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Machtfragen und ihre Aushandlung | bpb.de

Machtfragen und ihre Aushandlung Zum politischen System der Republik Moldau

Nadja Douglas

/ 15 Minuten zu lesen

Auf politisch-institutioneller Ebene haben sich in der moldauischen Demokratie verschiedene Veränderungen vollzogen, die sich in Regierung, Parteien und Justiz widerspiegeln. Nicht zuletzt der langjährige Einfluss von Oligarchen war für ihre schwierige Lage verantwortlich.

Die Republik Moldau ist seit Anfang der 2000er Jahre eine parlamentarische Demokratie, infolge einer Verfassungsänderung 2016 wieder mit einer/einem direkt gewählten Präsident*in. Das Land befindet sich 2024 wieder einmal an einem Scheideweg, denn im Herbst stehen Präsidentschaftswahlen an, im Folgejahr dann Parlamentswahlen. Eine Wiederwahl der amtierenden Staatspräsidentin Maia Sandu ist wahrscheinlich, aber keine Gewissheit. Die Zukunft ihres größten politischen Projektes, der Beitritt der Republik Moldau zur Europäischen Union, soll sich parallel dazu im Rahmen eines Referendums am 20. Oktober entscheiden. Das Ergebnis wird richtungsweisend sein, nicht nur für die politische Zukunft der derzeitigen Regierung, sondern für den gesamten weiteren Transformationsprozess des Landes. Der Wandel des politischen Systems in den nunmehr fast 33 Jahren Unabhängigkeit war stets durch ein Zusammenspiel von internen und externen Faktoren bedingt. Insbesondere der Einfluss Russlands ist noch immer problematisch und eine historische Bürde für das kleine Land. Hinzu kommen separatistische Bestrebungen. Die fehlende Lösung des Konfliktes mit der abtrünnigen Region Transnistrien bedeutet insbesondere für die Annäherung an den Westen ein Hindernis. Noch angespannter ist die Lage in Gagausien. Seit der Wahl der prorussischen Gouverneurin Evghenia Guţul droht sich die autonome Region ideologisch vom Rest des Landes zu entfernen.

Verfassung und Regierungssystem

Das moldauische Regierungs- und Parteiensystem zeichnet sich im Vergleich zu anderen postsowjetischen Staaten durch ein relativ starkes Parlament, ein weitgehend pluralistisches Parteiensystem sowie überwiegend demokratische und friedliche Regierungswechsel in den vergangenen Jahrzehnten aus. Die erste Verfassung des unabhängigen Staates trat am 27. August 1994, nach langwierigen Diskussionen zur Staats- beziehungsweise Nationenbildung, nach der ersten freien und demokratischen Parlamentswahl in Kraft. Sie orientierte sich eng am rumänischen Vorbild, was in einem semipräsidentiellen Regierungssystem zum Ausdruck kam.

Das Regierungssystem hat sich seit den 1990er Jahren mehrfach gewandelt. Es oszillierte dabei stets zwischen Parlaments- und Präsidialsystem. Signifikant war insbesondere der Wechsel vom semipräsidentiellen zum klassisch parlamentarischen Regierungssystem im Jahr 2000. Ziel war es seinerzeit, die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Präsident*in, Regierung, und Parlamentsmehrheit einzudämmen und für stabilere Verhältnisse zu sorgen. Des Weiteren wurde die Direktwahl des/der Präsident*in wieder abgeschafft und erst 2016 wieder eingeführt.

Zeiten der Stabilität gab es in Moldau immer dann, wenn eine Partei nicht nur die Mehrheit im Parlament stellte, sondern auch den Präsidenten. Dazu kam es etwa nach den vorgezogenen Neuwahlen 2001, als die Kommunistische Partei die absolute Mehrheit errang und mit ihr Staatspräsident Vladimir Voronin eine dominante Rolle einnahm. Dies ist auch seit 2021 wieder der Fall, seitdem die proeuropäische PAS (Partidul Acțiune și Solidaritate, "Partei der Aktion und Solidarität") sowohl Staatspräsidentin als auch Regierung stellt und der präsidiale Machtapparat im verfassungsrechtlich parlamentarischen Regierungssystem wieder an Gewicht gewonnen hat. Auch während der Phasen, die durch einen starken und personalisierten Führungsstil des Staatsoberhauptes gekennzeichnet waren, bildete das Parlament stets einen relativ starken Gegenpol.

Staatskrisen

Prägend für die Entwicklung des Regierungssystems in den zurückliegenden 15 Jahren waren drei große Krisen, die aufgrund politischer Machtkämpfe zu häufigen Regierungs- beziehungsweise Kabinettswechseln führten.

Die Parlamentswahl im April 2009 war nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich eine Zäsur für die Republik. Aufgrund von Zweifeln an den Wahlergebnissen, dem Vorwurf der Wahlmanipulation und allgemeiner Unzufriedenheit mit den regierenden Kommunisten, insbesondere unter jungen Menschen, brachen Massenproteste aus. Hinzu kam, dass es keine Mehrheit für die Wahl des Staatspräsidenten im Parlament gab, was in der Folge zu einem dauerhaften Problem wurde und die Schwächen des Regierungssystems offenbarte. Gemäß Verfassung war Amtsinhaber Vladimir Voronin gezwungen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Die Wahlen im Juni brachten den Verlust der Regierungsmehrheit der Kommunistischen Partei und den Rücktritt Voronins mit sich. Weder die nach Juni 2009 regierende Allianz für Europäische Integration (Alianța pentru Integrare Europeană, bestehend aus vier Mitte-Rechts-Parteien) noch die verbliebene Fraktion der Kommunisten verfügten über die notwendige Drei-Fünftel-Mehrheit des Parlaments für die Wahl des/der Staatspräsident*in. Nachdem eine Verfassungsänderung für eine Direktwahl des Amtes ebenfalls gescheitert war, folgte eine erneute Wahl des Parlaments im November 2010. Die verfassungspolitisch notwendige Mehrheit konnte tatsächlich erst im März 2012 nach fast drei Jahren mit der Wahl des parteilosen Nicolae Timofti erreicht und die politische Krise damit beendet werden.

Eine fast zwei Jahre währende Staatskrise wurde durch den sogenannten Bankenbetrug ab 2014 ausgelöst. Rund eine Milliarde US-Dollar verschwand aus dem nationalen Bankensystem ins Ausland. Die Nationalbank war damals gezwungen, das staatliche Finanzsystem zu stützen, was indirekt zu einem gravierenden Anstieg der Inflation und der ohnehin schon hohen Staatsverschuldung führte. Die Empörung über die Oligarchisierung der Politik in der Bevölkerung war groß, und es kam wiederum zu einer der größten Protestwellen im Land. Ein ehemaliger Ministerpräsident, Vladimir "Vlad" Filat, wurde festgenommen und zu einer Haftstrafte verurteilt, während andere mutmaßliche Drahtzieher aus dem Kreis der Oligarchen entweder das Land verließen oder weiterhin das politische Geschehen bestimmten (etwa Vladimir Plahotniuc). Bis Anfang 2016 kam es zu weiteren vier Kabinettswechseln, was zu einer noch größeren Volatilität des politischen Systems führte sowie einen massiven Vertrauensverlust bei der Bevölkerung aber auch bei internationalen Partnern mit sich brachte.

Die jüngste Verfassungskrise 2019 war schließlich Ergebnis der Parlamentswahl im Frühjahr desselben Jahres, die keine klaren Mehrheiten sowie ein viermonatiges politisches Vakuum hervorbrachte. Die prorussische, vom damaligen Präsidenten Igor Dodon geführte Sozialistische Partei (PSRM) und das von der derzeitigen Präsidentin Maia Sandu angeführte proeuropäische Bündnis ACUM ("Jetzt"), bildeten schließlich am 8. Juni 2019 überraschend eine Koalition. Ziel war es, das oligarchische Regime Plahotniucs zu entmachten. Das moldauische Verfassungsgericht, das damals aus größtenteils Plahotniuc-treuen Richtern bestand, widersetzte sich und entschied, dass die neue Regierung verfassungswidrig zustande gekommen sei, da die 30-Tage-Frist zur Bildung einer Regierung bereits am Vortag abgelaufen war. Dementsprechend weigerte sich die noch amtierende, von der Demokratischen Partei gestellte Regierung, zurückzutreten. Am 9. Juni veröffentlichte das Gericht eine weitere Entscheidung, die Präsident Dodon zeitweilig suspendierte und den amtierenden Ministerpräsidenten Pavel Filip zum Interims-Präsidenten erklärte. Am 10. Juni hatte das kleine Land plötzlich zwei amtierende Präsidenten und zwei Kabinette, die gleichzeitig in Chișinău tagten. Filip unterzeichnete daraufhin einen Erlass zur Auflösung des Parlaments und ordnete Neuwahlen für September 2019 an. Die mangelnde Verfassungskonformität der Entscheidungen des Verfassungsgerichts wurden national wie international heftig kritisiert. In der Folge traten Filip, der Verfassungsgerichtspräsident sowie sämtliche Verfassungsrichter zurück. Die Krise war vorerst beendet, doch die Koalitionsregierung aus PSRM und ACUM mit Dodon als Präsident und Sandu als Ministerpräsidentin hielt nur bis November 2019.

Das politische System des Landes und seine zentralen Verfassungsorgane gingen stark beschädigt aus dieser jüngsten Krise und der vorangegangenen Politisierung der zentralen politischen Institutionen hervor. Diese Episode verdeutlicht überdies, wie schnell ein nicht gefestigtes Verfassungsregime wie das der Republik Moldau, das Anfang der 2010er Jahre als Vorzeigeland der Östlichen Partnerschaft galt, demokratische Rückschritte erleiden und sich in ein autoritäres Regime verwandeln kann.

Institutionen und Akteure

Im Folgenden werden die zentralen politischen Institutionen und Akteure kurz vorgestellt und ihre Bedeutung für die politischen Aushandlungsprozesse im Land näher beleuchtet.

Staatspräsident*in

Artikel 77, Absatz 2 der moldauischen Verfassung erklärt den/die Staatspräsident*in zum Garanten für die nationale Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität des Landes. Verfassungsrechtlich war das Amt des Staatsoberhauptes eher repräsentativ konzipiert. Durch die Wiedereinführung der Direktwahl 2016 ist das Amt wieder politischer geworden. Zu den wichtigsten Befugnissen des/der Präsidenten*in gehören neben Nominierungen, Ernennungen und Entlassungen anderer Amtsträger*innen (Artikel 88) das Recht, das Parlament aufzulösen sowie Befugnisse im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik. Die Verfassung eröffnet dem parlamentarischen Gesetzgeber jedoch im Rahmen von Artikel 88 Spielraum, durch weitere Gesetze die Rechte und Befugnisse des/der Staatspräsidenten*in auszuweiten. So hat das Staatsoberhaupt aufgrund eines suspensiven Vetos bei Gesetzesvorhaben die Möglichkeit, in die parlamentarische Arbeit einzugreifen und kann bei Fragen von nationalem Interesse ein Referendum ansetzen. Unter Maia Sandu wurde der Präsidialapparat zum eigentlichen Machtzentrum im Land, obwohl die exekutive Gewalt bei der Regierung liegt und obschon auch einige von Sandus Vorgängern sich während ihrer Amtszeiten bemüht hatten, die präsidialen Befugnisse auszuweiten. Sandu, die erste Frau in diesem Amt, gewann die Wahl 2020 vor allem mit ihrem Bekenntnis zu Integrität und Kompetenz. Auch die Stimmen der moldauischen Diaspora verhalfen ihr zum Sieg: 93 Prozent der Wähler*innen im Ausland stimmten im zweiten Wahlgang im November 2020 für sie.

Regierung

Die gegenwärtige Regierung besteht aus dem Ministerpräsidenten Dorin Recean und 14 Minister*innen, darunter fünf Vizepremiers. Der/die Gouverneur*in (Başkan) der autonomen Region Gagausien gehört als ex-officio Mitglied ebenfalls der Regierung an, die derzeitige Başkan Guţul wurde wegen ihrer Parteizugehörigkeit bisher ausgeschlossen. Zu den Hauptaufgaben der Regierung gehört die Innen- und Außenpolitik des Landes, sowie die Leitung der öffentlichen Verwaltung. In formaler Hinsicht ist die Stellung der Regierung im politischen System Moldaus durch ihre Abhängigkeit von der Legislative gekennzeichnet. Während den Beziehungen zwischen Parlament und Regierung ein eigenes Kapitel in der Verfassung gewidmet ist (Artikel 104–106), wird das Verhältnis der beiden Pole der Exekutive, also Präsident*in und Regierung, nicht gesondert behandelt. Theoretisch soll ihr Verhältnis durch Kooperation gekennzeichnet sein, da einige Funktionen wie die Abberufung und Ernennung von Minister*innen gemeinsam erfolgt. Auch die Zuständigkeiten im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik sollen gemeinsam wahrgenommen werden. In der bisherigen Verfassungsrealität war es allerdings meist so, dass der/die Präsident*in die Besetzung des Ministerpräsidentenpostens weitgehend autonom bestimmte. Insbesondere nach der Parlamentswahl vom April 2019 kam es zu einer Art "Kohabitation" moldauischer Art zwischen dem Staatspräsidenten und der Regierung, die aber nicht lange hielt und offen konfrontativ endete. Die in der Realität zwischen 2001 und 2009 sowie seit 2020 bestehende politische Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Präsidenten anstatt dem Parlament ist so in der Verfassung nicht vorgesehen.

Parlament und Gesetzgebung

Moldau verfügt über ein Einkammersystem. Das 101-köpfige Parlament ist laut Artikel 60, Absatz 1 der Verfassung das zentrale Gesetzgebungsorgan. Ergänzt wird die legislative Funktion durch Elemente der Volksgesetzgebung (Möglichkeit von Referenden). Unterschieden werden in der Verfassung drei Arten von Gesetzen: verfassungsändernde Gesetze, Organgesetze sowie einfache Gesetze. Die Volksversammlung der autonomen Region Gagausien hat zudem ein Initiativrecht, von dem in der Vergangenheit allerdings äußerst selten Gebrauch gemacht wurde. Der/die Parlamentspräsident*in nimmt im moldauischen parlamentarischen System eine herausgehobene Position, ein: Sie/er ist zugleich Stellvertreter*in des/der Präsident*in und Repräsentant*in der Legislative gegenüber den anderen Staatsgewalten. Die parlamentarische Arbeit war lange Zeit, insbesondere in der Phase des captured state, geprägt durch das Überlaufen beziehungsweise Bestechen von Mandatsträger*innen, um sie an einflussreichere politische Blöcke zu binden. Wahlblöcke waren oder sind in diesem Zusammenhang häufig Zweckbündnisse, die kurz nach der Wahl wieder auseinanderbrechen.

Parteiensystem, Wahlen und Referenden

Das moldauische Parteiensystem ist bislang noch wenig konsolidiert. Parteien und Allianzen waren in der Vergangenheit oft kurzlebig. Die ideologische Ausrichtung der einzelnen Parteien war hingegen über all die Jahre recht konstant und verlief entlang verschiedener Trennlinien. Zu nennen sind hier erstens eine geopolitisch/kulturelle Spaltung im Sinne der Orientierung nach Osten oder Westen, zweitens die Trennung zwischen Anhängern einer liberalen Marktwirtschaft und denen einer sozialen Umverteilung und drittens die postmaterialistische Kluft zwischen Verfechtern traditioneller Werte und progressiver Kräfte.

Die derzeit einflussreichste Partei im proeuropäischen Spektrum ist die regierende PAS. Im linken Spektrum ist die geschwächte Sozialistische Partei Moldaus (PSRM) immer noch die dominante Kraft. Sie veränderte mit ihrem Eintritt ins Parlament 2014 das Parteiensystem insofern, als sie die bis dahin mächtige Kommunistische Partei Moldaus (PCRM) verdrängte. Zusammen mit der Partei des Oligarchen Ilan Șor stellen letztere die prorussischen Kräfte dar, die paradoxerweise zum Teil durchaus EU-freundlich eingestellt sind. Zurzeit sondieren die Parteien im linken Spektrum, ob sie sich auf eine/n gemeinsame/n Kandidat*in für die Präsidentschaftswahl einigen können. Zum prorussischen Lager gehört ebenfalls die 2021 gegründete MAN-Partei (Alternative Nationale Bewegung), die sich um den Bürgermeister von Chișinău, Ion Ceban, gruppiert. MAN bemüht sich vor allem um proeuropäische Wählerschichten, die nicht PAS wählen wollen.

Moldau hat seit der Unabhängigkeit zehn Parlamentswahlen und neun Präsidentschaftswahlen abgehalten, die trotz wiederkehrender Unregelmäßigkeiten, insbesondere was Parteienfinanzierung, Druck auf unabhängige Kandidat*innen im Wahlkampf, Missbrauch von administrativen Ressourcen, diskriminierende Rhetorik und einen gleichberechtigten Medienzugang betraf, dennoch von internationalen Beobachter*innen, etwa der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), als weitgehend demokratisch eingestuft wurden.

Justiz

Das Justizsystem bleibt eine Achillesferse des Staates und besonders für die reformorientierte PAS-Regierung. Als Schwachpunkte werden neben dem oftmals noch unzureichenden Schutz der Grundrechte vor allem die Organisationsstruktur des Justizwesens und die endemische Korruption genannt. Justiz und Rechtsstaatlichkeit haben vor allem in den Jahren unter Plahotniuc an Unabhängigkeit eingebüßt. Die Entpolitisierung des Justizsystems kommt nur langsam voran.

Die Ernennung, Einsetzung und Entlassung von Richter*innen für alle anderen Gerichte erfolgt durch den/die Präsidenten*in auf Basis einer Empfehlung des Obersten Richterrats (Consiliul Superior al Magistraturii). Die Rolle dieses aus elf Richtern bestehenden Gremiums ist wichtig für die Unabhängigkeit des Justizsystems und wurde auf Empfehlung der EU und des Europarats gestärkt. Kritisiert wird jedoch die fehlende Transparenz bei der Ernennung von Richter*innen sowie mangelhafte öffentliche Kommunikation. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen zurzeit das sogenannte Vetting- beziehungsweise Pre-Vetting-Verfahren, Prozesse zur Evaluierung, Verifizierung und Auswahl von Richter*innen und Staatsanwält*innen sowie anderen Gerichtsbeamt*innen, mit dem Ziel ihre Integrität, Kompetenz und Unparteilichkeit sicherzustellen. Doch viele Richter*innen weigern sich zu kooperieren.

Ein Thema für sich ist die seit 2019 anhaltende Auseinandersetzung zwischen den politischen Kräften über die Ernennung des Generalstaatsanwalts. Über diese Frage zerbrach auch die Koalition zwischen PSRM und ACUM 2019. Nachdem der umstrittene, unter Dodon ins Amt eingetretene Generalstaatsanwalt Alexandr Stoianoglo 2021 abberufen wurde, konnte bis Mai 2024 keine Einigung auf eine/n geeignete/n Kandidat*in erzielt werden. Nun wurde als Ergebnis eines kompetitiven Verfahrens der bereits kommissarisch eingesetzte Ion Munteanu zum neuen Generalstaatsanwalt ernannt.

Schließlich kommt dem aus sechs Verfassungsrichtern zusammengesetzten moldauischen Verfassungsgericht eine besondere Rolle zu. Ihm wurde in den Jahren seit der Unabhängigkeit bis zur vollkommenen Politisierung unter Plahotniuc eine positive Rolle in den politischen Entwicklungen des Landes attestiert. Es ist gemäß Verfassung unabhängig und formal nicht Teil des moldauischen Rechtsystems (Artikel 134, Absatz 2). Das Gericht spielte überdies eine wichtige Rolle bei der Klärung von Kompetenzabgrenzungen politischer Akteure, die in der Verfassung oft nicht eindeutig festgelegt sind.

Zivilgesellschaft und Protest

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich die Zivilgesellschaft des kleinen Landes merklich weiterentwickelt. Für ihre Partizipation am politischen Diskurs sind ein verbesserter Medienzugang beziehungsweise die Etablierung von sozialen Medien sowie Online-Formaten nicht unwesentlich. NGOs werden verstärkt auch politisch vom Parlament und den Ministerien eingebunden und konsultiert. Dauerhafte Konsultationsplattformen für die Zivilgesellschaft werden zwar diskutiert, sind aber noch nicht eingeführt. Auch die Verbesserungen in der Ausübung von Grundrechten sind bemerkenswert. Das viel gelobte Versammlungsgesetz von 2008 bietet hierfür wichtige Voraussetzungen. Dennoch wird die allgemeine Menschenrechtslage in der Republik Moldau regelmäßig kritisiert, insbesondere im Bereich Strafvollzug und im Hinblick auf Minderheitenrechte (Roma, LGBTQ etc.).

Die in den postsowjetischen Jahren eher schwach ausgeprägte gesellschaftliche Mobilisierung hat spätestens 2009 mit der sogenannten Twitter-Revolution einen grundlegenden Wandel erfahren. Es handelte sich hierbei um die ersten Massenproteste im Land, bei denen soziale Medien und digitale Technologien eine entscheidende Rolle spielten. Vier Menschen starben dabei infolge der brutalen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. 2014 brachen wiederum Proteste anlässlich des bereits erwähnten Bankenskandals aus. Als deutlich wurde, dass die Regierung Steuergelder einsetzen würde, um die gestohlene Milliarde zu kompensieren, gab es ab 2015 längerfristige Protestcamps quer über das politische Spektrum hinweg. Sie richteten sich gegen die Regierungspolitik und Oligarchisierung im Land, hatten aber letztlich wenig Erfolg. Die Polizeigewalt erreichte eine neue Dimension, so auch die Politisierung der Polizei und des Innenministeriums unter der von Plahotniuc kontollierten PDM-Regierung.

Im Winter 2022/23 kam es infolge des Krieges in der Ukraine, der galoppierenden Inflation, die zeitweilig bei 25 Prozent lag, und vor allem wegen der hohen Energiepreise erneut zu massiven sozialen Protesten, die Tausende auf die Straße brachten. Diese Proteste waren zwar spontan, wurden aber teilweise von prorussischen Kräften im Land, vornehmlich der Șor-Partei, befeuert und gesteuert. Russische Desinformationskampagnen und populistische Forderungen von Șor fielen auf fruchtbaren Boden.

Künftige Herausforderungen

Die demokratische Entwicklung der Republik Moldau steht in den kommenden Jahren vor gewaltigen Herausforderungen. 2024 werden entscheidende Weichen gestellt. Innenpolitisch steht an oberster Stelle die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Denn eine weitere Fragmentierung der Gesellschaft und Abdriften gesellschaftlicher Gruppen oder gar ganzer Landesteile bedeutet nicht nur eine Schwächung der nationalen Identität, sondern birgt letztlich auch ein Sicherheitsrisiko. Russland versucht das Land weiter zu destabilisieren, um es in den eigenen Einflussbereich zurückzuziehen. So wurden im Frühjahr 2023 interne Strategiepapiere aus dem Kreml bekannt, die Pläne offenbarten, wie die russische Einflussnahme in zentralen staatlichen Bereichen ausgeweitet und der Einfluss anderer externer Akteure zurückgedrängt werden könnte.

Zentral für die politische Entwicklung sowie Ausrichtung der moldauischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bleibt die in Artikel 11, Absatz 1 der Verfassung festgeschriebene permanente Neutralität. Verfassungsrechtlich umfasst dies ein ausdrückliches Verbot, ausländische Truppen auf dem Staatsgebiet zu stationieren. Das Neutralitätsgebot wird im Land seit einigen Jahren kontrovers diskutiert. Die regierende PAS bekennt sich nicht mehr öffentlich dazu, erwähnt es auch in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie nicht. Eigentlich strebt sie mit Blick auf eine auch militärstrategisch engere Anbindung an den Westen eine Änderung der Verfassung an, ist sich aber bewusst, dass es dafür derzeit keine gesellschaftliche Mehrheit gibt. Analog zu den anderen allgemeinen Verfassungsgrundsätzen der Souveränität, Unabhängigkeit und Einheitlichkeit ist auch die permanente Neutralität nur im Rahmen eines Referendums mit Zustimmung der Stimmenmehrheit aller Bürger*innen änderbar (Artikel 142, Absatz 1). Moldau bleibt durch seine exponierte Rolle im Ukraine-Krieg im Fokus der NATO und der EU, die das Land durch Unterstützungsmaßnahmen, unter anderem im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität, zu stärken versuchen. Letztlich bleibt der Ausgang des Krieges in der Ukraine der entscheidende Faktor für die weitere wirtschaftliche, gesellschaftliche und auch politische Entwicklung des Landes.