Das Streikrecht findet seine verfassungsrechtliche Verankerung in Artikel 9 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetztes (GG), mithin im Recht der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“. Im Kontext dieser verfassungsrechtlich verbrieften Tarifautonomie – dem Recht zur eigenverantwortlichen „Ordnung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Gesamtvereinbarung“
Auch wenn der Streik ein rechtlich und insbesondere auch verfassungsrechtlich anerkanntes Mittel des Arbeitskampfes ist, so ist er gleichwohl bestimmten rechtlichen Vorgaben und Grenzen unterworfen, die im Kontext der sowohl den Gewerkschaften als auch den Arbeitgebern zukommenden Koalitionsfreiheit zu beurteilen sind. Diese Grenzen sind indes nicht gesetzlich ausgestaltet; bis heute gibt es kein Gesetz, das die Organisation und Umsetzung von Streiks rechtlich näher einzäunt. Es sind vielmehr die Entscheidungen insbesondere des Bundesarbeitsgerichts (BAG), die die Richtlinien für Arbeitskämpfe aufgestellt und im Laufe der Jahrzehnte immer weiter ziseliert haben, so etwa auch im Hinblick auf sogenannte Unterstützungsstreiks für Hauptarbeitskämpfe.
Streikrecht als Richterrecht
Das Arbeitskampfrecht in Deutschland ist im Wesentlichen durch Entscheidungen der Arbeitsgerichte und insbesondere des BAG gekennzeichnet. Während das Tarifvertragsgesetz (TVG) die Voraussetzungen der Tariffähigkeit bestimmt, ein mehr oder weniger rudimentäres Gerüst von formalen Anforderungen für die Wirksamkeit und die Wirkungen von Tarifverträgen enthält
Mit Blick hierauf drängt sich freilich die Frage auf, ob der Gesetzgeber insoweit seine Pflicht verletzt hat, im Arbeitskampf auftretende grundrechtsrelevante Fragen einem gesetzlich geregelten Ausgleich zuzuführen. Zumindest hat das BAG, jedenfalls nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, nicht dadurch gegen die Verfassung verstoßen, dass es die maßgeblichen Grundsätze des Arbeitskampfrechts entwickelt hat, ohne sich auf ein gesetzliches Regelungssystem stützen zu können.
Streiks und Aussperrungen
Der Streik ist das wichtigste arbeitnehmerische Kampfmittel, um gewerkschaftliche Ziele durchzusetzen. Als Streik wird die von Arbeitnehmern „gemeinsam und planmäßig durchgeführte Arbeitseinstellung“ verstanden, die darauf ausgerichtet ist, eine Veränderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu erreichen.
Von einem Streik, der den Schutz der Verfassung genießt, kann jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn verschiedene Voraussetzungen erfüllt sind. Erforderlich ist zunächst, dass der Streik eine Maßnahme eines Arbeitnehmerkollektivs darstellt, die über das hinausgeht, was das Individualarbeitsrecht an Handlungsmöglichkeiten bereithält. Darüber hinaus ist der Streik durch die Verweigerung der Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten gekennzeichnet und muss in der Absicht erfolgen, Druck auf die Gegenseite auszuüben. Schließlich muss die Druckausübung darauf ausgerichtet sein, mit der Gegenseite eine Vereinbarung aus der Sphäre der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen abzuschließen.
Den Gegenpol zum Streik ist auf der Arbeitgeberseite die Aussperrung, die ebenso wie der Streik den Schutz der Verfassung genießt. Die Aussperrung zielt darauf, die Arbeitnehmer „an der Aufnahme und der Erbringung ihrer Arbeitsleistung unter Verweigerung der Entgeltzahlung“ zu hindern.
Gewerkschaften als Koalitionen
Vereinigungen, die zum Zweck der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gebildet werden, sind im Sinne von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG Koalitionen. Dass sich derartige Koalitionen auf das Grundgesetz berufen und hieraus Rechte für sich ableiten können – insbesondere das Streikrecht der Gewerkschaften und das Aussperrungsrecht der Arbeitgeberverbände –, folgt daraus, dass die Koalitionsfreiheit neben der Individualgarantie auch in einer kollektiven Dimension grundrechtlichen Schutz gewährleistet.
Um allerdings als Koalition gelten und damit das Streikrecht auf Arbeitnehmerseite und das Recht auf Aussperrung auf Arbeitgeberseite für sich in Anspruch nehmen zu können, müssen verschiedene – ungeschriebene – Merkmale erfüllt sein. Neben der Ausrichtung auf die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist die sogenannte Gegnerfreiheit eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass eine Vereinigung als Koalition gilt.
Darüber hinaus verlangt die Rechtsprechung die Wahrung des Grundsatzes der Gegner- oder Koalitionsunabhängigkeit; danach muss die Koalition selbstständig sein, der soziale Gegenspieler – im Falle der Gewerkschaften mithin ein Arbeitgeberverband – darf keinen Einfluss auf die Zielsetzung und die Durchsetzung der Koalition haben, auch nicht durch finanzielle Zuwendungen. Schließlich muss die Koalition überbetrieblich organisiert sein.
Schließlich muss eine Koalition im verfassungsrechtlichen Sinn in der Lage sein, „das Arbeitsleben (…) sinnvoll zu ordnen (…) und so letztlich die Gemeinschaft sozial zu befrieden“.
Keine Voraussetzung des verfassungsrechtlichen Koalitionsbegriffes ist die Bereitschaft und Fähigkeit zum Arbeitskampf.
Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen
Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG setzt voraus, dass die Koalition ihre Tätigkeit auf die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ausrichtet. Mit Blick auf das Streikrecht bedeutet dies, dass sich ein von einer Gewerkschaft ausgerufener Streik nur dann innerhalb des verfassungsrechtlichen Schutzbereichs bewegt, wenn er hierauf fokussiert ist. Der Koalitionszweck erfährt durch diese Beschränkung eine wesentliche Engführung, auch mit Blick auf die Möglichkeit, zu streiken.
Denn von einem auf die Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen zielenden Streik ist nur dann auszugehen, wenn dieser auf Umstände zielt, die das Arbeitsverhältnis selbst und unmittelbar betreffen, mithin Umstände in Rede stehen, die sich unmittelbar auf die Arbeitsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beziehen. Regelmäßig fallen hierunter Regelungen über das Arbeitsentgelt und die Arbeits- und Urlaubszeiten, aber auch Bestimmungen über den Arbeitsschutz und die Befristung von Arbeitsverträgen.
Um als Koalition anerkannt zu werden, ist es mithin eine grundlegende Voraussetzung, dass beide Ziele – Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen – gemeinsam verfolgt werden. Fehlt es hieran, weil sich die Vereinigung auf eines der beiden Ziele konzentriert, so liegt keine Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG vor. Es gilt daher, auf die gesamte Verbandsarbeit abzustellen und eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen.
Verschiedene Formen des Streiks
Auch wenn das Ziel eines Streiks stets darin besteht, durch eine gemeinsame und planmäßige Arbeitseinstellung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern ein bestimmtes Kampfziel durchzusetzen, so lassen sich durchaus verschiedene Ausformungen des Streiks identifizieren. Letztlich folgt dies aus der Erkenntnis, dass Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG das Recht der Koalitionen umfasst, über die Wahl der Mittel selbst zu entscheiden;
Unterscheiden lässt sich zunächst zwischen dem Angriffs- und dem Abwehrstreik sowie zwischen dem Flächen- und dem Schwerpunktstreik. Während Angriffsstreiks auf die Verbesserung von Arbeitsbedingungen zielen, sollen mit Abwehrstreiks antizipierte Verschlechterungen abgewendet werden. Flächenstreiks betreffen ganze Wirtschaftszweige, Schwerpunktstreiks zielen hingegen auf einzelne strategisch wichtige Punkte, um Druck auf Arbeitgeber auszuüben. Auch Warnstreiks sind eine zulässige Ausformung des Streikrechts; dies gilt selbst dann, wenn diese durch die Streiktaktik der sogenannten Neuen Beweglichkeit gekennzeichnet sind, also durch eine große Zahl kurzfristiger Arbeitsniederlegungen.
Lange umstritten war die Frage, ob Unterstützungsstreiks zulässig sind. Ein solcher Streik ist dadurch gekennzeichnet, dass durch die Streikenden Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt wird, dieser jedoch nicht von dem Ziel getragen ist, eigene Forderungen durchzusetzen; vielmehr soll mit dem Streik erreicht werden, dass der Arbeitgeber auf Dritte einwirkt. Das BAG erachtete diese Art des Streiks zunächst für nicht durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG gedeckt, meldete dann aber Zweifel an dieser Auffassung an und bejahte schließlich unter Bezugnahme auf das Europarecht dessen Verfassungsmäßigkeit, da insoweit ein hinreichender mittelbarer Tarifbezug vorliege
Das Recht zum Streik kommt insbesondere auch Berufsgruppen-, Spezialisten- oder Spartengewerkschaften zu, die für ihre Mitglieder einen Tarifvertrag in einem Betrieb durchsetzen wollen. Würde diesen das Recht zum Arbeitskampf verweigert werden, hätten sie keine Möglichkeit, eine Blockade des Arbeitgebers zu überwinden – mit der Folge, dass ein Tarifvertrag nicht zustande käme.
Grenzen des Streikrechts
Nicht vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG umfasst sind hingegen sogenannte wilde Streiks, mithin nicht von einer Gewerkschaft organisierte beziehungsweise geführte Streiks.
Auch politische Streiks genießen nicht den Schutz des Grundgesetzes, da ihre Kampfziele nicht koalitionskonform und damit verfassungsrechtlich unzulässig sind.
Schließlich ist es auch Beamten untersagt, zu streiken, ebenso wie Soldaten und Richtern. Das insoweit geltende Streikverbot folgt aus der Treuepflicht des Beamten, die ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ist und als eines seiner Herzstücke angesehen wird.
Auch reguläre Arbeitskämpfe – Streiks wie Aussperrungen – sind indes gewissen Grenzen unterworfen. Unstreitig ist dabei, dass im Rahmen eines Arbeitskampfes nicht gegen allgemeine Gesetze verstoßen werden darf. Darüber hinaus darf kein Arbeitskampf gegen die Friedenspflicht eines geltenden Tarifvertrages oder gegen eine bestehende Schlichtungsvereinbarung verstoßen. Die wichtigsten Grenzen eines Arbeitskampfes und damit von Streiks bestehen indes in den Grundsätzen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit. Ein Arbeitskampf darf demnach nur geführt werden, wenn das mit ihm verfolgte Ziel nicht durch den Einsatz milderer Mittel erreicht werden kann; insoweit gilt das erwähnte Ultima-ratio-Prinzip. Darüber hinaus erfordert das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, dass ein Arbeitskampf „nicht mit ruinösen Absichten oder Wirkungen gegenüber der Gegenseite geführt wird“. Mit anderen Worten: Es muss auf die Interessen der Gegenseite Rücksicht genommen werden, was insbesondere bedeutet, dass während der Dauer eines Streiks Notdienste und Erhaltungsmaßnahmen in dem von einem Streik betroffenen Betrieb sichergestellt sein müssen.
Parität der Kampfmittel und staatliche Verpflichtung zur Neutralität
Auch wenn der Staat in Tarifauseinandersetzungen nicht unmittelbar eingreifen darf, so hat er doch dafür Sorge zu tragen, dass zwischen den Tarifvertragsparteien „Waffengleichheit“ besteht. Da sich das Streikrecht und das Aussperrungsrecht als wichtigste Kampfmittel von Gewerkschaften und Arbeitgebern in einem unmittelbaren Zusammenhang gegenüberstehen, obliegt es dem Staat, unter paritätsrechtlichen Aspekten sicherzustellen, dass das Verhältnis der beiden Parteien zueinander durch Ausgewogenheit gekennzeichnet ist. Indes ist dieses Verhältnis nicht statisch festgezurrt und „in einer für alle Zeiten unveränderlichen Form rechtlich festgeschrieben“. Umso mehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die rechtlichen Vorgaben für Streik und Aussperrung permanent anzupassen, sodass die Koalitionsparität dauerhaft gesichert ist. Mit Blick hierauf wäre es beispielsweise ein Verstoß gegen den Paritätsgedanken, die suspendierende Abwehraussperrung zu verbieten.
Das Recht der Tarifvertragsparteien, sich koalitionsmäßig zu betätigen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eigenverantwortlich auszuhandeln und Kampfmaßnahmen einzusetzen, wird aber insbesondere durch die Verpflichtung des Staates zur Neutralität überlagert. Der Staat ist insoweit gehalten, die Freiheit des koalitionsmäßigen Auseinandersetzungsprozesses zu respektieren, da diese zum grundrechtlich geschützten Kernbereich der Tarifvertragsfreiheit gehört.
Die Frage, ob der Staat im Falle von länger andauernden Tarifkonflikten durch Gesetz bestimmen kann, dass die Funktionsfähigkeit der sogenannten kritischen Infrastruktur jenseits von Notdienst- und Erhaltungsvereinbarungen zumindest in einem für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens erforderlichen Maße sichergestellt werden muss, ist immer wieder Gegenstand politischer Diskussionen. Namentlich im Zusammenhang mit Streiks der Lokführergewerkschaft GDL wurde sie in den vergangenen Jahren regelmäßig öffentlich aufgeworfen. Verfassungsrechtlich dürfte hiergegen nichts einzuwenden sein.
Fazit
Das in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG verankerte Modell, wonach den Koalitionen verfassungsrechtlich garantiert wird, sich eigenverantwortlich und gegebenenfalls auch unter Zuhilfenahme von Streik und Aussperrung über die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verständigen zu können, sichert diesen das Recht, ohne staatliche Einflussnahme eine „im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe“ wahrnehmen zu können.
Abgesichert und überlagert wird die Koalitionsfreiheit durch die Verpflichtung des Staates zur Neutralität in Tarifangelegenheiten. Da diese staatliche Eingriffe in Tarifauseinandersetzungen zwingend ausschließt, gilt es immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass allfällige Aufrufe und Appelle bei einer länger andauernden Tarifauseinandersetzung, der Staat müsse jetzt handeln und für ein schnelles Ende dieser Auseinandersetzung sorgen, aus der Perspektive des Verfassungsrechts zwangsläufig verpuffen und in die Leere gehen müssen. Ein Eingreifen in das tarifpolitische Kräftespiel zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ist dem Staat verfassungsrechtlich untersagt, und das mit gutem Grund: Es ist ausschließlich Aufgabe dieser beiden tarifpolitischen Kontrahenten, sich über ihre Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu verständigen. Dass sich dieses Modell des Aushandelns bewährt hat, wird eindrucksvoll durch den sozialen Frieden unter Beweis gestellt, den wir in Deutschland seit über 70 Jahren erleben dürfen und der ohne Zweifel zu einem guten Teil der in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG niedergelegten Tarifautonomie zuzuschreiben sein dürfte.