Die Grundsicherung für Arbeitsuchende steht häufig im Zentrum hitziger Debatten. Früher umgangssprachlich als „Hartz IV“ bezeichnet – heute ist der offizielle Name „Bürgergeld“ –, erfüllt die Grundsicherung eine wichtige Funktion: Sie unterstützt Haushalte, die es nicht aus eigener Kraft schaffen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Zu dieser Unterstützung gehören die finanziellen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Beratungs- und Eingliederungsleistungen. Im Gegenzug für diese Unterstützung wird von Leistungsbeziehenden erwartet, dass sie alle Möglichkeiten zur Beendigung des Leistungsbezugs ausschöpfen. Dazu gehört insbesondere, dass Leistungsbeziehende – soweit sie erwerbsfähig sind – an ihrer Arbeitsmarktintegration mitwirken und bestimmte Pflichten erfüllen. Tun sie das nicht, können sie sanktioniert werden, das heißt, die Leistungen werden für einen begrenzten Zeitraum gemindert oder ganz gestrichen.
Beim Thema Sanktionen zeigt sich ein Spannungsfeld zwischen verschiedenen Zielen der Grundsicherung: Einerseits soll durch die finanziellen Leistungen den Leistungsbeziehenden ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden. Andererseits können diese Leistungen vorübergehend gemindert oder gestrichen werden, um so die Einhaltung der Mitwirkungspflichten einzufordern und zu einer zügigen Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit beizutragen. Entlang dieser Konfliktlinien wird in der Politik regelmäßig über Sinn und Nutzen von Sanktionen debattiert.
Die Diskussion flammte auch nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. November 2019 zur Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen wieder auf. Mit der 2023 in Kraft getretenen Bürgergeld-Reform, die die Sanktionsregelungen deutlich entschärfte, fand die Diskussion einen vorläufigen Kulminationspunkt. Zuletzt wurde jedoch unter dem Eindruck der angespannten wirtschaftlichen Lage wieder über eine Verschärfung der Sanktionsregelungen diskutiert. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen zeichne ich im Folgenden zunächst die Reformdynamik und die politische Diskussion rund um die Sanktionsregelungen nach. Darauf aufbauend blicke ich auf Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit von Sanktionen.
Sanktionsregelungen unter „Hartz IV“
Die Sanktionsregelungen der Grundsicherung, die bis zum Urteil des BVerfG galten, entstanden im Wesentlichen durch das 2005 in Kraft getretene vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz IV“) und das 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Bei den Pflichten wurde unter „Hartz IV“ – und wird auch im Bürgergeld – unterschieden zwischen Meldeversäumnissen und Pflichtverletzungen: Ein Meldeversäumnis liegt vor, wenn Leistungsbeziehende beispielsweise einen Termin beim Jobcenter nicht wahrnehmen. Um eine Pflichtverletzung handelt es sich, wenn Leistungsbeziehende sich weigern, eine zumutbare Arbeit oder Ausbildung aufzunehmen. Bevor eine Sanktion aufgrund der Nichteinhaltung solcher Pflichten eintreten kann, müssen Leistungsbeziehende über die Rechtsfolgen belehrt worden sein und die Möglichkeit haben, sich im Rahmen einer Anhörung zu äußern. Bringen sie in der Anhörung keinen wichtigen Grund für die Nichteinhaltung vor, so ist eine Sanktion zu verhängen.
Die Sanktion selbst ist eine vorübergehende Minderung der Leistungen. Gemäß den unter „Hartz IV“ gültigen Sanktionsregelungen dauerte diese Minderung in aller Regel drei Monate. Die Höhe wurde nach verschiedenen Kriterien bestimmt und berechnete sich meist als Prozentwert des maßgebenden Regelbedarfs. Dessen Höhe wiederum wird gesetzlich festgelegt. Derzeit beträgt er für Alleinstehende 563 Euro pro Monat.
Vergleichsweise niedrige Sanktionen in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfes wurden bei Meldeversäumnissen verhängt. Deutlich höhere Sanktionen waren bei Pflichtverletzungen vorgesehen: Bei Leistungsbeziehenden im Alter ab 25 Jahren führte eine erste Pflichtverletzung zu einer Minderung in Höhe von 30 Prozent. Eine zweite Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres ab Beginn der vorangegangenen Sanktion führte zu einer Minderung in Höhe von 60 Prozent und eine weitere Pflichtverletzung in diesem Zeitraum zum vollständigen Wegfall der Leistungen, inklusive der Kosten für Unterkunft und Heizung. Für unter 25-Jährige waren die Sanktionen aufgrund von Pflichtverletzungen deutlich schärfer: So reduzierte bereits die Sanktion infolge einer ersten Pflichtverletzung die Leistungen für Unterkunft und Heizung, und eine weitere Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres führte zum vollständigen Wegfall der Leistungen.
Die „Hartz IV“-Sanktionsregelungen wurden in der Folgezeit immer wieder heftig diskutiert. So brachten die Bundestagsfraktionen der Parteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen regelmäßig Anträge ein, in denen mitunter die vollständige Abschaffung der Sanktionsregelungen gefordert wurde.
Reformdynamik nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Dem Urteil des BVerfG im November 2019 folgten weitreichende Änderungen der Sanktionsregelungen.
Vor diesem Hintergrund gab das BVerfG dem Gesetzgeber den Auftrag, die Sanktionsregelungen neu zu fassen. Bis dahin seien die Sanktionen mit folgender Maßgabe als Übergangsregelung anzuwenden: Sanktionen aufgrund von Pflichtverletzungen durften 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs – auch bei weiteren Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres – nicht übersteigen. Außerdem wurden eine Härtefallregelung und die Möglichkeit der Verkürzung der Sanktionsdauer unter den oben beschriebenen Voraussetzungen eingeführt. Die Bundesagentur für Arbeit setzte diese Maßgaben im Dezember 2019 um, auch im Hinblick auf die Sanktionsregelungen für unter 25-Jährige und für Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen.
Nach dem Urteil wurde im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 wiederum entlang der bereits beschriebenen Konfliktlinien über die Sanktionsregelungen gerungen. Mit der Bürgergeld-Reform strebte die Ampel-Koalition schließlich eine umfassende Reform der Grundsicherung an. Der Grundsatz des „Förderns und Forderns“ blieb bestehen, aber die Grundsicherung sollte stärker auf soziale Teilhabe, Qualifizierung und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Leistungsbeziehenden und Jobcentern ausgerichtet werden. Dafür waren eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen sowie weitreichende Änderungen bei den Sanktionen, die seit der Reform offiziell „Leistungsminderungen“ heißen.
Im Vorfeld der Reform führte die Bundesregierung zunächst ein Sanktionsmoratorium ein: Im Zeitraum von Juli bis Dezember 2022 waren keine Sanktionen aufgrund von Pflichtverletzungen und nur bei wiederholten Meldeversäumnissen möglich. Mit der Reform selbst wurden zum einen die Vorgaben aus dem Urteil des BVerfG gesetzlich verankert. Auch die Sonderregelungen für unter 25-Jährige wurden abgeschafft. Zum anderen entschärfte die Regierung die Sanktionsregelungen weiter. Bei Meldeversäumnissen wurde die Dauer der Leistungsminderung auf einen Monat verkürzt. Bei Pflichtverletzungen wurden nach Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat folgende Minderungsstufen für die erste, die erste wiederholte und weitere wiederholte Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres festgelegt: 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs für einen Monat, 20 Prozent für zwei Monate und 30 Prozent für drei Monate. Die so abgestimmten Änderungen traten im Januar 2023 in Kraft.
Zuletzt änderte die Bundesregierung ihren Kurs deutlich und diskutierte wieder verstärkt über Verschärfungen der Sanktionsregelungen. Mit dem zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetz wurde befristet von Ende März 2024 bis Ende März 2026 die Möglichkeit geschaffen, eine Sanktion in Höhe des Regelbedarfs für eine Dauer von zwei Monaten zu verhängen. Voraussetzung ist, dass Leistungsbeziehende sich willentlich weigern, ein konkret vorliegendes Arbeitsangebot anzunehmen, und ihnen bereits innerhalb des vergangenen Jahres eine Sanktion aufgrund bestimmter Pflichtverletzungen auferlegt wurde.
Wirksamkeit von Sanktionen
In der Praxis ist nur ein geringer Anteil der Leistungsbeziehenden von Sanktionen betroffen. Der Anteil der erwerbsfähigen Leistungsbeziehenden mit mindestens einer gültigen Sanktion an allen erwerbsfähigen Leistungsbeziehenden zum jeweiligen Stichtag lag im Jahresdurchschnitt zwischen 2007 und 2019 durchschnittlich bei 3 Prozent pro Monat.
Wie ist die Wirksamkeit der Sanktionen im Hinblick auf die Ziele der Grundsicherung aus wissenschaftlicher Sicht zu beurteilen? Sanktionen konkretisieren den Grundsatz des Forderns.
Sanktionen können aus theoretischer Sicht auf zwei Arten wirken: Zum einen können sie durch die Minderung der Leistung bewirken, dass Personen beispielsweise intensiver nach Beschäftigung suchen. Dies wird als „Ex-post-Effekt“ einer Sanktion bezeichnet. Zum anderen kann bereits die Möglichkeit einer Sanktionierung eine solche Wirkung entfalten, ohne dass einer Person die Leistung tatsächlich gemindert wurde. Dies wird als „Ex-ante-Effekt“ bezeichnet.
Bei den dargestellten Untersuchungen ist überdies zu unterscheiden zwischen Kausalanalysen einerseits, die anstreben, mithilfe statistischer Methoden die kausale Wirkung von Sanktionen zu analysieren. Andererseits gibt es eine Reihe von Befragungsstudien, die quantitative Befragungen und qualitative Interviews nutzen. Letztere können wertvolle Hinweise auf die Wirksamkeit von Sanktionen liefern. Allerdings können diese Ergebnisse nicht hinsichtlich der kausalen Wirkung von Sanktionen interpretiert werden. In den beiden folgenden Absätzen gehe ich näher auf ausgewählte Studien ein, die zumeist Zeiträume vor dem Urteil des BVerfG betrachten.
Arbeitsmarktintegration und Mitwirkung
Durch verschiedene Kausalanalysen
Weniger gut belegt ist die Ex-ante-Wirkung von Sanktionen. Eine Studie zu über 25-jährigen Leistungsbeziehenden zeigt, dass von Sanktionen die erwartete Ex-ante-Wirkung ausgeht.
Neben diesen Kausalanalysen geben Befragungen von Leistungsbeziehenden Hinweise darauf, dass Sanktionen für die Einhaltung der Pflichten relevant sind. Bei einer in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Befragung äußerte die große Mehrheit der sanktionierten Leistungsbeziehenden Verständnis dafür, dass das Jobcenter mit Kürzungen drohe und dass ohne eine solche Drohung „alle machen würden, was sie wollen“.
Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass die Zweckmäßigkeit von Sanktionen von ihrer Höhe abhängt. In einer mit Fachkräften durchgeführten Interviewstudie zu den damals gültigen Sanktionsregelungen für unter 25-Jährige hielten nur vier der 26 Befragten die hohen Sanktionen aufgrund wiederholter Pflichtverletzungen für richtig.
Zudem gibt es Belege, dass von Sanktionen nichtintendierte Wirkungen ausgehen können. Eine Studie zu in Westdeutschland lebenden unter 25-jährigen Männern zeigt unter anderem, dass sich alleinstehende Personen nach Sanktionen aufgrund von Pflichtverletzungen rascher komplett vom Arbeitsmarkt zurückziehen.
Zusammengefasst zeigen diese Ergebnisse, dass von Sanktionen durchaus die intendierte arbeitsmarktpolitische Wirkung ausgeht. So tragen Sanktionen zu einer schnelleren Beschäftigungsaufnahme und zur Einhaltung der Pflichten bei. Allerdings können sie auch für die Arbeitsmarktintegration kontraproduktive Wirkungen entfalten, zum Beispiel, wenn sich Sanktionierte vom Arbeitsmarkt zurückziehen.
„Nebenwirkungen“
Als mögliche Nebenwirkung von Sanktionen werden häufiger nachteilige Auswirkungen auf die Beschäftigungsqualität diskutiert. Zwei Studien lieferten hierfür Belege: Die eine zeigt, dass bei einer Beschäftigungsaufnahme das Tagesentgelt von sanktionierten Leistungsbeziehenden im Vergleich zu nicht sanktionierten Leistungsbeziehenden etwas geringer ausfällt.
Zuletzt finden sich in den Befragungsstudien eine Reihe von Hinweisen auf weitere Nebenwirkungen, die insbesondere im Zeitraum der Sanktionierung selbst auftreten können. So berichteten sanktionierte Leistungsbeziehende, dass sie sich im Hinblick auf die Qualität der Ernährung einschränken müssen
Fazit
In Summe sprechen die Forschungsergebnisse für eine ausgewogene Ausgestaltung der Sanktionsregelungen. Einerseits dürften sehr hohe Sanktionen, die zu einer Streichung des Regelbedarfs oder zum Wegfall aller Leistung führen, in den allermeisten Fällen nicht zur Arbeitsmarktintegration der Betroffenen beitragen. Aus Sicht der Forschung ist die Einschränkung solch hoher Sanktionen, wie sie nach dem Urteil des BVerfG stattfand, deshalb zu begrüßen. Andererseits liefern die Forschungsergebnisse keine Begründung dafür, Sanktionen in der Grundsicherung vollständig abzuschaffen. Vielmehr sollten Sanktionsregelungen so ausgestaltet sein, dass sie zwar Anreize zur Arbeitsaufnahme und zur Mitwirkung aufrechterhalten, aber starke Einschränkungen der Lebensbedingungen der Betroffenen und die damit einhergehenden Folgen vermeiden.
Mit der Einführung des Bürgergeldes 2023 wurden die Sanktionsregelungen über die Maßgaben des BVerfG hinaus entschärft. Ob von diesen Sanktionsregelungen eine maßgebliche Wirkung auf die Arbeitsmarktintegration und die Einhaltung der Pflichten ausgeht, ist eine offene Frage. Zugleich könnten solche Entschärfungen dazu beitragen, dass Nebenwirkungen auf die Beschäftigungsqualität und die Lebensverhältnisse der Betroffenen verringert oder vermieden werden. Weitere Forschung zur Wirksamkeit von Sanktionen unter den Bedingungen des Bürgergeldes ist notwendig, um hierzu genauere Aussagen treffen zu können.
Auch wenn Sanktionen ein wichtiges Element einer auf den Prinzipien des „Förderns und Forderns“ ausgerichteten Grundsicherung sind: Sie sind kein Allheilmittel. Leistungsbeziehende in der Grundsicherung sind mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert, die ihre Arbeitsmarktintegration erschweren. Hierzu zählen beispielsweise geringe formale Bildung sowie sprachliche, gesundheitliche und familiäre Probleme. Die Bewältigung solcher Herausforderungen bedarf einer auf die individuellen Problemlagen ausgerichteten Aktivierung, zu der insbesondere die intensive Begleitung durch die Integrationsfachkräfte und der zielgenaue Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente gehören.
Die jüngst wieder aufgeflammte Debatte um eine Verschärfung der Sanktionsregelungen ist ein Beispiel dafür, dass dieser Komplexität oft nicht Rechnung getragen wird. Denn es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass Leistungsbeziehende im großen Stil jegliche Mitwirkung verweigern, wie dies in der Diskussion um die vermeintlichen „Totalverweigerer“ anklingt. Solche Debatten orientieren sich zu wenig an den gewichtigsten Herausforderungen der Grundsicherung und scheinen eher Ausdruck eines immer wiederkehrenden Narrativs vom „faulen Arbeitslosen“ zu sein, das häufig vor Wahlen Konjunktur hat.