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Reden über Risiken | Risikokompetenz | bpb.de

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Reden über Risiken Risikokommunikation in krisenhaften Zeiten

Juliana Raupp

/ 14 Minuten zu lesen

Zum richtigen Umgang mit Risiken gehört auch eine angemessene Kommunikation über sie. Gelungene Krisen- und Risikokommunikation hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, die je nach Problem, Kontext und Situation beachtet werden müssen.

Geht es darum, Menschen vom Nutzen einer Schutzimpfung zu überzeugen, sie aufzufordern, Vorsorgemaßnahmen gegen Extremwetterereignisse zu treffen oder angesichts befürchteter Versorgungsengpässe auf Hamsterkäufe zu verzichten, ist die erhoffte Lösung stets sehr ähnlich: Der "richtigen" Kommunikation wird eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Wenn nur "richtig" kommuniziert werde, so die landläufige Annahme, würden sich die Menschen auch "richtig" verhalten.

Die Forschung zur Risikokommunikation kreist ebenfalls um diese Frage: Wie kann eine gute und angemessene Risikokommunikation aussehen? Dabei werden viele Faktoren untersucht, von denen eine gelingende Risikokommunikation abhängt. Zu diesen gehören Faktoren aufseiten der Rezipient:innen und der Kommunikator:innen, die Botschaften selbst und die Kontextbedingungen. Nicht zuletzt hängt das Gelingen der Risikokommunikation davon ab, dass im Vorfeld klar sein muss, was unter "Gelingen" überhaupt verstanden werden soll. Ist das Ziel der Kommunikationsmaßnahme die Bereitstellung von Informationen, um Menschen in die Lage zu versetzen, informierte Entscheidungen zu treffen? Oder soll eine Verhaltensänderung herbeigeführt werden, ohne dass die Menschen zwingend mit allen Details des Risikos vertraut gemacht werden?

In der Forschung spielen aber nicht nur solche empirischen Fragen eine Rolle, sondern auch normative Anforderungen: In modernen demokratischen Gesellschaften soll auch mit Risiken und Gefährdungen auf eine transparente, demokratisch fundierte Weise umgegangen werden. Das bedeutet, dass der Umgang mit Risiken auch ein Teil des politischen Diskurses und damit Gegenstand von Auseinandersetzungen und Konflikten wird. Mit Risiken umgehen zu müssen, kann schnell zu Krisensituationen führen. Deshalb ist es sinnvoll, Risikokommunikation und Krisenkommunikation zusammenzudenken. Zudem hat sich auch das Verständnis von Krisen und Krisenkommunikation verändert. Als Krisen werden nicht länger nur zeitlich klar abgrenzbare Ereignisse verstanden und Krisenkommunikation nicht nur als Reaktion auf diese Ereignisse. Vielmehr nähern sich vor dem Hintergrund eines neuen Verständnisses systemischer Risiken einerseits und schleichender Krisen andererseits auch die Risiko- und die Krisenkommunikation einander an. Im Folgenden werden Risiko- und Krisenkommunikation daher als zwei analytisch distinkte, aber faktisch aufeinander bezogene Formen der strategischen Kommunikation betrachtet. Zunächst werden Risiko- und Krisenkommunikation getrennt voneinander erläutert, sodann aufeinander bezogen und verschiedene Praxis- und Forschungsfelder umrissen. Eine Diskussion über die Entwicklung der Risiko- und Krisenkommunikation in einer vernetzten Öffentlichkeit schließt den Beitrag ab.

Risikokommunikation

Ein Risiko zeichnet sich grundsätzlich dadurch aus, dass es von Unsicherheiten umgeben ist. Man weiß nicht, ob und wann ein riskantes Ereignis eintritt, welches Ausmaß es annehmen und welche Folgen es haben wird. Mithilfe statistischer Verfahren und computergestützter Modellierungen wird in der professionellen Risikobewertung – etwa bei Banken und Versicherungen – versucht, das Verhältnis von Eintrittswahrscheinlichkeit zum möglichen Schadensausmaß eines Ereignisses zu berechnen, um ein Risiko einzuschätzen. Doch die meisten Menschen nehmen Risiken subjektiv wahr, abhängig von der jeweiligen Lebenssituation und den eigenen Erfahrungen. Und diese Wahrnehmung ist, den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie zufolge, verzerrt: So neigen Menschen dazu, alltägliche Risiken zu unterschätzen und Risiken, die selten eintreten, zu überschätzen. Auch soziale und kulturelle Faktoren beeinflussen die Wahrnehmung von und den Umgang mit Risiken. Hinzu kommt, dass Risiken immer an menschliche Entscheidungen gebunden sind, worauf schon Niklas Luhmann mit der Unterscheidung zwischen Risiko und Gefahr hingewiesen hat. Gefahren sind immer vorhanden, sie sind gewissermaßen eine ontologische Konstante, aber es hängt von riskanten menschlichen Entscheidungen ab, ob und welche Schäden eintreten.

Diese Entscheidungsgebundenheit von Risiken wirft die Frage nach dem Geltungsraum der Entscheidung auf: Entscheide ich nur für mich, ob ich bereit bin, ein Risiko einzugehen, oder sind von einer Entscheidung auch andere, möglicherweise viele Menschen betroffen? Wie ein Risiko wahrgenommen wird, hängt auch davon ab, ob Menschen die riskante Entscheidung nachvollziehen können. Für die Kommunikation von Risiken bedeutet das, unterschiedlichen Handlungsspielräumen, möglichen Ängsten und Vorbehalten sowie subjektiv und kollektiv unterschiedlichen Wahrnehmungen Rechnung zu tragen. Das Wissen darum, wie Risiken wahrgenommen werden, ist demzufolge die wichtigste Grundlage für die Entwicklung und Anwendung von Risikokommunikationsstrategien.

Als Forschungsfeld hat sich Risikokommunikation vor allem im Zusammenhang mit den Risiken der Kernenergie und anderen technologischen und umweltbezogenen Risiken entwickelt. 1986, im gleichen Jahr, in dem sich das Reaktorunglück in Tschernobyl ereignete, erschien Ulrich Becks Buch "Risikogesellschaft". Beck skizzierte hierin ökologische und technologische Risiken, beispielsweise der Gentechnologie, die unsichtbar und schwer greifbar seien und gleichzeitig zu gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Kontroversen und Konflikten führten. Unter dem Eindruck dieser Art von Risiken wurde Risikokommunikation vor allem als Akt der Information und der Aufklärung gesehen, oft mit dem Ziel, zur Akzeptanz von Risiken beizutragen. Das Verhältnis der beiden benachbarten Forschungsfelder Risikowahrnehmung und Risikokommunikation wurde in der Literatur mit jenem zwischen Dr. Jekyll und Mister Hyde verglichen: "Dr. Jekyll" – die Risikowahrnehmung – trifft auf "Mister Hyde" – die Risikokommunikation. Während die intuitive Risikowahrnehmung nach dem gegenwärtigen Zeitgeist zum "Reich des Guten" gehört, steht die Risikokommunikation immer unter dem Verdacht, Gebrauchswaffe zur Manipulation der Öffentlichkeit zu sein – sozusagen ein Akzeptanzbeschaffer für "schlechte Risiken".

Verschiedene Ansätze bieten Erklärungen für die Unterschiede in der Risikowahrnehmung und damit Anhaltspunkte für die Risikokommunikation. Das interdisziplinäre "Social Amplification of Risk"-Modell (SARF) etwa beschreibt, ausgehend von einem Prozessmodell der Risikobearbeitung, verschiedene Faktoren, "Verstärkerstationen" genannt, die die Risikowahrnehmung beeinflussen. Zu diesen Faktoren gehören neben der Politik und den Interessengruppen auch die Medien. Für die Risikokommunikation besteht der Beitrag von SARF darin, auf die Rolle der Medien sowie auf die Bedeutung von Vertrauen in die Informationsquellen aufmerksam gemacht zu haben. Allerdings ist aus der Medienwirkungsforschung bekannt, dass die Wirkung medialer Berichterstattung nicht nur von den Inhalten, sondern auch vom Medienangebot, der Mediennutzung und den Prädispositionen der Rezipient:innen abhängt. Auch dem SARF-Modell liegt die Annahme zugrunde, dass es eine objektiv gültige Risikoabschätzung gibt – und das Problem im öffentlichen und medialen Umgang mit Risiken liegt, der zu einer verzerrten Wahrnehmung führt.

In neueren Ansätzen zur Risikokommunikation finden sich immer noch die Elemente Information und Aufklärung. Im Unterschied zu früheren Ansätzen wird aber stärker eine aktive Einbindung der Betroffenen in die Risikobewertung gefordert. Partizipation und das sogenannte Stakeholder Involvement, also die aktive Einbindung von Anspruchsgruppen, haben als Zielvorstellungen der Risikokommunikation mittlerweile in Deutschland und international Eingang in die Kommunikation gefunden, etwa in die von Behörden. Risikokommunikation wird als ein kontinuierlicher, zweiseitiger, interaktiver und partizipativer Prozess beschrieben, in dem die Information und Aufklärung über Risiken von zentraler Bedeutung ist. Uneinigkeit besteht jedoch darüber, wie groß der tatsächliche Einfluss der Anspruchsgruppen sein soll: Sollen Stakeholder lediglich über bereits getroffene Risikoentscheidungen informiert werden, oder sollen sie auch in den Prozess der Entscheidungsfindung eingebunden werden?

Krisenkommunikation

Im Unterschied zur Risikokommunikation bezieht sich Krisenkommunikation auf ein Ereignis, das bereits eingetreten ist. Da sich krisenhafte Ereignisse nach ihrer Reichweite unterscheiden, von begrenzten Skandalen und Gerüchten bis hin zu großflächigen Katastrophen, gibt es auch unterschiedliche Definitionen von Krisen. Gemeinsam ist den meisten Krisendefinitionen jedoch, dass Krisen als unerwartete Ereignisse mit meist (wenn auch nicht ausschließlich) negativen Folgen gesehen werden. Von einer Krise kann etwa dann gesprochen werden, wenn "eine Gemeinschaft von Menschen, eine Organisation, eine Stadt oder eine Nation eine ernsthafte Bedrohung ihrer Grundstrukturen oder der grundlegenden Werte und Normen ihres sozialen Systems wahrnimmt, die unter Zeitdruck und Unsicherheit kritische Entscheidungen erfordert".

Die Wurzeln der Krisenkommunikation als akademische Disziplin liegen in den USA. In den 1980er Jahren begann sich die Krisenkommunikationsforschung dafür zu interessieren, wie Unternehmen oder Politiker:innen, die in eine Krise geraten sind, strategisch kommunizieren. Anhand von Fallstudien wurde unter anderem untersucht, mit welchen rhetorischen Strategien Personen oder Organisationen, denen Fehlverhalten vorgeworfen wurde, ihr Image wiederherzustellen versuchten.

Rhetorische Strategien stehen auch im Mittelpunkt der "Situational Crisis Communication Theory" (SCCT) von Timothy Coombs. Mithilfe experimenteller Untersuchungen analysierte Coombs den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Krisentypen, dem Einsatz verschiedener rhetorischer Strategien und der Zuschreibung von Verantwortung der Stakeholder gegenüber dem Akteur, der in eine Krise geraten war. Krisentypen werden in der SCCT nach dem Grad der Verantwortung unterschieden: Liegt der Krise menschliches Fehlverhalten zugrunde, womöglich gar Fahrlässigkeit oder böse Absicht, oder handelt es sich um Geschehnisse wie etwa Extremwetterereignisse, die sich nicht unmittelbar auf einzelne Verursacher zurückführen lassen? Krisenreaktionsstrategien umfassen Leugnen und Schuldzuweisungen, das Herunterspielen der Krise, aber auch die Verantwortungsübernahme und Entschuldigung. Eine der wichtigsten anwendungsbezogenen Erkenntnisse der SCCT, aber auch anderer Ansätze der Krisenkommunikation, lautet, dass im Krisenfall zwar grundsätzliche Regeln erfolgreicher strategischer Kommunikation zu beachten sind, die Krisenkommunikation aber vor allem dem Krisentyp und der jeweiligen Krisensituation angepasst sein muss. Auch der Zeitpunkt spielt eine Rolle: Geht es zu Beginn einer Unfallkrise etwa darum, umfassend zu informieren, um weiteren Schaden abzuwenden, sind in späteren Krisenphasen Aufklärung und Entschuldigung angebracht.

Verschränkungen

Risiko- und Krisenkommunikation haben also unterschiedliche Ausprägungen, und beide Forschungsfelder stehen auch in unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen. Dennoch spricht vieles dafür, Risiko- und Krisenkommunikation zusammenzudenken. Aus kommunikationsbezogener Sicht ist Risiken und Krisen gemeinsam, dass es sich um wahrnehmungsabhängige Phänomene handelt. Kommunikation und Wahrnehmung sind eng miteinander verbunden, ebenso Kommunikation und Management. Für die Risiko- und Krisenkommunikation bedeutet das, dass beide eng mit dem Management von Risiken beziehungsweise Krisen verbunden sind. Denn die öffentliche Wahrnehmung eines Risikos oder einer Krise verändert sich auch abhängig davon, wie öffentlich darüber kommuniziert wird. Risikomanagement und Risikokommunikation sind mit dem Krisenmanagement und der Krisenkommunikation dynamisch und auf eine zirkuläre Weise miteinander verschränkt. Das gilt umso mehr für neuere Risiken und Krisen, die sich durch ein hohes Maß an Komplexität auszeichnen.

Aus einer prozessorientierten Perspektive lässt sich ein Risiko in der Prä-Krisenphase verorten. Werden Risiken in dieser Phase nicht wahrgenommen, dann kann aus einem unbeobachteten Risiko schnell eine Krise werden. "A crisis is a risk manifested", wie es in der Krisenkommunikation heißt. Um auf potenzielle Krisen vorbereitet zu sein, haben viele Organisationen, seien es Unternehmen, Ministerien oder Behörden, als Teil ihres Risikomanagements Frühwarnsysteme und Trainingsroutinen etabliert. Zu einem präventiven Risikomanagement gehört schließlich auch das Wissen, dass sich Krisensituationen nicht verhindern, wohl aber bewältigen lassen. Das schließt im Idealfall auch das Lernen aus der Krise in der Post-Krisenphase ein, wodurch wiederum Erkenntnisse für eine Verbesserung des Frühwarnsystems gewonnen werden können.

Bereiche

Risiken und Krisen treten in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen auf. Grundsätzlich lassen sich drei Teilbereiche des Krisenmanagements unterscheiden: unternehmensbezogenes, politisches und öffentliches. Diese Systematisierung ist auch gut geeignet, um die Felder der Risiko- und Krisenkommunikation zu strukturieren:

  • Unternehmensbezogene Risiko- und Krisenkommunikation zielt darauf ab, Schaden von dem Unternehmen und von potenziell betroffenen Stakeholdern abzuwenden und die Reputation einer Firma oder einer Marke, den sogenannten immateriellen Unternehmenswert, zu schützen oder, im Krisenfall, wiederherzustellen. Dazu ist strategische Kommunikation mit den relevanten Stakeholdern, bei börsennotierten Unternehmen auch mit den Anteilseignern, erforderlich. Die Forschung richtete sich hier in der Vergangenheit vor allem auf Großunternehmen und "Hochzuverlässigkeitsorganisationen" wie etwa Chemieunternehmen, Kernkraftwerksbetreiber oder Unternehmen der Luftfahrtindustrie. In solchen Unternehmen haben die Krisenprävention und das unternehmerische Krisenmanagement einen hohen Stellenwert. Instrumente der präventiven Krisenkommunikation sind das "Issue Monitoring", also die Beobachtung und Messung von Themen im öffentlichen Diskurs als Teil des Frühwarnsystems, sowie die Ermöglichung einer organisationsinternen Fehlerkultur. In der Forschung zur unternehmensbezogenen Krisenkommunikation dominieren zudem Ansätze, die sich mit der kommunikativen Krisenbewältigung und mit Krisenresponsestrategien beschäftigen (beispielsweise die oben genannte SCCT). Vor allem, wenn die Krise durch das Unternehmen selbst ausgelöst wurde (etwa durch Missmanagement oder Fehlproduktionen), wird in der Literatur empfohlen, dass das verursachende Unternehmen hierfür Verantwortung übernimmt, sich bei den Betroffenen entschuldigt und gegebenenfalls eine Entschädigung anbietet. Zu Spannungen kommt es, wenn die Kommunikationsabteilung, wie empfohlen, proaktiv vorgehen möchte, die Rechtsabteilung aber eine Strategie der Nicht-Kommunikation ("kein Kommentar") verfolgt. Eine Herausforderung für international agierende Unternehmen besteht zudem darin, in ihrer Risiko- und Krisenkommunikation nicht nur mit unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch mit unterschiedlichen kulturellen Normen und Werten konfrontiert zu sein.

  • Der Erwerb und der Erhalt politischer Macht ist die zentrale Funktionslogik des politischen Systems. Für die politische Risiko- und Krisenkommunikation gilt, dass sie dieser Funktionslogik folgt, das heißt, sie zielt auf den Erhalt und Erwerb von Machtpositionen durch politische Akteure. Die Risiken und Krisen, um die es dabei geht, müssen nicht zwingend dem politischen System selbst entspringen. Auch eine Unternehmenskrise oder ein Hochwasser kann zu einer politischen Krise werden, wenn es Akteure gibt, die ein Interesse daran haben, diese Krise zu instrumentalisieren. Politische Krisenkommunikation bezieht sich also sowohl auf politische Krisen im engeren Sinne als auch auf Krisen, die in ihrem Verlauf politisiert werden. Nur im Bereich des politischen Krisenmanagements gibt es das Phänomen, dass Krisen absichtlich "herbeigeredet" werden. In der Forschung hat sich dafür der Begriff der Krisenausbeutung (crisis exploitation) etabliert, einhergehend mit einem sogenannten Blame Game, also dem Zuschieben von Verantwortung auf die gegnerische Seite, um selbst von der Krise zu profitieren oder zumindest nicht von ihr in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Eine Krise kann somit – je nachdem, welchem Akteur es gelingt, daraus Profit zu schlagen – eine Bedrohung darstellen oder aber eine Gelegenheitsstruktur. Die Folgen dieser Instrumentalisierung von Krisen können in einer Änderung der Politik und des Krisenmanagements bestehen, aber auch darin, dass politische Akteure beschädigt oder gestärkt werden – und nicht zuletzt darin, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik Schaden nimmt.

  • Die öffentliche Risiko- und Krisenkommunikation ist gemäß der hier aufgenommenen Systematisierung der umfangreichste Teilbereich. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit und die Gefahrenabwehr, aber auch die Gesundheit der Bevölkerung und die Sicherstellung des öffentlichen Gesundheitswesens, die Ernährungsvorsorge und der Schutz kritischer Infrastrukturen – dies alles sind Schutzgüter, auf die die öffentliche Risiko- und Krisenkommunikation abzielt. Dem breiten Aufgabengebiet entsprechend sind eine Vielzahl von Organisationen mit dieser Kommunikation befasst, etwa Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, wie Polizei, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk oder das Rote Kreuz, sowie staatliche und nichtstaatliche Organisationen aus der Gesundheitsvorsorge oder dem Verbraucherschutz. Eines der bekanntesten Modelle der öffentlichen Risiko- und Krisenkommunikation ist das "Crisis and Emergency Risk Communication Model" (CERC) des Centers for Disease Control and Prevention (CDC), einer Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums. Dieses Modell wird seit über 20 Jahren wissenschaftlich begleitet und kontinuierlich weiterentwickelt, zuletzt mit Blick auf die Covid-19-Pandemie. Auf der Webseite des CDC finden sich umfangreiche Handbücher für unterschiedliche Krisenanlässe, Schulungsmaterial sowie Leitfäden für Kommunikationsverantwortliche im Bereich der öffentlichen Risiko- und Krisenkommunikation.

Trotz der Vielzahl an Handreichungen und Studienergebnissen, wie eine gelungene Risiko- und Krisenkommunikation auszusehen habe, ist täglich nicht-gelingende Kommunikation zu beobachten. Wichtige Botschaften werden nicht gehört oder missverstanden, Handlungsempfehlungen werden negiert, und Fehlinformationen verbreiten sich. Gründe hierfür sind in der Komplexität gegenwärtiger Risiken und Krisen sowie in einem dynamischen medialen und sich verändernden gesellschaftspolitischen Umfeld zu sehen.

Kommunikation in der vernetzten Öffentlichkeit

Technologische Innovationen, gesellschaftliche Erneuerungen, internationale Verflechtungen und veränderte politische Machtkonstellationen haben dazu geführt, dass sich unser Verständnis von Risiken und Krisen in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Für gegenwärtige Risiken und Krisen werden dementsprechend neue Begriffe gesucht. Einer dieser Begriffe ist jener der "schleichenden Krise" (creeping crisis), der unter dem Eindruck der Covid-19-Pandemie geprägt wurde. Die größte Gefahr schleichender Krisen sehen die Autoren darin, dass sie die Legitimität öffentlicher Institutionen bedrohen, und zwar nicht plötzlich, sondern allmählich, in Form einer stetigen Delegitimierung. An anderer Stelle haben die gleichen Autoren den Begriff der "grenzüberschreitenden Krise" (transboundary crisis) eingeführt. Diese Krisen zeichneten sich dadurch aus, dass ihre Ursachen, Konsequenzen und auch ihr Management in vielerlei Hinsicht grenzüberschreitend seien, und zwar über nationale Grenzen, Funktionsgrenzen und Organisationsgrenzen hinweg. Ein Beispiel hierfür sehen die Autoren in der Finanzkrise der Jahre 2008/9, aber ebenso in der Covid-19-Pandemie. Aufseiten der Risikoforschung wird von einem "systemischen Risiko" gesprochen, wenn ein Schadensereignis eine Kettenreaktion auslöst und so ein gesamtes Funktionssystem bedroht. Auch hier wird die Finanzkrise als Beispiel angeführt. Versuche, gegenwärtige Krisen und Risiken begrifflich neu zu fassen, verweisen auf die Komplexität der entsprechenden Steuerungs- und Kommunikationserfordernisse. Die Systematisierung unternehmerischer, politischer und öffentlicher Risiko- und Krisenkommunikation ist im Lichte dieser Komplexität zwar nicht obsolet, es wird aber deutlich, wie sehr sich bei derartigen Krisen und Risiken die Bereiche überschneiden.

Nicht nur die Art der Risiken und Krisen hat sich verändert, sondern auch das kommunikative Umfeld. In einer vernetzten Online-Öffentlichkeit finden nicht länger nur professionelle Kommunikatoren (journalistische Nachrichtenmedien, politische Eliten und formale Organisationen) Gehör. Die Nutzer:innen sind nicht länger passive Rezipient:innen, sondern nehmen aktiv an der öffentlichen Diskussion über Risiken und Krisen teil und ko-konstruieren somit deren Wahrnehmung und Bewertung. Die Medienberichterstattung findet einen anderen Widerhall und wird selbst zum Treiber in der dynamischen Kommunikationsökologie. In der vernetzten Öffentlichkeit sind glaubwürdige Informationen und transparente Entscheidungen Schlüsselfaktoren im Umgang mit schweren Krisen wie der Covid-19-Pandemie, der Klimakrise oder der Krise demokratischer Institutionen. Die neue Kommunikationsökologie ermöglicht es, dass sich Menschen umfassend und schnell über Krisen und Risiken informieren und darüber austauschen können. Behörden, NGOs und politische Entscheidungsträger können sich mit ihren Botschaften direkt an potenzielle Zielgruppen wenden. Gleichzeitig wird angesichts der Fragmentierung der Öffentlichkeit in viele themenspezifische und semi-öffentliche Arenen ein integrativer öffentlicher Diskurs über den Umgang mit Krisen und Risiken immer anspruchsvoller.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Niklas Luhmann, Risiko und Gefahr, in: ders., Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven, Wiesbaden 1990, S. 131–169.

  2. Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M. 1986; Simon Cottle, Ulrich Beck, "Risk Society" and the Media: A Catastrophic View?, in: European Journal of Communication 1/1998, S. 5–32.

  3. Peter Wiedemann/Johannes Mertens, Sozialpsychologische Risikoforschung, in: TATup – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis 3/2005, S. 38–45, hier S. 39.

  4. Vgl. z.B. Jeanne X. Kasperson et al., The Social Amplification of Risk. Assessing Fifteen Years of Theory and Research, in: Nick Pidgeon/Roger E. Kasperson/Paul Slovic (Hrsg.), The Social Amplification of Risk, Cambridge 2003, S. 13–46.

  5. Für Deutschland siehe etwa die Arbeiten von Ortwin Renn, der sich seit Jahrzehnten für eine partizipative Risikokommunikation einsetzt. Vgl. z.B. Ortwin Renn et al., Public Participation in Decision Making. A Three-Step Procedure, in: Policy Sciences 3/1993, S. 189–214.

  6. Vgl. Hans-Peter Weinheimer, Behördliche Risikokommunikation im Bevölkerungsschutz – Anspruch und Realisierung, in: Thomas Jäger/Anna Daun/Dirk Freudenberg (Hrsg.), Politisches Krisenmanagement. Wissen, Wahrnehmung, Kommunikation, Wiesbaden 2016, S. 169–180; auf internationaler Ebene vgl. etwa die Empfehlungen des International Risk Governance Center (IRGC), Involving Stakeholders in the Risk Governance Process, Lausanne 2020.

  7. Vgl. zusammenfassend Julia Drews, Risikokommunikation und Krisenkommunikation. Kommunikation von Behörden und die Erwartungen von Journalisten, Wiesbaden 2017, S. 176–177.

  8. Jeroen Wolbers/Sanneke Kuipers/Arjen Boin, A Systematic Review of 20 Years of Crisis and Disaster Research. Trends and Progress, in: Risk, Hazards & Crisis in Public Policy 4/2021, S. 374–392, hier S. 375 (eigene Übersetzung).

  9. Einen Überblick über die Entwicklung der Krisenkommunikationsforschung bieten u.a. Finn Frandsen/Winni Johansen, A Brief History of Crisis Management and Crisis Communication. From Organizational Practice to Academic Discipline, in: dies. (Hrsg.), Crisis Communication, Boston–Berlin 2020, S. 17–58; Martin Löffelholz/Andreas Schwarz, Die Krisenkommunikation von Organisationen. Ansätze, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, in: Tobias Nolting/Ansgar Thießen (Hrsg.), Krisenmanagement in der Mediengesellschaft. Potenziale und Perspektiven der Krisenkommunikation, Wiesbaden 2008, S. 21–35.

  10. Hierfür steht etwa die Image Repair Theory von William Benoit. Vgl. William L. Benoit, Accounts, Excuses, Apologies. A Theory of Image Restoration Strategies, Albany 1995.

  11. Vgl. Timothy W. Coombs, Ongoing Crisis Communication. Planning, Managing, and Responding, Los Angeles 2022.

  12. Vgl. Robert L. Heath/Dan O’Hair, The Significance of Crisis and Risk Communication, in: dies. (Hrsg.), Handbook of Risk and Crisis Communication, New York–London 2010, S. 5–30, hier S. 15.

  13. Vgl. Finn Frandsen/Winni Johansen, Reframing the Field. Public Crisis Management, Political Crisis Management, and Corporate Crisis Management, in: dies. (Anm. 9), S. 59–102.

  14. Der Begriff der Hochzuverlässigkeitsorganisationen, im Englischen High Reliability Organizations (HROs), wurde etabliert von Karl E. Weick/Kathleen M. Sutcliffe, Managing the Unexpected, San Francisco 2001. An HROs wird die Forderung gestellt, besondere Management- und Evaluationsstrategien anzuwenden und eine spezifische Fehlerkultur zu implementieren.

  15. Vgl. Frandsen/Johansen (Anm. 13), S. 74.

  16. Vgl. Arjen Boin/Paul ’t Hart/Allan McConnell, Crisis Exploitation: Political and Policy Impacts of Framing Contests, in: Journal of European Public Policy 1/2009, S. 81–106.

  17. Vgl. Drews (Anm. 7).

  18. Vgl. Externer Link: https://emergency.cdc.gov/cerc/resources/index.asp.

  19. Vgl. Arjen Boin/Magnus Ekengren/Mark Rhinard, Hiding in Plain Sight: Conceptualizing the Creeping Crisis, in: Risk, Hazards & Crisis in Public Policy 2/2020, S. 116–138.

  20. Vgl. Arjen Boin/Mark Rhinard/Magnus Ekengren, Managing Transboundary Crises. The Emergence of European Union Capacity, in: Journal of Contingencies and Crisis Management 3/2014, S. 131–142.

  21. Vgl. z.B. Ortwin Renn et al., Things Are Different Today: The Challenge of Global Systemic Risks, in: Journal of Risk Research 4/2019, S. 401–415.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Juliana Raupp für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Professorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Organisationskommunikation an der Freien Universität Berlin.
E-Mail Link: juliana.raupp@fu-berlin.de