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Vom Ende der Welt | Träume | bpb.de

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Vom Ende der Welt Apokalypse als kulturpolitische Methode

Jenny Stümer

/ 18 Minuten zu lesen

Vorstellungen von der Apokalypse verändern den Horizont unserer Gegenwartsorientierung und den Umgang mit den Folgen politischen und sozialen Handelns. Wer sich des Endes der Welt bewusst ist, kann es zum Ausgangspunkt aktiven Denkens und Handelns machen.

In seinen "Notizen von einer Rückkehr in die Heimat" schreibt der afrokaribische Schriftsteller Aimé Césaire sinngemäß, dass das Ende der Welt die einzige Sache sei, die es Wert ist, begonnen zu werden. Das Ende als Anfang für einen weiten Blick auf gesellschaftliche Zukunftsvisionen und -ängste ist nicht unbedingt ein weiterer nihilistischer Versuch, die gegenwärtigen Herausforderungen in semireligiösen Untergangsmetaphern zu ertränken. Es ist vielmehr eine Erwägung der Apokalypse als politisches Narrativ, welches eine überwältigende Allgegenwärtigkeit destruktiver Machtstrukturen und katastrophaler Lebensumstände formsicher pointiert und dennoch als Zeichen radikaler Veränderung, Reform und Wiederbelebung verstanden werden kann. Apokalypse nicht als Kapitulation und Angstrhetorik, sondern als kreative Denkfigur, empirische Erfahrung und kulturpolitische Vorstellungskraft, die einen selbstzerstörerischen Weltbegriff infrage stellt und dabei andere Welten vorstellbar macht.

Als Gedankenexperiment stellt eine solch apokalyptische Neigung der regressiven Utopie fixierter Handlungskonzepte den Pessimismus als Methodik der Gegenwart beziehungsweise als politische Strategie entgegen, die es überhaupt erst ermöglicht, angesichts wachsender Bedrohungen und weitreichender Desaster ein fortwährendes Beginnen immer wieder zu ermutigen. Begreift man die Apokalypse also mit dem Philosophen Jacques Derrida "als ein Thema, ein Anliegen, eine Faszination, eine explizite Referenz und den Horizont (…) einer Arbeit oder Aufgabe", so sollte man eine sich ausbreitende allgemeine Weltuntergangsstimmung nicht einfach als mutlose gesellschaftliche Niedergeschlagenheit abtun, sondern kann den apokalyptischen Ton unserer Zeit vielmehr als philosophisches Sehen und Verstehen ergründen, wobei sich das Ende der Welt als eine Art gesellschaftskritische Spiegelung aktueller Umbrüche offenbart.

Was also bedeutet es, vom Ende der Welt zu sprechen oder ein solches Ende zu durchleben? Apokalypsen umschreiben mehrschichtige Mediationen, die sowohl populärkulturelle Imaginationen oder dystopische Gesellschaftsentwürfe umfassen, als auch auf deren hyperrealen Vorlagen basieren. Von der Klimakatastrophe zur Pandemie, andauernden Kriegszuständen, Ausbeutung und kolonialen Gewaltroutinen: Das apokalyptische Erfahrungsmuster ist auch in konkreten Lebenswelten allgegenwärtig. In diesem Sinne identifizierte der slowenische Philosoph Slavoj Žižek bereits im Jahr 2010 eine Art "apokalyptischen Nullpunkt", auf den das kapitalistische System beharrlich zusteuere, und konnotierte die ökologische Krise, biogenetische Technologien, ökonomische Ungleichheit und soziale Spaltung als die sprichwörtlichen Reiter einer kontemporären Apokalypse. Seither hat sich der Zustand der Welt nicht unbedingt verbessert: Ressourcen werden knapper, viele Arten sind bedroht oder dem großen Massenaussterben bereits erlegen, Wälder brennen nieder, die Ozeane sind vergiftet, wir alle haben Plastik im Blut, und die Angst vor einer nuklearen Katastrophe ist größer denn je. Die Apokalypse ist zum regulären Bestandteil gesellschaftspolitischer Diskurse avanciert und beschreibt eine Vielfalt fataler Szenarien, die eine sprichwörtliche existentielle Bedrohung intensiv in das Zentrum diverser Lebenswirklichkeiten rücken lassen. Dreh- und Angelpunkt dieser Debatten ist die Erkenntnis, dass welt-endende Katastrophen keine weit entfernte Zukunftsaussicht etikettieren, die um jeden Preis verhindert werden muss, sondern vielmehr eine anhaltende, fortlebende Realität beschreiben, deren Ursachen in den tiefliegenden Gewaltstrukturen eines unbegrenzten Wachstumswahns verwurzelt sind.

Zweifellos gibt es Stimmen, die der Aussicht eines in sich zusammenbrechenden Systems alles andere als abgeneigt gegenüberstehen, wurde ein solcher Kollaps historisch doch durchaus als vielumschriebene Berichtigung eines modernen Fortschrittsfatalismus verstanden. Walter Benjamin etwa warnte bereits in den späten 1930er Jahren, "dass es ‚so weiter‘ geht, ist die Katastrophe". Ähnlich argumentierte Ernst Bloch, der sich gut 20 Jahre zuvor für einen radikalen gesellschaftlichen Umbruch aussprach und erklärte: "Die Apokalypse ist das Apriori aller Politik und Kultur, die sich lohnt, so zu heißen. Nur dieser denkende Wunschtraum schafft Wirkliches, tief in sich hineinhörend, bis der Blick gelungen ist." Aus diesem Winkel betrachtet, erträumen Apokalypsen und ihre Folgen (konkret und fiktiv) emanzipatorische Potenziale, die sich aus der Möglichkeit pluraler Welten, non-linearer Temporalitäten oder aber, im Sinne Blochs, "absoluter Selbstbegegnung" ergeben. Entsprechend mobilisieren politische Bewegungen der Gegenwart wie Black Lives Matter, Ni Una Menos, Feminist Green New Deal oder indigene Souveränitätsbewegungen zusehends Mechanismen des Welt-Endens und Wiederaufbaus in ihrem Kampf für Umbruch, Visibilität und Gerechtigkeit. Viele andere Menschen, darunter Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Aktivist*innen und Politiker*innen, streben ebenso danach, dem gemeinschaftlichen Ohnmachtsgefühl der spätkapitalistischen Hegemonie zu entkommen, um neue, bessere Welten zu erarbeiten. Um diese Ambitionen jedoch nicht auf das revolutionäre Aufflimmern einer krisenbewussten Momentaufnahme zu reduzieren, braucht es intellektuelle Wurzeln, langfristige Bewegungen und die mühselige Arbeit des Verstehens. Man könnte auch sagen, es braucht ein radikales, kollektives, eschatologisches Umdenken.

Apokalypse als Konzept, Praxis und auch Stimmung hat allgemein geltende Verständnisse vielfältig auf den Kopf gestellt und somit auch diverse kulturpolitische Dilemmata, von der individuellen bis zur planetaren Katastrophe, immer wieder in neuem Licht erscheinen lassen. In einer Zeit, in der das Zerbrechen der Welt eine vielfache und oft auch alltägliche Konfrontation darstellt, erweist sich das apokalyptische Denken nicht länger als Spezialinteresse oder moralisches Narrativ, sondern produziert neue intellektuelle Verbindungspunkte, Trends und Fragestellungen. Das Ende der Welt öffnet und gestaltet vielseitige Auslegungen und weitreichende Erkenntnisse über die enormen Herausforderungen und Möglichkeiten einer sich stetig verändernden Welt – und die zahlreichen Welten, die darin enthalten sind. Aus dieser Perspektive betrachtet, emanzipiert sich die Apokalypse als Schlüsselmotiv sozialer Praktiken und deren weitreichendem Repertoire an gesellschaftlichen Auffassungen von ihren strikt theologischen Ursprüngen. Apokalypsen sind vielmehr wesentliche Baustellen gegenwärtiger Bedeutungsprojektionen, die erst durch ein komplexes Geflecht aus Diskursen, Historien, Erzählungen, Datensätzen, Bildern und anderen Repräsentationen in Erscheinung treten. Das Ende der Welt ist somit kontextabhängig und inhaltlich dehnbar. In all diesen Betrachtungen erscheint die Apokalypse als Prisma radikaler ontologischer und epistemologischer Veränderung. Sie ist der Moment des finalen Bruchs; der absolute Grenzpunkt.

Positionen und Macht

Wir befinden uns im Auge des Sturms: Angesichts einer schier endlosen Fülle an möglichen Katastrophen, Desastern und Umbrüchen lässt sich die kataklystische, zerstörende Ausprägung von Vergangenheit, Gegenwart und manchmal sogar Zukunft vielerorts trotzdem beständig ignorieren. Dabei verharren wir auf dem Sockel eines breiten Netzwerks apokalyptischer Alltäglichkeiten, die allesamt eine routinisierte Eskalation destruktiver Lebensweisen in Aussicht stellen und belegen. Das Denken an und mit dem Ende der Welt gewährt in diesem Sinne Einblicke in das zerstörerische Ausmaß beschleunigter Globalisierungsprozesse und althergebrachter Kolonisierungspolitik. Es ermöglicht die Analyse jener hegemonischen Machtgefüge, die dominante Interessen in Politik, Ökonomie, Technologie, Kultur und Ökologie von jeher im Namen eines westlichen "Weltprojekts" auf planetarer Ebene zu homogenisieren versuchen. In diesem Zusammenhang produzieren sowohl reale als auch fiktive Apokalypsen als kulturpolitische Methode in erster Linie eine konzeptionelle Infragestellung des ontologischen Status dessen, was wir routinisiert als "Welt" bezeichnen. Das "Ende der Welt" problematisiert dann primär jene Machtprozesse, die eine vielschichtige und facettenreiche Erde in die eine imperiale Welt umstrukturieren.

Diese Gliederung einer totalisierten Welt als Symptom der westlichen Moderne balanciert zweifellos auf dem gepeinigten Rücken ausgegrenzter Individuen und Gemeinschaften, nicht zuletzt, weil ein solches System zwangsläufig aus diversen Palimpsesten kollektiver Gewalt schöpft und fortwährend Rangordnungen differenzialer Menschlichkeit reproduziert. Schwarze und indigene Gemeinschaften, migrantische, geflüchtete, transsexuelle und queere Personen sowie ein Großteil anderer marginalisierter Gruppen leben vielfach mit den verschiedenen Enden ihrer Welten. Ausgeschlossen hinter Mauern oder eingeschlossen in Gefängnissen, verbannt in die Vergangenheit oder zur Zukunftslosigkeit verdammt, werden diese Menschen immer wieder an den Rand eines obsessiv hierarchisierten Systems gedrängt, das ein heteronormatives Weißsein von jeher fetischisiert. Das Ende der Welt ist daher inhärent mit Fragen der Position und Macht verbunden: mit identitärer Zugehörigkeit, Ethnizität, Gender, Klasse, Befähigung und anderem mehr. Die Philosophin Déborah Danowski und der Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro bringen diese Problematik auf den Punkt, wenn sie erklären, dass das Ende der Welt vor allem die Frage stellt, "für wen die Welt, die endet, eine Welt ist", und "wer dieses weltliche oder ‚verweltlichte‘ Wesen ist, das das Ende definiert". Das Verstehen um die vielschichtige Intersektionalität der kontemporären Apokalypse ist daher ein wesentlicher Bestandteil, um einen produktiven Umgang mit den aktuellen Krisen und Herausforderungen zu finden, ohne dabei alte und neue Unterdrückungsparadigmen zu verdichten. Schließlich bilden das Ende, sein Nachwirken und die verschiedenen Formatierungen von Welt und Weltlosigkeit, die es mit sich bringt, auch seit langem eine Katalyse für politische Ohnmacht und Unbeweglichkeit, vornehmlich als desaströser Erfahrungshorizont marginalisierter Gemeinschaften, doch letztlich ebenso als destruktives Vorgehen für den gesamten Planeten und all seiner Bewohner.

Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, kann man somit auch als politisches Projekt begreifen, bei dem es darum geht, die aktuellen Zuspitzungen planetarer Krisen in ihren verschiedenen Verkettungen mit materialisierter Macht, größenwahnsinnigem Profit und strukturierter Kontrolle erst aufzuschlüsseln und letztlich zu zersetzen. In diesem Sinne muss ein zeitgemäßer Apokalypse-Begriff weit über die Idee eines auf die Zukunft projizierten Desasters, das im Idealfall keinerlei (systemische) Änderung von uns verlangt, hinausgedacht werden. N.K. Jemisin, eine der großen Science-Fiction-Autor*innen unserer Zeit, beschreibt dies folgendermaßen: "Das Ende der Welt passiert jetzt in diesem Moment. Die Frage ist, ob es sich um die Art Welt handelt, die gehen muss." Jemisins provokative Anregung erinnert an das, was der Philosoph John Drabinski in Anlehnung an Aimé Césaire "das apokalyptische Wort" nennt, um einmal mehr darauf hinzuweisen, dass "aus dem Ende der Welt ein Neuanfang entstehen kann" und dass das "Ende der Geschichte" – berühmt-berüchtigt von Francis Fukuyama im sagenumwobenen Sommer 1989 heraufbeschworen – eigentlich nie passiert ist. Stattdessen etabliert das unermüdliche Zusammentreffen verschiedener Apokalypsen eine eigenartige (und produktive) Konvergenz empirischer Erfahrungen, örtlicher Manifestierungen und kultureller Zeitachsen: Als wäre jedes Ende von einem anderen umgeistert – verfolgt von der quälenden Frage, was es bedeutete, bedeutet und bedeuten wird, in der Endzeit zu leben.

Folgt man der Kulturphilosophin und Physikerin Karen Barad, wird klar, dass diese verschiedenen Apokalypsen nicht unbedingt nebeneinander existieren, sondern vielmehr ineinandergreifen. Apokalypse in diesem Sinne bewirkt ein politisch relevantes Entwurzeln der Vergangenheit, um sie weit in die Zukunft zu werfen und dabei ein Entgleisen der Gegenwart zu dokumentieren. Anders gesagt, es gibt viele Enden und viele Welten, doch mit Rückgriff auf eine pluralistische Apokalypse kann es durchaus gelingen, diese (W)Endungen in ihrer Verbundenheit und Intersektionalität zu betrachten. Nagasaki und Hiroshima, die koloniale Enteignung der Amerikas, Afrikas und Ozeaniens, zwei Weltkriege, Sklavenschiffe, Hungersnöte, Genozide, Invasionen, Vertreibung, Stürme, Fluten, Erdbeben, Krankheiten und das große Bienensterben: Diese welt- und erderschütternden Ereignisse können und sollen natürlich nicht gleichgestellt werden, und doch sind sie vermengt und verflochten. Die Apokalypse als Denkfigur nähert sich diesen Verzweigungen an und ermöglicht somit beziehungsfindende Einsichten, die sehr wohl Verantwortungen und Solidaritäten in einen neuen Blick rücken können. Auch in diesem Zusammenhang erinnert uns die Apokalypse als intellektuelles Projekt und kulturpolitische Handlungsebene daran, dass Trauma, Tod und Katastrophe sich letztlich nicht ohne Rückwirkung an den Rand des Geschehens drängen lassen – jener Ausgrenzungsbereich, den der Philosoph Malcolm Ferdinand als "Raum außerhalb der Welt, weit entfernt von europäischen Zentren" identifiziert –, und dass die Desaster der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft weder neutrale noch natürliche Begebenheiten darstellen, sondern vielmehr politische und kulturelle Konsequenzen verkörpern, die wir, ganz bewusst und gewissenhaft, mit aller Schärfe sondieren können und müssen.

Erkenntnis und Wandel

Um das Ende als sinnstiftend zu begreifen, ist es hilfreich, sich die prinzipielle Bedeutung der Apokalypse erneut vor Augen zu führen. Etymologisch verweist die Apokalypse vorranging auf Offenbarung, Enthüllung oder gar Einsicht. Das Ende der Welt ist daher auch der Punkt, an dem das Verborgene zum Vorschein kommt oder eine weniger offensichtliche Wahrheit ihren erschütternden Auftritt wagt. Dennoch tendieren die meisten Menschen dazu, die Apokalypse allenfalls als eine allumfassende Katastrophe zu begreifen. Das Weltende ist demnach etwas Schockierendes und Zerrüttendes – so kraftvoll und mächtig, dass die Welt buchstäblich aus den Fugen gerät und der Status quo abschließend in sich zusammenbricht. Diese letzte Auslegung übersieht dabei allzu leicht, dass die Apokalypse als Denkfigur beide Nuancen methodisch vereint: Auf der einen Seite präsentiert und beleuchtet sie originelle und aussagekräftige Zugänge zu gesellschaftlichen Krisen und individuellen Umstürzen, auf der anderen Seite kann sie als Perspektive bestenfalls ein tiefgreifendes Vernichten oder eine bedeutungsvolle Auflösung etablierter Welten und festgefahrener Denk- und Lebensweisen bewirken. Diese Art der apokalyptischen Aufdeckung, die in der christlichen Mythologie unmittelbar das Ende der Welt erfasst und gleichzeitig eine Welt dotiert, deren Sinnhaftigkeit sich eben erst in der Zerstörung offenbart, steht durchaus mit empirischen Desastern im Einklang, die zuweilen Momente der Erkenntnis befähigen und akzentuieren. Apokalypsen sind daher nicht gänzlich als Katastrophen sinnloser Verwüstung zu begreifen, sondern betonen vielmehr das Ende eines bestimmten Weltentwurfs oder Verständnisses. Indem die Apokalypse Möglichkeiten tiefgreifender Einsicht, einschlägigen Wandels und visionärer Energie mit dem Beleuchten kataklystischer Desaster, Katastrophen und Krisen verschränkt, kann sie als ein Instrument kultureller, politischer and philosophischer Analyse fungieren. Das Ende der Welt als kaleidoskopische Erkenntnislinse differenziert die Prämisse eines selbstverständlichen Weltbegriffs als Objekt diverser Endszenarien und inszeniert stattdessen die vielschichtigen Konvergenzen zwischen Zerstörung und Aufbau, um Eventualitäten, Beschaffenheit und Einschränkungen neuer Welten zu erörtern.

Eine kulturelle Politik der Apokalypse veranschaulicht eine Vielzahl von Erfahrungen und Reaktionen mit Bezug zu katastrophalen Umbrüchen als Teil weitreichender öffentlicher Debatten. Was bedeutet es also, auf apokalyptischem Denken zu beharren und das Ende der Welt auszuhalten? "Staying with the trouble" oder zu Deutsch "Unruhig bleiben", wie die Historikerin Donna Haraway es ausdrückt, erfordert einen spezifischen Blick auf die Gegenwart und ein historisch verankertes Verantwortlich-Werden oder buchstäbliches Antwortfähig-Werden. "Es ist unsere Aufgabe, Unruhe zu stiften," schreibt Haraway, "zu wirkungsvollen Reaktionen auf zerstörerische Ereignisse aufzurütteln, aber auch die aufgewühlten Gewässer zu beruhigen, ruhige Orte wieder aufzubauen". Während sich diese Position ausdrücklich gegen jede Form des fatalistischen Zynismus wehrt, harmoniert sie eben auch mit jener Art des apokalyptischen Denkens, das das Ende der Welt als Erfahrung und Narrativ anwendet, um historische Begebenheiten und aktuelle Diskurse neu zu beleuchten.

Wird die Welt als kohärentes sozialpolitisches Phänomen oder unbegrenzter Horizont menschlichen und nicht-menschlichen Handelns infrage gestellt, werden auch Perspektiven auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ein neues Bedeutungsfeld gerückt. Koloniale Erfahrungen etwa lassen sich als apokalyptische Brüche oder katastrophische Verluste eigenständiger Kosmologien und Zukunftsentwürfe behandeln. Gleichzeitig findet man in den dekolonialen Arbeiten Frantz Fanons, James Baldwins oder W.E.B. Du Bois’ eine Art Sehnsucht nach der Apokalypse, einen Traum vom Ende der Welt als wegweisend für Dekolonisierung und Gerechtigkeit. Ganz ähnlich argumentiert die Medienphilosophin Joanna Zylinska in ihrem Plädoyer für eine "feministische Gegen-Apokalypse". Während Fanon, Baldwin und Du Bois das Ende ontologischen Rassismus und menschlicher Unterdrückung ersehnen, entwirft Zylinska einen kollektiven Zustand der Prekarität in der postindustriellen (oder postapokalyptischen) Welt. In beiden Fällen offenbart die Apokalypse eine ungleiche Verteilung von Leid, Trauma oder Vernichtung und präsentiert sich so als imaginärer Katalysator einer neuen Politik des Miteinanders.

Das Ende als Anfang zersetzt die lineare Temporalität einer fatalen Spätmoderne und suggeriert stattdessen ein Umdenken in der Gegenwart als Versuch, festgefahrene Zukunftsvisionen zu revidieren und neu zu erfinden. In diesem Sinne besteht die politische Aufladung der Apokalypse genau darin, "dass sie die Zukunft zerstört". Die Idee der verlorenen Zukunft ist im Zuge der Klimakatastrophe zu einer Kernsorge gegenwärtiger Endzeitstimmungen avanciert. Betrachtet man die derzeitige Misere jedoch durch das Prisma apokalyptischer Wirklichkeiten, bleibt das vielbeschriebene "Anthropozän" dennoch eine inadäquate Analysekategorie der Gegenwart. Im Grunde profiliert eine solche Sichtweise, wie die Geografin Kathryn Yusoff kritisch elaboriert, "eine plötzliche Sorge" darum, dass nun auch westliche Wohlstandsgemeinschaften signifikanten Umweltschäden ausgesetzt sind, und verschleiert die Tatsache, dass Apokalypsen schon immer ein fundamentaler Bestandteil der Erschaffung eben jener Welt waren, deren Untergang nun vielerorts bereut und betrauert wird. Es scheint, dass diese Welt, wie Yusoff weiter schreibt, "erst jetzt damit beginnt, eben jene Vernichtung wahrzunehmen, die sie andernfalls im Prozess der Entstehung von Modernität und Freiheit beständig zu übersehen vorzog". In diesem Sinne ist das Anthropozän als Bedeutungspfeiler einer krisenbeladenen Gegenwart selbst ein postapokalyptisches Szenario, das von uns verlangt, etablierte Narrative, Imaginationen und Mythologien zu problematisieren und neu zu erfinden.

Nachhaltige Weltentwürfe

Nicht nur die Art und Weise, sondern auch die Mittel, mit denen wir uns der Zerstörung unserer Welt(en) nähern, sind von Bedeutung, denn die Apokalypse ist eben auch "eine Ästhetik, die genauso viel tut, wie sie repräsentiert". Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Ende der Welt zunehmend in Filmen, Fernsehserien, Musik, Kunst, Videospielen, Comics, Literatur, Theater und Fotografie thematisiert wird. Kernfrage ist in diesem Zusammenhang, ob diese apokalyptischen Darstellungen es vermögen, dominante Strukturen und Sichtweisen effektiv und spielerisch zu zersetzen, und ob eine solche Ästhetisierung die Kulturpolitik der Vergangenheit und Gegenwart als Grundlage befreiender Zukunftsvisionen zu nutzen versteht. Wie der Kulturgeograf Franklin Ginn weiter ausführt, fungieren apokalyptische Fantasien "sowohl als Produkt als auch als Produzent des Anthropozäns". Dementsprechend können Populärkultur, Literatur und Kunst als konservative Spektakel des zukünftigen Untergangs wirken und die ungleichen Verteilungen ökologischer Schäden und menschlichen Leids ausblenden, sie können aber auch "eine Form des sozialen Träumens" beflügeln und das Ende der Welt als transgressives Werkzeug der Vorstellungskraft nutzen.

Natürlich heißt das nicht, dass Apokalypsen grundsätzlich progressiv wirken oder jedes Weltende einen zwangsläufig gerechteren Weltanfang erträumt. Im Gegenteil: Allzu oft spiegeln Debatten über Folgen und Lösungen einer bevorstehenden planetaren Katastrophe beispielsweise einen unerschütterlichen, beinahe religiösen Glauben an die neoliberale Tech-Revolution größenwahnsinniger Macho-Milliardäre wider oder verfallen der moralisierenden Wut rechtsextremistischer Bewegungen, deren nihilistische Proliferation zumeist auf Formen sozialer Ausgrenzung und privilegierter Einzäunung beruht. Im Zweifelsfall beginnen die neuen Tech-Patriarchen schon mal damit, den Weltraum zu kolonisieren. Der Punkt ist aber, dass es sich bei diesen Ambitionen eigentlich um eine zutiefst anti-apokalyptische Vorgehensweise handelt – ein kläglicher Versuch, den Status quo entgegen aller Vernunft und mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten. Wenn nicht hier, dann eben auf dem Mars. In diesen Szenarien werden scheinbar apokalyptische Transformationen selbst zum Kernpunkt der Produktion vertrauter Zerstörungs- und Gewaltmuster. Sie verfeinern dabei eine Art der Weltenverwaltung, die auf wenig mehr als der ultimativen Ablehnung gemeinsamer Lebenswelten beruht, und dienen gleichzeitig der Aufrechterhaltung eines schwindenden Gefühls hegemonialer Souveränität. Diese Erhaltung "der Welt" beschwört das unsägliche Aufbäumen eines autoritären Tech-Imperialismus, der die Logik früherer Weltzerstörungen neu erprobt und aufbereitet, und macht dabei im Grunde abermals die Notwendigkeit tiefgreifender Veränderungen deutlich.

Entgegen dieser nihilistischen Weltrettung haben Aktivist*innen aus aller Welt die Herausforderungen einer kontemporären Apokalypse auf inspirierende Weise angenommen. Black Lives Matter, Indigenous Lives Matter, der Protest der Sioux im Standing Rock Reservat, die Zapatistas, aber auch Fridays for Future an der Seite von Greta Thunberg und Extinction Rebellion haben die Koordinaten dessen verändert, was das Ende bedeuten könnte (und sollte). Diese und andere Bewegungen, die sich für ein breites Spektrum gerechtigkeitsbasierter Weltgestaltungspraktiken einsetzen, haben seit langem verstanden, dass eine Welt, die von Rassismus, Heteropatriarchat, Imperialismus, Armut, Ungleichheit, kolonialer Gewalt und Umweltzerstörung durchdrungen ist, einen durchgreifenden Aufstand der Basis erfordert. Wie Angela Davis es ausdrückt: "Um echte, dauerhafte Veränderungen herbeizuführen, müssen wir die Arbeit leisten, Bewegungen aufzubauen." Entscheidend ist dabei, dass die Apokalypse als kulturpolitische Methode einen Dialog darüber einfordert, wie verschiedene Ungerechtigkeiten ineinander übergehen, nicht zuletzt, um die erneute Reproduktion etablierter Machtdynamiken weitestgehend zu vermeiden. Wie Davis anknüpfend erklärt, "können wir Weißsein und Männlichkeit nicht als Maß für eine befreiende Zukunft beibehalten, selbst wenn das Vorhandensein solcher Maße tief verborgen unter den verführerischen Universalismen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weiterlebt". Stattdessen erfordert apokalyptischer Aktivismus einen ganzheitlichen Ansatz, der dringend benötigte Allianzen zwischen antirassistischen und antisexistischen Protesten hervorbringt und gleichzeitig anerkennt, dass der koloniale Zustand einer umstürzenden Welt nicht von Klimakatastrophe, Atomkraft, Petrokapitalismus und technologischer Militarisierung getrennt werden kann. Die apokalyptische Offenbarung dieser Verbindungen stellt das Ende der Welt als ein gemeinsames Projekt neu vor: als einen Schauplatz für progressiven Widerstand und intersektionale Gerechtigkeit.

Das Ende als Anfang

Césaires Ende der Welt ist in diesem Sinne tatsächlich die Prämisse allen Beginnens: der apokalyptische Versuch, ein transformatives Bewusstsein zu schmieden, welches in der Lage ist, eine gemeinsame vielschichtige Lebenswelt zurückzufordern. Césaire nennt eine solche offen widerständige Imagination, die sich auf die Erschaffung neuer Welten richtet, "die andere Seite des Desasters", – ein "Ende", das jedoch nur erreicht werden kann, indem man die Katastrophe wiederholt durchlebt und sie letztlich gegen ihre Initiatoren rüstet. Entsprechend dieser Richtungsweisung lässt sich die Apokalypse sowohl als ein Akt des Endens als auch des Beginnens der Welt orientieren. Eine kulturelle Politik des Weltuntergangs verhandelt daher umstrittene und oft auch widersprüchliche Praktiken der Sinn- und Realitätsstiftung, die den apokalyptischen Ton unserer Zeit prägen. Sie findet ihren Ausdruck in kreativen Auseinandersetzungen, populären Narrativen und sozialen Bewegungen, die ein kompliziertes Zusammenspiel der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als unvollendete Katastrophe dramatisieren. In dieser Hinsicht produziert das apokalyptische Denken in der Tradition Césaires eine spezifische intellektuelle Haltung, Einfühlsamkeit oder Methode, die sich mit Rückgriff auf die Kulturtheoretikerin Lauren Berlant vielleicht am ehesten als eine Art des "im Leben sein, ohne die Welt zu wollen" beschreiben lässt.

Entscheidend für den Traum von einer besseren Welt bleibt die Befähigung einer kontemporären Apokalypse, politische Fragen und Konvergenzen struktureller, kolonialer und umweltbedingter Gewalt unerbittlich aufzuwerfen und neu zu thematisieren. "Wo passiert es, und wem, durch wen?", fragt Jessica Hurley. Welche Bewegungen, politischen Ideen, Geografien, Geschichten, Bilder oder intellektuellen Projekte könnten als (post)apokalyptisch gelten und neue Debatten über das Ende der/einer Welt hervorrufen und strukturieren? Wie prägen Krise und Katastrophe menschliche und nichtmenschliche Akteure und ihre Verflechtungen? Was leistet die Apokalypse als Denkfigur im Kontext eskalierender globaler und lokaler Herausforderungen? Und wie verhandelt die Apokalypse eine gerechtere Politik der Gegenwart, nicht unbedingt mit Blick auf eine verklärte, unsichere oder aufgeträumte Zukunft, sondern achtsam gegenüber einer desaströsen, einschlägigen und weiterhin pulsierenden Vergangenheit?

Letztlich wird das Ende der Welt nur dann politisch aktiviert, wenn die Apokalypse erst gar nicht als zukünftige Katastrophe verstanden wird – und damit Vergangenheit und Gegenwart als ungebrochen, stabil und erstrebenswert attestiert. "Es wird nicht schlimmer, es ist schon schlimmer", erklärt die Philosophin Oxana Timofeeva und pointiert damit, dass das Ende der Welt heute eine "permanente Realität" darstellt. Entgegen Fukuyamas trügerischen Wunschtraums "hat Geschichte kein Ende". Vielmehr kann "ein Ende des Endes der Geschichte" den Weg in einen neuen Weltumgang weisen. Das Ende der Welt als Ausgangspunkt eines aktiven Denkens und Handelns im Geflecht andauernder Krisen offenbart somit "die anderen Möglichkeiten, die in der Gegenwart liegen" und konstruiert dabei "komplett neue Zeitlinien und Welten". In diesem Sinne verändert das Leben und Denken mit Apokalypsen den Horizont unserer Gegenwartsorientierung und den Umgang mit den ökologischen und menschlichen Folgen einer globalen Desaster-Politik. Die Apokalypse ist also kein destruktives Objekt per se. Nutzen wir das Ende als eine Form des politischen Beginnens, wie es Césaire bereits betonte: das Ende der Welt als sinnstiftende Methode. Was beginnen? Das Einzige auf der Welt, das es wert ist, begonnen zu werden!

Fussnoten

Fußnoten

  1. Aimé Césaire, Notebook of a Return to the Native Land, Middletown, CT 2001, S. 27. Diese und alle folgenden Übersetzungen aus dem Englischen stammen von der Autorin.

  2. Jacques Derrida, Of an Apocalyptic Tone Recently Adopted in Philosophy, in: Oxford Literary Review 2/1984, S. 3–37, hier S. 30.

  3. Vgl. Slavoj Žižek, Living in the End Times, London 2010.

  4. Walter Benjamin, Selected Writings: 1938–1940, hrsg. von Howard Eiland/Michael W. Jennings, Cambridge, MA 2003, S. 184.

  5. Ernst Bloch, Geist und Utopie, München–Leipzig 1918, S. 340.

  6. Ebd., S. 293.

  7. Déborah Danowski/Eduardo Viveiros de Castro, The Ends of the World, Oxford 2016, S. 20.

  8. N.K. Jemisin/Jessica Hurley, An Apocalypse is a Relative Thing. An Interview with N.K. Jemisin, in: ASAP/Journal 3/2018, S. 467–477, hier S. 477.

  9. John E. Drabinski, Césaire’s Apocalyptic Word, in: The South Atlantic Quarterly 3/2016, S. 567–584, hier S. 572.

  10. Vgl. Francis Fukuyama, The End of History?, in: The National Interest 16/1989, S. 3–18.

  11. Vgl. Karen Barad, Troubling Time/s and Ecologies of Nothingness. Re-Turning, Re-Membering and Facing the Incalculable, in: New Formations 92/2018, S. 56–86, hier S. 57.

  12. Malcom Ferdinand, Decolonial Ecology. Thinking from the Caribbean World, Cambridge 2021, S. 65.

  13. Vgl. Donna J. Haraway, Staying with the Trouble, Making Kin in the Chthulucene, Durham 2016.

  14. Dies., Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, Frankfurt/M. 2018, S. 9.

  15. Vgl. Frantz Fanon, Black Skin, White Masks, New York 1952; James Baldwin, The Fire Next Time, New York 1963; W.E.B. Du Bois, The Comet, in: ders., Darkwater. Voices from Within the Veil, New York 1920, S. 253–276.

  16. Vgl. Joanna Zylinska, The End of Man. A Feminist Counter-Apocalypse, Minneapolis 2018.

  17. Franklin Ginn, When Horses Won’t Eat. Apocalypse and the Anthropocene, in: Annals of the Association of American Geographers 2/2015, S. 351–359, hier S. 357.

  18. Kathryn Yusoff, A Billion Black Anthropocenes or None, Minneapolis 2018, S. xiii.

  19. Jessica Hurley/Dan Synikin, Apocalypse: Introduction, in: ASAP/Journal 3/2018, S. 451–466, hier S. 451.

  20. Ginn (Anm. 17), S. 351.

  21. Vgl. Mable Gergan/Sara Smith/Pavithra Vasudevan, Earth Beyond Repair. Race and Apocalypse in Collective Imagination, in: Society and Space 1/2020, S. 91–110, hier S. 94.

  22. Elon Musk/Chris Anderson, A Future Worth Getting Excited About, 6.4.2022, Externer Link: http://www.ted.com/talks/elon_musk_a_future_worth_getting_excited_about?language=en.

  23. Angela Davis on Imagining New Worlds, The Campaign to Free Mumia and the Biden Presidency, 28.12.2021, Externer Link: http://www.democracynow.org/2021/12/28/angela_davis_25th_anniversary_taped_segment_part.

  24. Angela Davis, Foreword, in: Ferdinand (Anm. 12), S. xiv–xvii, hier S. xvii.

  25. Césaire (Anm. 1), S. 2.

  26. Lauren Berlant, On the Inconvenience of Other People, Durham 2022, S. 117.

  27. Oxana Timofeeva, The End of the World. From Apocalypse to the End of History and Back, in: E-flux Journal 56/2014, Externer Link: http://www.e-flux.com/journal/56/60337/.

  28. Ebd.

  29. Jessica Hurley, Infrastructures of the Apocalypse. American Literature and the Nuclear Complex, Minneapolis 2020, S. 4.

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ist promovierte Kulturwissenschaftlerin und Forschungskoordinatorin des Käte Hamburger Kollegs für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (CAPAS) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
E-Mail Link: jenny.stuemer@capas.uni-heidelberg.de