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Schöne neue Arbeitswelt | Träume | bpb.de

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Schöne neue Arbeitswelt Essay

Sara Weber

/ 16 Minuten zu lesen

So, wie wir heute arbeiten, macht uns die Arbeit krank. Wie wäre es denn, wenn wir weniger arbeiteten, Arbeit wirklich gleichberechtigt verteilt wäre und wir uns nicht mal für unseren Traumjob aufreiben müssten? Geht nicht? Geht doch! Wir müssen es nur tun.

Wie wir heute arbeiten, macht uns krank. Wir sehen, dass sich Arbeit wandelt: Sie wird immer mehr, immer invasiver, immer anstrengender. Wenn wir nicht aufpassen, dann bekommen wir nur noch mehr von dem, was uns nicht guttut. Deshalb müssen wir für gute Veränderung sorgen: Arbeit und Wirtschaft müssen aus ihrem aktuellen Kontext gerissen und wieder neu aufgestellt werden. Gemeinsam haben wir die Chance, eine neue Arbeitswelt zu bauen, die besser funktioniert – für uns alle. Wir müssen es nur tun.

Was wäre, wenn wir alle weniger arbeiteten?

Löst die Viertagewoche all unsere Probleme? Das ist eine Frage, die sich Menschen in immer mehr Ländern stellen. Die Viertagewoche, das wäre doch was! Großflächig angestoßen wurde diese Diskussion von der Fondsgesellschaft Perpetual Guardian in Neuseeland, die sechs Wochen lang getestet hat, wie das eigentlich funktionieren würde. Die Beschäftigten arbeiteten nur noch an vier Tagen in der Woche, bei gleicher Bezahlung. 32 Stunden pro Woche statt 40. Das Ergebnis: Die Angestellten waren produktiver und weniger gestresst. Der Umsatz blieb stabil, die Kosten wurden reduziert, weil weniger Energie verbraucht wurde. Win-Win-Win. Der Test war so erfolgreich, dass die Arbeitszeit permanent reduziert wurde.

Andrew Barnes, Gründer von Perpetual Guardian, verschrieb sich damals dem Ziel, noch mehr Menschen von der Viertagewoche zu überzeugen. Er gründete die Organisation 4 Day Week Global mit, die weltweit Tests zur verkürzten Wochenarbeitszeit organisiert. Zum Beispiel in Großbritannien: Dort haben von Juni bis November 2022 mehr als 3000 Beschäftigte aus über 70 Unternehmen und 30 Branchen das Modell getestet. Dieses bislang weltgrößte Experiment zur Viertagewoche wird von Wissenschaftler*innen begleitet, um belastbare Ergebnisse zu erhalten. Die ersten Reaktionen sind positiv: Lisa Gilbert, Mutter eines Sohnes und pflegende Angehörige ihrer Eltern, nennt den zusätzlichen freien Tag "phänomenal": Endlich könne sie ihr Wochenende genießen. Sie könne freitags alle anstehenden Aufgaben erledigen und habe dann mehr Zeit für ihre Familie. Auch in anderen Ländern wird mit der Arbeitszeit experimentiert: Spanien, Kanada und Südafrika testen ebenfalls, ob die Viertagewoche für sie funktionieren kann. In Litauen dürfen Eltern von Kindern unter drei Jahren ihre Arbeitszeit bei voller Bezahlung von 40 auf 32 Stunden reduzieren. In Japan empfiehlt die Regierung, dass Unternehmen ihren Angestellten erlauben sollten, nur noch vier Tage pro Woche zu arbeiten. Firmen wie Microsoft und Yahoo tun das bereits.

Als leuchtendes Beispiel für kürzere Arbeitszeiten wird immer wieder Island genannt. Island hat mehrere Jahre lang mit 2500 Menschen in über 100 Arbeitsstätten getestet, wie sich eine reduzierte Arbeitszeit auf Menschen und Wirtschaft auswirkt. Guðmundur D. Haraldsson ist Vorstandsmitglied bei Alda, der Association for Sustainable Democracy, die gemeinsam mit dem Thinktank Autonomy die Ergebnisse des Tests veröffentlicht hat. Haraldsson beschäftigt sich seit der Finanzkrise mit Arbeitszeiten. Damals wurde in Island diskutiert, ob nicht alle mehr arbeiten oder später in Rente gehen sollten. Also ungefähr das, was gerade auch in Deutschland diskutiert wird. Haraldsson fand diese Diskussionen seltsam: "Warum sollten wir mehr arbeiten, wenn wir mehr und bessere Technologie haben? Das macht doch keinen Sinn."

Dass kürzere Arbeitszeiten viele positive Effekte haben, war auch das Ergebnis des Tests in Island – der eigentlich aus zwei Tests bestand. 2015 startete die Stadtverwaltung in der Hauptstadt Reykjavík den ersten Test: In einem Servicezentrum und in einem Jugendamt wurde die Arbeitszeit bei einem Teil der Belegschaft von 40 Stunden auf 35 oder 36 Stunden gekürzt. Das Gehalt blieb gleich. In den nächsten fünf Jahren wurden mehr und mehr Beschäftigte in den Test einbezogen, zum Beispiel Mitarbeiter*innen in Kindergärten oder Heimen für Menschen mit Behinderung. Das zeigte, dass verkürzte Arbeitszeiten nicht nur in Büros und Verwaltungen funktionieren, sondern auch in anderen Bereichen. Parallel – ab 2017 – startete ein zweiter Test bei der isländischen Regierung. Am Ende waren ungefähr 1,3 Prozent der isländischen Beschäftigten an den Tests beteiligt.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Menschen waren weniger gestresst, hatten mehr Energie und konnten mehr Zeit mit Familie, Freund*innen, Sport und Hobbys verbringen. Auch zu Hause war es weniger stressig, es blieb mehr Zeit für den Haushalt, und Männer in heterosexuellen Beziehungen übernahmen mehr Sorgearbeit. Gleichzeitig blieben die Produktivität sowie das Serviceangebot in der Arbeit gleich hoch oder nahmen sogar zu. Wie genau das ausgestaltet wurde, unterschied sich je nach Arbeitsplatz: In Kitas beispielsweise gingen Angestellte nach einem rotierenden System früher in den Feierabend. Dies war möglich, weil die Kinder nach und nach abgeholt wurden, später am Tag also weniger Betreuungskräfte vor Ort gebraucht wurden. In einigen anderen Fällen mussten zusätzliche Fachkräfte eingestellt werden, etwa um Schichten im Gesundheitswesen weiterhin füllen zu können. Hierfür fielen zwar Kosten an, diese waren aber mit umgerechnet knapp 30 Millionen Euro pro Jahr überschaubar.

Der Test in Island war so erfolgreich, dass mittlerweile fast alle Menschen in Island kürzere Arbeitszeiten haben oder ihnen diese vertraglich zustehen. Dass die Arbeitszeit langfristig reduziert wurde und dass die Tests überhaupt stattgefunden haben, haben die Isländer*innen ihren starken Gewerkschaften zu verdanken. Fast alle Beschäftigten in Island – zwischen 85 und 90 Prozent – sind Mitglieder in Gewerkschaften, die sich hier klar auch als politische Akteure verstehen. Sie haben in den 1970er Jahren die 40-Stunden-Woche durchgesetzt und die gesetzlich verankerte Elternzeit eingefordert. Sie verhandeln über Gehalt und Arbeitsbedingungen, und sie unterstützen ihre Mitglieder, wenn diese krank werden, ausgebrannt sind oder finanzielle Probleme haben.

Auch wenn gegenwärtig die meisten Menschen in Island 35 oder 36 Stunden pro Woche arbeiten, ist das vermutlich noch nicht das Ende des Arbeitskampfes. Mittelfristig glaubt Haraldsson, dass die 32-Stunden-Woche das Ziel sein sollte.

Was wäre, wenn Arbeit wirklich gleichberechtigt wäre?

Wie wenig gleichberechtigt die Arbeitswelt ist, sehen wir besonders schnell, wenn wir auf die Daten über Frauen schauen. Natürlich zeigen sie nicht die ganze Wahrheit: Geschlecht ist nicht binär, sondern hat mehr Facetten. Andere Faktoren von Diversität werden komplett ausgeblendet. Aber dafür lässt sich mit dem Vergleich Frau–Mann einfach rechnen. Beide Gruppen stellen mehr oder weniger die Hälfte der Bevölkerung und die Hälfte der Erwerbstätigen.

In Deutschland machen Frauen weniger als 30 Prozent der Führungskräfte aus. Schaut man in die obersten Führungsetagen der großen Konzerne – also dahin, wo am meisten Geld und Macht konzentriert ist –, sieht es noch viel krasser aus. In den Vorständen der 160 börsennotierten Unternehmen in Deutschland lag der Frauenanteil im September 2021 bei unter 15 Prozent. Ungefähr die Hälfte dieser Großkonzerne hat gar keine Frau im Vorstand. Man spricht hier vom "Thomas-Kreislauf": Thomas stellt Thomas stellt Thomas ein – es ist der häufigste Name in deutschen Börsenvorständen. Es gibt mehr Thomasse und Michaels in den Vorständen als Frauen.

In den Aufsichtsräten der 160 börsennotierten Unternehmen liegt der Frauenanteil mittlerweile bei rund einem Drittel – der Quote sei Dank. Zur Frauenquote für Aufsichtsräte kam 2021 eine Quote für Vorstände hinzu. Hat ein Vorstand mehr als drei Mitglieder, muss mindestens ein Posten an das unterrepräsentierte Geschlecht vergeben werden. Die Quotenregelungen gelten allerdings nur für ungefähr 100 Konzerne. 3500 weitere Unternehmen müssen sich Zielgrößen setzen, um den Frauenanteil in Aufsichtsräten, Vorständen und den obersten Managementebenen zu erhöhen. Es gibt aber keine Sanktionen, wenn sie dagegen verstoßen. Außerdem ist die Zielgröße Null – also keine einzige Frau – erlaubt. Es ist also vollkommen okay, wenn ein Unternehmen sagt, dass es lieber eine reine Männerrunde an der Firmenspitze möchte.

Auch wenn diese Zahlen ziemlich ernüchternd sind: Dass wir eine Frauenquote haben, ist eine positive Entwicklung. Denn dass sich freiwillig nichts verändert, haben wir lange genug gesehen. Idealerweise ist die Quote eine Übergangslösung, bis sich die Verhältnisse ausgeglichen haben. Unternehmen kennen in der Regel das Geschlecht und die Nationalität ihrer Mitarbeiter*innen. Der Frauenanteil etwa lässt sich so relativ leicht ausrechnen. Für die meisten anderen Diversitätsaspekte fehlen diese Daten allerdings. Wie viele People of Color es in Vorständen gibt? Wie viele queere Menschen? Dafür gibt es keine offiziellen Zahlen. In anderen Ländern ist das anders. In den USA veröffentlichen viele große Unternehmen Diversitätsdaten für ihre Belegschaft und die höchsten Führungspositionen. Die Daten sind dabei immer Eigenangaben der Beschäftigten. Niemand wird von außen einer bestimmten Kategorie zugewiesen, sondern alle können selbst entscheiden, welche Beschreibung für sie die richtige ist.

Dass diese Daten in Deutschland fehlen, ist ein Problem. Wie will man so feststellen, wo und wie viel noch nachgebessert werden muss, damit unsere Arbeitswelt diverser wird? Denn ohne Diversität wird es auch mit Gleichstellung und Inklusion schwer. Das ist übrigens nicht nur wichtig für die Menschen, für die die Arbeitswelt so endlich besser funktioniert. Es ist auch ein Wettbewerbsvorteil für Arbeitgeber*innen: Vier von zehn Fach- und Führungskräften in Deutschland achten bei der Suche nach einem neuen Job bewusst auf die Diversität des Unternehmens. 70 Prozent glauben, dass sie bessere Karrierechancen in einem Unternehmen haben, das sich glaubwürdig um Vielfalt und Chancengleichheit bemüht. Unzählige Studien belegen, dass gemischte Teams besser arbeiten und mehr Umsatz bringen. Gleichzeitig stellen Studien fest, dass sich Diversität und Inklusion in deutschen Unternehmen nur langsam verbessern. Wenn das Argument also sein muss, dass die deutsche Arbeitswelt diverser, gerechter und inklusiver werden muss, um künftig wirtschaftlich mithalten zu können, ist das für mich auch in Ordnung.

Natürlich geht es in der Arbeitswelt nicht nur um Großkonzerne und Führungsetagen – auch wenn die zur Illustration des Problems hilfreich sind. Die meisten Menschen werden nicht Finanzvorständin oder CEO, sondern haben normale Jobs, um Geld zu verdienen und sich ein gutes Leben aufzubauen. Aber auch das ist einfacher für alle, die weiß, männlich und nicht behindert sind – und aus "gutem Hause". Wir haben in Deutschland noch immer ein Problem mit dem sozialen Aufstieg durch Bildung: Wer nicht aus einem Haushalt kommt, in dem die Eltern bereits gut gebildet waren, hat auch selbst weniger Chancen, einen höheren Bildungsgrad zu erreichen. 79 von 100 Kindern von Akademiker*innen beginnen ein Studium, bei den Kindern von Arbeiter*innen sind es nur 27. 6,2 Millionen erwachsene Menschen in Deutschland sind funktionale Analphabet*innen, mehr als die Hälfte von ihnen sind erwerbstätig. Knapp die Hälfte der gering literalisierten Erwachsenen haben einen niedrigen Schulabschluss und/oder eine nicht deutsche Herkunftssprache. Wer nicht richtig lesen und schreiben kann, hat es im Arbeitsleben schwerer.

Migrant*innen arbeiten häufig in multipler Prekarität. Das bedeutet, dass nicht nur ihre Arbeitsverhältnisse oft unsicher sind, sondern auch ihre Lebensverhältnisse. Sie arbeiten eher in Niedriglohnbranchen, etwa als Reinigungs- oder Pflegekräfte, in der Fleischindustrie, der Landwirtschaft oder im Versandhandel. Sie werden schlechter bezahlt, haben eher befristete Verträge oder sind nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auch die Einbindung in einen Kreis aus Kolleg*innen fehlt häufig. Inter*, trans* und nichtbinäre Menschen sind häufiger von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sowie eher prekär oder irregulär im Niedriglohnsektor tätig. Menschen mit Behinderung arbeiten weiterhin häufiger in Teilzeit, sind eher Hilfsarbeitskräfte oder arbeiten nicht in ihrem erlernten Beruf – wenn sie es überhaupt in den allgemeinen Arbeitsmarkt schaffen.

Damit unsere Arbeitswelt wirklich divers und inklusiv wird, gilt erst einmal das Gleiche wie in anderen Bereichen auch: Es braucht eine Strategie, es braucht jemanden, der dafür verantwortlich ist, diese Strategie umzusetzen, und es braucht Unterstützung von ganz oben. Das gilt für die Politik und für die Unternehmen. Diversität und Inklusion müssen mehr sein als nur Schlagwörter. Und nein, es ist nicht okay, marginalisierte Mitarbeiter*innen unbezahlt die Arbeit im Bereich Diversity, Equity und Inclusion (DEI) zusätzlich zu ihrem eigentlichen Job machen zu lassen. DEI ist ein Unternehmensbereich wie jeder andere auch. Es braucht konkrete Maßnahmen, echte Investitionen (ja, auch Geld) und eine klare Erfolgsmessung.

Was wäre, wenn wir die Ideen endlich umsetzten?

Wie das konkret aussehen kann? In Unternehmen bedeutet es, die Prozesse zu verändern – und im Zweifelsfall komplett neu zu denken. Ein wichtiger Hebel ist zum Beispiel die Art, wie Unternehmen Stellen ausschreiben und besetzen. Werden in Stellenbeschreibungen "Rockstars" und "Ninjas" gesucht, die in erster Linie leistungsfähig sein müssen? Dann braucht sich niemand zu wundern, wenn sich nur Start-up-Dudes bewerben. Wer familienfreundlich sein will, sollte lieber kommunizieren, dass Jobsharing oder Remote Work möglich sind. "Wir sind barrierefrei" klingt zwar super, darf aber nicht nur "wir haben keine Treppen im Büro" bedeuten. Wie ist es um die Barrierefreiheit für hör- oder sehbehinderte Menschen, Autist*innen oder Menschen mit Lernschwierigkeiten bestellt? Inwiefern ist das Unternehmen bereit, Arbeitsaufgaben anzupassen oder Rollenbeschreibungen abzuändern?

Auch Bewerbungsprozesse müssen neu gedacht werden. Nicht in allen Ländern sind Fotos im Lebenslauf üblich, in einigen – wie den USA oder Großbritannien – sind sie sogar verboten. Wenn es wirklich um die Qualifikation geht (und nicht um Geschlecht, Namen oder Herkunft), dann werden künftig auch nicht mehr nur weiße Männer in den Führungsetagen sitzen. Quoten helfen dabei, die Zeit bis dahin zu überbrücken. Aber, wie schon erwähnt, damit Quotenregelungen funktionieren, braucht es Datenerfassung, um zu sehen, wo wir überhaupt gerade stehen. Gibt es eine Quote, um einen möglichst diversen Pool an Kandidat*innen für neue Stellen zu haben – und so die Chance zu erhöhen, dass Stellen divers besetzt werden? Gibt es den Anspruch, jedes einzelne Team so divers wie möglich zu besetzen? Werden Führungskräfte daran gemessen, ob sie Diversitätsziele erreichen? Wenn nicht, muss das geändert werden. Frauen, People of Color, queere Menschen, Menschen mit Behinderung und andere marginalisierte Gruppen sollten konkret gefördert, auf Führungspositionen vorbereitet und dann auch wirklich befördert werden – und genauso gut bezahlt werden wie alle anderen auch. Recruiting-Teams sollten möglichst divers besetzt sein und regelmäßig hinsichtlich Diversität und Inklusion geschult werden. Sorry, aber ein halbstündiges Video im Jahr reicht da definitiv nicht!

Benefits, also Vorteile für die Mitarbeiter*innen, sollten inklusiv gestaltet werden: Wenn es Unterstützung für die Familiengründung gibt, sollte diese auch queeren Mitarbeiter*innen und Singles zustehen. Nicht nur für die Kinderbetreuung sollte es finanzielle Unterstützung geben, sondern auch für das Pflegeheim der Eltern. Wie wäre es mit einer Betriebskita, die vom Unternehmen subventioniert wird? Werden Sprachkurse für zugewanderte Menschen angeboten? Auch Angebote zur mentalen Gesundheit, die explizit für queere oder migrantische Menschen konzipiert sind, helfen dabei, das Arbeitsleben angenehmer zu gestalten.

Am Ende ist es wichtig, echte Veränderung anzustoßen und nicht nur einen Diversity-Sticker aufs Unternehmen zu kleben. Das fliegt schnell auf, und damit ist niemandem geholfen. "Repräsentation ist kein gemeinnütziger Akt", schreibt die Schwarze Unternehmerin Minda Harts in ihrem Buch "The Memo". "Es ist eine bewusste Maßnahme, die die Kraft hat, unsere Denkweisen und sogar die Haltung von Generationen zu verändern." Sie könne aus persönlicher Erfahrung erzählen, dass es hart sei, sich weiter reinzuhängen, wenn People of Color nie befördert werden – oder wenn Vorgesetzte zwar sagen, wie wichtig ihnen Diversität und Inklusion sind, aber sich nichts ändert. "Wie sollen wir unsere beste Arbeit machen und positiv bleiben, wenn wir ständig diesen Mangel an Sensibilität von unseren Vorgesetzten erfahren?", fragt sie.

Was wäre, wenn wir uns nicht mal für den Traumjob kaputtarbeiten?

Die Suche nach einem größeren Sinn, der Menschen antreibt, die sich für mehr Klimaschutz in ihren Unternehmen engagieren oder sogar wegen der Klimakrise kündigen – sie treibt eine ganze Generation um. "Purpose" ist zum neuen Schlagwort der Unternehmenskommunikation geworden. Es geht nicht nur darum, was ein Unternehmen produziert oder welche Aufgaben Teil des Jobs sind. Es geht um etwas Größeres: um Werte, um Sinnhaftigkeit, um das Gefühl, etwas beizutragen. Was treibt mich an, was will ich verändern – und kann dieser Job mir dabei helfen? Oder anders gesagt: Warum mache ich das alles eigentlich?

Die Fridays-for-Future-Generation weiß, dass wir schon mitten in der Klimakatastrophe stecken und jetzt etwas ändern müssen – auch in der Arbeitswelt. Sie glaubt an Diversität und Inklusion und fordert sie von den Unternehmen ein. Sie will nicht mehr nur um der Arbeit willen arbeiten, sondern mit ihrer Arbeit etwas erreichen, das über sie selbst hinausgeht. Fast zwei von fünf jungen Menschen der "Gen Z" und der "Millennials" haben schon mal einen Job oder ein Projekt aus persönlichen ethischen Gründen nicht angenommen. Sie wünschen sich von ihren Unternehmen mehr gesellschaftlichen Einfluss, ein diverseres und inklusiveres Umfeld und mehr Einsatz für Nachhaltigkeit. Wer künftig nicht ernsthaft auf diese Dinge achtet, wird es schwer haben, gute Leute zu finden. Und ohne gute Leute ist bald auch nicht mehr viel vom Unternehmen übrig.

Neben dem Trend nach mehr "Purpose" sehen wir ein zweites P, das vor allem junge Menschen bei der Berufswahl umtreibt: "Passion". Folge deinem Traum! Wenn du deinen Job wirklich liebst, wirst du keinen Tag deines Lebens arbeiten! Du musst tun, was dich glücklich macht!

Aber stimmt all dieses Gerede von Leidenschaft und Liebe im Kontext von Arbeit? Werden wir wirklich unglücklich, wenn wir ohne Leidenschaft arbeiten? Dass wir überhaupt über Leidenschaft im Kontext von Arbeit sprechen, ist noch relativ neu, wie die Soziologin Erin Cech in ihrem Buch "The Trouble with Passion" schreibt. Noch im späten 19. Jahrhundert und nach dem Zweiten Weltkrieg waren Stabilität und wirtschaftliche Sicherheit die bedeutendsten Faktoren für die Berufswahl. Idealerweise behielt man seinen Job lange, verdiente gut und bekam danach eine gute Rente. Erst in den 1970er Jahren änderte sich dieser Anspruch langsam – und scheint sich heute zumindest für gewisse privilegierte Gruppen vollkommen geändert zu haben.

Für Millennials und Gen Z ist Leidenschaft im Beruf ein riesiges Thema. Und Leidenschaft hängt ganz eng mit Sinn zusammen. Unsere Leidenschaften, so Cech, seien Teil unseres Selbstverständnisses, das nicht einfach zufällig entsteht, sondern von unseren sozialen Positionen, Erfahrungen und unserem Umfeld geprägt ist. Wer Leidenschaft für die eigene Arbeit empfindet, findet sie intellektuell interessant oder faszinierend, empfindet Begeisterung, Freude oder Glück und spürt eine persönliche Verbindung – findet also, dass der Job gut zur eigenen Persönlichkeit passt.

Für ihr Buch hat Cech Interviews mit Berufseinsteiger*innen mit und ohne Hochschulabschluss geführt. Für knapp die Hälfte der befragten Hochschulabsolvent*innen waren Leidenschaft und Interesse an der Arbeit die wichtigsten Faktoren, wenn sie sich für einen neuen Job entscheiden müssten. Nur 20 Prozent nannten das Gehalt als entscheidenden Faktor. Bei denjenigen, die keinen Hochschulabschluss haben, trumpft finanzielle Sicherheit hingegen Leidenschaft. Sie können es sich weniger leisten, sich auf ihrer Leidenschaft auszuruhen. Auch wer marginalisiert ist oder drei Jobs hat, um überhaupt über die Runden zu kommen, muss Leidenschaft oft hintanstellen.

Im Prinzip steht beides – Leidenschaft und Sinn – für dasselbe Problem, wenn sie im Kontext von Arbeit auftauchen. Denn wer sich beruflich aufopfert, entweder für den guten Zweck oder aus Liebe zum Job, nimmt eher schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Bezahlung oder überlange Arbeit hin. "Purpose" und "Passion" sind dann nichts anderes als eine Falle, die uns in den Burnout locken – und uns dabei einreden, dass wir glücklich und dankbar dafür sein sollen. Sie sind individuelle Aspekte, die vorgeschoben werden, um mehr Arbeit von Angestellten einzufordern. Wer "Purpose" und "Passion" vorschiebt, muss keine strukturellen Probleme lösen.

Natürlich ist es schön, wenn der eigene Job Spaß macht. Klar wollen wir Sinn in der Arbeit sehen, die wir machen. Künftig werden Unternehmen die Nase vorne haben, die ihren Angestellten echte Werte bieten können. Das bedeutet, dass es ein Leitbild gibt, an dem sich das eigene Handeln orientiert – und dass dabei Werte wie Nachhaltigkeit, Diversität, Inklusion und gesellschaftliches Engagement im Mittelpunkt stehen. Immer nur mehr produzieren für mehr Profite der Unternehmensspitze wird kaum als sinnvoll angesehen werden. Wer keine Antwort darauf hat, warum das Unternehmen tut, was es tut, wird es schwer haben. Außerdem werden sich Mitarbeitende zunehmend zusammentun, um bessere Arbeitsbedingungen und mehr Klimaschutz von Unternehmen einzufordern. Diese Art von "Purpose" aber ist ein anderer als das, wofür Arbeitgeber*innen werben, die nur wollen, dass man sich kaputtarbeitet – zu schlechten Bedingungen und für zu wenig Geld. Wer wirklich sinnhaft arbeiten will, muss auch gut arbeiten.

Wir wurden darauf getrimmt, die Arbeit so stark in den Mittelpunkt unseres Lebens zu rücken, dass wir alleine deshalb das Gefühl haben, mit Leidenschaft und Sinn dabei sein zu müssen. Denn wenn das nicht der Fall ist, was machen wir überhaupt mit unserer Zeit? Warum arbeiten wir überhaupt? Dabei muss keineswegs der gesamte Sinn des Lebens aus der Erwerbsarbeit gezogen werden. Das Ehrenamt, mit dem ich meine Freizeit verbringe? Zeit mit meiner Familie und meinen Freund*innen? Ein Umweltprojekt? Die kreative Idee, die ich zur Realität mache? All diese Dinge (und noch viele mehr) können Sinn stiften – auch wenn sie nichts mit Arbeit zu tun haben. Und nein, man muss auch nicht jedes Hobby monetarisieren, um sich ständig produktiv zu fühlen.

Sarah Jaffe schreibt im Abschlusskapitel ihres Buches "Work Won’t Love You Back": "Arbeit hat uns weder Befreiung noch Freiheit oder gar Freude gebracht." Ich stimme ihr zu: Wenn Arbeit für uns nicht mehr funktioniert, können Leidenschaft und Sinn das wirklich lösen? Sollten wir uns für das kaputtmachen, was uns wichtig ist – während Unternehmen von unserer Sinnsuche profitieren? Oder sollten wir uns nicht lieber dafür einsetzen, für alle gute Arbeit einzufordern, die uns nicht kaputtmacht? Die gut bezahlt ist, gute Arbeitsbedingungen bietet und vor allem ein gutes Leben möglich macht, das sich nicht immer nur um den Job dreht? Sich für den Traumjob aufzureiben, ist am Ende nämlich genauso schlimm, wie sich für jeden anderen Job kaputtzuarbeiten. Wenn wir sinnvoller arbeiten wollen, können wir unseren Sinn stattdessen genau daraus schöpfen: Indem wir gemeinsam eine bessere Arbeitswelt schaffen, von der wir alle profitieren.

Dieser Text ist ein von der Autorin gekürzter Auszug aus ihrem Buch "Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?"
© 2023 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.

ist Journalistin, Autorin und Digitalstrategin.
Externer Link: http://www.sara-weber.com