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Teile und herrsche Separatismus und russische Einflussnahme in der Republik Moldau

Yelizaveta Landenberger

/ 15 Minuten zu lesen

Ähnlich wie im Nachbarland Ukraine sind historische und ethnonationale Konflikte in Moldau das Einfallstor für russische Propaganda. Im Fokus stehen dabei die autonome Region Gagausien und das seit den 1990er Jahren isolierte Transnistrien.

"Pobeda! Pobeda!", Russisch für "Sieg! Sieg!", skandieren Dutzende von Menschen, die sich am Morgen des 27. Mai 2024 vor dem Gerichtsgebäude im Zentrum der moldauischen Hauptstadt Chişinău versammelt haben. Sie sprechen damit ihre Unterstützung für die 37-jährige Politikerin Evghenia Guțul von der inzwischen verbotenen kremlnahen Șor-Partei aus, denn Guțul steht an diesem Tag vor Gericht. Knapp über ein Jahr ist es her, dass sie zur Gouverneurin (Başkan) des autonomen Territoriums Gagausien im Süden der Republik Moldau gewählt wurde. Es steht eine erste Anhörung zum Fall illegaler Finanzierung der Șor-Partei an.

Bevor sie das Gerichtsgebäude betritt, sagt die Gouverneurin: "Am heutigen Tag wird nicht Evghenia Guțul vor Gericht gestellt, sondern der Başkan von Gagausien. (…) Sie wollen unsere gagausische Autonomie auslöschen. Aber wir lassen das nicht zu." Sie spricht über ein mit einem Megafon verbundenen Mikrofon. Die Menschenmenge ruft daraufhin erneut begeistert: "Pobeda! Pobeda!", was auch der Name eines neuen politischen Blocks ist, unter dem die verbotene Șor-Partei unter neuem Label fortbesteht. Einige der Demonstrant*innen halten weiße Plakate mit Aufschriften wie "Hände weg vom Başkan Gagausiens" oder "Sandu [die Präsidentin des Landes], du wirst für alles Rede und Antwort stehen". Dass alle Plakate dabei verdächtig ähnlich aussehen, als wären sie von ein und derselben Person geschrieben worden, legt nahe, dass sie nicht die Teilnehmenden selbst angefertigt haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Șor-Partei zu unlauteren Mitteln greift, und ironischerweise geht es im heutigen Prozess ausgerechnet um Stimmenkauf und illegale Geldflüsse aus Russland: Von Herbst 2022 bis Juni 2023 organisierte die Partei regelmäßig Kundgebungen gegen den proeuropäischen Kurs der moldauischen Regierung und der Staatspräsidentin Maia Sandu. Dabei wurde die Unzufriedenheit der Bürger*innen über den Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise gezielt ausgenutzt und die Behauptung verbreitet, die Preise seien nicht durch den russischen Angriffskrieg im Nachbarland Ukraine gestiegen, sondern durch die proeuropäische Politik Sandus. Nach Angaben zahlreicher Medienberichte wurden die Demonstrant*innen für ihre Teilnahme an den Kundgebungen bezahlt.

Eigentlich sollte das Gerichtsverfahren gegen Guțul bereits am 30. April stattfinden, wurde dann aber auf Ende Mai verlegt, da der Gouverneurin zunächst kein Russisch-Dolmetscher zur Verfügung gestellt worden war. Die moldauische Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, während ihrer Tätigkeit als Sekretärin für die Șor-Partei von 2019 bis 2022 systematisch und täglich Geld aus Russland nach Moldau gebracht zu haben, um die Parteitätigkeit so auf illegale Weise zu finanzieren. Insgesamt geht es um eine Summe von 42,5 Millionen Lei, umgerechnet 2,2 Millionen Euro. In dem Dokument der Behörde heißt es außerdem, Guțul habe von Oktober bis November 2022 während der Anti-Regierungsproteste die Verantwortung über Namenslisten innegehabt, die die Bezahlung von Demonstrant*innen für ihre Teilnahme dokumentierten.

Der Gouverneurin drohen eine hohe Geldstrafe oder gar zwei bis sieben Jahre Haft und eine fünfjährige Sperre für politische Ämter. Guțul streitet ihre Schuld ab und behauptet, dass das Verfahren gegen sie von Sandu und ihrer Partei PAS fabriziert sei und der Zerstörung der gagausischen Autonomie diene. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die antieuropäische Gouverneurin von Gagausien angibt, bei einem Schuldspruch gegen sie ausgerechnet vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen zu wollen.

Angespannte politische Lage

Im Juni 2022 erhielt die Republik Moldau ebenso wie ihr im Krieg befindliches Nachbarland die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Zu diesem Zeitpunkt schien es realistisch, dass nach der Ukraine Moldau das nächste Ziel der imperialen Bestrebungen Russlands sein würde. Obwohl die russischen Truppen immer noch Hunderte Kilometer vom moldauischen Staatsgebiet entfernt sind, bleibt die Gefahr einer militärischen Invasion bestehen: Sollte die russische Armee weiter durch ukrainisches Territorium vorrücken, würde sie nämlich das de facto unabhängige Transnistrien erreichen, wo nach wie vor etwa 1700 russische Militärs stationiert sind. Auch wenn die Ausstattung dieser Truppen schlecht ist, stellt diese Präsenz zusammen mit der stark prorussischen Bevölkerung eine reale Gefahr dar. Die moldauische Armee ist klein und schlecht ausgerüstet, sie verfügt über keinen einzigen Panzer, und das Land ist kein NATO-Mitglied.

Hinzu kommt ein anderes Risiko: Auch im Kernland der Republik Moldau und insbesondere im autonomen Gagausien ist die Stimmung in großen Teilen der Bevölkerung kremlfreundlich. Auch wenn sich Moldau nicht im heißen militärischen Konflikt mit Russland befindet, führt Russland schon lange und hartnäckig einen Informationskrieg gegen das kleine osteuropäische Land, den Expert*innen auch als hybriden Krieg bezeichnen. Der Fall Guțul und die mutmaßliche illegale Finanzierung der Șor-Partei verweisen auf die Ernsthaftigkeit der Lage und die hohen Summen, die Russland in diesen Informationskrieg zu investieren bereit ist.

Am 25. Juni 2024 wurden die EU-Beitrittsverhandlungen mit Moldau aufgenommen. Das Land hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2030 der Union beizutreten. Bis dahin müssen zahlreiche Reformen umgesetzt, und eine Lösung für das de facto unabhängige, aber völkerrechtlich zur Republik gehörende prorussische Transnistrien gefunden werden. Auch muss die breite Bevölkerungsmehrheit dieses Ziel unterstützen. 2024 wird entscheidend für die Zukunft Moldaus sein, da am 20. Oktober neben den Präsidentschaftswahlen auch ein Referendum über den EU-Beitritt stattfinden wird, gefolgt von Parlamentswahlen 2025. Aktuelle Umfragen des moldauischen Thinktanks WatchDog vom April dieses Jahres zeigen, dass 56,5 Prozent der Befragten für einen EU-Beitritt stimmen möchten, was knapp klingt. Allerdings gaben auch nur 25,2 Prozent an, dass sie dagegen stimmen werden. Der Rest ist unentschieden oder plant, nicht zu wählen. Valeriu Pașa von WatchDog mahnt jedoch zur Vorsicht. Auf Nachfrage hin sagt er: "Ich glaube nicht, dass das Ergebnis völlig sicher ist, weil es eine sehr große, von Russland unterstützte Kampagne gegen den EU-Beitritt gibt. Das Ergebnis hängt stark davon ab, inwieweit es Russland und seinen Lügen gelingt, die moldauischen Wähler*innen mit Desinformation zu beeinflussen."

"Stopp EU"

Tatsächlich scheinen aktuell die prorussischen Kräfte im Land alles dafür zu tun, dass das ambitionierte Ziel eines EU-Beitritts der Republik Moldau bis 2030 nicht erreicht wird. So fand etwa eine Woche vor der Anhörung Evghenia Guțuls, am 18. Mai, das "Festival der Völkerfreundschaft" statt, wo die von Russland initiierte Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) als Gegenmodell zur EU beworben wurde. In den moldauischen Städten Taraclia, Bălți, Orhei und Comrat waren Zelte mit den Aufschriften "Russland", "Belarus", "Kasachstan", "Kirgistan" und "Armenien" zu sehen. Dort boten Menschen in traditionellen Gewändern dieser Länder kostenlose regionale Spezialitäten an. Die Auswahl dieser Länder ist kein Zufall, da sie die Mitglieder der EAWU repräsentieren. Zu Gast – per Videoübertragung – war der bekannte russische Popsänger Filip Kirkorow, der den Teilnehmenden zum Fest der Völkerfreundschaft gratulierte. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten bildete allerdings eine andere Videoprojektion, nämlich diejenige von Ilan Șor. Er ist der bekannteste und aktuell einflussreichste prorussische Politiker des Landes und kündigte den Start einer neuen Kampagne seines politischen Blocks "Pobeda"/"Sieg" an. Das Motto ist eindeutig: "Stopp EU" und "Nein zum EU-Beitritt!". Ilan Șor behauptete, dass die EU-Mitgliedschaft für Moldau, entgegen der Meinung von Wirtschaftsexpert*innen, hohe Preise für Gas, Strom und "eine gewaltige Armut" bedeuten würde. Die von ihm präsentierte Alternative, sich Russland zuzuwenden, schien auf viele verlockend zu wirken. "Wenn wir uns Russland anschließen, werden wir ein reiches Moldau schaffen!", so Șors Überzeugung, und: "EU bedeutet Krieg, Russland bedeutet Schutz!"

Prorussische Akteurslandschaft

Ilan Șor, ein Unternehmer, Oligarch und Politiker, floh 2019 vor der moldauischen Justiz nach Israel und nach Russland. Zusammen mit anderen entwendete er zwischen 2012 und 2014 etwa eine Milliarde US-Dollar aus dem moldauischen Bankensystem. Am 14. April 2023 wurde Șors Gefängnisstrafe in Abwesenheit von ursprünglich siebeneinhalb Jahren auf 15 Jahre angehoben, seine nach ihm benannte Partei wurde nur kurze Zeit später verboten. Die Verfassungsrichter begründeten ihre Entscheidung damit, dass Politiker seiner Partei wiederholt gegen die moldauische Verfassung verstoßen hatten und durch Stimmenkauf sowie illegale Finanzierung die Souveränität und Unabhängigkeit der Republik Moldau bedrohten. Trotzdem ließ sich der prorussische Oligarch nicht davon abhalten, weiter per Videoübertragung und im Netz Politik in Moldau zu machen. Seine Verbündeten, ehemalige Șor-Partei-Politiker*innen, machen einfach unter dem Banner anderer Parteien und Bewegungen weiter, die neueste davon ist der politische Block "Pobeda", der am 21. April während eines sogenannten Kongresses oppositioneller moldauischer Parteien in Moskau gegründet wurde. Oppositionell bedeutet in diesem Fall konsequent prorussisch und antieuropäisch, offiziell ist dieser politische Block jedoch nicht registriert. Die Völkerfreundschaftsfeierlichkeiten am 18. Mai, bei denen die Kampagne "Stopp EU" ausgerufen wurde, fanden ebenfalls im Namen dieses Blocks statt.

Șor verfolgt schon seit Langem die überaus effektive Strategie, Menschen durch kostenlose Freizeitangebote und "soziale Projekte" von sich und der russischen Desinformation zu überzeugen. Das kommt bei vielen Menschen im armen Moldau gut an, denn sie spüren unmittelbar, was er ihnen bieten kann. Șor betreibt im ganzen Land ein Netzwerk von Sozialläden, in denen Lebensmittel zu günstigeren Preisen als im Supermarkt erworben werden können. 2018 eröffnete er in der Stadt Orhei, wo seine politische Karriere als Bürgermeister begann, einen kostenlosen Freizeitpark namens OrheiLand.

Neben Șor und den mit ihm affiliierten Politiker*innen gibt es auch prorussische Akteure aus den Reihen der beiden moldauischen Parteien der Sozialisten und Kommunisten sowie Amtsträger*innen ohne parteiliche Zugehörigkeit wie den gagausischen Abgeordneten Victor Petrov, der mutmaßlich Verbindungen zur russischen Mafia hat und ebenfalls mit sozialen Projekten auf Stimmenfang geht. Er trat bei den Başkan-Wahlen in Gagausien im vergangenen Jahr an, belegte aber nur den dritten Platz.

Leaks aus dem Kreml

Ein am 15. März 2023 von einem internationalen Journalistenkonsortium geleaktes Dokument aus der Abteilung für Beziehungen zu Nachbarländern des russischen Präsidialamtes von 2021 offenbart, dass der Kreml tatsächlich Pläne verfolgt, die Republik Moldau bis 2030 mithilfe hybrider Kriegsstrategien zu destabilisieren und letztendlich in einen russischen Satellitenstaat zu verwandeln. Das Dokument beschreibt, wie eine "ablehnende Haltung gegen die NATO in der moldauischen Gesellschaft und in politischen Kreisen" erzeugt sowie die Beziehungen zu Russland durch die Förderung der Orthodoxen Kirche und der russischen Sprache gestärkt werden sollen. Langfristige Ziele umfassen die Schaffung stabiler prorussischer Einflussgruppen in den politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes sowie die Integration in die EAWU und ein kollektives Sicherheitsbündnis. Es wird auch die Eröffnung eines russischen Konsulats in der gagausischen Hauptstadt Comrat bis 2022 erwähnt, was jedoch bisher nicht erfolgt ist. Das Dokument ähnelt stark einem vergleichbaren, im Februar 2023 geleakten Papier, das Strategien für eine russische Kontrolle über Belarus bis 2030 beschreibt.

Gagausien: Hass durch Minderheitenpolitik

Das autonome Territorium Gagausien im Süden der Republik Moldau besteht nicht aus einem durchgehenden Gebiet, sondern setzt sich aus einem größeren Territorium mit der Hauptstadt Comrat, einem südlichen Areal um die Stadt Vulcănești sowie zwei kleinen Exklaven zusammen.

Schon vor der offiziellen Unabhängigkeit Moldaus von der Sowjetunion im Jahr 1991, die seinerzeit absehbar war, erklärte sich Gagausien 1990 zur eigenständigen Sowjetrepublik. 1994 einigte man sich dann doch auf die Wiedereingliederung in die Republik Moldau, allerdings unter Wahrung besonderer Autonomierechte. Im Gegensatz zum de facto unabhängigen Transnistrien kam es in Gagausien nie zu einem militärischen Konflikt. Das Misstrauen gegenüber Chișinău blieb hoch: Anfang Februar 2014 wurde in Gagausien ein zweiteiliges Referendum abgehalten. Damals stimmten rund 99 Prozent der Wähler*innen dafür, dass die Region ihre Unabhängigkeit erklären solle, falls die Republik Moldau ihre Souveränität als Staat verliere, sprich sich Rumänien anschließen sollte – ein ziemlich unwahrscheinliches Szenario. 98 Prozent stimmten zudem für einen Beitritt Moldaus zur von Russland geführten Wirtschaftsunion – und 97 Prozent gegen die EU-Integration Moldaus. Das Referendum wurde von der moldauischen Regierung als illegal eingestuft.

Gagausien hat ein eigenes Parlament, eine eigene Regierung und ein eigenes Staatsoberhaupt, den Başkan, und unterliegt gleichzeitig der moldauischen Gesetzgebung. Laut offiziellen Angaben der gagausischen Regierung leben in diesem Gebiet 155646 Menschen, wovon 82 Prozent zur ethnischen Gruppe der Gagausen gehören, einem Turkvolk, das im späten 18. beziehungsweise frühen 19. Jahrhundert aus Bulgarien in das heutige Territorium einwanderte. Neben Gagausisch ist Russisch als Sprache in dieser Region am weitesten verbreitet, es ist als Lingua franca die Sprache der Politik, der Bildung und der meisten Medien vor Ort.

Neben der alltäglichen Verwendung der russischen Sprache sind auch russischsprachige Nachrichtenkanäle populär. Einige davon sind lokal und prorussisch ausgerichtet, wie auch die "öffentliche" Sendeanstalt Gagauziya Radio Televizionu (GRT). Daneben gibt es lokale prorussische Medien wie beispielsweise das Nachrichtenportal gagauznews.com, das mit Victor Petrov in Verbindung steht. Obwohl das Portal als gagauznews.md aufgrund von Kriegshetze und Befürwortung des russischen Angriffskriegs von den moldauischen Behörden verboten wurde, ist es unter der geänderten Domain weiterhin aktiv und auch in den sozialen Netzwerken präsent. Ein weiterer Informationskanal ist die Direktübertragung aus Russland über Kabelfernsehen, obwohl solche Kanäle eigentlich im Zuge der russischen Invasion in die Ukraine von den moldauischen Behörden verboten wurden. Zusätzlich gewinnen Plattformen wie TikTok und Telegram an Bedeutung.

Prorussisches Medienbild

Die Wahlen in Gagausien wurden von Vorwürfen der Wählerbestechung begleitet. Obwohl der Başkan von Amtes wegen Mitglied der moldauischen Regierung ist, hat Präsidentin Maia Sandu die gewählte Gouverneurin Evghenia Guțul immer noch nicht in die Regierung aufgenommen. Diese Verzögerung ist möglich, da das Gesetz keinen konkreten Zeitrahmen vorgibt, innerhalb dessen die Aufnahme erfolgen muss.

Die Wahlen in dem kleinen Gagausien wurden in russischen Staatsmedien ausführlich und einseitig behandelt. Es waren offensichtliche Parallelen zur russischen Berichterstattung über die Ukraine zu beobachten: Das "Regime Maia Sandus" wurde beschuldigt, die russischsprachige Bevölkerung in Gagausien zu benachteiligen, politische Gegner zu unterdrücken und "russophob" zu sein. Die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Novosti titelte sogar am 5. Mai: "Fatale Entscheidung. Moldau bewegt sich auf einen Bürgerkrieg zu." Im März 2023 veröffentlichte Guțul in ihren Social-Media-Kanälen ein Foto mit Putin, das während eines Besuchs in Russland aufgenommen wurde. Vor Guțuls Rückkehr nach Moldau häuften sich Berichte in den (pro)russischen Medien, die die sofortige Verhaftung der Gouverneurin bei ihrer Ankunft in Moldau aufgrund der vermeintlichen "Repressionen" durch die Regierung Sandu vorhersagten, wozu es aber nicht kam.

Transnistrien: Sozialistische Nostalgie

Transnistrien, ein De-Facto-Staat mit der Eigenbezeichnung "Pridnestrowische Moldawische Republik" (PMR), liegt auf der Landkarte als schmaler Streifen zwischen der Republik Moldau und der Ukraine. Die Verfassung Transnistriens nennt Moldawisch, Russisch und Ukrainisch als Amtssprachen, wobei Russisch in der Realität dominant ist. Moldawisch, das in kyrillischer Schrift geschrieben wird, ist eine Variante des Rumänischen und ist eine Konstruktion des sowjetischen Nationbuildings. Eine von der rumänischen Sprache vermeintlich verschiedene "moldawische" Sprache sollte eine eigene Identität der Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik begründen und von Rumänien abgrenzen. Die Zeit in Transnistrien scheint, so suggeriert zumindest das Bild der Hauptstadt Tiraspol, stillzustehen. Die transnistrische Flagge ist rot-grün-rot, mit einem gelben Hammer-und-Sichel-Symbol und einem Stern in der linken oberen Ecke – eine exakte Kopie der (zweiten) Flagge der Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik, die von 1952 bis 1990 verwendet wurde. Selbst die Währung trägt wie in Russland den Namen Rubel und auf die Münzen ist ein Hammer-und-Sichel-Symbol geprägt.

Transnistrien erklärte 1990 seine Unabhängigkeit von Moldau, dessen eigene Unabhängigkeit im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion schon absehbar war. Transnistrien wird jedoch von der internationalen Gemeinschaft weiterhin als Teil Moldaus betrachtet, selbst Russland folgt dieser Politik. Der Konflikt zwischen Moldau und Transnistrien war 1990 zu einem bewaffneten Konflikt eskaliert, der 1992 in einen kurzen Krieg mündete. Russische Verbände unterstützten seinerzeit Transnistrien, ein Waffenstillstand wurde noch im selben Jahr vereinbart. Die russischen Einheiten blieben als sogenannte Friedenstruppen in der Region. Derzeit gilt der Konflikt als eingefroren. Sollte Russland jedoch militärische Erfolge in der Ukraine verzeichnen, könnte es von Transnistrien aus versuchen, ganz Moldau zu annektieren.

Drohgebärden aus Tiraspol

Der russische Einfluss in Transnistrien ist über Marionettenstrukturen weit verbreitet. Ein moldauisches Investigativmedium veröffentlichte 2016 etwa eine Recherche mit dem Titel "Republik Sheriff", in der die Machenschaften des Konzerns Sheriff nachgezeichnet werden, wie dieser russische Interessen verfolgt und sich maßgeblich in die lokale Politik einmischt, aber auch bestens international vernetzt ist. Ihm gehören nicht nur der bekannte Fußballclub Sheriff Tiraspol, sondern unter anderem auch der Spirituosenhersteller Kvint, diverse Supermärkte, Tankstellen, ein Telekommunikationsunternehmen und ein Sportkomplex.

Die Armut, verbunden mit der Angst vor einer Eskalation des Konflikts in Transnistrien, treibt viele in der separatistischen Region zur Landflucht und Emigration, wodurch die Bevölkerungszahl seit den 1990er Jahren stark zurückgegangen ist. Diese desolate Situation scheint auf der anderen Seite den Frust und somit die Anfälligkeit für russische Propagandanarrative zu verstärken.

Am 28. Februar 2024 fand in Tiraspol ein "Kongress für Abgeordnete aller Ebenen" statt. Trotz vorheriger Befürchtungen kam es dabei nicht zu einer Bitte um Annexion durch Russland nach dem Muster der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ukraine. Der US-amerikanische Thinktank Institute for the Study of War hatte zuvor gewarnt, dass Transnistrien möglicherweise ein Referendum über den Anschluss an Russland abhalten könnte, um den russischen hybriden Krieg gegen Moldau zu unterstützen. In der Warnung wird beschrieben, dass die angebliche Notwendigkeit, russische Bürger und Landsleute in Transnistrien vor Bedrohungen durch Moldau oder die NATO zu schützen, den Vorwand für einen solchen Aufruf liefern könnte. Letztendlich verabschiedete der Kongress in Tiraspol lediglich eine Resolution, in der das russische Parlament darum gebeten wurde, angesichts des zunehmenden Drucks seitens der Republik Moldau Maßnahmen zum Schutz zu ergreifen, und wies darauf hin, dass 220000 Bürger in Transnistrien russische Pässe besitzen.

Seit Jahresbeginn 2024 ist die Beziehung zwischen der Republik Moldau und dem separatistischen Transnistrien zusätzlich spannungsgeladen. Moldau hatte entschieden, Einfuhrzölle auf aus Transnistrien eingeführte Waren zu erheben, was zu Protesten und Drohgebärden führte, die ebenfalls im Kongress Ende Februar gipfelten. Dass die einzige offene Grenze Transnistriens die moldauische ist und damit Waren nur hier passieren können, bedeutet, dass Moldau die Oberhand hat und ökonomischen Druck aufbauen kann. Diesen scheint die moldauische Regierung zu nutzen, um mit nichtmilitärischen Mitteln Transnistrien wieder zu einer Eingliederung ins Staatsgebiet zu bewegen und so auch eine EU-Integration voranzutreiben.

Fazit

Separatistische Tendenzen bilden ein gefährliches Einfallstor für die russische Einflussnahme in Moldau. Obwohl Gagausien dünn besiedelt ist – gerade einmal 5 Prozent der moldauischen Bevölkerung lebt dort – wird es von Russland, wie die aktuellen Entwicklungen zeigen, für eine gezielte Destabilisierung genutzt. In Gagausien kann derzeit beobachtet werden, wie prorussische Einflussgruppen geschaffen und eine ablehnende Haltung gegenüber der EU erzeugt wird. Gleichzeitig versucht die Republik Moldau dem entgegenzuwirken, etwa durch die moldauische Justiz, wie der Fall Guțul zeigt.

Auf die Frage hin, ob der Einfluss der Entwicklungen in Gagausien auf die Stabilität des gesamten Landes vielleicht überschätzt wird, sagt Valeriu Pașa von WatchDog: "Vielleicht ein bisschen, aber eben auch in Moskau. Sie brauchen Gagausien als eine Art Insel mit starker prorussischer Einstellung, denn obwohl es klein ist, hat es einen autonomen Status und eine eigene Verwaltung. Das kann Russland ausnutzen, um Chișinăus Energie dauerhaft dorthin zu kanalisieren, sodass sie an anderer Stelle fehlt." Ein ernstzunehmendes Problem ist auch, dass die EU zwar in Gagausien und Moldau investiert, dies aber nicht gut erkennbar und transparent kommuniziert, so Pașa. Wissen über EU-Investitionen kommt nicht in den Köpfen der Menschen an, die russische Desinformation schon, die die Welt auf den Kopf stellt: Viele in Gagausien glauben entgegen der tatsächlichen Verhältnisse, dass die meisten Investitionen in ihre Region aus Russland und nicht aus der EU stammen.

Der Fall Transnistrien ist in vielerlei Hinsicht verschieden. Es handelt sich zwar um eine prorussische Exklave mit russischem Militär, zugleich besteht – zumindest bislang – keine Verkehrsverbindung zu Russland. Die Schließung der Grenze zur Ukraine nach Beginn der russischen Großinvasion ermöglicht es der Republik Moldau, durch ökonomischen Druck eine Wiedereingliederung Transnistriens in die Republik Moldau voranzutreiben.

Beide abtrünnigen Territorien bilden zugleich Gefahrenherde für die moldauische Demokratie und die Pläne für eine europäische Integration. Russland unternimmt große Kraftanstrengungen, um durch Desinformation Einfluss zu nehmen – allerdings beschränkt sich diese nicht auf die beiden separatistischen Gebiete, sondern wirkt in der gesamten Republik Moldau. Zugleich versucht Letztere mit Unterstützung der EU und den USA dem entgegenzuwirken und bis 2030 tatsächlich Teil der Union zu werden. Die Präsidentschaftswahlen und das Referendum im Herbst 2024 dürften bestimmend dafür sein. Derzeit zeichnet sich jedenfalls trotz Russlands Bemühungen ein "Ja" zum EU-Beitritt in der Bevölkerung ab.

Obwohl es viele Ungewissheiten gibt, lässt sich eines mit Sicherheit sagen: Die Zukunft der Republik Moldau wird aktuell nicht nur im Land selbst, sondern auch in der Ukraine entschieden.