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Editorial | Ungleichheit | bpb.de

Ungleichheit Editorial Gleichheit als normatives Prinzip Gleichheit – ein Missverständnis Illusion der Gleichheit. Über die Perzeption sozialer Ungleichheit und ihre Folgen Ungleichheit, Demokratie und Autokratisierung Wie ungleich ist die Welt? Ergebnisse des World Inequality Report 2022 Ungleichheit in der Klassengesellschaft

Editorial

Sascha Kneip

/ 2 Minuten zu lesen

Dass Menschen nicht gleich sind, ist weder eine neue noch eine überraschende Erkenntnis. Sie unterscheiden sich in ihren Vorlieben und Abneigungen, ihren Bedürfnissen und Lebenszielen, ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, auch in ihren Fähigkeiten und Schwächen. In einer grundlegenden Hinsicht sind Menschen jedoch zweifellos gleich: Sie alle haben einen moralischen Anspruch darauf, als Gleiche behandelt zu werden – mit gleichen Rechten, gleicher Achtung, gleicher Würde und gleichen Chancen auf die Verwirklichung selbstgewählter Ziele. Das ist der menschenrechtliche Anspruch der Moderne: Niemand soll wegen nicht selbst gewählter Unterschiede ungleich behandelt werden.

Allerdings klaffen Anspruch und Wirklichkeit mitunter weit auseinander, wie sich vor allem im Bereich der sozioökonomischen Ungleichheit zeigt. Während in Deutschland auf vergleichsweise hohem Wohlstandsniveau über den Umfang der Armut, ihre Bekämpfung und die Unterschiede zwischen relativen und absoluten Armutsquoten gestritten wird, verdeutlichen die Zahlen des World Inequality Report, wie ungleich es in weiten Teilen der Welt tatsächlich zugeht: Global betrachtet verfügen die "oberen zehn Prozent" über mehr als die Hälfte der Nationaleinkommen und mehr als 75 Prozent der Vermögen. Die gesamte untere Hälfte der Weltbevölkerung erzielt hingegen nur 8 Prozent der Einkommen – und besitzt praktisch nichts.

Diese extremen Ungleichheiten finden sich in Europa so nicht. Doch auch hier sind die sozioökonomischen Unterschiede so groß, dass man sich Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie machen muss. Dabei wird es den meisten schwerfallen, das tatsächliche Ausmaß gesellschaftlicher Ungleichheit oder die eigene Position in der Einkommens- und Vermögenspyramide richtig einzuschätzen. Jenseits der Expertengremien fehlt es an empirischem Wissen über das Ausmaß, die Ursachen und die Folgen von Ungleichheit. Nur wer über dieses Wissen verfügt, kann ungerechtfertigte Ungleichheiten erfolgreich bekämpfen – in der Zivilgesellschaft, im Parlament oder an der Wahlurne.