In seinen "Notizen von einer Rückkehr in die Heimat" schreibt der afrokaribische Schriftsteller Aimé Césaire sinngemäß, dass das Ende der Welt die einzige Sache sei, die es Wert ist, begonnen zu werden.
Als Gedankenexperiment stellt eine solch apokalyptische Neigung der regressiven Utopie fixierter Handlungskonzepte den Pessimismus als Methodik der Gegenwart beziehungsweise als politische Strategie entgegen, die es überhaupt erst ermöglicht, angesichts wachsender Bedrohungen und weitreichender Desaster ein fortwährendes Beginnen immer wieder zu ermutigen. Begreift man die Apokalypse also mit dem Philosophen Jacques Derrida "als ein Thema, ein Anliegen, eine Faszination, eine explizite Referenz und den Horizont (…) einer Arbeit oder Aufgabe",
Was also bedeutet es, vom Ende der Welt zu sprechen oder ein solches Ende zu durchleben? Apokalypsen umschreiben mehrschichtige Mediationen, die sowohl populärkulturelle Imaginationen oder dystopische Gesellschaftsentwürfe umfassen, als auch auf deren hyperrealen Vorlagen basieren. Von der Klimakatastrophe zur Pandemie, andauernden Kriegszuständen, Ausbeutung und kolonialen Gewaltroutinen: Das apokalyptische Erfahrungsmuster ist auch in konkreten Lebenswelten allgegenwärtig. In diesem Sinne identifizierte der slowenische Philosoph Slavoj Žižek bereits im Jahr 2010 eine Art "apokalyptischen Nullpunkt", auf den das kapitalistische System beharrlich zusteuere, und konnotierte die ökologische Krise, biogenetische Technologien, ökonomische Ungleichheit und soziale Spaltung als die sprichwörtlichen Reiter einer kontemporären Apokalypse.
Zweifellos gibt es Stimmen, die der Aussicht eines in sich zusammenbrechenden Systems alles andere als abgeneigt gegenüberstehen, wurde ein solcher Kollaps historisch doch durchaus als vielumschriebene Berichtigung eines modernen Fortschrittsfatalismus verstanden. Walter Benjamin etwa warnte bereits in den späten 1930er Jahren, "dass es ‚so weiter‘ geht, ist die Katastrophe".
Apokalypse als Konzept, Praxis und auch Stimmung hat allgemein geltende Verständnisse vielfältig auf den Kopf gestellt und somit auch diverse kulturpolitische Dilemmata, von der individuellen bis zur planetaren Katastrophe, immer wieder in neuem Licht erscheinen lassen. In einer Zeit, in der das Zerbrechen der Welt eine vielfache und oft auch alltägliche Konfrontation darstellt, erweist sich das apokalyptische Denken nicht länger als Spezialinteresse oder moralisches Narrativ, sondern produziert neue intellektuelle Verbindungspunkte, Trends und Fragestellungen. Das Ende der Welt öffnet und gestaltet vielseitige Auslegungen und weitreichende Erkenntnisse über die enormen Herausforderungen und Möglichkeiten einer sich stetig verändernden Welt – und die zahlreichen Welten, die darin enthalten sind. Aus dieser Perspektive betrachtet, emanzipiert sich die Apokalypse als Schlüsselmotiv sozialer Praktiken und deren weitreichendem Repertoire an gesellschaftlichen Auffassungen von ihren strikt theologischen Ursprüngen. Apokalypsen sind vielmehr wesentliche Baustellen gegenwärtiger Bedeutungsprojektionen, die erst durch ein komplexes Geflecht aus Diskursen, Historien, Erzählungen, Datensätzen, Bildern und anderen Repräsentationen in Erscheinung treten. Das Ende der Welt ist somit kontextabhängig und inhaltlich dehnbar. In all diesen Betrachtungen erscheint die Apokalypse als Prisma radikaler ontologischer und epistemologischer Veränderung. Sie ist der Moment des finalen Bruchs; der absolute Grenzpunkt.
Positionen und Macht
Wir befinden uns im Auge des Sturms: Angesichts einer schier endlosen Fülle an möglichen Katastrophen, Desastern und Umbrüchen lässt sich die kataklystische, zerstörende Ausprägung von Vergangenheit, Gegenwart und manchmal sogar Zukunft vielerorts trotzdem beständig ignorieren. Dabei verharren wir auf dem Sockel eines breiten Netzwerks apokalyptischer Alltäglichkeiten, die allesamt eine routinisierte Eskalation destruktiver Lebensweisen in Aussicht stellen und belegen. Das Denken an und mit dem Ende der Welt gewährt in diesem Sinne Einblicke in das zerstörerische Ausmaß beschleunigter Globalisierungsprozesse und althergebrachter Kolonisierungspolitik. Es ermöglicht die Analyse jener hegemonischen Machtgefüge, die dominante Interessen in Politik, Ökonomie, Technologie, Kultur und Ökologie von jeher im Namen eines westlichen "Weltprojekts" auf planetarer Ebene zu homogenisieren versuchen. In diesem Zusammenhang produzieren sowohl reale als auch fiktive Apokalypsen als kulturpolitische Methode in erster Linie eine konzeptionelle Infragestellung des ontologischen Status dessen, was wir routinisiert als "Welt" bezeichnen. Das "Ende der Welt" problematisiert dann primär jene Machtprozesse, die eine vielschichtige und facettenreiche Erde in die eine imperiale Welt umstrukturieren.
Diese Gliederung einer totalisierten Welt als Symptom der westlichen Moderne balanciert zweifellos auf dem gepeinigten Rücken ausgegrenzter Individuen und Gemeinschaften, nicht zuletzt, weil ein solches System zwangsläufig aus diversen Palimpsesten kollektiver Gewalt schöpft und fortwährend Rangordnungen differenzialer Menschlichkeit reproduziert. Schwarze und indigene Gemeinschaften, migrantische, geflüchtete, transsexuelle und queere Personen sowie ein Großteil anderer marginalisierter Gruppen leben vielfach mit den verschiedenen Enden ihrer Welten. Ausgeschlossen hinter Mauern oder eingeschlossen in Gefängnissen, verbannt in die Vergangenheit oder zur Zukunftslosigkeit verdammt, werden diese Menschen immer wieder an den Rand eines obsessiv hierarchisierten Systems gedrängt, das ein heteronormatives Weißsein von jeher fetischisiert. Das Ende der Welt ist daher inhärent mit Fragen der Position und Macht verbunden: mit identitärer Zugehörigkeit, Ethnizität, Gender, Klasse, Befähigung und anderem mehr. Die Philosophin Déborah Danowski und der Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro bringen diese Problematik auf den Punkt, wenn sie erklären, dass das Ende der Welt vor allem die Frage stellt, "für wen die Welt, die endet, eine Welt ist", und "wer dieses weltliche oder ‚verweltlichte‘ Wesen ist, das das Ende definiert".
Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, kann man somit auch als politisches Projekt begreifen, bei dem es darum geht, die aktuellen Zuspitzungen planetarer Krisen in ihren verschiedenen Verkettungen mit materialisierter Macht, größenwahnsinnigem Profit und strukturierter Kontrolle erst aufzuschlüsseln und letztlich zu zersetzen. In diesem Sinne muss ein zeitgemäßer Apokalypse-Begriff weit über die Idee eines auf die Zukunft projizierten Desasters, das im Idealfall keinerlei (systemische) Änderung von uns verlangt, hinausgedacht werden. N.K. Jemisin, eine der großen Science-Fiction-Autor*innen unserer Zeit, beschreibt dies folgendermaßen: "Das Ende der Welt passiert jetzt in diesem Moment. Die Frage ist, ob es sich um die Art Welt handelt, die gehen muss."
Folgt man der Kulturphilosophin und Physikerin Karen Barad, wird klar, dass diese verschiedenen Apokalypsen nicht unbedingt nebeneinander existieren, sondern vielmehr ineinandergreifen.
Erkenntnis und Wandel
Um das Ende als sinnstiftend zu begreifen, ist es hilfreich, sich die prinzipielle Bedeutung der Apokalypse erneut vor Augen zu führen. Etymologisch verweist die Apokalypse vorranging auf Offenbarung, Enthüllung oder gar Einsicht. Das Ende der Welt ist daher auch der Punkt, an dem das Verborgene zum Vorschein kommt oder eine weniger offensichtliche Wahrheit ihren erschütternden Auftritt wagt. Dennoch tendieren die meisten Menschen dazu, die Apokalypse allenfalls als eine allumfassende Katastrophe zu begreifen. Das Weltende ist demnach etwas Schockierendes und Zerrüttendes – so kraftvoll und mächtig, dass die Welt buchstäblich aus den Fugen gerät und der Status quo abschließend in sich zusammenbricht. Diese letzte Auslegung übersieht dabei allzu leicht, dass die Apokalypse als Denkfigur beide Nuancen methodisch vereint: Auf der einen Seite präsentiert und beleuchtet sie originelle und aussagekräftige Zugänge zu gesellschaftlichen Krisen und individuellen Umstürzen, auf der anderen Seite kann sie als Perspektive bestenfalls ein tiefgreifendes Vernichten oder eine bedeutungsvolle Auflösung etablierter Welten und festgefahrener Denk- und Lebensweisen bewirken. Diese Art der apokalyptischen Aufdeckung, die in der christlichen Mythologie unmittelbar das Ende der Welt erfasst und gleichzeitig eine Welt dotiert, deren Sinnhaftigkeit sich eben erst in der Zerstörung offenbart, steht durchaus mit empirischen Desastern im Einklang, die zuweilen Momente der Erkenntnis befähigen und akzentuieren. Apokalypsen sind daher nicht gänzlich als Katastrophen sinnloser Verwüstung zu begreifen, sondern betonen vielmehr das Ende eines bestimmten Weltentwurfs oder Verständnisses. Indem die Apokalypse Möglichkeiten tiefgreifender Einsicht, einschlägigen Wandels und visionärer Energie mit dem Beleuchten kataklystischer Desaster, Katastrophen und Krisen verschränkt, kann sie als ein Instrument kultureller, politischer and philosophischer Analyse fungieren. Das Ende der Welt als kaleidoskopische Erkenntnislinse differenziert die Prämisse eines selbstverständlichen Weltbegriffs als Objekt diverser Endszenarien und inszeniert stattdessen die vielschichtigen Konvergenzen zwischen Zerstörung und Aufbau, um Eventualitäten, Beschaffenheit und Einschränkungen neuer Welten zu erörtern.
Eine kulturelle Politik der Apokalypse veranschaulicht eine Vielzahl von Erfahrungen und Reaktionen mit Bezug zu katastrophalen Umbrüchen als Teil weitreichender öffentlicher Debatten. Was bedeutet es also, auf apokalyptischem Denken zu beharren und das Ende der Welt auszuhalten? "Staying with the trouble" oder zu Deutsch "Unruhig bleiben", wie die Historikerin Donna Haraway es ausdrückt, erfordert einen spezifischen Blick auf die Gegenwart und ein historisch verankertes Verantwortlich-Werden oder buchstäbliches Antwortfähig-Werden.
Wird die Welt als kohärentes sozialpolitisches Phänomen oder unbegrenzter Horizont menschlichen und nicht-menschlichen Handelns infrage gestellt, werden auch Perspektiven auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ein neues Bedeutungsfeld gerückt. Koloniale Erfahrungen etwa lassen sich als apokalyptische Brüche oder katastrophische Verluste eigenständiger Kosmologien und Zukunftsentwürfe behandeln. Gleichzeitig findet man in den dekolonialen Arbeiten Frantz Fanons, James Baldwins oder W.E.B. Du Bois’ eine Art Sehnsucht nach der Apokalypse, einen Traum vom Ende der Welt als wegweisend für Dekolonisierung und Gerechtigkeit.
Das Ende als Anfang zersetzt die lineare Temporalität einer fatalen Spätmoderne und suggeriert stattdessen ein Umdenken in der Gegenwart als Versuch, festgefahrene Zukunftsvisionen zu revidieren und neu zu erfinden. In diesem Sinne besteht die politische Aufladung der Apokalypse genau darin, "dass sie die Zukunft zerstört".
Nachhaltige Weltentwürfe
Nicht nur die Art und Weise, sondern auch die Mittel, mit denen wir uns der Zerstörung unserer Welt(en) nähern, sind von Bedeutung, denn die Apokalypse ist eben auch "eine Ästhetik, die genauso viel tut, wie sie repräsentiert".
Natürlich heißt das nicht, dass Apokalypsen grundsätzlich progressiv wirken oder jedes Weltende einen zwangsläufig gerechteren Weltanfang erträumt. Im Gegenteil: Allzu oft spiegeln Debatten über Folgen und Lösungen einer bevorstehenden planetaren Katastrophe beispielsweise einen unerschütterlichen, beinahe religiösen Glauben an die neoliberale Tech-Revolution größenwahnsinniger Macho-Milliardäre wider oder verfallen der moralisierenden Wut rechtsextremistischer Bewegungen, deren nihilistische Proliferation zumeist auf Formen sozialer Ausgrenzung und privilegierter Einzäunung beruht. Im Zweifelsfall beginnen die neuen Tech-Patriarchen schon mal damit, den Weltraum zu kolonisieren.
Entgegen dieser nihilistischen Weltrettung haben Aktivist*innen aus aller Welt die Herausforderungen einer kontemporären Apokalypse auf inspirierende Weise angenommen. Black Lives Matter, Indigenous Lives Matter, der Protest der Sioux im Standing Rock Reservat, die Zapatistas, aber auch Fridays for Future an der Seite von Greta Thunberg und Extinction Rebellion haben die Koordinaten dessen verändert, was das Ende bedeuten könnte (und sollte). Diese und andere Bewegungen, die sich für ein breites Spektrum gerechtigkeitsbasierter Weltgestaltungspraktiken einsetzen, haben seit langem verstanden, dass eine Welt, die von Rassismus, Heteropatriarchat, Imperialismus, Armut, Ungleichheit, kolonialer Gewalt und Umweltzerstörung durchdrungen ist, einen durchgreifenden Aufstand der Basis erfordert. Wie Angela Davis es ausdrückt: "Um echte, dauerhafte Veränderungen herbeizuführen, müssen wir die Arbeit leisten, Bewegungen aufzubauen."
Das Ende als Anfang
Césaires Ende der Welt ist in diesem Sinne tatsächlich die Prämisse allen Beginnens: der apokalyptische Versuch, ein transformatives Bewusstsein zu schmieden, welches in der Lage ist, eine gemeinsame vielschichtige Lebenswelt zurückzufordern. Césaire nennt eine solche offen widerständige Imagination, die sich auf die Erschaffung neuer Welten richtet, "die andere Seite des Desasters",
Entscheidend für den Traum von einer besseren Welt bleibt die Befähigung einer kontemporären Apokalypse, politische Fragen und Konvergenzen struktureller, kolonialer und umweltbedingter Gewalt unerbittlich aufzuwerfen und neu zu thematisieren. "Wo passiert es, und wem, durch wen?", fragt Jessica Hurley. Welche Bewegungen, politischen Ideen, Geografien, Geschichten, Bilder oder intellektuellen Projekte könnten als (post)apokalyptisch gelten und neue Debatten über das Ende der/einer Welt hervorrufen und strukturieren? Wie prägen Krise und Katastrophe menschliche und nichtmenschliche Akteure und ihre Verflechtungen? Was leistet die Apokalypse als Denkfigur im Kontext eskalierender globaler und lokaler Herausforderungen? Und wie verhandelt die Apokalypse eine gerechtere Politik der Gegenwart, nicht unbedingt mit Blick auf eine verklärte, unsichere oder aufgeträumte Zukunft, sondern achtsam gegenüber einer desaströsen, einschlägigen und weiterhin pulsierenden Vergangenheit?
Letztlich wird das Ende der Welt nur dann politisch aktiviert, wenn die Apokalypse erst gar nicht als zukünftige Katastrophe verstanden wird – und damit Vergangenheit und Gegenwart als ungebrochen, stabil und erstrebenswert attestiert. "Es wird nicht schlimmer, es ist schon schlimmer", erklärt die Philosophin Oxana Timofeeva und pointiert damit, dass das Ende der Welt heute eine "permanente Realität" darstellt. Entgegen Fukuyamas trügerischen Wunschtraums "hat Geschichte kein Ende".