Am 4. Oktober 1957 schoss die Sowjetunion ihren Satelliten "Sputnik" erfolgreich ins All. Diese Pioniertat löste im Westen einen Schock aus: nicht die USA, sondern der kommunistische Gegenspieler im Kalten Krieg hatte beim space race technologisch die Nase vorn. Im August 2020, nach der ersten Welle der Corona-Pandemie, legte Moskau erneut im globalen Wettlauf vor. Doch ein erneuter "Sputnik-Schock" nach Zulassung des ersten Corona-Vakzins "Sputnik V" durch russische Behörden blieb bisher weitgehend aus.
Die Bezugnahme auf tatsächliche oder vermeintliche Erfolge der Sowjetunion ist Teil der aktuellen (Geschichts-)Politik der Russischen Föderation. Das Sowjetische existiert neben dem Postsowjetischen, also den Erfahrungen mit den Umwälzungen und Unsicherheiten nach 1991, weiter. Die größte erinnerungskulturelle Rolle spielt dabei der Sieg der Roten Armee im "Großen Vaterländischen Krieg", der mit dem Überfall NS-Deutschlands auf die Sowjetunion vor 80 Jahren, am 22. Juni 1941, begann und mit der Kapitulation der Wehrmacht am 8./9. Mai 1945 endete. Mittlerweile geht die Forschung von etwa 27 Millionen Opfern auf sowjetischer Seite aus.
Dieses Opfer im Kampf gegen den Faschismus vermochte es allerdings nicht, die Gewalt gegen die eigene Bevölkerung zu stoppen, die mit dem "Großen Terror" von 1937 einen Höhepunkt erreicht hatte. Die "Ströme" in die "Gefängniskanalisation", wie Alexander Solschenizyn sie detailliert in seinem "Archipel Gulag" (1974) aufzählt, flossen während und nach dem Krieg weiter. Knapp 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion ist die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus und seinen Folgen noch nicht beendet. Der Schock, den die Stalin-Zeit ausgelöst hat, wirkt bis heute gesellschaftlich nach.