Die Frage nach Einfluss und Rolle Schwarzer Deutscher im Kulturbetrieb wirft zunächst einige Fragen auf. Am dringlichsten ist vielleicht die nach dem vermeintlichen Graben zwischen Kulturbetrieb
Deutungsmacht und Ausschlussmechanismen
In einem Video-Essay mit dem Titel "Black Stories" befasste ich mich 2020 im Rahmen der Frankfurter Buchmesse mit den Fragen, was Schwarze deutsche Literatur ist oder sein könnte, ob ein derartiges Label überhaupt nützlich ist, und wenn ja, für wen und wenn nein, für wen nicht.
2015 trafen sich in Berlin im Ballhaus Naunynstraße im Rahmen der Veranstaltungsreihe "We are tomorrow" Schwarze, in Deutschland tätige Kulturschaffende zur "Ersten Indaba". "Indaba" ist ein Begriff aus dem isiZulu und bedeutet Zusammenkunft, Konferenz oder auch Angelegenheit, Affäre und beschreibt genau, worum es ging: eine Versammlung zum Austausch über die jeweilige kulturelle Praxis in Deutschland. Für das Theater waren Simone Dede Ayivi, Wagner Carvalho, Lara-Sophie Milagro und Julia Wissert dabei, im Bereich der Kunst Sandrine Micossé-Aikins, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Manuela Sambo, für die Literatur Stefanie-Lahya Aukongo, Sharon Dodua Otoo, Michael Götting und Chantal Sandjon und für die Theorie Joshua Kwesi Aikins und Jean-Paul Bourelly.
Denn Schwarze Kulturschaffende organisieren sich in Deutschland seit vielen Jahrzehnten. Bereits in den 1930er Jahren schrieb der deutsch-kamerunische Schauspieler und Aktivist Louis Brody seine afrozentrische Theaterrevue "Sunrise in Morningland". In den späten 1970er Jahren wurde das "Fountain Tanz Theater" gegründet, und wenig später organisierte die "African Writers Association", ein Zusammenschluss im Exil lebender afrikanischer Kulturschaffender in West-Berlin, Theaterstücke und Performances. Auch die Arbeit der Vereine Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. (ISD) und Adefra e.V., die beide Mitte der 1980er Jahre gegründet wurden, umfasste von Beginn an ein kulturelles Programm mit Konzerten, Ausstellungen, Lesungen, Performances und Theater sowie die Publikation von Büchern und Zeitschriften (etwa "Afro Look" und "Afrekete"), um nur einige Beispiele neben all den einzeln agierenden Schwarzen Kulturschaffenden in Deutschland zu nennen.
Deutsche (Feuilleton-)Kultur
2004 erschien der Roman "Liebe" der afroamerikanischen Autorin und Literaturkritikerin Toni Morrison in deutscher Übersetzung. Seit den 1990er Jahren analysiert die Literaturwissenschaftlerin Julia Roth die Rezeption von Morrisons Werk im deutschsprachigen Raum, und auch 2004 stellte sie einen Unwillen (weißer) deutscher Kritiker*innen fest, sich umfassend mit dem Werk der amerikanischen Autorin auseinanderzusetzen. Morrison allein als Romanautorin und nicht als Essayistin zu rezipieren, was – so arbeitet es Roth heraus – in den deutschen Medien zu jener Zeit passierte, greife zu kurz: "In Toni Morrisons literaturkritischen Essays geht es darum, den Zusammenhang zwischen bestimmten Repräsentationsformen des ‚Anderen‘ im Bereich der Literaturkritik sowie dem literarischen Kanon und spezifischen Machtstrukturen innerhalb dieses Bereichs aufzudecken und in Frage zu stellen", schreibt Roth.
Toni Morrisons Essays sind auch für viele Schwarze Kulturschaffende in Deutschland wichtige Referenzen, wenn es darum geht, strukturelle Ausschlussmechanismen benennbar zu machen und Lösungsstrategien zu entwickeln. Morrisons Essays sind auch essenziell für das umfassende Verständnis ihrer Romane, doch wurde dieser Kontext in der deutschen Literaturkritik ignoriert und damit auch eine breite Anschlussfähigkeit an hiesige Diskurse unmöglich gemacht. "Das Problem des Rassismus und der Marginalisierung bleibt ein 'Schwarzes' und zudem auf den spezifischen US-amerikanischen Kontext beschränkt", so Roth.
Einige Jahre später wiederholt sich Ähnliches bei Erscheinen des Romans "Brüder" der deutschen Autorin Jackie Thomae. Der Roman, in dem Thomae die Geschichte zweier ungleicher Brüder erzählt, streift viele Themen: Es geht um Beziehungen, um alleinerziehende Frauen, die DDR, ums Erwachsenwerden, um die Sinnsuche. Die dunkle Hautfarbe der Männer sowie die (rassistischen) Erfahrungen, die sie machen, spielen eine eher nebensächliche Rolle. Nun gibt es in Deutschland Schwarze Personen, die sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen (wollen), und die sich nicht als "Schwarz" bezeichnen. Und auch diese Geschichten sollen, dürfen und müssen in einer multi-perspektivischen Gesellschaft erzählt werden. Nur: Einen Roman, in dem es nicht um Rassismus gehen soll, als "Kontrapunkt zu den oft überhitzt geführten Debatten über Identität und Rassismus"
Die weltweiten Black-Lives-Matter-Proteste haben in Deutschland zu einer weiteren Sensibilisierung für Anti-Schwarzen Rassismus geführt. Aktionen wie beispielsweise das Teilen eines schwarzen Quadrats in den Sozialen Medien, das am 2.6.2020 zum #blackouttuesday auch viele Kulturinstitutionen in Deutschland posteten, zeigten eine Art Konsens darüber, dass etwas passieren muss. Sie offenbarten aber auch eine große Unwissenheit und Hilflosigkeit gegenüber einem Thema, dessen Aufarbeitung in Deutschland kaum auf Traditionen zurückgreifen kann. Zwar machen einzelne Wissenschaftler*innen und Initiativen wie die ISD, Adefra oder Each One Teach One e.V. (EOTO) wichtige Arbeit. Weiterhin fehlt es allerdings an der Bereitschaft der Dominanzgesellschaft, dieses generierte Wissen auch in den Kanon zu implementieren und breit zugänglich zu machen. Es fehlt weiterhin an akademischer Verankerung und an Wissenschaftler*innen, die zu Schwarzer deutscher Geschichte und Kultur in Deutschland forschen. Entsprechende Forschung findet fast ausschließlich im Ausland an entsprechenden Instituten statt.
Für eine Kultur des Kontakts
In meinem Essay für die Buchmesse waren sich alle Gesprächspartner*innen ebenso wie die Teilnehmer*innen der "Ersten Indaba" bezüglich einer gewissen Schieflage zulasten marginalisierter (Schwarzer) Autor*innen einig. Die Marginalisierung lässt sich in Deutschland nicht allein aus einer realen quantitativen Differenz erklären, sondern sie ist auch auf systemische Ausschlussmechanismen, die sich aus einem festen Verständnis von Kultur ergeben, zurückzuführen. Mangelnde Sichtbarkeit und Förderung sowie eklatante Wissenslücken in deutscher Geschichte und Lebensrealitäten vonseiten eines weiß dominierten Kulturbetriebs (oder einzelner Individuen) sind demnach nicht Gründe dieser Schieflage, sondern viel eher Symptome eines Systems, das diese Schieflage produziert beziehungsweise durch seine Akteur*innen (re-)produzieren lässt. Die Kommunikationswissenschaftlerin Natasha A. Kelly weist in ihren Publikationen immer wieder darauf hin, dass es zentral sei, Diskriminierungsformen wie Rassismus nicht als singuläres Phänomen oder Erfahrungen Einzelner zu begreifen, sondern als "Machtmechanismen, die in Individuen, Gesellschaften oder Institutionen verankert sind und diese negativ beeinflussen".
Das von Christian Kravagna entwickelte Modell der Transmoderne lässt sich zum besseren Verständnis der Funktionsweise dieses Systems mit Blick auf Kunst und Kultur heranziehen. Der Kunsthistoriker Kravagna sieht Moderne, "beziehungsweise das westliche Konzept von Moderne und Modernität", als "untrennbar mit der auf dem Kolonialismus beruhenden globalen Machtordnung und deren Formationen des Wissens verknüpft".
Die Welt war damals schon komplexer als hier dargestellt und ist seitdem noch komplexer geworden. Doch hilft dieses Definitionsgerüst, einige bis heute wirksame Mechanismen zu verstehen. Es hilft auch zu verstehen, warum der (moderne) Kulturbetrieb als ein auf bestimmten Vorstellungen von Kultur basierendes System so ist, wie er ist, und warum eine Einflussnahme gewissen Regeln folgen muss.
Diese "Kolonialität der Moderne", auf die sich Kravagna bezieht, wurde zunächst in den antikolonialen Schriften nicht-westlicher Autor*innen wie Aimé Césaire und Frantz Fanon einer radikalen Kritik unterzogen. "Scheinbar universale Konzepte von Subjektivität, Rationalität, Fortschritt und Zivilisation wurden aus der Perspektive der Kolonisierten als tragende Elemente eines westlichen Herrschaftssystems benannt."
emancipate yourself from mental slavery
Die Künstler*innen Joana Tischkau und Anta Helena Recke begaben sich gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Frieder Blume und der Dramaturgin Elisabeth Hampe für ihre Ausstellung "Deutsches Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music" (DMSUBM), die vom 25. August bis zum 3. September 2020 im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main zu sehen war, auf die Suche. Hier war von Beginn an klar: Es ist ein deutsches Thema, und es geht darum, vergessene und verdrängte Aspekte deutscher Musikgeschichte herauszuarbeiten und in der Nebeneinanderstellung dokumentarischen Materials wie Schallplatten, CDs, (Auto-)Biografien, Zeitungsartikeln, Plakaten, Interviews und Film- und Fernsehauszügen Schwarze Unterhaltungskultur in Deutschland in der Breite sicht- und kritisch diskutierbar zu machen. Es ging Tischkau und Recke auch darum, sich als Schwarze deutsche Künstler*innen (historisch) zu verorten, in Form eines performativen Ausstellungsprojekts, das sich in einen bestehenden Museumsbetrieb eingliederte.
Dass das Vorhaben glückte und breit diskutiert wurde, liegt auch an der Bereitschaft der Institution, den Begriff der Angewandten Kunst kritisch zu reflektieren und zu erweitern. Das Museum zeigt sich seit seiner Neupositionierung 2012 als Möglichkeitsraum. Das bedeutet auch, Themen vorzustellen, die Klassifizierungen und überkommene Hegemonien infrage stellen. 2019 wurde die Ausstellung "Contemporary Muslim Fashions" deutschlandweit kontrovers diskutiert. Ein Teil der Kritik rührte daher, dass die Schau nicht in einem ethnologischen Museum stattfand, das nach wie vor mit vermeintlich fremden Kulturen assoziiert wird, sondern in einem europäischen Museum und damit selbstverständlich zeitgenössische Interpretationen muslimischer Bekleidungstraditionen in deutsche Kulturgeschichte einschrieb. 2020 zeigte "Life doesn’t frighten me. Michelle Elie wears Comme des Garçons" zum Höhepunkt der weltweiten Black-Lives-Matter-Proteste eine Melange aus japanischem Avantgarde-Design und Lebensrealität der Schwarzen Designerin und Stil-Ikone Michelle Elie. Die Ausstellung war auch (politischer) Kommentar zu Fragen der Repräsentation und Diversität Schwarzer Perspektiven in der Mode und in Museumsräumen. Fünfzig Puppen, die nach Elies Abbild gestaltet waren, verdeutlichten, dass es bei der Ausstellung einerseits um Elies Erfahrung in Kleidern von Comme des Garçons ging, um das Spiel mit Raum und Bewegung, Blick und Darstellung, das Annehmen der eigenen Körperlichkeit, andererseits aber auch um die Besetzung eines politischen Raums, den des Museums, der seit jeher als anders Kategorisierte entweder ausschloss oder zum ausgestellten Objekt machte.
Eine derart selbstkritische Auseinandersetzung deutscher Institutionen mit der eigenen Ausstellungpraxis ist noch eher eine Ausnahme. Aktuelle Restitutionsdebatten haben den Druck auf ethnologische Museen erhöht und Dekolonisierungsprozesse vorangebracht. So befasst sich etwa das Museum am Rothenbaum. Künste und Kulturen der Welt (MARKK) in Hamburg seit seiner Neuausrichtung 2018 kritisch mit der eigenen Verwobenheit in den Kolonialismus. Ausstellungen wie "Hey Hamburg, kennst Du Duala Manga Bell?" oder "Benin. Geraubte Geschichte" machen zusätzlich die Involvierung Hamburgs in den Kolonialismus als kapitalistisches Projekt deutlich. Mit "Mapping the Collection" konzentrierte sich 2020 das Museum Ludwig in Köln auf die Lücken in der eigenen Sammlung. Die von Janice Mitchell kuratierte Ausstellung zeigte Arbeiten US-amerikanischer Künstler*innen der 1960er und 1970er Jahre aus der Museumssammlung gemeinsam mit Werken queerer und BIPoC Künstler*innen der gleichen Zeit, die nicht Teil der Sammlung sind: Ein Anstoß zur Erweiterung des herrschenden Rezeptionsrahmens US-amerikanischer Kunst. Parallel dazu war im Museum das Langzeitprojekt "Center of Unfinished Business" der in Berlin ansässigen Onlineplattform Contemporary&
… nothing can be changed until it is faced
Dieser Text kann keine Auflistung Schwarzer Kulturpraxis sein, weil sich diese – und das hoffe ich mit diesem Beitrag zu zeigen – genau dieser Zuschreibung entzieht. Schwarz, geschrieben mit großem S, symbolisiert – in all seiner Ambivalenz – Widerstand gegen ein System, das diese Unterscheidung erst schafft beziehungsweise geschaffen hat. Schwarz ist auch Widerspruch, weil sich darin zugleich Aneignung und Ablehnung finden: Aneignung von Fremdzuschreibung zur Markierung geschaffener Differenz, denn nur was sichtbar ist, kann auch geändert werden. Ablehnung aber von essentialistischen Ausprägungen zugunsten wechselseitiger Beziehung und Solidarität. Kravagna schreibt: Die "antikolonialen Kritiker/innen [wiesen] die westlichen Konzepte von Humanismus und Universalismus (…) nicht einfach zurück, sondern unterzogen sie einer neuen Interpretation auf Basis der kolonialen Erfahrung und im Rahmen der globalen Allianzen antikolonialer Kämpfe."