Das globale Echo auf den russischen Einmarsch in die Ukraine war eindeutig: Als in der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Verurteilung des Angriffs abgestimmt wurde, gab es kaum Gegenstimmen. Sanktionen gegen den Aggressor verhängten allerdings weniger als ein Viertel der in der Generalversammlung vertretenen Staaten. Angeführt wird die Sanktionskoalition von den USA und den 27 EU-Staaten. Auch andere westliche Staaten wie Großbritannien, Kanada und Australien schlossen sich an. Mit Ausnahme der Türkei gehören alle Nato-Länder zur Koalition. Bemerkenswert ist die Beteiligung der eigentlich neutralen Schweiz, aber auch einiger asiatischer Partnerländer wie Japan, Südkorea, Taiwan und Singapur, auch wenn die Maßnahmen sehr unterschiedlich sind. Natürlich verhängte auch die Ukraine selbst Sanktionen gegen Russland.
Die insgesamt rund 40 an den Sanktionen beteiligten Staaten sind zwar international eine Minderheit nach Anzahl und Bevölkerung, haben aber in der Weltwirtschaft ein großes Gewicht: Gemeinsam stehen sie für rund 60 Prozent der globalen Wirtschaftskraft. Sie haben einen Sanktionsapparat geschaffen, der ausgesprochen ausdifferenziert und komplex ist: Mittlerweile wurden über 34.000 Maßnahmen verhängt.
Rückblick
Die ersten bedeutsamen Wirtschaftssanktionen gegen Russland wurden 2014 verhängt, nachdem das Land die ukrainische Krim annektiert und in der Ostukraine einen verdeckten Krieg gegen die ukrainische Armee geführt hatte. Zwar hatten die USA bereits 2012 im Zuge des sogenannten Magnitsky-Acts einzelne Beamte in Russland wegen Menschenrechtsverletzungen mit Sanktionen belegt. Auch bestand bis 2012 mit dem Jackson-Vanik-Amendment noch eine zu Zeiten des Kalten Krieges verhängte Sanktion, die zeitgleich mit der Einführung des Magnitsky-Acts aufgehoben wurde. Letzterer betraf aber nur eine geringe Zahl von Einzelpersonen und hatte keine wirtschaftlichen Auswirkungen.
Die 2014 verhängten Sanktionen richteten sich gegen eine größere Zahl russischer Offizieller, Politiker und Unternehmer, die russische Energieindustrie, russische Banken sowie Russlands Versorgung mit Waffen oder Technik, die für Waffen verwendet werden könnte – sogenannte Dual-Use-Güter mit ziviler und militärischer Verwendung. Auch wenn sie noch vergleichsweise schonend ausfielen, können diese Sanktionen als Vorläufer der 2022 eingeführten Maßnahmen gesehen werden. Teilweise sind letztere auch rechtliche Erweiterungen von seit 2014 bestehenden Verordnungen.
Die ersten Russland-Sanktionen 2022 wurden bereits kurz vor der Vollinvasion der Ukraine verhängt: Am 21. Februar 2022 hatte Russland die beiden selbsternannten Donbass-Republiken Donezk und Lugansk als unabhängige Staaten anerkannt. Zwei Tage später, also am Vortag der Vollinvasion, reagierte die EU mit einem ersten Sanktionspaket, das bereits 555 natürliche Personen und 52 juristische Personen betraf, darunter die meisten Duma-Abgeordneten und die russische Großbank VEB. Bei dieser Sanktionsrunde – und auch bei den folgenden – fielen die Entscheidungen in enger Abstimmung zwischen Washington und Brüssel. Gerade zu Beginn waren der Handlungsdruck und die Schlagzahl neuer Sanktionspakete aber so hoch, dass eine gründliche Absprache unter allen sanktionierenden Staaten kaum möglich war.
Nach der Vollinvasion
Die Sanktionen gegen Russland ab dem 24. Februar 2022 wurden schrittweise ausgeweitet, wobei die wichtigsten Maßnahmen in den ersten Wochen verhängt wurden. Die EU arbeitet derzeit am 16. Sanktionspaket. Im Zeitverlauf nahm die Schlagkraft der neuen Sanktionsrunden allerdings immer weiter ab. Das politische Momentum und der Handlungsdruck im Westen sind im Laufe der Kriegsjahre zurückgegangen, während die Kosten der Sanktionen für den Westen durch die hohen Inflationsraten stärker in den Fokus gerückt sind. Angesichts der vielen bereits verhängten Sanktionen ist es zudem immer schwieriger geworden, geeignete neue Maßnahmen zu identifizieren. Die Aktivität der sanktionierenden Staaten ist deshalb inzwischen vor allem darauf gerichtet, die Durchsetzung der bereits bestehenden Sanktionen zu verbessern und ihre Umgehung zu bekämpfen. Die verhängten Maßnahmen lassen sich grob in vier Kategorien einteilen.
Die Finanzsanktionen umfassen ein umfangreiches Bündel verschiedener Maßnahmen, die den russischen Banken- und Finanzsektor treffen sollen.
Während die Finanzsanktionen von 2014 primär die Kreditaufnahme russischer Banken im Ausland erschweren sollten, hatten die 2022 ergriffenen Maßnahmen ein anderes Kaliber: Kurz nach Beginn der Vollinvasion wurden die russischen Großbanken vollständig von US-Dollar, Euro und Pfund abgeschnitten, ihr Vermögen in Europa und den USA eingefroren und Transaktionen mit ihnen untersagt. Hinzu kam, dass insgesamt zehn russische Großbanken vom Bankennetzwerk SWIFT ausgeschlossen wurden, was die Abwicklung von Überweisungen in der Praxis sehr erschwert. Auch die Nutzung des alternativen russischen Systems SPFS wurde in der EU untersagt.
Allerdings ließ der Westen auch bewusst große Lücken in den Finanzsanktionen: Um den Energiehandel nicht zu beeinträchtigen, blieb etwa die Gazprombank lange verschont. Auch russische Niederlassungen westlicher Banken, wie die Raiffeisenbank oder Unicredit, konnten von russischen Bürgern und Unternehmen weiterhin genutzt werden, auch wenn der politische Druck auf sie wuchs, sich aus Russland zurückzuziehen.
Ein besonders harter und auch von Experten kaum erwarteter Schritt war die Sanktionierung der russischen Zentralbank. Dadurch, dass Geschäfte mit ihr durch die USA, die EU, Großbritannien und Japan untersagt wurden, verlor die russische Zentralbank den Zugriff auf Währungsreserven im Wert von 300 Milliarden US-Dollar. Damit war nicht nur der Großteil ihrer Gesamtreserven eingefroren, sondern fast der gesamte liquide Teil: Zwar verfügt Russland über umfangreiche Goldvorräte und eine kleinere Menge chinesischer Renminbi, allerdings lassen sich diese im Krisenfall weniger leicht veräußern. Dadurch ist Russland sehr anfällig für einen Rückgang der Ölpreise geworden.
Im Rahmen von Sanktionen gegen russische Importe wurde bereits 2014 die Ausfuhr von Waffen nach Russland untersagt. Auch bestimmte Güter, die für die Waffenherstellung verwendet werden können, können seit 2014 nicht mehr nach Russland ausgeführt werden. Mit Beginn der Vollinvasion wurden die Listen der sanktionierten Güter deutlich ausgeweitet. Außer den Dual-Use-Gütern wurde auch der Export von Technik und Materialien nach Russland verboten, die die russische Energieindustrie, die Luftfahrtindustrie oder auch die industriellen Fähigkeiten allgemein fördern könnten. An die Stelle der relativ selektiven Einschränkungen von 2014 ist ein umfassendes Technologieembargo getreten.
Für den Westen sind mit diesem Embargo eher geringe Risiken verbunden. Zwar haben einzelne Unternehmen den russischen Markt verloren, allerdings spielte er für die westlichen Volkswirtschaften eine untergeordnete Rolle. Deshalb war die Bereitschaft relativ groß, hier schnell Maßnahmen zu ergreifen. Allerdings versuchten die westlichen Staaten, einige Grenzen zu wahren: Es sollte keine humanitäre Krise in Russland entstehen. Daher blieb die Ausfuhr von Medikamenten, medizinischen Apparaten und Nahrungsmitteln erlaubt.
Zum Leidwesen der sanktionierenden Staaten entdeckten russische Unternehmen relativ schnell Wege, um das Technologieembargo zu umgehen: Benötigte westliche Güter konnten größtenteils über Drittländer wie die Türkei oder China importiert werden. So entstand schnell eine umfangreiche Umgehungsindustrie aus Zwischenhändlern und Vermittlern. Daher fokussierten sich die Sanktionsgesetzgebung und auch die westliche Diplomatie im Laufe der Zeit immer stärker darauf, bestehende Lieferwege über Drittländer zu schließen und beispielsweise Unternehmen in Drittländern zu sanktionieren, die mit der russischen Rüstungsindustrie zusammenarbeiten.
An die Sanktionierung russischer Exporte wagten sich die sanktionierenden Staaten nur mit großer Vorsicht heran. Russland spielt auf dem Rohstoffmarkt eine so große Rolle, dass Einschränkungen der russischen Ausfuhr schnell zu globalen Preisanstiegen führen können. Da die Inflation im Westen nach der Corona-Krise ohnehin sehr hoch war, gab es trotz des Krieges wenig Bereitschaft für harte Maßnahmen gegen Russlands Exporte. In den ersten Monaten wurde die Rohstoffausfuhr deshalb nur in ausgewählten Kategorien von jenen Staaten sanktioniert, bei denen keine größeren Abhängigkeiten bestanden beziehungsweise für die eine Umstellung auf andere Lieferanten ohne große Einbußen möglich war. Deshalb hatte Russland hier zunächst kaum Einbußen zu beklagen.
Zunächst ging es um Güter, die für Russlands Export eine untergeordnete Rolle spielen, wie etwa Holz, Zement und bestimmte Metalle. Erst im August 2022 trat ein Embargo russischer Kohle in Kraft. Sowohl russisches Pipeline-Gas als auch russisches Flüssiggas blieben hingegen von EU-Sanktionen ausgenommen, weil die Risiken für die Gasversorgung Europas als zu groß erachtet wurden. Schließlich war es die russische Seite, die die Gasversorgung der EU immer weiter drosselte und schließlich den Export über die wichtigsten Pipelines Nord Stream und Yamal unter dem durchschaubaren Vorwand technischer Probleme im August 2022 einstellte. Das Kappen der Gasversorgung war gleichzeitig auch die einzige größere Sanktion, die Russland gegen Europa verhängte.
Eine besondere Rolle kommt dem russischen Erdölexport zu: Öl und Ölprodukte machen rund die Hälfte des russischen Gesamtexports aus. Öl ist auch für die Finanzierung des russischen Staatshaushalts entscheidend. Gleichzeitig reagiert der Ölpreis auf dem Weltmarkt bereits empfindlich auf kleinere Einschränkungen der Versorgung. Russland steht für rund zehn Prozent der globalen Ölproduktion. Auf einen Rückgang des Ölangebots auf dem Weltmarkt um ein Prozent kann – zumindest vorübergehend – ein Preisanstieg von zehn Prozent folgen. Das sorgt nicht nur für hohe Kosten für Importländer wie Deutschland, sondern kann auch den intendierten Effekt auf Russlands Einnahmen zunichtemachen, wenn der Rückgang der Exportmenge durch den Anstieg der Exportpreise kompensiert wird.
Deshalb war vor allem Washington darauf erpicht, die russischen Ölexporte vor absichtlichen und unabsichtlichen Einschränkungen durch Sanktionen zu schützen. Um dennoch die russischen Einnahmen aus dem Öl zu verringern, setzten die G7-Staaten stattdessen auf den sogenannten Ölpreisdeckel. Dieser war ein präzedenzloses Experiment: Öltanker sollten nur dann westliche Versicherungen und andere maritime Dienstleistungen nutzen können, wenn sie nachweisen konnten, dass das transportierte Öl nicht mehr als 60 US-Dollar kostet. So sollte es für Russland unmöglich werden, Öl für einen höheren Preis zu exportieren. Allerdings fanden sich schnell viele Möglichkeiten, den Ölpreisdeckel zu umgehen. Zwar musste Russland Rabatte auf seine Ölexporte einräumen, die sich im Laufe der Jahre auf viele Milliarden US-Dollar summieren, das meiste Öl wurde aber oberhalb der Preisgrenze verkauft.
Ferner wurden Sanktionen gegen Unternehmen und Einzelpersonen aufgelegt, was jegliche Geschäfte mit ihnen für westliche Geschäftspartner illegal werden ließ. Zwar blieben auch hier die größten Energiekonzerne verschont, um die globalen Energiepreise nicht zu sehr ansteigen zu lassen, die russische Industrie, Handelsunternehmen und kleinere Zweige der Exportwirtschaft waren allerdings direkt betroffen.
Außerdem kamen eine große Zahl russischer Offizieller, Politiker, Unternehmer und Propagandisten auf die „schwarzen Listen“ der westlichen Staaten. Im Oktober 2024 waren 1774 Personen allein von der EU im Kontext des Ukraine-Krieges sanktioniert, darunter auch viele der reichsten und mächtigsten Russen, deren Wohlstand oft das Ergebnis von engen Kontakten in den Kreml war.
Auch wenn die meisten sanktionierten Russinnen und Russen in ihrer Heimat ein gutes Leben haben, waren die Sanktionen für sie außerordentlich schmerzhaft, wie in vielen Interviews mit Betroffenen deutlich wird.
Wirkung
Bei der Auswertung der westlichen Sanktionen gegen Russland ist es ratsam, zwischen dem wirtschaftlichen Effekt der Maßnahmen und ihrer politischen Wirksamkeit zu unterscheiden. Damit die Wirtschaftssanktionen ihre politischen Ziele erreichen können, müssen sie natürlich eine ökonomische Wirkung haben. Umgekehrt ist allerdings der wirtschaftliche Effekt alleine noch nicht ausreichend, um von einem politischen Erfolg der Sanktionen sprechen zu können.
Wirtschaftlicher Effekt
In den ersten Tagen des Krieges schienen die westlichen Sanktionen eine große Wucht zu entfalten. Das russische Finanzsystem geriet ins Wanken: Viele russische Bankkunden versuchten, ihre Konten zu räumen. Es kam zu Schlangen an Geldautomaten. Die Nachfrage nach Sachwerten wie Geld oder teurer Unterhaltungselektronik stieg schlagartig an, und es kam zu schweren Turbulenzen auf den russischen Finanzmärkten. Allerdings legte sich die Panik in Teilen der russischen Wirtschaft bereits nach wenigen Wochen. Eine Kettenreaktion, wie sie in Finanzkrisen vorkommt, blieb aus, und als den russischen Bürgern und Unternehmen klar wurde, dass die Auswirkungen der Sanktionen weniger dramatisch sein würden, als zunächst befürchtet, brachten sie ihr Bargeld zurück in die Banken.
Die Beruhigung der Lage war zu einem großen Teil das Verdienst der russischen Zentralbank, die schnell reagierte und die Krise eindämmen konnte. Die russische Börse wurde kurzerhand auf unbestimmte Zeit geschlossen und öffnete erst wieder, als sich die Lage beruhigt hatte. Das Finanzsystem wurde mit Liquidität und Bargeld versorgt, um das Vertrauen in die Banken wiederherzustellen. Der Leitzins wurde über Nacht von 9,5 Prozent auf 20 Prozent erhöht, um Kapitalflucht und bank runs zu bremsen. Außerdem wurde der Umtausch und das Geldabheben in US-Dollar und Euro streng limitiert, während die großen Exportunternehmen gezwungen wurden, ihre Erlöse in Fremdwährung kurzfristig in Rubel umzutauschen, sodass genug Angebot bereitgestellt werden konnte.
Auch wenn eine Finanzkrise vermieden werden konnte, gerieten viele russische Unternehmen im ersten Halbjahr 2022 gleichwohl in Schwierigkeiten, da der russische Handel für einige Wochen paralysiert war. Russland konnte wichtige Güter nicht mehr erhalten, und das Organisieren von Ersatz war kompliziert und zeitaufwendig. Selbst der Import aus China brach vorübergehend um die Hälfte ein.
Gleichzeitig zogen sich viele westliche Unternehmen aus Russland zurück. Fast die gesamte russische Automobilindustrie stand im Frühjahr 2022 still. Das russische Bruttoinlandsprodukt brach daher um rund sechs Prozent ein. Allerdings ist dieser Einbruch nur in monatlichen BIP-Schätzungen zu sehen, da er von kurzer Dauer war. Bereits Ende 2022 war die Hälfte des Rückgangs wieder aufgeholt. 2023 wurde gar das Niveau vor den Sanktionen übertroffen.
Dafür war auch der einsetzende Boom in der russischen Kriegsindustrie entscheidend. Russland konnte die Produktion von Waffen trotz der Sanktionen deutlich steigern. Zwar ist die Ausweitung je nach Waffensystem unterschiedlich, glaubwürdige russische Statistiken legen aber insgesamt eine Verdopplung nahe.
Gleichzeitig deuten einige Waffensysteme, die in der Ukraine gefunden wurden, auf Versorgungsprobleme bei spezialisierten Komponenten wie etwa der Sensorik hin.
Große Teile des russischen Außenhandels konnten sich relativ schnell von den Sanktionen erholen. An die Stelle der Importe aus westlichen Staaten traten vor allem die Einfuhren aus China, die heute – je nach Schätzung – bis zu 50 Prozent der russischen Importe ausmachen. Aber auch aus anderen Staaten wie der Türkei oder Indien wird mehr nach Russland importiert. Dabei sind es häufig westliche Güter, die auf Umwegen nach Russland kommen, wie etwa deutsche Maschinen über die Türkei oder amerikanische Halbleiter über China. An der Abhängigkeit von sanktionierten westlichen Technologien hat sich in Russland wenig geändert, allerdings ist die Versorgung über Umwege in den meisten Fällen weiterhin möglich.
Auch der Export wurde relativ erfolgreich in andere Staaten umgeleitet. Fast das gesamte russische Öl wird mittlerweile nach China, Indien und in die Türkei exportiert. Allerdings war die Umleitung auch mit Einbußen verbunden: Durch Rabatte und zusätzliche Transportkosten entgehen Russland rund 25 Milliarden US-Dollar an Einnahmen jedes Jahr. Noch einmal 20 bis 30 Milliarden US-Dollar jährlich verliert Russland durch den weitreichenden Gas-Lieferstopp in Europa. Aufgrund fehlender Pipelines von Westsibirien nach China konnte das für Europa bestimmte Gas nicht an andere Staaten umgeleitet werden. Das sind schwere Einbußen, aber angesichts des Gesamtexports von 466 Milliarden US-Dollar 2023 kann Russland sie verkraften, solange die Energiepreise nicht einbrechen.
Durch die Sanktionen ist Russlands Wirtschaft deutlich anfälliger für äußere Schocks wie einen Einbruch des Ölpreises geworden. Sollten die Exporteinnahmen zurückgehen, würde die russische Zentralbank ihre eingefrorenen Währungsreserven schmerzlich missen: Sie könnte einem Absturz des Rubels in diesem Szenario kaum etwas entgegensetzen.
Längerfristig wird Russland darunter leiden, dass die Sanktionen das Land für ausländische Investoren geradezu toxisch gemacht haben. Dadurch, dass die russische Regierung aktuell westliche Unternehmen im großen Stil enteignet, ist das Land für ausländische Investoren für sehr lange Zeit als Standort verbrannt. Auch chinesische Investoren sind an langfristigen wirtschaftlichen Engagements in Russland derzeit nicht interessiert: Die Verflechtungen mit dem Westen sind immer noch deutlich wichtiger.
Bleiben die Sanktionen erhalten, wird Russlands wirtschaftliche Entwicklung daher immer weiter hinter dem zurückfallen, was das Land ohne den Krieg und die Sanktionen hätte erreichen können. Zukünftige Generationen von Russinnen und Russen zahlen also einen hohen Preis für Putins Politik. Allerdings hat sich der kurzfristige Effekt der eingeführten Sanktionen als unzureichend erwiesen, um Russlands Kriegsmaschine in den ersten Jahren spürbar auszubremsen. Dafür waren die russischen Finanzen zu Beginn der Vollinvasion zu solide, die Rohstoffabhängigkeit des Westens zu groß und die globalen wirtschaftlichen Bedingungen für Russland zu gut.
Natürlich sind auch für die westlichen Staaten gewisse Kosten mit den Sanktionen verbunden. Allerdings sind diese gezielt so gestaltet, dass sie russische Abhängigkeiten von westlichen Märkten oder Technologien ausnutzen. Deshalb ist der Gesamteffekt asymmetrisch: Der Schaden auf der russischen Seite dürfte in den meisten Fällen größer sein. Hinzu kommt, dass Einbußen auf westlicher Seite auf viele Schultern verteilt werden, während die Wirkung in Russland in einem relativ kleinen Wirtschaftsraum geballt eintritt. Aufgrund der ungleichen Wirtschaftskraft Russlands und der sanktionierenden Staaten dürften die Sanktionen für die westlichen Volkswirtschaften kaum ins Gewicht fallen. Spürbar war vor allem Russlands Lieferstopp beim Erdgas, der Gas- und Strompreise in Europa ansteigen ließ. Dieser ist aber keine unmittelbare Folge westlicher Sanktionen, sondern kann auch als russische Reaktion auf westliche Waffenlieferungen an die Ukraine gesehen werden.
Natürlich mussten diejenigen Unternehmen, die größere Investitionen in Russland getätigt hatten, zum Teil empfindliche Abschreibungen vornehmen. Auf russischer wie auf westlicher Seite gibt es zudem viele Menschen, die unmittelbar im bilateralen Geschäft tätig waren und daher persönlich stark von den Sanktionen betroffen sind. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene fällt der Wegfall des Russlandgeschäfts aber kaum ins Gewicht, da andere Wirtschaftspartner für Deutschland und die EU eine weitaus größere Bedeutung haben.
Politische Wirksamkeit
Es lassen sich eine Reihe verschiedener Ziele ausmachen, die der Westen mit seinen Sanktionen gegenüber Russland verfolgt. Nicht bei allen lässt sich die Frage der Wirksamkeit ohne Weiteres beantworten. Da die Sanktionen in der Regel nur eines von vielen parallel eingesetzten außenpolitischen Instrumenten sind und in einem komplexen Kontext von anderen innen- und außenpolitischen Entwicklungen stattfinden, lässt sich nur selten zeigen, dass eine bestimmte Entscheidung oder gar das Unterlassen einer Entscheidung durch Sanktionen begründet ist. So mögen die Sanktionen von 2014 eine Rolle dabei gespielt haben, dass Putin sich in der Folge auf die Minsker Vereinbarungen einließ – gesichert ist dies aber nicht. Die Schwierigkeit, den politischen Erfolg von Sanktionen empirisch zu bemessen, bedeutet allerdings umgekehrt nicht, dass Sanktionen per se unwirksam sind.
Im Vorfeld von Russlands Ukraine-Invasion hoffte der Westen vor allem auf die abschreckende Wirkung der Sanktionen. Zwar rechnete wohl kaum jemand damit, dass die Drohung mit Sanktionen alleine ausreichen würde, um Putin von einem offenen Einmarsch in die Ukraine abzubringen. Bei der Abwägung über die Invasion sollte der wirtschaftliche Schaden aber durchaus eine Rolle in Putins Kalkül gespielt haben. Spätestens am 24. Februar 2022 wurde allerdings deutlich, dass die Gesamtheit der Kontra-Argumente, darunter die Sanktionen, nicht ausgereicht haben, um den Kreml von seinen Invasionsplänen abzubringen.
Im Erfolgsfall führt die Drohung mit Sanktionen dazu, dass die drohenden Staaten ihren Willen bekommen, ohne dafür tatsächlich sanktionieren zu müssen. Widersetzt sich ein Staat wie im Falle Russlands allerdings der Drohung, müssen der Ankündigung von Sanktionen auch Taten folgen, da sonst der eigene Glaubwürdigkeitsverlust droht. Es wäre ein fatales Signal gegenüber Drittstaaten wie China gewesen, hätte der Westen 2022 keine massiven Sanktionen ausgesprochen, obwohl Russland sich über alle Warnungen hinweggesetzt hatte. Es blieb dem Westen also im Februar 2022 gar nichts anderes übrig, als Sanktionen einzuführen, die für Russland schmerzhaft sein würden, unabhängig davon, welche weiteren politischen Ziele mit den Sanktionen erreicht werden konnten.
Angesichts des großen Schocks durch Russlands Invasion mussten die Regierungen auch gegenüber der eigenen Bevölkerung Einigkeit, Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit demonstrieren. Da militärische Hilfe für die Ukraine erst nach und nach zu einer Option wurde, spielten die Sanktionen dabei vor allem anfangs eine entscheidende Rolle. Die Sanktionen sollten außerdem sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger des Westens nicht unfreiwillig Putins Krieg subventionieren, wie es etwa EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im März 2022 formulierte. Sowohl der Bevölkerung als auch den Unternehmen wird durch die Sanktionen also ein Stück weit aus einem moralischen Verantwortungsdilemma geholfen, da die meisten Geschäfte mit Russland schlicht nicht mehr möglich sind. Abgesehen von einigen Ausnahmen muss etwa niemand in der EU befürchten, an der Tankstelle unwissentlich russisches Öl zu kaufen.
Mit dem Scheitern der Abschreckung wandelten sich nach und nach die Ziele der Sanktionen. Viele Entscheidungsträger formulierten in der Folge die Hoffnung, die Sanktionen würden Russland die finanziellen Möglichkeiten nehmen, um den Krieg gegen die Ukraine zu gewinnen. Es ging immer weniger darum, das Kalkül von Putin zu verändern und ihn zu einem Rückzug zu bewegen, und immer stärker darum, die russische Kriegsmaschine zu bremsen, indem man ihr die finanzielle und technologische Grundlage entzieht. Diese Hoffnung erfüllte sich in den ersten zwei Kriegsjahren allerdings nur in geringem Maße, auch wenn Russland ohne die Sanktionen sicherlich schneller und wirksamer hätte aufrüsten können. Einen größeren Unterschied dürften die Sanktionen für Russlands langfristiges militärisches Potenzial machen. Auch das könnte für die EU in Zukunft wichtig werden, hilft aber gegenwärtig der Ukraine kaum.
Ende in Sicht?
Es lassen sich mit den Sanktionen gegen Russland weitere politische Ziele verknüpfen, die sich teilweise auch in den Äußerungen von westlichen Politikern wiederfinden. Der damalige EU-Außenbeauftragte Josep Borrell etwa verwies 2022 darauf, die Sanktionen würden den politischen Handlungsspielraum gegenüber Russland in Zukunft vergrößern, da die EU sich aus ihrer Energieabhängigkeit befreit habe.
Allerdings ist es außerordentlich schwierig, die Aufhebung von Sanktionen gezielt in Verhandlungen einzusetzen. Zum einen bräuchte es ein gewisses Maß an Einigkeit in der Koalition der sanktionierenden Staaten, um eine solche Aufhebung zu koordinieren. Diese Einigkeit ist vor dem Hintergrund der Ukraine-Invasion für sehr lange Zeit kaum realistisch. Zwar würde auch schon die unilaterale Aufhebung der US-Maßnahmen einen großen Unterschied machen. In der EU würde es gar ausreichen, wenn ein einziges Land gegen die halbjährliche Verlängerung der Sanktionen ein Veto einlegt. Ein unkontrollierter Zerfall der Sanktionskoalition kann deshalb nicht ausgeschlossen werden.
Für die meisten westlichen Politiker ist die Aufhebung von Sanktionen allerdings innenpolitisch nicht besonders attraktiv: Sie würden sich bei bestimmten Wählergruppen der Kritik aussetzen, dem russischen Regime zu helfen und die eigenen Alliierten zu verprellen. Dem gegenüber stünden keine spürbaren wirtschaftlichen Vorteile. Auch für US-Präsident Donald Trump wäre die Aufhebung innenpolitisch wohl kaum opportun: Er würde damit viel Kritik auch aus den Reihen der verbliebenen transatlantischen Republikaner auf sich ziehen, während es seine Wähler kaum interessierte und den USA wirtschaftlich keine nennenswerten Vorteile brächte.
Auch für Russland wäre die Aufhebung von Sanktionen vor allem symbolisch relevant. Insbesondere ein unkontrollierter Zerfall der Sanktionskoalition wäre in Moskaus Interesse, da es den Westen international sehr schwach aussehen lassen würde. Wirtschaftlich könnte Moskau von einer Aufhebung aber nur in manchen Bereichen profitieren. Zum einen stellt sich die Wirtschaft in Russland genauso wie im Westen auf die neuen Bedingungen ein, je länger sie andauern: Es entstehen neue Lieferwege und Geschäftsbeziehungen. Zum anderen würden westliche Unternehmen Handel und Investitionen in Russland nicht schlagartig wieder aufnehmen, auch wenn es wieder legal wäre, da das Vertrauen in den Standort erst wieder aufgebaut werden müsste. Als Verhandlungspfand eignen sich daher nur einige Sanktionsmaßnahmen: Unmittelbar profitieren würde Moskau vor allem von der Freigabe der Währungsreserven und von der Aufhebung des Technologieembargos.
Schließlich ist ein solches Szenario der Sanktionsaufhebung nur nach einem fundamentalen politischen Wandel in Russland realistisch. Auch wenn ein zukünftiger russischer Präsident eine weniger aggressive Außenpolitik verfolgen würde, ist eine Aufhebung der Sanktionen nur dann vorstellbar, wenn Russland annektierte Gebiete zurückgeben und umfangreiche Reparationen leisten würde. Sonst bliebe der fundamentale Konflikt mit Moskau bestehen, und eine wirtschaftliche Stärkung Russlands würde von den meisten europäischen Staaten als Bedrohung gesehen werden. Auch wenn sich die Wirksamkeit der Sanktionen im Laufe der Zeit verändern könnte, ist daher das wahrscheinlichste Szenario, dass die Sanktionen für viele weitere Jahre, womöglich gar für die kommenden Jahrzehnte, bestehen bleiben.