Die Verhängung internationaler Sanktionen gegen Iran reicht bis in die 1950er Jahre zurück, als die britische und die US-amerikanische Regierung die Verstaatlichung der iranischen Ölvorkommen ablehnten und entsprechende Maßnahmen auf den Weg brachten. Die Jahre unter Schah Mohammad Reza Pahlavi ab 1967 brachten eine Atempause für die iranische Wirtschaft, doch im Gefolge der Iranischen Revolution 1979 wurden die Sanktionsprogramme immer weiter ausgedehnt, vor allem seitens der Vereinigten Staaten.
Seit Mitte der 2000er Jahre unterliegt das Land umfassenden multilateralen Handels- und Finanzbeschränkungen. Die USA und andere Mitglieder des UN-Sicherheitsrates blickten mit Sorge auf die Politik Irans und insbesondere auf das iranische Nuklearprogramm. Zwischen 2006 und 2010 initiierten sie die Verabschiedung von sechs UN-Resolutionen, die zumindest auf dem Papier zur Folge hatten, dass die iranischen Einnahmen aus dem Ölgeschäft komplett entfielen. Zwar sollten die Resolutionen rechtlich bindend sein, jedoch wurden Staaten, die sich – wie manche asiatische Handelspartner Irans – nicht an sie hielten, keine spezifischen Strafen auferlegt. So war Iran weiterhin in der Lage, durch den Verkauf von Öl auf dem Weltmarkt Einnahmen zu generieren, obwohl die Kosten solcher Handelsbeziehungen erheblich gestiegen waren.
Im Folgenden konzentriere ich mich auf den Zeitraum ab den 2010er Jahren und die direkten Auswirkungen der sogenannten sekundären Sanktionen der Vereinigten Staaten auf die iranische Ölindustrie und die Zentralbank. Mit dem Abschluss des internationalen Atomabkommens mit Iran im Sommer 2015 wurde ein Teil der US-Sanktionen aufgehoben, doch 2018 verhängte der damalige US-Präsident Donald Trump sie im Rahmen seiner Strategie des „maximalen Drucks“ gegen Iran erneut. Wegen ihrer extraterritorialen Konsequenzen wirken diese Sanktionen anders: Jeder potenzielle Handelspartner Irans – ob mit oder ohne Sitz in den USA – muss sich an die US-Sanktionen halten, um nicht selbst mit Sanktionen belegt zu werden und den Zugang zum US-Markt und seinen Finanzinstitutionen zu verlieren.
Von ökonomischen Kennzahlen zum Alltag der Menschen
Methodisch betrachtet ist es schwierig, wenn auch nicht unmöglich, die Auswirkungen der massiven und vielfältigen Sanktionen auf Iran über einen langen Zeitraum zu analysieren. Sanktionierende Staaten sehen Sanktionen als ökonomisches Instrument, um auf verschiedene Sektoren im Zielland einzuwirken und möglicherweise politische Folgen zu zeitigen. Die Regierung eines Ziellandes wird Sanktionen also als ein Werkzeug für politischen Wandel wahrnehmen, das zu einer existenziellen Gefahr werden kann. Denn insgesamt bleibt kein Aspekt des Lebens der Menschen und ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen von sich konstant verringernden Ressourcen und zunehmenden externen Bedrohungen verschont: weder ihr materielles Wohlergehen, das abhängig ist vom Zugang zu Nahrungsmitteln, Wohnraum, Bildung, Gesundheitsversorgung und Transportmitteln, noch immaterielle Rechte wie soziale und politische Formen von Freiheit. Eine Iranerin meinte dazu, die Sanktionen wirkten sich „wie das Wetter“ auf ihr Leben aus.
Die Auswirkungen der Sanktionen sind zunächst an den bestehenden ökonomischen Indikatoren abzulesen – und zugleich nicht auf diese beschränkt. Es kann gezeigt werden, dass die Sanktionen zu einem Rückgang des iranischen BIP um 12 Prozent im Jahr 2012 beigetragen haben, im Zeitraum von 2012 bis 2014 waren es 17 Prozent.
Die Ursachen für die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Haushalte sind vielfältig. Zum einen hat die Entscheidung der iranischen Regierung, aufgrund fehlender Devisenreserven die Geldmenge zu erhöhen, um die Einnahmeverluste und das Haushaltsdefizit zu kompensieren, zu einer Währungsabwertung und einer rasant steigenden Inflation von über 40 Prozent geführt (Abbildung).
Die Inflation und die Abwertung der Währung infolge der Sanktionen treffen den Alltag der Menschen unterschiedlich stark, in Abhängigkeit von ihrem ursprünglichen sozialen Status. Menschen reagieren in der Regel auf wirtschaftlichen Druck, indem sie ihre Ausgaben reduzieren und sich dabei von den oberen Ebenen der Bedürfnispyramide zu den unteren arbeiten. Das bedeutet, dass Angehörige der Mittelschicht zunächst weniger Geld für die Umsetzung ihrer Pläne zur persönlichen oder familiären Entwicklung sowie für Freizeit und Unterhaltung ausgeben, während ihr Armutsrisiko steigt. Die ärmeren Gesellschaftsschichten und besonders gefährdete Familien hingegen setzen gleich bei den grundlegende Ausgaben an und verringern etwa den zum Luxus gewordenen Konsum roten Fleischs. Die durchschnittliche dreiköpfige iranische Familie aß 2021 ersatzlos 35 Prozent weniger Fleisch als noch 2011, mit der Konsequenz einer geringeren Protein- und Kalorienaufnahme. Insgesamt nahm die Hälfte der iranischen Bevölkerung 2022 weniger Kalorien am Tag auf, als empfohlen wird.
Ethnoreligiöse Minderheiten wie etwa einige Baluch-Familien an der pakistanischen Grenze geben an, dass sie in Reaktion auf die steigenden Nahrungsmittelpreise ihre Ausgaben für Bildung und Gesundheitsversorgung kürzen mussten. Obwohl ärmere Familien es gewohnt sind, Abstriche machen zu müssen, haben die Inflation und insbesondere die steigenden Nahrungsmittelpreise für sie schwere Folgen: „Wo wir bisher Brot und Käse zum Frühstück hatten, lassen wir jetzt den Käse weg.“ Kinder sind von Mangelernährung und Gewichtsverlust betroffen, und der Hunger wirkt sich auf Entscheidungen der Familien aus, die andere Lebensbereiche betreffen: „Unsere Kinder können ohne einen warmen Mantel oder Schuhe zurechtkommen, sie können leben, ohne eine Schule zu besuchen oder Bücher zu haben, aber sie werden nicht überleben, wenn sie nichts zu essen haben.“
Staatlich gelenkte Diskursverschiebung
Ähnlich wie der Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988 oder regionale Spannungen und Konflikte den iranischen Staat der Post-Revolutionsära prägten und zur Bildung einer Sicherheitsdoktrin beitrugen, die den Schwerpunkt auf die eigenen Fähigkeiten legte, haben die internationalen Sanktionen die Wirtschaftsdoktrin des Landes verändert. Der erzwungene Ausschluss vom Weltmarkt sowie der Verlust von Einnahmen aus dem Ölexport haben Iran zu einer neuen Agenda bewogen, die sich auf die inländische Produktion, ein BIP ohne den Ölsektor und die Schaffung von Arbeitsplätzen konzentriert. Ziel ist es, in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen trotz aller Einschränkungen Widerstand zu leisten und zu überleben. In diesem Zusammenhang entstand das Konzept der „Widerstandswirtschaft“.
Im Rahmen eines Top-Down-Prozesses betonte der Oberste Führer Ali Chamenei, wie wichtig es sei, angesichts des Drucks von außen einen Diskurs zu schaffen. Dieser sei wie „die Luft, die jeder atmet, unabhängig davon, ob man es weiß oder nicht oder ob man es will oder nicht“. Auch einige Akademiker und Politiker teilen diese Haltung und versuchen, Sanktionen mit jenen historischen Kräften in Verbindung zu bringen, die zur Marginalisierung der postkolonialen Nationen, des Globalen Südens und der schiitischen Bevölkerungsgruppen geführt haben.
Am 7. September 2010 bekräftigte Chamenei bei einem Treffen mit führenden iranischen Unternehmern: „Heute sind wir mit einer globalen Macht konfrontiert, einem Feind, der mit wirtschaftlichem Druck und Sanktionen die Herrschaft des Satans über unser Land erzwingen will.“ Er deutete an, dass der Westen das iranische Atomprogramm und die Menschenrechtslage nur als Vorwand nutze, um den Iran zu unterdrücken. Wer glaube, „dass unsere Probleme gelöst werden, wenn wir unser Atomprogramm mit ihnen absprechen, liegt völlig falsch“. Die Sanktionen würden nur dazu dienen, die iranische Bevölkerung zu schwächen und sie glauben zu lassen, sie stehe aufgrund ihrer Regierung unter Druck. Das Hauptziel der Sanktionen liege darin, „einen Keil zwischen Volk und Staat zu treiben“. Doch die sanktionierenden Staaten hätten sich verkalkuliert, denn „Iran wird ihre Bemühungen vereiteln und die Sanktionen umgehen oder brechen“. Allerdings sei, um in der Not zu bestehen, „eine echte Widerstandswirtschaft“ erforderlich.
An der Agenda eines jeden Jahres, die Chamenei jeweils während seiner traditionellen Rede am ersten Tag des iranischen Kalenders verkündet, lässt sich ein eindeutiger Wandel von einem eher ideellen Fokus zu einem säkularen wirtschaftlichen Ansatz beobachten: Während die Jahre vor 2010 mit Bezeichnungen wie „Jahr des Imam Khomeini“, „Jahr des Imam Ali“ oder „Imam Hosseins Ehre und Stolz“ versehen wurden, erhielten die Jahre nach 2010 Titel wie „Wirtschaftlicher Dschihad“, „Nationale Produktion: Unterstützung iranischer Arbeit und iranischen Kapitals“, „Widerstandswirtschaft: Plan und Aktion“, „Widerstandswirtschaft: Produktion und Beschäftigung“, „Inflationskontrolle, Produktionswachstum“, „Produktionssteigerung“ und „Produktionssteigerung mit Beteiligung des Volkes“.
2013 veröffentlichte das Büro des Obersten Führers einen Zwanzigjahresplan, der den Fahrplan der Widerstandswirtschaft darlegte. Darin wird betont, dass die Widerstandswirtschaft eine dschihadistische Herangehensweise erfordere, um eine heimische, innovative, wissensbasierte, erdölunabhängige und auf Gerechtigkeit im Sinne von Umverteilung basierende Wirtschaft aufzubauen.
Die tatsächlichen Auswirkungen einer solchen gezielten Diskursverschiebung sind nicht so leicht zu bemessen. Dennoch ist davon auszugehen, dass die neuen Bezeichnungen allein noch keine politischen Veränderungen bringen. Vielmehr handelt es sich um einen konzeptionellen Rahmen, der den politischen Entscheidungsträgern als Leitfaden dienen soll. Die Auswirkungen dieser neuen Leitprinzipien werden in den kommenden Jahren zu beobachten sein. Im Hinblick auf eine heimische wissensbasierte Wirtschaft ist die Regierung bereits dazu übergegangen, forschungsbasierte Start-ups und Unternehmen zu fördern. Zwischen 2021 und 2024 ist der Zufluss staatlicher Mittel an wissensbasierte Unternehmen um etwa 1200 Prozent gestiegen, die Zahl der aktiven Unternehmen hat sich fast verdoppelt, und ihre Exporteinnahmen verzeichnen einen Zuwachs von 900 Prozent.
Darüber hinaus bemüht sich die Regierung, die Abhängigkeit von der Ölförderung zu reduzieren und ihre Einnahmequellen zu diversifizieren.
Veränderte Erwartungen an den Staat
Vor 2010 basierte das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft auf einer eher ideellen Legitimation. Die Einnahmen aus der Ölförderung reichten aus, um die breite Bevölkerung zu versorgen, Forderungen nach staatlicher Rechenschaftspflicht und einer Volksvertretung konnten ignoriert oder unterdrückt werden. Die Einnahmeverluste durch die Sanktionen und die daraus resultierenden Verteilungskrisen führten jedoch dazu, dass der Staat mit Legitimitätsproblemen zu kämpfen hat. Es gab zwar schon seit der Revolution Forderungen nach zusätzlichen staatlichen Leistungen, die etwa nach dem Iran-Irak-Krieg besonders laut wurden,
Der Wohlstandsverlust macht sich nun auch in der breiten Bevölkerung bemerkbar und hat die Erwartungen an den Staat steigen lassen und so für zusätzlichen Druck von unten gesorgt.
Aus dem Englischen von Heike Schlatterer, Pforzheim.