Nostalgie kann etwas Herrliches sein. Wir sitzen vielleicht am Fenster und betrachten den Sonnenuntergang, erinnern uns dabei an perfekte Sommertage vor langer Zeit, oder an die Zeit, als wir körperlich noch fitter waren, oder an uns nahestehende Menschen, die wir immer noch brauchen, die aber unerreichbar sind. Oder vielleicht denken wir an Essen, das von einem verantwortungsvollen Erwachsenen für uns gekauft und zubereitet wurde, während wir nichts weiter taten, als zu existieren und dafür geliebt zu werden, denn wir waren Kinder und hatten das Glück, in einem Haushalt und einem Land zu leben, die sich um ihre Jüngsten und ihre achtsame Erziehung sorgten.
Ich kann sogar auf meine eigene Nostalgie liebevoll zurückblicken. Ich war ein sehr nostalgisches kleines Mädchen und irgendwie der festen Überzeugung, kein Jahr würde jemals besser werden als mein viertes auf dieser Welt. Bis zum Alter von ungefähr zehn Jahren ertappte ich mich ständig bei dem Satz: "Als ich vier war …" Und dann beschrieb ich einen wundervollen Aspekt dieser, wie es mir schien, Zeit geradezu mythischer Ruhe, Sicherheit und Fülle. Ich glaubte nicht richtig daran, aber ich wollte so gern. Ich sagte die Worte wie einen Zauberspruch, der mir so etwas zurückbringen könnte wie Wohlbehagen oder Frieden, bloß noch unerreichbarer, unsagbarer. Ich muss annehmen, dass mein ständiger Blick zurück mit der Erkenntnis zusammenhing, wie unglücklich die Ehe meiner Eltern war. Mit vier hatte ich die Traurigkeit meiner Mutter und die Entfremdung meines Vaters noch nicht bemerkt. Aber dann erkannte ich sie. Einige Fakten konnte ich nun nicht mehr übersehen, die mir nicht gefielen und die zu ändern nicht in meiner Macht stand. Mein Paradies war verloren, egal, wie viel ich darüber sprach, denn die Zeit schreitet immer nur voran, niemals zurück.
Da Großbritannien nun ins vierte desaströse Jahr nach dem Brexit taumelt, hat sich unser Land in verschiedenen Kulturkämpfen verkeilt. Die Brexit-Anhänger*innen konnten nie glaubhaft begründen, wieso wir in unser eigenes Land einmarschieren und es besetzen, uns dann selbst mit Sanktionen belegen, Infrastruktur und Institutionen zerstören sollten. Man kann auch kaum attraktive Argumente für einen derart grotesken Wahnsinn finden – nicht mal in einem Land mit einer so langen Geschichte von proletarischem und bürgerlichem Masochismus. Daher musste eine äußerst abstoßende Koalition von Katastrophenkapitalisten, entfesselten Unternehmen, Medienmoguln, aufmerksamkeitsgeilen Narzissten, Spionen und Gangstern verhüllen, dass sie faktisch eine fragile Demokratie zerstören und dann plündern wollten. Verschiedene mitreißende Wörter wurden zu Dreiergruppen zusammengepappt und als Slogans verkündet – vage, hochtrabend, sinnlos, aber auch tröstlich, aufmunternd und zugleich empörend. Auf diese Weise wurde etwa ein Drittel der Wahlberechtigten zur Stimmabgabe für ein so nebulöses Konzept gedrängt, in das sich jede Hoffnung, jede Angst, jeder Traum hineinprojizieren ließ. Und auf einmal wurde eine unverbindliche Abstimmung ohne vorher festgelegte qualifizierte Mehrheit zur Heiligen Schrift erklärt, zu einem lodernden Imperativ, der uns zum sofortigen Handeln trieb, uns fröhlich über eine Klippe in eine strahlende Zukunft prügelte. Deutlich mehr von uns stimmten lieber gar nicht ab, als für diesen Massenselbstmord zu votieren, der immer weniger metaphorisch wirkt. Es war der Wille des Volkes.
Aber tatsächlich war es Nostalgie. All diese Drei-Wort-Slogans bedeuteten letztendlich nichts anderes als bloß "Alles ist anders" – "Ihr habt Angst" – "Ihr seid alt" – "Früher war’s besser". Ja, wir sitzen im brodelnden Kessel eines Kulturkampfs. Schreckliche Ideen sprudeln um uns herum – hier ein kleiner Schubser Richtung Völkermord, dort ein wenig Hass und Abscheu, eine Prise Frauenfeindlichkeit, eugenische Gedankenspiele in Leitartikeln … die üblichen Idiotien eines Landes am Rande des Ruins. Wir sind eine Art Testgelände für Thesen und Themen, die womöglich populistische Phantasien entfachen könnten. Früher bekamen wir unsere strategischen Vorgaben aus den USA, jetzt hat sich die düstere Strömung umgekehrt. Doch unter all den Oberflächenstrudeln bringen wir Nostalgie gegen Nostalgie in Stellung.
Wir haben einer ganzen Politik- und Medienkaste erlaubt, ernsthaft für eine Zeitreise als Lösung all unserer Probleme zu plädieren. Der erfolgreichste Brexit-Slogan – "Take Back Control" – war eine treffende Pointe auf Kosten einer Bevölkerung, die sich nun aller Kontrollmöglichkeiten beraubt in den Händen gewalttätiger Scharlatane sieht. Es ging nur um die Vergangenheit, um das Beschwören eines unsagbaren Etwas, das wir in der Einsamkeit und Anstrengung des Erwachsenwerdens irgendwie verloren hatten, wie wir wussten.
In die Herzen und Hirne
Natürlich war das Ziel des Projekts Brexit nicht die Rückkehr in eine glückliche Kindheit – weder unsere eigene noch die eines fiktiven glücklichen Haushalts. Wir sollten nie für unsere bloße Existenz geliebt, sondern vielmehr als Humankapital neu definiert und endlos auf Fehler getestet werden, die uns verzichtbar machten. Ziel des Brexits ist eine lodernde libertäre Zukunft, eine anbrandende autoritäre Hölle, ein Königreich der Konzernpiraten, das mit Hehlerware handelt und als Concierge für die schlimmsten Schurken der Welt fungiert. Es war eine Beschwörung der gemeinsamen Vergangenheit unserer herrschenden Klasse – die Plündereien des Empire, die Anspruchshaltung der Weißen, die Arroganz der Aristokratie, die selige, kindische Freiheit von Verantwortung, Recht und Gesetz, Konsequenzen oder der Notwendigkeit, jemals irgendwelche Fähigkeiten zu erwerben. Es ging also sehr deutlich und hauptsächlich um die Vergangenheit. Doch das Projekt konnte nur erfolgreich sein, wenn es Herzen und Hirne einer ausreichend großen Masse eroberte. Glücklicherweise hatte die gnadenlose Sparpolitik mehrerer immer weiter nach rechtsaußen rückender Regierungen schon dafür gesorgt, dass die Gegenwart für die meisten Menschen nichts als Leiden bedeutete.
Durch die Berufung auf die Vergangenheit, den Appell an die Nostalgie, konnten die Unzufriedenen mobilisiert werden. Und ist für ältere Menschen die Vorstellung nicht verlockend und erhebend, dass junge Menschen tapferer waren und härter arbeiteten, als sie selbst junge Menschen waren? Und es musste doch mal eine Zeit gegeben haben, als nur nette weiße Menschen in Großbritannien lebten und die einzige Sprache, die man im Bus hörte, Englisch war, oder nicht? Da würden wir uns doch viel mehr zu Hause und willkommen fühlen. Und ganz bestimmt konnte doch niemand die soliden Fundamente unseres Stolzes, unserer Würde infrage stellen: eine ständig entehrte Flagge, eine größtenteils gestörte Adelsschicht, eine richtige Art, Dinge zu sagen und zu tun, gepflegte Rasenflächen, Sandwiches zum Tee, Kirchenglocken, die zum Abend klingen, geläutet von respektablen Landmännern, die zufrieden waren, arm zu leben und zu sterben, ohne nennenswerte medizinische Versorgung oder Bildung. So könnten wir tatsächlich "die Kontrolle zurückgewinnen" – indem wir einfach nur alles lieben, was uns wehtut, es immer noch mehr lieben. Hingen die Menschen nicht an schlichten, patriotischen Werten und versammelten sich hinter rot, weiß und blau? Wenn ja, dann mochte die Rückkehr zu solch schwachsinnigem Kinderglauben auch für ein einfacheres Leben sorgen: Stolz, befriedigende Arbeit, Stressfreiheit. Und schließlich hatten wir einen noblen Krieg gewonnen, indem wir heldenhaft handelten und gemeinsam sangen und Spitfires im Himmelsblau kreiseln sahen – sicher, viele andere Länder halfen mit, und wir gewannen, weil wir das Gegenteil von Nazis waren, aber vielleicht könnten wir diesmal noch schneller gewinnen, wenn wir selbst zu Faschisten werden, weil die Demokratie ja offenbar ein Witz ist …?
Und könnte es nicht stimmen, dass es noch vor wenigen Jahrzehnten gar keine Homosexuellen gab, keine Transmenschen, keine Menschen mit Allergien oder solche, die herabwürdigende Sprache beleidigend fanden? Konnten wir es uns nicht einfach in unserem Selbsthass gemütlich machen, indem wir andere noch mehr hassten? Und seit wann waren Frauen nicht mehr zufrieden mit ihrer Küche und ihren Kindern und dem sonntäglichen Polieren glänzender Kirchenkelche? Könnten wir die nicht auch hassen – diejenigen, die den Mund aufmachen, die Wahlmöglichkeiten und Arbeitsplätze und Handlungsmacht und Zärtlichkeit wollen? Und gab es nicht eine Zeit, in der sich alle gegenseitig das ganze Jahr Frohe Weihnachten wünschten, weil wir alle so gern christlich waren, weil es im Grunde keine anderen Glaubensrichtungen gab, und das hieß, wir waren die besten, nicht nur auf Erden, nein, auch im Himmel, Hand in Hand mit einem blonden, weißen Jesus, denn lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht?
Und so weiter.
Wir sind das Personal
Das ist das Schreckliche an der Nostalgie – sie ist immer so nah am Wunschdenken, kann so leicht zum Wahn werden. In Großbritannien ist daraus eine Nationalreligion geworden, die aus alten Filmen und vermissten Freuden besteht, aus pädagogischen Schlagzeilen und all den Einflüsterungen und warnenden Stimmen, die uns jeden Tag umerziehen wollen. Der Brexit, halb Tagtraum und halb Reinheitsphantasie, konnte die Aufmerksamkeit von ausreichend Brit*innen an sich reißen, dass das ganze Land in eine permanente Auseinandersetzung mit der Realität verfiel. Wir sind das beste Volk mit den größten Fähigkeiten – aber wir können nicht mal mehr einen Brief verschicken und sicher sein, dass er auch ankommt. Ohne Einwanderer – die gefürchteten Fremden, die wir ohne Ende verleumden – fehlen uns all die zahllosen Fertigkeiten und Fähigkeiten, die unsere Insel funktionsfähig gehalten haben. Unsere libertären Eliten meinten, wir könnten jede handwerkliche Ausbildung abschaffen und das Können einfach importieren – wir waren schließlich zu Herren geboren, nicht zu Dienern. Doch da wir nun auf einer geschlossenen Insel leben, einer für alle Auswärtigen feindlichen Umgebung, gehen wir zugrunde. Wir Briten wollen gar so gern "Downton Abbey" nachspielen, doch wir müssen feststellen, dass ohne die Dienerschaft nichts funktioniert – und für die meisten für uns gilt: Das sind jetzt wir. Keine gepflegten Dinner mit Maggie Smith für uns – wir sind das Personal.
Britische Kunst war angeblich – wie alles andere auch – die beste der Welt. Aber wir verließen uns darauf, dass die EU den gesamten Kulturbereich finanzierte, genau wie Landwirtschaft, Fischerei, Hochwasserschutz, Innenstädte, Cornwall, Wales – all die langweiligen Sektoren des Landes, die Absolvent*innen teurer Privatschulen und ihre Netzwerke kein Stück interessieren. Wir sind darauf gedrillt, uns für die intelligenteste und innovativste Nation der Welt zu halten – doch unsere Universitäten gehen unter, unsere Forscher*innen sind entweder geflohen oder von jeder normalen internationalen Zusammenarbeit sowie der Finanzierung qualitativer Arbeit abgeschnitten. Ausländische Studierende wollen nicht mehr hierher kommen – und wir kriegen keine Unterstützung mehr, um zum Studieren dorthin zu gehen. Es wollen ohnehin nur noch sehr wenige Menschen hierher kommen, abgesehen von den Geflüchteten, denen wir überall den Zugang verweigern und sie so zwingen, ihr Leben in kleinen Booten zu riskieren – für die meisten von uns ein Sinnbild des Kummers und Schreckens, doch für einige wenige sehr laute Stimmen ein Sinnbild der Bedrohung und des "Großen Austauschs".
Den nützlichen Massen, die verführt wurden, den Brexit zu fordern, wurde eine Welt versprochen, die es so nie gab, ein völkischer Staat, den es so nie gab, eine Zeitmaschine, die nie existierte.
Wir haben natürlich immer noch Geld. Wir haben zugesehen, wie Milliarden unseres Landesvermögens in Covid-Betrügereien versackt sind, als Zuschüsse und Nachlässe an unsere Eliten gezahlt wurden oder in komplexe Unterschlagungen und seltsame Deals flossen. Die Londoner City floriert als Finanzplatz, unsere altmodische Presse giert nach stattlicher Förderung, genau wie zahlreiche Unternehmen, die uns unverschämte Summen für Lebensgrundlagen abknöpfen dürfen und zugleich Subventionen fordern. Wir zahlen und zahlen und zahlen, und als Gegenleistung erhalten wir Null-Stunden-Verträge, hochgefährliche Wohngebäude, Verfall, Elend, Gräber.
Sie wissen mindestens ebenso gut wie ich, was nach dem Brexit mit uns passiert ist. Sie wissen mehr als die meisten Brit*innen, denn Sie haben noch Zugang zu anderen Druckmedien als wir, müssen sich nicht auf die schändlich heruntergewirtschaftete und kompromittierte BBC verlassen. Doch Sie haben andere Sorgen, interessieren sich für andere Länder. Der Brexit ist Schnee von gestern, es sei denn, Sie sind nahe genug am Geschehen, um die täglich auftretenden frischen Verletzungen zu sehen: Hier ein bedrohtes Nationaldenkmal, dort ein einstürzendes Kulturzentrum, noch ein paar Geschäftsschließungen oder nicht erhältliche Waren, neue Küstenabschnitte, die in Wogen von Exkrementen ersticken. Aber wir sind nicht bloß Schnee von gestern, wir sind auch eine Schande.
Viele Brit*innen beobachten den Überlebenskampf der Ukraine, die Kühnheit, den Widerstand, den möglichen Wendepunkt für die Demokratie, und wir wissen dabei, dass unser jahrelang von russischem Kapital profitierendes Regime sich schlicht und einfach an die Macht gelogen und manipuliert hat. Ohne Panzer, ohne Söldner, ohne nukleare Drohgebärden. Bloß mit genug Geld und einem genügend unmoralischen Umfeld, um den Fuß in die Tür zu kriegen und dann das ganze Land zu übernehmen. Putin wird Stalins Traum eines russischen Großreiches vielleicht nie verwirklichen, aber Josef lacht sicher im bolschewistischen Jenseits – er wollte England immer zerstören, und jetzt frisst eine hypernationalistische englische Führungsschicht sich selbst bis auf die Knochen, und der Rest Großbritanniens versucht sich abzusetzen.
Wut und Erschöpfung
Viele Länder rund um den Globus kämpfen mit neu erstarkten Rechtsextremen, mit Online-Radikalisierung von Terrorismus, staatlich finanzierten Cyberattacken, Manipulationen von Währungen, Psychologie, Aktienkursen – zu geopolitischem wie wirtschaftlichem Nutzen. Verschiedene Regime mit ausreichenden Ressourcen und ausreichender Bösartigkeit drosseln den Zufluss fossiler Brennstoffe nach Europa und fördern den Zuzug von Geflüchteten, wann immer das politische Kampfmittel rassistischer Panik zu erlahmen droht. Und die Antwort von Brexit-Großbritannien? Beim Brexit ging es ohnehin immer darum, Türöffner des internationalen Verbrechens zu werden: Zu gefährlich, anderswo Handel zu treiben? Zu viel ungeklärte Geldmittel? Zu viele Menschenrechtsverstöße, ein kleines bisschen Völkermord? Wir waschen Ihr Geld, wir sehen über jeden Fehltritt hinweg, wir verkaufen Ihnen Villen, vielleicht auch ein oder zwei Moore inklusive Moorhühner. Bald schon werden wir ein steuer- und regelfreies Höllenloch sein, wo Sie Ihre Luxusanwesen und unsere verzweifelten Arbeitskräfte genießen können, die für ein paar Krümel vom Tisch und Medienklatsch zur Ablenkung alles tun. Zuerst die Behinderten, dann die Elenden, die Geflüchteten, die Ausländer, die Roma und Sinti … eine erschreckend vertraute Liste von Bevölkerungsgruppen, denen das Leben immer schwerer gemacht wird. Covid war eine willkommene Gelegenheit, "nutzlose Esser" mithilfe einer tödlichen Infektion auszumerzen – die mit beiden Händen ergriffen wurde.
Sicher, wir demonstrierten und protestierten, wir taten unser Möglichstes, wir stemmen uns immer noch gegen den Strom, aber wir sind eindeutig nicht mehr die Nation, die den Faschismus besiegen und eine Luftbrücke nach Berlin einrichten half. Und wir sind nicht das unabhängige, intelligente, witzige, kultivierte, menschliche Volk, für das uns freundliche Fremde gelegentlich gehalten haben. Unsere eigene Regierung radikalisiert, verbreitet Propaganda, Internetgerüchte, übt Terror aus. Die Straßenschläger, die in "ausländische" Gesichter schlagen, die Brandstifter, die Flüchtlingsunterkünfte anzustecken versuchen – die sind wenig subtil. Worte sind Zaubersprüche – wir sagen Zaubersprüche auf, die Menschen verschwinden lassen sollen. Unsere Eliten steigern den tödlichen Druck behutsam, vernichten die Schwächsten, die Marginalisierten zuerst. Doch in Zeiten des absichtlich herbeigeführten Chaos ist niemand sicher, nicht einmal Parlamentsabgeordnete – zwei sind in den letzten fünf Jahren ermordet worden: eine von einem Rechtsextremen, einer von einem IS-Unterstützer.
Und jetzt ertrinken wir in neuen Nostalgien. Ungefähr ein Drittel der Wahlberechtigten stimmte für den Brexit. Immer mehr von ihnen bedauern ihre Entscheidung inzwischen, doch die Rechtgläubigen müssen immer wütender werden, um ihren Glauben zu bewahren, was bedeutet, dass sie immer isolierter sind. Wir anderen pendeln zwischen Depression, Wut, Reue und Erschöpfung. Um uns herum bricht das Land immer schneller zusammen, und tatsächlich, wahrhaftig: Die Vergangenheit war besser, war ein freundlicheres, sanfteres Land. Unsere Jugend – im Allgemeinen positiver der EU gegenüber eingestellt – sieht einer Zukunft der Klimakatastrophe und des nationalen Niedergangs ins Auge. Meine Generation sieht all ihre selbstverständlichen Annahmen in Flammen aufgehen: dass wir eine Demokratie bleiben würden, Geld zurücklegen, über die nächste Woche hinaus planen, uns entspannen könnten. Die Alten sterben oder sind schon tot. Wir alle werden immer stärker von einer immer heftigeren Nostalgie gepackt – der besonderen Sehnsucht von Menschen, deren Heimat verfällt. Schon die letzte Woche, selbst der gestrige Tag können uns magisch und zärtlich weich vorkommen. Damals hatten wir noch Glück.
Aus dem Englischen von Ingo Herzke, Hamburg