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"Education is a powerful driver of development and one of the strongest instruments of reducing poverty and improving health, gender equality, peace and stability." (World Bank)
Bildung gilt vielen als Allheilmittel, als "Wunderwaffe" oder stärkster Treiber für Entwicklung und Wohlstand, wie es das Zitat der Weltbank beispielhaft illustriert. Ganz gleich, über welches Thema verhandelt wird und wie krisenhaft eine Situation auch sein mag, fehlende Bildung wird stets als Problem und Lösung gleichzeitig propagiert, und immer als eine der Maßnahmen empfohlen, die es dringend braucht. Dies gilt für sehr unterschiedliche Fragestellungen – sei es die Bekämpfung einer globalen Pandemie, die Prävention von Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder wenn es heißt, das Bewusstsein für die Erderwärmung und den Klimawandel zu schärfen. Wenn es um Bildung geht, kann überdies jede und jeder mitreden, und tut es auch. Ob im privaten oder öffentlichen Bereich, von staatlichen oder privatwirtschaftlichen Agenturen, ob mit ausgewiesener Expertise oder ohne: Bildung ist ein "Megathema", zu dem ein kaum überschaubarer Korpus an Literatur existiert, und an dem eine unübersichtliche Vielfalt (inter)nationaler Akteure mitwirkt, wobei diejenigen, um die es vornehmlich geht, die Kinder und Jugendlichen, wenn überhaupt meist als letzte gehört werden.
In diesem Beitrag analysiere ich die globale Bildungssituation vor allem mit Blick auf die schulische Bildung anhand menschenrechtsbasierter Kriterien. Bildung ist aus dieser Perspektive nicht bloß ein Instrument oder eine Investition in "Humankapital" wie für die Weltbank, sondern zuallererst ein Menschenrecht, für dessen – auch krisenfeste – Realisierung es Grundlagen und Standards gibt, die auch für aktuelle Herausforderungen relevant sein können. Ein menschenrechtsbasierter Blick heißt dabei, immer auch auf die Gruppen von Kindern und Jugendlichen zu schauen, die diskriminiert oder benachteiligt oder von Bildung ganz ausgeschlossen werden. Derer gibt es viele. Aus globaler Perspektive gehören hierzu unter anderem Kinder, die arbeiten müssen, Mädchen und schwangere junge Frauen, Sinti und Roma, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen oder geflüchtete Kinder – mit oder ohne ihre Familien. Bei uns in Deutschland spiegeln sich diese Verhältnisse teilweise wider, auch wenn hier die Schulpflicht für die meisten Kinder sicherstellt, dass sie eine Schule besuchen dürfen. Doch auch hier werden geflüchtete Kinder diskriminiert oder ausgeschlossen, Kinder mit Behinderungen nach wie vor abgesondert und solche aus armen Haushalten und Familien benachteiligt. Die Daten hierzu sind durch die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation, UNESCO, und internationale Vergleichsstudien lange bekannt. Die Corona-Krise wirkt in dieser Situation wie ein Brennglas, denn sie zeigt die bereits vorhandenen Probleme nicht nur überdeutlich, sondern verstärkt sie auch noch.
Bildung für alle
"Bildung für alle" lautet seit vielen Jahren das Versprechen der internationalen Staatengemeinschaft, dass jedes Kind an jedem Ort der Welt zur Schule gehen kann. Dahinter steckt die zumindest rhetorische Einsicht, dass Bildung ein Schlüssel für persönliche Entfaltung, Entwicklung und Demokratie ist. Die gute Nachricht ist: Weltweit haben sich in den vergangenen knapp 30 Jahren die Schulbesuchsraten gesteigert, auch wenn Ressourcen und Zugänge zu Bildung nach wie vor extrem ungleich verteilt sind. Der aktuelle Weltbildungsbericht der UNESCO gibt an, dass heute "nur noch" etwa eine Viertelmilliarde Kinder und Jugendliche (258 Millionen) nicht zur Schule gehen, das entspricht 17 Prozent weltweit.
Schulbesuchsraten als Indikator für Bildung sind allerdings sehr begrenzt und sagen noch nichts über die Bildungsqualität aus, etwa über die Bedingungen in den Schulen, ob etwa Kinder geschlagen werden, das Curriculum veraltet und an kolonialen Inhalten ausgerichtet ist, oder Lehrpersonal so schlecht entlohnt wird, dass der Beruf zum Nebenjob degeneriert. Von den über 80 Prozent der Kinder, die weltweit zur Schule gehen, haben die meisten noch nie davon gehört, dass es ihr Menschenrecht auf Bildung ist, um das es geht, und dass sie dieses Recht zudem noch genießen können sollten, oder dass Bildung womöglich Spaß machen darf. Fest steht: Für viele Kinder und Jugendliche bringt ein fehlender Schulzugang massive weitere Benachteiligungen in vielen anderen Bereichen mit sich, beispielsweise mit Blick auf Ernährung und Gesundheit, weil gesundes Trinkwasser und die regelmäßigen Schulmahlzeiten fehlen.
Die schlechte Nachricht ist, dass sich die internationale Staatengemeinschaft bereits vor 30 Jahren auf "Bildung für alle" verpflichtet hat, einem Ziel, dem sie bis heute nicht nahe genug gekommen ist. 1990 waren Regierungsvertreter*innen und Delegierte aus immerhin 155 Staaten, 20 multilateralen Organisationen und 150 Nichtregierungsorganisationen in Jomtien, Thailand zur ersten Weltbildungskonferenz zusammengekommen in der Hoffnung, in einem Zeitraum von zehn Jahren bis zum Millenniumswechsel 2000 zumindest eine universelle Grundbildung für alle zu erreichen.
Weil die UNESCO und andere UN-Organisationen nicht nachlassen in ihren Bemühungen, die Weltgemeinschaft zu bewegen, ist Bildung auch im Nachfolgeprogramm zu den Millennium Development Goals, der Globalen Agenda 2030 mit ihren Sustainable Development Goals (SDGs, Nachhaltigkeitsziele) wieder prominent vertreten. Das Bildungsziel der Agenda lautet, nunmehr bis 2030 inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung für alle Menschen sicherzustellen und lebenslanges Lernen zu fördern.
Bildung als Menschenrecht
Die Daten aus den Weltbildungsberichten beziehen sich in der Regel nur auf die Schulbesuchsraten, obwohl die UNESCO als Monitoringstelle für die weltweite Realisierung des Menschenrechts auf Bildung auch weitere Themenschwerpunkte in den Blick nimmt, etwa Inklusion (2020), Flucht und Migration (2019) oder Umwelt und Nachhaltigkeit (2016). Das Recht auf Bildung umfasst jedoch mehr. Seine Fundierung als Menschenrecht korrespondiert mit den staatlichen Pflichten der Achtung, des Schutzes und der Gewährleistung von Bildungsrechten. Im Detail bedeutet dies, Regierungen sind in der Pflicht, Bildung frei verfügbar und ohne Unterschied für alle zugänglich zu machen sowie die Formen von Bildung (inklusive der Methoden und Lernmaterialien) orientiert an menschenrechtlichen Werten und angepasst an die Bedürfnisse der Lernenden umzusetzen.
Der UN-Sozialpaktausschuss hat diese Staatenpflichten in Kriterien gefasst, die als 4-A-Scheme bezeichnet werden: Bildung muss verfügbar (availability), zugänglich (accessibility), akzeptabel (acceptability) und angemessen (adaptability) sein.
Bildung angemessen und akzeptabel zu organisieren, heißt angesichts der Pandemie-Bedingungen auch, dass Informationen über Gesundheit und Schule in kindgerechter Sprache verfasst werden, und dass die Bedingungen in den Familien angemessen Berücksichtigung finden, beispielsweise mit Blick auf den Zugang zu Computern und digitalen Medien insbesondere in ärmeren und räumlich stark begrenzten Haushalten; oder auch mit Blick auf körperliche Bedürfnisse wie Bewegung und Spiel. Hier wird deutlich, dass auch die UN-Kinderrechtskonvention mit ihren Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechten zentral ist. Ihre obersten Prinzipien sind für jede Bildung unverzichtbar: Das beste Interesse des Kindes muss im Mittelpunkt stehen (Kindeswohl). Kein Kind darf diskriminiert werden (Gleichheitsgebot). Jedes Kind muss gehört werden (Partizipation und Teilhabe), und die Entwicklungstatsache des Kindes muss Berücksichtigung finden (Recht auf Leben und Entwicklung), wobei Kindheit die Spanne zwischen 0 und 18 Jahren umfasst.
Bildung und Schule in der Corona-Pandemie
Kaum ein anderes politisches Handlungsfeld ist so überreguliert und institutionalisiert wie die Schule, und gleichzeitig politisch so vernachlässigt. Dies zeigt sich umso mehr in Krisenzeiten. Die UN berichtet, dass durch die plötzliche Schließung von Schulen und Hochschulen zu Beginn der Pandemie 1,5 Milliarden Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in 191 Staaten weltweit der Zugang zu Bildung erschwert oder verwehrt war.
Hier zeigt sich die Verwobenheit der Menschenrechte, ihre Interdependenz. Kein Recht kann vernachlässigt werden, ohne nicht massive Auswirkung auf die Verwirklichung anderer Rechte zu haben. Bereits die erste Sonderberichterstatterin zum Recht auf Bildung, Katarina Tomasevski,
Die Corona-Krise zeigt in dramatischer Weise die Schwächen der Bildungssysteme weltweit, die auch zuvor schon bekannt waren. In zu vielen Ländern heißt Schule auch heute noch: marode Gebäude, überfüllte Klassenräume, hohe Kosten für Schulgebühren, -uniformen und -bücher, fehlende oder kaputte Sanitäranlagen und fehlender Zugang zu sauberem Wasser. Vor diesem Hintergrund warnt Koumbou Boly Barry davor, dass sich durch die Pandemie die Ungleichheit beim Zugang zu Bildung weiter verschärft. In ihrem Sonderbericht an den UN-Menschenrechtsrat im Juni 2020 hat sie darauf hingewiesen, dass während der plötzlichen Umstellung auf digitales Lernen und virtuellen Unterricht massenhaft Kinder abgehängt wurden: Etwa die Hälfte aller Schüler*innen weltweit hat zu Hause keinen Zugang zu Computern und fast ebenso viele haben keinen Internetanschluss. In einkommensschwachen Ländern in Subsahara-Afrika sind diese Zahlen erwartungsgemäß noch höher. Hier haben über Dreiviertel der Schüler*innen keinen Internetzugang, und viele leben in Gebieten, die auch das Mobilfunknetz nicht abdeckt.
Bei aller Offenheit für neue digitale Lehr- und Lernformen und allen Chancen, die sich damit bieten können, glaubt niemand ernsthaft daran, dass virtuelle Formate das Schulleben in Präsenz auch nur annähernd ersetzen könnten. Koumbou Boly Barry würdigt deshalb in ihrem Sonderbericht auch die vielen verschiedene Formen des Fernunterrichts, die in den Staaten weltweit während der Pandemie erprobt wurden. Das sind High-tech-Lösungen (wie Online-Unterricht und Videokonferenzen) sowie Low-tech-Modelle, die beispielsweise das Radio oder Bildungsfernsehen genutzt haben; und eben genauso gut auch No-tech-Lösungen, bei denen Schüler*innen mit Dokumenten und Lernmaterialien per Versand oder durch persönliche Übergabe versorgt wurden.
Build back better
Build back better – Macht Bildung in Zukunft besser, ist allerorten zu vernehmen. Für die Menschenrechtsarbeit sind unendliche Geduld, Hartnäckigkeit und unhaltbarer Optimismus genauso unverzichtbar wie die Wut über die herrschenden Verhältnisse. Das Menschenrecht auf Bildung braucht daher weltweit Mitstreiter*innen – auf allen Ebenen – mit einem langen Atem und mit dem Mut, trotz anhaltender Bildungskrise daran festzuhalten, dass jeder junge Mensch lernen darf und die eigene Persönlichkeit frei entfalten kann.
Dass auch unter widrigen Verhältnissen unbedingte Solidarität mit Kindern und ihrem Recht auf Bildung etwas bewirken kann, zeigt dieses Beispiel: Mitten in der Corona-Pandemie kündigt UNICEF an, eine Schule zu gründen für alle Kinder und Jugendlichen, die mit oder ohne ihre Familien geflüchtet sind und nun auf der griechischen Insel Lesbos meist unter katastrophalen Bedingungen leben müssen. Bildung bedeutet ihnen alles. Bisher konnte UNICEF nur etwa 10 Prozent der Schüler*innen mit ihren Bildungsprojekten auf Lesbos versorgen. Nicht zuletzt die Aussagen der Kinder und Jugendlichen selbst, die daran teilnehmen konnten, haben dazu beigetragen, dass nun Zelte aufgebaut werden, die für alle Kinder Platz zum Lernen bieten: "Wenn ich hier bin, fühle ich mich gut und sicher. (…) Wenn ich hier bin, vergesse ich, dass ich im Lager wohne."