2013, Externer Link: https://thecommonwealth.org/charter.

  11. Zu unterschiedlichen Konzepten einer "Familie der Nationen" vgl. Eva Namusoke, A Divided Family. Race, the Commonwealth and Brexit, in: The Round Table 105/2016, S. 463–476. Postimperiale "Familien" von Ex-Kolonien gibt es auch im spanischen und französischen ("Francophonie") Kontext. Vgl. Alison Brysk/Craig Parsons/Wayne Sandholtz, After Empire. National Identity and Post-Colonial Families of Nations, in: European Journal of International Relations 8/2002, S. 267–305.

  12. Vgl. Francis Baert/Timothy M. Shaw, Are You Willing to Be Made Nothing? Is Commonwealth Reform Possible?, in: International Affairs 90/2014, S. 1143–1160.

  13. Für Grunddaten des Commonwealth siehe Philip Loft, The Commonwealth, House of Commons Library Resarch Briefing, 14.7.2022, Externer Link: https://commonslibrary.parliament.uk/research-briefings/cbp-9478.

  14. Vgl. Ali Muhammad/Amalia Nurul Hutami, Why Did Rwanda Join British Commonwealth? Explaining Rwanda’s Foreign Policy, in: Nation State. Journal of International Studies 4/2021, S. 1–17.

  15. What’s the Point of It? The Commonwealth, in: The Economist, 19.3.2016, S. 63.

  16. Vgl. Philip Murphy, Monarchy and the End of Empire. The House of Windsor, the British Government, and the Postwar Commonwealth, Oxford 2013.

  17. Zur allmählichen Expansion des zivilgesellschaftlichen Commonwealth vgl. Ruth Craggs, Subaltern Geopolitics and the Post-Colonial Commonwealth, 1965–1990, in: Political Geography 65/2018, S. 46–56.

  18. Vgl. Ben Wellings/Andrew Mycock (Hrsg.), The Anglosphere. Continuity, Dissonance and Location, Oxford 2019.

  19. Vgl. Zorawar Daulet Singh, India’s Role during the 1956 Suez Crisis. Between Peacemaking and Postcolonial Solidarity, in: India Review 17/2018, S. 456–475.

  20. Vgl. Peter Catterall, The Plural Society. Labour and the Commonwealth Idea, 1900–1964, in: Journal of Imperial and Commonwealth History 46/2018, S. 821–844, hier S. 836–839.

  21. Vgl. John Darwin, The Empire Project: The Rise and Fall of the British World-System 1830–1970, Cambridge 2009, S. 638.

  22. Vgl. John D.B. Miller, Survey of Commonwealth Affairs. Problems of Expansion and Attrition 1953–1969, London 1974, S. 356f.

  23. Vgl. Daniel Haines, A "Commonwealth Moment" in South Asian Decolonization, in: James Leslie/Elisabeth Leake (Hrsg.), Decolonization and the Cold War. Negotiating Independence, London 2015, S. 185–202.

  24. Zur Bedeutung dieser Neuerung vgl. David Armstrong, From International Community to International Organisation?, in: Commonwealth and Comparative Politics 39/2001, S. 31–50, hier S. 32–38.

  25. Saul Dubow, The Commonwealth and South Africa. From Smuts to Mandela, in: Journal of Imperial and Commonwealth History 45/2017, S. 284–314, hier S. 285.

  26. Vgl. auch ders./Richard Drayton (Hrsg.), Commonwealth History in the Twenty-First Century, Cham 2020.

  27. Vgl. CHOGM 2022 Communiqué, Leaders Statement and Declarations on Delivering a Common Future, 25.6.2022, Externer Link: https://thecommonwealth.org/news/chogm-2022-communique-leaders-statement-and-declarations-delivering-common.

  28. Vgl. Matthew Ward, Statistics on UK Trade with the Commonwealth, January 2023, Externer Link: https://researchbriefings.files.parliament.uk/documents/CBP-8282/CBP-8282.pdf.

  29. Vgl. Robert Saunders, Brexit and Empire: "Global Britain" and the Myth of Imperial Nostalgia, in: Journal of Imperial and Commonwealth History 48/2020, S. 1140–1174, hier S. 1154.

  30. Vgl. Langkawi Declaration on the Environment, 1989, Externer Link: https://thecommonwealth.org/langkawi-declaration-environment-1989.

  31. Siehe Externer Link: https://en.wikipedia.org/wiki/United_Nations_General_Assembly_Resolution_ES-11/1.

  32. Original: "Nowadays opportunities to network may be the best the club can offer." Realms and Republics: Charles III and the Commonwealth, in: The Economist, 17.9.2022, S. 22.

  33. Philip Stephens, Britain Alone, The Path from Suez to Brexit, London 2021. Für eine skeptische Einschätzung der Potenziale des Commonwealth für Global Britain nach dem Brexit siehe auch Philip Murphy, The Empire’s New Clothes: The Myth of the Commonwealth, London 2018.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Jürgen Osterhammel für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und des/der Autors/-in teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

ist Professor em. für Neuere und Neueste Geschichte sowie Distinguished Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
E-Mail Link: juergen.osterhammel@frias.uni-freiburg.de