Einer Gefahr ist man ausgeliefert, ein Risiko geht man, zumindest war dies in vormodernen Zeiten so, womöglich sogar bewusst ein: Man wagte etwas, setzte sich dem Risiko aber nicht aus, sondern forderte es "kalkulierend" heraus – jedoch nicht, ohne auf das notwendige Quäntchen Glück zu hoffen. Im Unterschied dazu gehörte zur "Standardposition der Moderne" der Versuch, das Risiko zu beherrschen und es durch geeignetes Handeln zu minimieren. Risiken beruhen demnach "auf dem Spannungsverhältnis zwischen unabwendbarem Schicksal und Eigenverantwortung". Diese moderne Sichtweise auf Risiken ist zwar nach wie vor verbreitet, scheint aber unseren Lebensbedingungen in der "Zweiten Moderne" nicht mehr wirklich angemessen. Schließlich machen die Existenz neuer Risiken und komplexer Risikosysteme, "für die es keine historische Erfahrung gibt", sowie die mit ihnen verbundene Zunahme von Unsicherheiten jede Hoffnung zunichte, durch rationales Kalkül, also durch ausreichend Wissen, Geld und Zeit, ließe sich tatsächlich Sicherheit herstellen. So lässt die "Ereignisdichte" das Risiko zum Regelfall der Politik werden.
Politisch relevant sind solche Risiken, deren Eintreten oder Folgenschwere sich – zumindest im Prinzip – politisch beeinflussen lassen. Sogenannte systemische Risiken gehören zu den unvermeidlichen Begleiterscheinungen einer globalisierten und vernetzten Welt; ihre neue Qualität ist dadurch charakterisiert, dass es sich um Risiken handelt, bei denen "ein katastrophales Ereignis die lebenswichtigen Systeme, auf denen unsere Gesellschaft beruht, in Mitleidenschaft zieht". Das Risiko ist also ansteckend und strahlt auf unterschiedliche Wirtschafts- und Lebensbereiche aus. Neben der Banken- und Finanzkrise von 2008 stellen sowohl die Coronapandemie als auch die Klimakrise systemische Risiken dar. Sie gehen mit unbeabsichtigten und weder zeitlich, sachlich noch räumlich begrenzbaren Nebenfolgen einher. Meistens wirken sie sich direkt oder indirekt auf die kritische Infrastruktur aus, also die Energie- und Kommunikationsversorgung, das Gesundheitssystem oder den Verkehrssektor und damit die Lieferwege sowie den Nachschub an Gütern.
Auch der Angriffskrieg des russischen Diktators auf die Ukraine erfüllt inzwischen die Kriterien eines systemischen Risikos. Zunächst handelte es sich dabei "nur" um eine unmittelbare Bedrohung, die im Unterschied zu einem Risiko von einem bestimmten Akteur, der eine feindliche Absicht verfolgt, ausging. Die besonderen Umstände des Krieges, allen voran die Konfrontation zwischen Atommächten, aber auch die globale Energie- und Getreideabhängigkeit, machen aus der Bedrohung überdies auch ein systemisches Risiko: Die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise treffen die wirtschaftlich schwachen Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen, insbesondere auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Damit bergen sie – gerade auch in Kombination mit der Klimakrise – das Potenzial für soziale Unruhen, verstärkte Fluchtbewegungen und die Instabilität von Regierungen. Auch für den Krieg gegen die Ukraine gilt demnach, dass der Eintritt eines katastrophalen Ereignisses zum kompletten Funktionsverlust lebenswichtiger Systeme führen kann, auf denen unsere Gesellschaft beruht. Da systemische Risiken global wirken und eng miteinander vernetzt sind, sprengt der Umgang mit ihnen die Reichweite nationalstaatlichen Handelns.
Zur notwendigen neuen "Risikokultur" gehört eigentlich die Aufgabe von Politik und Medien, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, dass absolute Sicherheit nicht (mehr) erreichbar ist. Jedoch können existenzielle Risiken wie das Szenario einer katastrophalen Klimaerwärmung oder eines Atomkriegs auch zu einer "Existenzialisierung der Politik" führen: Der Erhalt der menschlichen Zivilisation wird in diesem Fall zum übergeordneten Wert erklärt, der dem Staat oder auch internationalen Organisationen weitreichende freiheitsbeschränkende Befugnisse verleiht. Trotz oder gerade auch wegen der Unsicherheiten in der "Zweiten Moderne" kommt der Politik als "Möglichkeit kollektiven Handelns bei nicht vorauszusetzendem Konsens" besondere Verantwortung zu. An sie richten sich spezifische Erwartungen. Für die erforderlichen politischen Entscheidungen müssen Mehrheiten organisiert und – unter dem Gebot der Responsivität von Politik – auch unpopuläre Maßnahmen effektiv umgesetzt werden.
Wie wir wissen, beurteilen die meisten Menschen die Risiken der modernen Welt für das eigene Leben falsch: So wird bei Befragungen das Risiko, Opfer eines Terroranschlags zu werden, regelmäßig und unzutreffend höher eingeschätzt als das Risiko, verfrüht am eigenen Ess- oder Trinkverhalten zu versterben. Auch Politikerinnen und Politiker sind vor solchen Fehlwahrnehmungen nicht gefeit und unterliegen grundsätzlich ebenfalls der Gefahr, sich vor "dem Falschen" zu fürchten, also dem "Risikoparadox" aufzusitzen. Daran ändert auch ihr institutionalisierter Zugang zu wissenschaftlicher Politikberatung wenig. Gleichzeitig sind sie mit der – rechtlich begründeten – Erwartung der Herrschaftsunterworfenen konfrontiert, ein adäquates Risikomanagement zu betreiben. Faktisch ist das ein ständiger politischer Drahtseilakt zwischen "zu viel" und "zu wenig" Risikobereitschaft.
Risiko und Vertrauen in politische Akteure
Die Debatte, ob und in welchem Ausmaß Risiken (auch) "sozial konstruiert" sind, weist darauf hin, dass die Einschätzung der Bedrohlichkeit eines Risikos nicht zuletzt vom Ausmaß des Vertrauens in das politische Personal und in dessen (tatsächliche oder unterstellte) Fähigkeit zum Umgang mit Risiken und zur Lösung von Problemen beeinflusst wird. Dabei ist die Wahrnehmung und Einstufung eines Risikos selten das Ergebnis individueller direkter Erfahrungen, sondern beruht normalerweise auf Darstellungen in den klassischen Medien und, mehr denn je, in den digitalen Netzwerken. Der Bedeutungsrückgang journalistischer Arbeit und professioneller Redaktionen durch den Wandel der Mediennutzung und der Medienlandschaft zieht den teilweisen Verlust der filternden und damit mäßigenden Wirkung dieser sogenannten Gatekeeper nach sich. Angesichts des Geschäftsmodells und der Funktionsweise digitaler Plattformen, die auf Zuspitzung und Emotionalität setzen, beeinflusst der Wandel im Mediensystem auch unsere Wahrnehmung von Risiken. Gleichzeitig und unabhängig davon untergräbt er das Vertrauen, das politischen Akteuren entgegengebracht wird, das aber gerade in Krisenzeiten besonders wichtig ist.
Genau diese Frage des Vertrauensverlustes wächst sich mehr und mehr zum "wunden Punkt" liberaler Demokratien aus, die im internationalen Vertrauensvergleich tendenziell schwächer abschneiden als autokratische Systeme. Einer der Gründe für dieses Phänomen ist die strukturelle Anfälligkeit offener Gesellschaften für gezielte Desinformation, die mittels digitaler Verbreitungswege ihre Adressaten ungefiltert erreicht. Während in den (meist autokratischen) Herkunftsländern der digitalen Trolle die Meinungs- und Informationsfreiheit durch die Machthaber und ihre Sicherheitsorgane rigoros und rücksichtslos beschnitten wird, sind pluralistische Systeme anfälliger für gezielte Propaganda- und Lügenkampagnen; schließlich setzen sie nicht auf Repression, sondern auf die Meinungs- und Pressefreiheit und damit auf die Urteilsfähigkeit ihrer Bürgerinnen und Bürger. Angesichts der Wechselwirkungen zwischen dem Umgang mit Risiken in der Politik und der diesbezüglichen öffentlichen Einschätzung wirken sich Veränderungen in unserem Kommunikations- und Informationsverhalten direkt auf den Umgang mit Risiken in der Politik aus: Exekutives Risikomanagement muss sowohl den Gesetzmäßigkeiten des "hybriden Regierens" gerecht werden als auch der "Totalausleuchtung der Politik".
Das Vertrauen in die Fähigkeiten der Politik, angemessen mit systemischen Risiken umzugehen, hängt zum einen von der spezifischen Unterstützung der Bevölkerung für einzelne politische Maßnahmen ab. Zum anderen und vor allem aber spielt die sogenannte diffuse Unterstützung, also die grundsätzliche Akzeptanz des jeweiligen politischen Systems, eine zentrale Rolle. Die über Jahre hinweg manifeste Politikverdrossenheit etwa wirkte nur zu Beginn der Coronakrise "wie weggefegt". Nachdem die Pandemie die soziale Ungleichheit – und damit eine der Ursachen der Elitenkritik – weiter verschärft hat, ist davon auszugehen, dass uns das Phänomen des Vertrauensverlusts in politisches Führungspersonal erhalten bleibt. Wie sich die Ausprägung dieses Vertrauensverlusts angesichts von zunehmenden Risiken entwickeln wird, ist aber schon deshalb schwierig zu ermessen, weil Ursache und Wirkung unklar sind: Geht das Vertrauen in Personen und Institutionen deshalb verloren, weil man den politisch Verantwortlichen nicht zutraut, den Krisen gerecht zu werden und Risiken in geeigneter Weise zu begegnen? Oder macht die Politik bei ihrem Risikomanagement schon deshalb Fehler, weil sie aufgrund des Misstrauens, das ihr aus Teilen der Öffentlichkeit und der Medien entgegenschlägt, an Legitimität einbüßt und sich deshalb nicht traut, notwendige Maßnahmen zu ergreifen?
Risikomanagement im Systemvergleich
Autoritäre oder totalitäre Systeme sind ebenfalls mit Risiken konfrontiert, auch ihre Politik muss mit diesen umgehen. Autokratische Regierungssysteme verzichten zum Zweck des Machterhalts Einzelner oder einer herrschenden Clique auf gewaltenhemmende institutionelle Gewährleistungen ebenso wie auf den wirksamen Schutz von Menschen- und Bürgerrechten, Meinungsfreiheit oder ein freies Mediensystem. Zu den Missverständnissen über die Leistungsfähigkeit autokratischer Ordnungen gehört die meistens am Beispiel des Sonderfalls der Volksrepublik China aufgestellte und generalisierte Behauptung, diesen gelänge es besser, Risiken wie etwa die einer Pandemie zu "managen". Tatsächlich klafft zwischen Demokratien und Autokratien jedoch "eine große Lücke in Bezug auf Effizienz und Steuerungsfähigkeit" – und zwar zugunsten der Demokratie.
Das zeigen etwa die Daten des Bertelsmann Transformationsindex (BTI): "Statt schnell und effektiv im Sinne einer propagierten, gut funktionierenden Entwicklungsdiktatur handeln zu können, liegt die durchschnittliche autokratische Politikkoordination auf der 10-Punkte-Skala des BTI weit unterhalb der von Demokratien (…), die Nutzung verfügbarer Ressourcen ist deutlich weniger effizient (…) und die Diskrepanz zwischen autokratischer und demokratischer Korruptionsbekämpfung ist besonders groß (…). Auch die Steuerungsfähigkeit in Bezug auf Prioritätensetzung, Umsetzung und politisches Lernen ist in Autokratien deutlich schwächer ausgeprägt (…)." Für die Einordnung und den Umgang mit neuen Unsicherheiten und komplexen Risiken sind politische und administrative Lernfähigkeit und die Bereitschaft, gemachte Fehler zu korrigieren, unabdingbar. Hier liegt die große Stärke der repräsentativen Demokratie: "Sie setzt die Gesellschaft nicht als einen Raum konsentierter Zustimmung voraus, sondern als einen Raum zum Teil unüberwindlicher Konflikte, der erst die Bedingung jener Freiheit ist, die als Korrelat einer offenen Gesellschaft gelten kann."
Ungeachtet dieses Vorzugs lehrt gerade die zwar nur zeitweilige, aber doch massive Beschränkung von Grundrechten während der Pandemie, dass auch rechtsstaatliche Demokratien in Reaktion auf sogenannte AVE-Risiken Maßnahmen erlassen können, die eine "existentielle Bedrohung für Bürgerrechte" bedeuten. Mögliche Gefahren für den Kernbereich liberaler Demokratien ergeben sich auch daraus, dass die Wahrnehmung eines existenziellen Risikos geeignet sein kann, die Kriterien staatlicher Legitimität zu verschieben. Existenzielle Bedrohungen bergen mithin die Gefahr einer "Entzauberung" der repräsentativen Demokratie "von unten". Diese pessimistische Perspektive verlangt den Institutionen und den Verantwortlichen im liberalen Rechtsstaat große Anstrengungen und Fähigkeiten ab: Schließlich geht es nicht "nur" um die Minimierung absehbarer, verhinderbarer und existenzieller Risiken, sondern zusätzlich darum, die Gefahr einer damit begründeten autokratischen Selbstermächtigung einerseits und die Delegitimierung der liberalen Demokratie andererseits zu verhindern.
Politische Verantwortung in Zeiten globaler Risiken
Zur Bezeichnung des Umgangs mit Risiken in der Politik existieren in der Forschung unterschiedliche Begriffe. Liegt der Fokus auf staatlichem Handeln, wurde ursprünglich von "Risiko-Regulierung" gesprochen, im Unterschied zum jüngeren Begriff der "Risiko-Governance", der auch die Handlungen anderer, zum Beispiel internationaler staatlicher und nichtstaatlicher Akteure einbezieht und schon aus diesem Grund passender erscheint. Der Begriff "Risiko-Management" soll die Arbeitsteilung zwischen der Wissenschaft, die für die Risikoabschätzung zuständig ist, und der Politik zum Ausdruck bringen. Diese Trennung zwischen wissenschaftsbasierter Einschätzung und politischem Management von Risiken empfiehlt sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund so manch kommunikativen Fehlers im Zuge der Pandemiebekämpfung.
Gleichzeitig legte die Coronakrise die Interdependenz zwischen beiden Sphären offen: Da Politik und Wissenschaft im Umgang mit Risiken "routinemäßig" miteinander verbunden sind, wirken sich Defizite bei der Risikoeinschätzung, aber eben auch in der Kommunikation, auf den jeweils anderen Bereich aus. Auch wenn über die Begriffswahl Unsicherheit besteht, ist offensichtlich, welche politische Institution beim Risikomanagement im Mittelpunkt steht: die Kernexekutive. Der "Krisenort des Entscheidens" hat sich zum Regierungschef oder zur Regierungschefin hin verschoben. Auch wenn das Bundeskanzleramt dabei immer die zentrale Rolle spielt: Die Pandemie hat gezeigt, dass je nach Beschaffenheit der Krise auch die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und damit die Staatskanzleien der Länder Orte von maßgeblicher Entscheidungskraft sein können. Das "europäisch penetrierte" politische System verstärkt die schwer kalkulierbaren Rückkopplungen und Dynamiken zusätzlich. Gleichzeitig geht die Einbettung in eine supranationale Gemeinschaft wie die Europäische Union oder in ein Verteidigungsbündnis wie die Nato aber zweifelsohne auch mit einem Zugewinn an politischen, ökonomischen oder militärischen Kompetenzen sowie an Solidarität beim Umgang mit Risiken einher.
Wer als Bundesministerin oder -minister schwört, ihre oder seine "Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden", hat es zu seinem Beruf gemacht, politische Verantwortung zu übernehmen – Verantwortung zum Beispiel für die Sicherheit der Bevölkerung vor inneren und äußeren Bedrohungen, vor den Folgen von Naturkatastrophen oder für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Dazu gehört, trotz Unsicherheiten und unvollständigen Informationen, bei der Abwägung und der Entscheidungsfindung ein möglichst hohes Maß an Rationalität anzustreben. Neben der Minimierung unerwünschter Risiken und dem Versuch, Schäden möglichst abzuwenden, geht es immer auch darum, die "Idee vom guten Zustand des Gemeinwesens und vom Gedeihen aller seiner Glieder", also das unbestimmte und wohl auch unbestimmbare Gemeinwohl, zu berücksichtigen. Auch individuelle Risikoabwägungen werden durch Zielkonflikte erschwert. In der Sphäre der Politik ist die Gemengelage jedoch schon deshalb ungleich komplexer, weil zum einen die Dimensionen Zeit und Raum wuchtiger ausfallen und zum anderen die Zahl der von einem möglichen Schadensereignis Betroffenen sehr hoch sein kann. "Jede Entscheidung hat Folgen, und zu jeder Entscheidung gibt es immer auch Alternativen."
Hinzu kommt, dass die Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos vom nur bedingt beeinflussbaren Verhalten anderer globaler Akteure abhängig ist. Regieren im 21. Jahrhundert ist geprägt von "Komplexitätseskalation" und "exponentiellen Risikoerwartungen". Einer Bedrohung ist demnach nur noch selten durch eine politische Reaktion im nationalen Kontext sinnvoll zu begegnen, sondern bedarf multilateralen Vorgehens. Zu einem "wicked problem" wird ein Problem dadurch, dass jede detaillierte Befassung mit ihm darauf hinausläuft, bereits die Richtung festzulegen, in der das Problem behandelt werden soll. Die im Nachgang nur noch schwer zu ändernde Entscheidung über den einzuschlagenden Problemlösungsweg beeinflusst wiederum die Wahrscheinlichkeit, mit der andere Schadensereignisse eintreten können. Eigentlich wäre es deshalb erforderlich, die entsprechenden Maßnahmen ständig zu evaluieren. Im Falle von "wicked problems" würde sich dieser ständige Abgleich jedoch schnell zum "Systemsprenger" auswachsen.
Angesichts von "Realitätsschock" und "Gewissheitsschwund" wachsen die Anforderungen an die Kompetenzen der politischen Akteure zusätzlich. Wenn Risiken und Komplexität nicht mehr die Ausnahme, sondern der Normalzustand sind, spiegelt sich das auch in den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen wider: Vollmundige Wahlversprechen und Ankündigungen in Koalitionsverträgen machen angesichts kaum vorhersehbarer externer Schocks und multipler Krisen "rapide Politikwechsel" unvermeidlich. Ein Koalitionsvertrag ist dann das Papier nicht mehr wert, auf dem er gedruckt wurde. Diese Volatilität des Regierungshandelns ist zwar den Krisen geschuldet, birgt aber die Gefahr, die Krise der repräsentativen Demokratie zusätzlich zu verschärfen.
Fazit
Die Existenz systemischer Risiken, die sogar das Potenzial der Menschheitsvernichtung bergen, wirft das Scheinwerferlicht auf bekannte Defizite freiheitlicher Demokratien, wie den durch Wahlperioden beschränkten Horizont von Amtsinhabern oder die Trägheit gewaltenteiliger politischer Entscheidungsprozesse. Auch wenn zu hoffen ist, dass die Institutionen der liberalen Demokratie sowie die freiheitliche Orientierung ihrer Bürgerschaft die Etablierung einer autoritären Führung, etwa im Sinne einer "Ökodiktatur", verhindern, fordern diese Risiken unsere repräsentative Demokratie massiv heraus. Bereits in früheren, weniger existenziellen Krisen als denen des Jahres 2022 haben die politisch Verantwortlichen Verhaltensweisen etabliert, die kaum den Partizipationserwartungen einer zunehmend selbstbewussten, aber nicht zwangsläufig gemeinwohlorientierten Bürgerschaft entsprechen. Die nun manifeste Konfrontation der Politik mit existenziellen Risiken ist geeignet, die Distanz zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie den staatlichen Entscheidungsträgern noch größer und damit das Vertrauen in die Politik kleiner werden zu lassen. In Zeiten, in denen für einen beteiligungs- und konsensorientierten Politikstil kaum die Ressourcen (Zeit und Geld) vorhanden sind, ist die freiheitliche Demokratie mehr denn je darauf angewiesen, dass Parlamente, aber auch die intermediären Organisationen wie Parteien und Verbände, ihre Funktionen wahrnehmen. Dazu gehört unter anderem die Aggregation, Artikulation und vor allem auch Integration von Interessen. Gerade weil der Ort des Entscheidens in der Krise die Kernexekutive ist, braucht es die Institutionen demokratischer Kontrolle und des Diskurses mehr denn je.