Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Klimaschutz neu geträumt | Träume | bpb.de

Träume Editorial Eine Rede und ihre Folgen. 60 Jahre "I Have a Dream" Politik der Träume. Herrschaftseingebungen und Gemeinschaftsvisionen seit der Antike "Ich glaube an einen German Dream der Vielen". Ein Gespräch über "Integration", deutsche Debatten – und deutsche Träume – Interview Schöne neue Arbeitswelt – Essay Vom Ende der Welt. Apokalypse als kulturpolitische Methode Klimaschutz neu geträumt. Was der Staat und der Einzelne tun können, um effizient zu sein - Essay Der Traum von der freien Straße – noch nie so wertvoll wie heute

Klimaschutz neu geträumt Was der Staat und der Einzelne tun können, um effizient zu sein – Essay

Bernward Gesang

/ 17 Minuten zu lesen

Wenn Deutschland klimaneutral ist, die Welt aber nicht, nutzt das wenig. Stattdessen sollten wir uns zu Paten des Regenwaldes machen und weniger auf individuelle Verhaltensänderungen achten als auf die Verbesserung der Welt durch gezieltes Spenden.

Die Ampelkoalition hat sich zum Ziel gesetzt, den Klimaschutz vor allem durch Maßnahmen im Inland zu verbessern. Dabei könnte sie im Ausland wesentlich mehr als jene zwei Prozent der weltweiten Emissionen beeinflussen, die eingespart werden, wenn Deutschland eines Tages klimaneutral wird. Nicht nur die richtige Bilanz im eigenen Land ist wichtig, sondern auch der absolute Beitrag zur Minderung der Emissionen weltweit.

Maßnahmen wie der Ausbau flächendeckender Elektromobilität beispielsweise sind teuer. Für dasselbe Geld ließe sich möglicherweise international deutlich mehr CO2 sparen, etwa, indem wir vorrangig im Globalen Süden Kapital investieren, um den Regenwald oder die Moore zu schützen. Der damalige Präsident Ecuadors, Rafael Correa, hatte 2007 angeboten, den Regenwald intakt zu lassen, wenn der Westen dafür bezahlt. Das wäre für die globale CO2-Bilanz deutlich sinnvoller gewesen als viele teure Maßnahmen im Inland, die seitdem versucht wurden. Deutschland hat die Pflicht, die globale Menge an Klimagasen effektiv zu verringern, damit der Klimawandel wirklich gebremst wird. Doch das Ziel der nationalen Klimaneutralität ist falsch gewählt. Vielmehr gilt es, deutlich mehr als die angestrebte Senkung der Emissionen um zwei Prozent des globalen Aufkommens zu erreichen. Die deutsche Energiewende ist ein primär symbolisches Projekt; wollen wir etwas über das Symbolische hinaus bewirken, müssen wir Klimaschutz global und außenpolitisch denken.

Klimaaußenpolitik

Der Staat hat andere Pflichten als das Individuum, denn er steht auf der internationalen Bühne und muss dort Allianzen schmieden, was ihn zwingt, auch selbst klimaneutral zu werden. Er muss im konventionellen Sinne glaubwürdig sein, kann also nicht nur "Wasser predigen und Wein trinken", auch wenn es traurig ist, dass unsere Psyche so simpel gestrickt ist. Nur so findet er internationale Unterstützung für einen "Klimaklub" und letztlich einen globalen Klimavertrag, der allein die Herausforderungen des Klimawandels bewältigen kann. Zugleich muss er glaubhaft machen, dass Klimaschutz und Wohlstand Hand in Hand gehen können, um die Armen dieser Welt nicht zu entmutigen. Er muss im Rahmen der Energiewende Techniken "gegen den Markt" etablieren, wie er es einst bei den erneuerbaren Energien gemacht hat, um diese effizienter und für die Entwicklungs- und Schwellenländer verfügbar zu machen. So muss zum Beispiel eine saubere Stahlproduktion entwickelt und die Technik an die Länder des Globalen Südens abgegeben werden – was durchaus kein "Win-Win-Geschäft" ist, denn "Abgeben" heißt hier gerade nicht "Verkaufen". Damit könnten wir – in diesem Fall sogar mithilfe der nationalen Klimawende – die Emissionen der großen globalen Emittenten über die Zwei-Prozent-Grenze hinaus wirksam senken, da diese sich nicht mehr mithilfe schmutziger Kohle entwickeln müssen. Kurzum: Maßnahmen im Inland sollten immer auf ihre Effizienz und ihre internationalen CO2-Vermeidungspotenziale geprüft werden. Es geht um den richtigen Mix aus Klimaaußenpolitik und Energiewende im Inneren.

Die derzeitige Bundesregierung bemüht sich mit einem klimapolitisch aufgestellten Außenministerium durchaus darum. Aber: Nach dem jüngsten Regierungswechsel in Brasilien lediglich 200 Millionen Euro für den Schutz des Regenwaldes freizugeben, zeugt von falschen Prioritäten. Einige Milliarden Euro wären eher eine angemessene Dimension gewesen. Die nationale Energiewende verschlingt letztlich zu viele Ressourcen, während internationales Engagement zu kurz kommt. Eine Alternative wäre, die gesamten Mittel für den Klimaschutz deutlich zu erhöhen, um die nationale Energiewende und das internationale Engagement vollumfänglich zu bewerkstelligen. Derzeit aber kümmert sich die Politik zu sehr um Symbole statt um tatsächlichen Klimaschutz.

Geburtenkontrolle

Eine Politik der Geburtenkontrolle könnte ein effizientes weltweites Mittel zum Klimaschutz sein, wird derzeit aber kaum diskutiert. Politisch bietet sich Geburtenkontrolle als Stellschraube für den Klimaschutz besonders deshalb an, weil sie die Staaten kaum etwas kostet, ja sogar Geld sparen hilft. Sie durchzuführen bedeutet in der Regel keinen globalen Wettbewerbsnachteil, auch erfordert sie keine technologischen Wunder und daran gekoppelte Risiken. Gegen eine staatlich gelenkte und von den Industrieländern geförderte Geburtenkontrolle spricht allerdings, dass die freie Entscheidung über die Anzahl der Nachkommen ein Grundrecht ist, das 1994 auf der Weltbevölkerungskonferenz der Vereinten Nationen in Kairo unter dem Stichwort "Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte" erstmals festgeschrieben wurde. Eine daran anknüpfende Kritik an jedweder Bevölkerungspolitik lautet daher, dass mit ihr zu sehr in die Grundrechte und die Privatsphäre der Menschen eingegriffen werde. Der Gedanke einer "mit Zwang" vertretenen Bevölkerungspolitik wird daher auch von den Kirchen und vielen NGOs abgelehnt.

Tatsächlich muss man sich zunächst fragen, ob eine weltweite Verringerung der Kinderzahl wirklich einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten könnte. Das scheint der Fall zu sein: Nach Schätzungen der US-Akademie der Wissenschaften könnte dieser Beitrag immerhin zu einem Fünftel der Reduktion der Klimagase beitragen, die wir für unsere Klimaziele benötigen. Wie aber ließe sich eine solche lohnende Politik menschenrechtskonform umsetzen?

Einerseits könnte man Angebote zur Aufklärung starten, Informationen über den Zusammenhang von Bevölkerungswachstum und Klimawandel zur Verfügung stellen und es ansonsten dabei bewenden lassen. Die Industrieländer könnten solche Angebote mitfinanzieren und auch für sich selbst bereitstellen, zumal der größte ökologische Fußabdruck derzeit noch bei uns im Globalen Norden verursacht wird. Allerdings wird hier irgendwann ein Rollentausch stattfinden, da viele Länder nachholendes Wachstum brauchen werden, um die Armut zu bekämpfen. Andererseits könnte man staatliche Anreize zur Geburtenkontrolle schaffen beziehungsweise solche Anreize für Drittstaaten finanzieren. Ein Verbot, Kinder zu bekommen, möglicherweise gar mit hohen Freiheitsstrafen sanktioniert, wäre menschenrechtswidrig, eine Negierung des Rechts auf freie Fortpflanzung und indiskutabel. Was aber, wenn die Ausübung dieses Rechts nur erschwert beziehungsweise durch Anreize weniger attraktiv wird?

Staaten setzen fortwährend Anreize und Sanktionen, die bestimmte Rechtsausübungen erschweren oder erleichtern. Das hebt diese Rechte nicht auf. Im Falle der Bevölkerungspolitik leben wir in unseren westlichen Gesellschaften derzeit in einem System, das grundsätzlich starke Anreize für das Kinderkriegen setzt, etwa durch kinderbezogene Sozialleistungen. Niemand wird behaupten, dass derlei Anreize es verunmöglichen, sich gegen Kinder zu entscheiden, also die freie Wahl aufheben. Freiheit und Manipulation durch Anreize gehen zusammen, Freiheit und Zwang nicht. Eine Bevölkerungspolitik durch Anreize und Sanktionen ist prinzipiell verantwortbar, solange niemand zu einer bestimmten Entscheidung gezwungen wird. Ein Fonds für solche Anreize etwa seitens der Europäischen Union, aus dem sich Länder des Globalen Südens bedienen können, wäre daher nicht undenkbar.

Führerschein für PolitikerInnen

Ein weiteres politisches Instrument, um der Klimakrise wirksamer zu begegnen, ist ein "Führerschein für PolitikerInnen". Eine Grundausbildung für Personen, die sich zur Wahl stellen, ist in unseren vernetzten Zeiten dringend geboten. Wer Systeme und ihr Funktionieren schlecht einschätzen kann, sollte nicht an ihnen herumpfuschen. Mithilfe von Computersimulationen lässt sich vernetztes Denken lernen, und genau das sollte jemand getan haben, bevor er oder sie sich zur Wahl stellt. Schon heute fordern wir von jedem und jeder PilotIn einen umfassenden Persönlichkeitstest, da diese Personen große Verantwortung für Andere tragen. Wieso fordern wir nicht Ähnliches für Personen, die in politischen Spitzenämtern noch viel mehr Verantwortung tragen? Jedenfalls wäre die Welt eine sicherere, ließe sich die Kandidatur persönlich ungeeigneter Personen – als Beispiel sei nur der ehemalige US-Präsident Donald Trump genannt – bereits im Vorfeld verhindern.

Wie ließe sich das umsetzen? Drei Wege sind zu unterscheiden. Erstens der interne Weg: Politische Parteien sollten nur solche Personen zur Wahl nominieren, die intern vorgenommene Schulungen und Tests bestanden haben. Eine Verfassungsänderung wäre hierfür nicht nötig, und die Parteien könnten mit der Qualifikation ihrer KandidatInnen und deren Zukunftsfähigkeit sogar werben. Zweitens der sanfte Weg der Öffentlichkeit: Hier ist es die Aufgabe der WählerInnen, darauf zu achten, nur "zertifizierte" Personen in Ämter zu wählen. Der Test selbst wäre freiwillig, die Testergebnisse würden öffentlich gemacht – und der Rest wäre BürgerInnensache. Dass hier Personen ohne "Führerschein" ins Amt gelangen, bleibt gleichwohl eine Gefahr. Drittens der harte Weg: PolitikerInnen werden staatlicherseits nur zur Wahl zugelassen, wenn sie den Persönlichkeitstest bestanden haben – wofür allerdings eine Verfassungsänderung nötig wäre. Der interne Weg wäre daher zweifellos der eleganteste und dennoch wirksam. Begönne eine Partei damit, würde sich auch Druck auf die konkurrierenden Parteien entwickeln.

Würden wir so aber nicht in eine "Expertokratie" abdriften? Dem möchte ich entgegenhalten: Unsere Welt und die in ihr wirkenden Zusammenhänge haben sich derartig verkompliziert, dass ein gutes Herz für gute Politik nicht mehr ausreicht. Politik braucht Expertise – was nicht heißt, dass PolitikerInnen nicht auch gegenüber Laien lern- und kommunikationsfähig sein und große Empathie sowie eine gehörige Portion Moral mit ins Amt bringen sollten.

Würde hierüber aber nicht das passive Wahlrecht unzulässig eingeschränkt? Ist es nicht gerade eine Stärke der Demokratie, dass die Repräsentierenden idealtypisch ein Abbild der Bevölkerung sind – und damit auch Menschen repräsentieren, die den oben geschilderten Anforderungen nicht entsprechen? Dem lässt sich entgegnen, dass politische Ämter nach wie vor jedem offen stünden und dass prinzipiell jeder und jede die Eignung für solche Ämter über einen der genannten Wege erwerben könnte. Auch ein Eignungstest für angehende MedizinstudentInnen beispielsweise schränkt die Wahlfreiheit des Studienplatzes ein, gerechtfertigt finden wir dies meist trotzdem. Gerade Angehörige bildungsferner Schichten können dann darauf hoffen, dass ihre Interessen wirksam und effektiv vertreten werden.

Was kann das Individuum tun?

Fahrrad zu fahren, nicht zu fliegen oder die Kulturpraxis des Grillens einzustellen – dies und anderes wird dem Einzelnen als wirkungsvoller Beitrag gegen den Klimawandel empfohlen. Ist das aber wirklich effizient? Jeder CO2-Rechner zeigt uns etwas anderes: Als VerbraucherIn ein Jahr auf Fleisch zu verzichten, spart beispielsweise 450kg CO2-Emissionen ein. Monetär spart man durch den Verzicht etwa 651 Euro. Würde man diesen Betrag zur Förderung von Klimaschutzprojekten in Ländern des Globalen Südens spenden und damit den eigenen Fleischkonsum "kompensieren", brächte dies eine CO2-Ersparnis von 28300kg. Auch wenn solche Ergebnisse natürlich immer von konkreten Projekten abhängen: Kompensieren kann um ein Vielfaches größere Effekte haben als eine Verhaltensumstellung – auch wenn sein Image alles andere als sexy ist. Die allseits empfohlene "Standardstrategie" für den Klimaschutz, das eigene Emissionsverhalten umzustellen, ist also keineswegs am effizientesten. Warum "Kompensation" trotzdem nicht der richtige Begriff für die hier vorgeschlagene Strategie ist, will ich gleich begründen.

Manche meinen, das Individuum sei nicht die richtige Adresse, um über Pflichten beim Klimaschutz zu sprechen. Aufgaben wie den Klimaschutz könne keiner alleine stemmen, sondern es gehe hierbei um Probleme kollektiven Handelns, für die der Staat die Koordination schaffen müsse. Kann er dafür sorgen, dass genügend Leute mitmachen, ist mein Beitrag nicht vergebens. Was aber, wenn der Staat bei dieser Koordinationsaufgabe versagt? Die Aufgabe ist zu wichtig, um unerledigt zu bleiben. Was also kann der oder die Einzelne tun?

Individuen sollten versuchen, die Welt so weit besser zu machen, wie es im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegt. Dabei geht es darum, Doppel- oder Mehrfachwirkungen systematisch auszunutzen. Beispielsweise können wir ärmeren Menschen in Regenwaldgebieten dabei helfen, genügend Einkommen zu erwirtschaften, damit diese einer Nutzung des Waldes durch Palmölkonzerne die Zustimmung verweigern, sofern sie die Nutzungsrechte am Wald haben. Das zöge günstige Mehrfachwirkungen nach sich: Die Verringerung von Armut ginge Hand in Hand mit Klima-, Tier-, Arten-, Grundwasser-, Luft- und Pandemieschutz. Voraussetzung ist natürlich, dass das Geld auch wirklich vor Ort ankommt, etwa bei unabhängig zertifizierten Hilfsorganisationen.

In einer idealen Welt ohne Ressourcenknappheit sollten wir der oben erwähnten Standardstrategie der individuellen Verhaltensänderung folgen und spenden. Doch die Motivation zu helfen ist in der realen Welt ein knappes Gut. Beim Spenden überfordern wir uns nicht so schnell wie bei der Aufgabe, unser Verhalten zu ändern. Geld zu geben fällt uns leichter, als unser Emissionsverhalten radikal umzustellen. Die Ökosteuer etwa hat zwar unser Rentensystem stabilisiert, die Anzahl der SUVs in den Garagen der Republik aber nicht verringert. Zumal allen klar sein sollte, wohin eine radikale persönliche Umstellung des Emissionsverhaltens führen müsste: in eine Welt, in der man wieder angelt und jagt, um sich selbst zu versorgen, in der wieder Kutschen auf den Straßen fahren und in der Stromfresser wie Rolltreppe und Aufzug verschwunden sind. Nur so ließe sich, wie es der "Postwachstumspapst" Niko Paech einmal skizziert hat, der Klimawandel nennenswert verzögern; unser kompletter Lebensstil stünde zur Disposition.

Solange wir über freiwilliges Handeln sprechen, bei dem die Individuen als Lückenbüßer für den Staat uns etwas Aufschub im Klimawandel verschaffen müssen, sollte man nichts tun, was ineffizient ist und motivationshemmend wirkt. Die Frage der Effizienz spricht auch dagegen, ein neues Spendenverhalten und individuelle Verhaltensänderungen zugleich und gleichberechtigt zu fordern. Angenommen, ich habe nur zwei Euro zur Verfügung, und eine Strategie ist um ein Vielfaches effizienter als die andere: Sollte ich da je einen Euro für beide Strategien ausgeben – oder nicht doch lieber beide Euros auf die effizientere Strategie setzen?

Andererseits fühlen sich viele Menschen beim Spenden als "Heuchler", solange sie nicht auch selbst CO2 einsparen. Eine Kombination der beiden Strategien könnte daher vielleicht den politisch einzufordernden Mentalitätswandel in den Köpfen und in vielen Regalen am ehesten auf den Weg bringen. Trotzdem müsste ich gut begründen, weshalb ich ein vielleicht fünfzigmal ineffizienteres Mittel wähle statt des effizienteren.

Warum Spenden uns Zeit verschafft und kein Ablasshandel ist

Die hier vorgeschlagene Strategie nenne ich "spende und ersetze". Sie gilt nur so lange, wie die CO2-Vermeidungskosten im Globalen Süden erheblich geringer sind als bei uns und wir den Staaten privat aushelfen müssen. Sie soll der Kooperation bei der Umstellung der Emissionen einen Rahmen geben, der es wahrscheinlicher macht, dass diese Umstellung gelingt. Zweifel am Gelingen einer unkoordinierten Verhaltensänderung gehören zu den berechtigten Vorbehalten gegen die beschriebene Standardstrategie: Was bewirkt meine kleine CO2-Einsparung, wenn sich doch nur maximal zehn Prozent der reichsten und gebildetsten Bevölkerungsgruppe weltweit überhaupt um Vergleichbares bemüht? "Spende und ersetze" sorgt hingegen dafür, dass konkreten Menschen in Armut geholfen wird, auch wenn sonst niemand kooperiert. Mein "Opfer" ist nie vergeblich: Wenn die Spende ankommt, trägt dies zur konkreten Bekämpfung von Armut bei. Mehr Klimaschutz wiederum kann aufgrund falsch gewählter Projekte scheitern, ebenso wie Erfolg wegen fehlender Kooperation ausbleiben kann. Werden die richtigen Projekte gewählt, spart dies jedoch mehr CO2 ein als meine persönliche Verhaltensänderung. In der durch effizientes Umstellen des privaten Verhaltens gewonnenen Zeit können wir darauf hoffen, dass sich die Technik so weit weiterentwickelt, dass wir zum Beispiel auf individuelle Mobilität vielleicht nicht verzichten müssen.

"Spende und ersetze" ist dabei kein Ablasshandel, wenn es mit der moralischen Verpflichtung gekoppelt ist, regelmäßig und mehr als üblich zu spenden. Mit dieser Strategie stellen wir unser Verhalten ebenfalls um – aber nicht, um weniger zu emittieren, sondern, um mehr zu spenden. So tragen wir mehr Last für das moralisch Richtige. Bei einem Ablasshandel ginge es nur darum, uns selbst Erleichterung zu verschaffen – und eben nicht darum, das Richtige voranzubringen. Es geht nicht um eine persönliche "Entschuldung", sondern um weniger Armut und weniger CO2 weltweit. Tatsächlich teilt die Umstellung des persönlichen Emissionsverhaltens mehr mit dem klassischen Ablasshandel als die hier vorgeschlagene Strategie, geht es doch dort primär um einen selbst.

Mein Auto weiterzufahren, wäre innerhalb dieses Rahmens erlaubt, wenn ich regelmäßig und ausreichend spende. Auch das erinnert ein wenig an Ablasshandel, aber das ist durchaus gewollt, denn diese Strategie soll uns ja leichter fallen als die Standardstrategie der grundlegenden Verhaltensänderung, weshalb sie hoffentlich auch mehr Menschen umsetzen werden. Zugleich verschiebt sie die Verantwortung auf das Spenden und auf einen Politikwechsel vor Ort. Beides hängt zusammen, denn auch vom Spenden geht das politische Signal aus, dass die Menschen eine Klimawende wünschen, was Veränderungsdruck auf die Politik erzeugt. Mit dem US-amerikanischen Philosophen Walter Sinnott-Armstrong gesprochen: "Genieße Deine Spaßfahrt im SUV, und tue gleichzeitig alles dafür, damit die Politik allen Akteuren, also auch Dir, solche Spaßfahrten verbietet." Wir sollten uns dort politisch engagieren, wo es effizient ist. "Fridays for Future" etwa macht uns dies bewundernswert vor. Und um nicht als Lobbyist für die Autoindustrie missverstanden zu werden, will ich dem obigen Zitat von Sinott-Armstrong voranstellen: Nur wer die Motivation zu helfen verliert, wenn er seinen gewohnten Lebenswandel völlig umstellen muss, sollte diesen Lebensstil bewahren – wenn er denn zugleich entsprechend spendet. Nur dann sollte er die Spaßfahrt genießen dürfen, wenn er sich politisch für ein Verbot einsetzt.

Hier wird nun auch deutlich, weshalb "Kompensieren" der falsche Begriff ist. Tatsächlich geht es ums Überkompensieren. Unter "Kompensieren" versteht man gemeinhin, etwas Schädliches zu tun und im Anschluss "genauso viel" zu geben, um den Schaden wiedergutzumachen. Das aber ist lediglich ein Nullsummenspiel. Tatsächlich geht es nicht darum, die CO2-Emissionen meines Autos zu kompensieren. Sondern es geht darum, eine Spendenquote zu erreichen, die wirksam ist und erheblich mehr Klimagase reduziert als wir es heute tun. Mein persönliches Verhalten dabei in den Mittelpunkt zu stellen, ist zu kurz gedacht. Beim Versuch einer Kompensation werden vielleicht ein paar Bäume gepflanzt, die sonst nicht gepflanzt würden, meine Nettobilanz reduziert sich rechnerisch auf "Null". Aber bei dieser Kopplung an das persönliche Emissionsverhalten geht es primär darum, mich selbst "grün zu machen", mich zu entschulden. Die Welt insgesamt macht das nicht viel besser.

Wir sind einem Denken verhaftet, das uns selbst und unser Verhalten als den Nabel der Welt begreift. Wenn ich bei mir selbst anfange, dann wird schon alles gut. Doch das ist falsch. Denn es geht ja gar nicht um mich, sondern um den Klimaschutz. Darüber hinaus glauben wir, dass Moral wehtun müsse. Nur wenn ich richtig leide, gehöre ich zu den Guten. Das kommt zwar von Immanuel Kant, ist aber trotzdem Nonsens. Denn es verkennt, dass die Motivation zu helfen ein knappes Gut ist, das man schnell verlieren kann. Die wenigsten Menschen sind Helden mit unbegrenztem Budget für Altruismus.

Noch einmal Geburtenkontrolle

Nun könnte man einwenden, dass wir bislang das effizienteste Mittel der Standardstrategie ausgespart haben: den Verzicht auf Kinder. Dieser scheint die radikalste und effizienteste Maßnahme zu sein, die der Einzelne zum Klimaschutz beisteuern kann. Der Verzicht aufs Auto spart demnach 1 bis 5,3 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr, der Verzicht auf ein Kind hingegen 23,7 bis 117,7 Tonnen CO2-Äquivalent. Das hat unter anderem damit zu tun, dass nicht nur die Emissionen eines Kindes, sondern auch die seiner Kinder und Enkelkinder eingespart werden. Mittlerweile hat sich sogar eine eigene Bewegung namens "birthstrike" gebildet. Was aber ist davon zu halten?

Wer auf freiwilliger Basis Klimagase reduzieren will, sollte das dort tun, wo es am effizientesten ist. Wenn weniger Kinder zu bekommen tatsächlich das effizienteste Mittel gegen den Klimawandel ist, dann können Spenden auch hier besser helfen als persönliche Verhaltensänderungen. Durch die Bereitstellung von Verhütungsmitteln können viel mehr ungewollte Schwangerschaften verhindert werden, als man je durch privates Zeugungsverhalten beeinflussen könnte. Nun könnte man provokativ fragen: Wer sind wir, dass wir bevölkerungspolitisch Einfluss auf den Globalen Süden nehmen wollen, nur um unseren (Klima-)Wohlstand nicht zu gefährden? Erstens aber würden wir mit Verhütungsmitteln und entsprechender Beratung nur ein Angebot zur Verfügung stellen, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden – und damit gleichzeitig auch für Frauenrechte und Bildung und gegen Armut eintreten. Und zweitens geht es im Kern nicht um unseren Wohlstand, sondern darum, so viele Emissionen zu vermeiden wie möglich. Strategien wie "spende und ersetze" werden häufig als Verzögerungs- und Ausweichstrategien gesehen. Das ist völlig falsch. Es geht nicht darum, weniger zu tun, sondern darum, mehr zu tun – aber eben da, wo es wirklich hilft.

Spendenbereitschaft und das "grüne Paradox"

Offen ist nun aber noch, wie groß der Beitrag des Individuums zur Klimawende denn sein muss. Wie viel soll gespendet werden? Was verlangt die Moral von uns? Sind wir dazu verpflichtet, das Glück in der Welt zu maximieren?

Wenn wir das Problem pragmatisch angehen, stellen wir schnell fest: Westliche DurchschnittsverdienerInnen gehören zum reichsten Prozent der Weltbevölkerung. Wenn wir auf dieser Insel des Reichtums leben, während vor unseren Küsten Menschen ertrinken, dann können wir uns nur dann zu guten Menschen erklären, wenn wir uns mindestens im unteren Prozentbereich unserer zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten engagieren. In jedem anderen Fall müssen wir uns eingestehen, dass uns die Not der Anderen schlicht egal ist und wir nicht zu den guten Menschen gehören können. Ein solches Engagement stellt keine Überforderung dar: Wenn jeder Durchschnittsverdiener – wir sprechen hier nicht davon, BezieherInnen von Sozialleistungen in die Pflicht zu nehmen – sich bemühen würde, zum Beispiel vier Prozent seines Einkommens und ein Prozent seiner Zeit (etwa für politisches Engagement) beizusteuern, dann könnten viele globale Probleme gelöst werden. Die dabei anfallenden Geldsummen würden sich mindestens auf einen dreistelligen Milliardenbetrag belaufen.

Stattdessen einfach das private Nachfrageverhalten zu verändern, scheint hingegen oft sinn- und wirkungslos. Um es an einem Beispiel festzumachen: Ölpreis und Ölförderung sind nahezu vollständig voneinander entkoppelt. Während die globale Ölproduktion im Laufe der vergangenen 30 Jahre nur moderat gestiegen ist, sind die Ausschläge im Ölpreis im gleichen Zeitraum beachtlich, ohne dass dies durch individuelles Verhalten beeinflusst wäre. Meine kleine Spriteinsparung kann in diesem Markt die Fördermenge nicht senken, Preissignale werden ignoriert. Meine kleine Spende aber nutzt in jedem Fall konkreten Menschen – und hoffentlich auch dem Klima. In der Frage des Klimas müssen zwar auch (vergleichsweise wenige) andere Leute mitziehen; aber ich bin nicht zwangsläufig auf Marktmechanismen angewiesen, und mein kleiner Beitrag bewirkt in jedem Fall etwas Gutes.

Die beschriebene Strategie, sich auf das Spenden zu konzentrieren, hat einen weiteren Vorteil: Sie mündet nicht im "grünen Paradox". Ein solches würde unweigerlich entstehen, wenn es uns doch gelänge, über ein geändertes Nachfrageverhalten Weltmarktpreise zu beeinflussen. Denn sparen wir fossile Energien, sinkt in der Folge der Weltmarktpreis für diese Energien, und andere Länder, die sich am dringlichsten Wachstum wünschen, kaufen diese billiger ein. Gespart wird durch unsere verringerte Nachfrage de facto nichts, sondern wir subventionieren die Preise für die Schwellenländer. Das mag man zwar positiv als "Entwicklungspolitik mit anderen Mitteln" betrachten, ist aber hinsichtlich des Klimaschutzes mehr als problematisch. Möglicherweise würden auf diese Weise sogar noch mehr fossile Energieträger gefördert. Denn diese bringen jetzt noch Geld, drohen aber in Zukunft unverkäuflich zu werden.

Für all diejenigen, die bei meinem Denkmanöver noch immer Magenschmerzen haben: Da unser Wissen über die Zukunft nicht perfekt ist und wir normalerweise Wesen sind, die nicht alles an Effizienz festmachen, sollten wir erwägen, mehrere Strategien gleichzeitig zu verfolgen. So kann man die Spendenziele "diversifizieren" und sich genauer über sie informieren: Solar-Öfen in Indien zum Beispiel fördern Gesundheit und Klimaschutz sehr solide, während ein Regenwald theoretisch auch abbrennen kann – besonders dann, wenn man seine Besitzer nicht auf seine Seite bringt. Also gehören sowohl die riskante als auch die solide Strategie in unser "Portfolio", wobei wir Risiken nicht werden vermeiden können, wenn uns das Wasser – wortwörtlich – bis zum Hals steht. Wichtig ist: In einem Portfolio der Strategien sollte "spende und ersetze" in jedem Fall seinen Platz haben, aber natürlich kann man auch an der eigenen Verhaltensänderung arbeiten – zumal dann, wenn sie nicht zu viel kostet. Wie hoch welche Kosten in Form eines Verlusts von Wohlergehen für ein Individuum ausfallen, bestimmt seine eigene Wahrnehmung. Wem es nichts ausmacht, kein Fleisch zu essen, für den ist diese Maßnahme auch kein Motivationshindernis. Meine Argumentation zielt vor allem auf diejenigen, denen nur ein begrenztes Budget zum Helfen zur Verfügung steht. Oft können jedoch auch sie ohne Kosten kooperieren: So kostet es zum Beispiel de facto nichts, zu wählen (zur Not per Briefwahl) oder die "grüne Suchmaschine" Ecosia statt Google auf dem Rechner zu installieren. Also sollte man das auch tun. So wird das "entweder oder" doch noch zu einem bedingten "sowohl als auch".

ist Professor für Philosophie und Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim. Seine Schwerpunkte sind Normativität und Klimaethik.
Externer Link: http://www.bernwardgesang.de