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Editorial | Ruinen | bpb.de

Ruinen Editorial Wachstum und Niedergang in Chinas "Geisterstädten" Eine kleine Geschichte des Ruinenmotivs Sichtbar-unsichtbare Orte. NS-Thingstätten abseits vom Erinnerungsdiskurs Konfliktraum UNESCO Ruinen mit Zukunft. Detroits Wandel im Blick Wertvolle Ruinen. Plädoyer für die Bauwende

Editorial

Martin Schiller

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Nostalgische Sehnsucht, Begeisterung, Abscheu: Ruinen wecken Emotionen, die unterschiedlicher und widersprüchlicher kaum sein könnten. Es überrascht daher nicht, dass gerade die Überreste von architektonischen Bauwerken – seien sie annähernd intakt, bereits im Verfall begriffen oder nur noch vage im Grundriss zu erahnen – den Gegenstand für erbitterten Streit über die Deutung von historischer Erinnerung, kulturellem Selbstverständnis oder der Wirkung marktwirtschaftlicher Paradigmen sein können. Diese Gebäude haben offensichtlich ihren Daseinszweck eingebüßt, sind meist verlassen und werden damit offen für Neues, sowohl im übertragenen als auch im ganz praktischen Sinne.

Hinter dem Ruinenbegriff verbirgt sich eine Vielzahl von historischen und zeitgenössischen Orten und Strukturen, die im Globalen wie im Lokalen zu finden sind: etwa die UNESCO-Weltkulturerbestätte einer frühgeschichtlichen Tempelanlage in Südostasien, über die zwischenstaatliche Konflikte ausgetragen werden; die Industriebrachen des frühen 20. Jahrhunderts im US-amerikanischen Rust Belt, die längst nicht mehr nur für Verfall und Niedergang stehen, obwohl sie weltweit dafür bekannt sind; oder aber ein ungenutztes Verwaltungsgebäude der 1960er Jahre in einer deutschen Innenstadt, dessen Sanierung für das Klima deutlich besser wäre als der vermeintlich einfache Abriss.

Als Symbole haben Ruinen besondere politische Wirkmacht und verweisen auf den Zusammenbruch von Ideen und Ideologien. Gleichzeitig stehen sie für gesellschaftlichen Wandel und Wandelbarkeit. Inwiefern sie zu lebenswerten, mahnenden oder vergessenen Orten werden, liegt an uns.