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Fragile Stabilität | bpb.de

Fragile Stabilität

Anastasia Pociumban

/ 14 Minuten zu lesen

Sicherheit und wirtschaftlicher Aufschwung sind die zwei größten politischen Herausforderungen, die die Republik Moldau derzeit umtreiben. Desinformationskampagnen Russlands und schwindender Konsens im Land schwächen den proeuropäischen Kurs der Regierung.

Der russische Einmarsch in die Ukraine 2022 hat die Republik Moldau mit ihren rund 2,6 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in eine prekäre Lage gebracht. Nach der Corona-Pandemie und der 2021 einsetzenden Energiekrise bestand für das Land die reale Gefahr, dass Russland bis an seine Grenzen vordringen und sich die abtrünnige Region Transnistrien einverleiben würde. Auch wenn eine direkte militärische Invasion ausblieb, hat der bereits vorhandene russische Einfluss im Land drastisch zugenommen und hält auf einem neuen Niveau an. Darüber hinaus erlebte Moldau in der ersten Woche der russischen Aggression gegen die Ukraine einen noch nie dagewesenen Zustrom von Geflüchteten aus dem Nachbarland. Seit Beginn der Invasion überquerten mehr als eine Million Menschen die Grenze. In Moldau halten sich nach wie vor rund 118000 Geflüchtete auf, was etwa 3 Prozent der Landesbevölkerung entspricht. Dabei handelt es sich in erster Linie um besonders schutzbedürftige Gruppen wie Frauen, Kinder und betagte Erwachsene, was für die moldauischen Ämter und Einrichtungen eine besondere Herausforderung darstellt.

Überdies hat sich die Energiekrise im Land nach der Drosselung der russischen Gaslieferungen 2022 und den Verhandlungen der moldauischen Regierung mit Transnistrien über die Stromversorgung weiter verschärft. Bestimmte Akteure, die dem Kreml nahestehen, instrumentalisierten seinerzeit die Sicherheits-, Energie- und Regionalkonflikte mit dem Ziel, die innenpolitische Lage weiter zu destabilisieren. Die moldauische Regierung konnte die Herausforderungen – insbesondere bei der Energieversorgung, der Bewältigung der Flüchtlingskrise und dem Umgang mit Sicherheitsbedenken bei hybrider Bedrohungslage – nur dank Unterstützung von außen bewältigen, etwa aus Rumänien und anderen EU-Ländern.

Inmitten dieser Entwicklungen und Krisen hat die Republik Moldau im März 2022 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt und, wie die Ukraine kurz zuvor, den Kandidatenstatus erhalten. Im Dezember 2023 empfahl der Europäische Rat dann die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Chișinău. Es wird erwartet, dass der weitere Fahrplan im Juni 2024 vereinbart wird, woraufhin dann eine Regierungskonferenz in Moldau ansteht.

Die nächsten anderthalb Jahre sind für die Republik entscheidend. Im Oktober 2024 stehen Präsidentschaftswahlen an, verbunden mit einem Referendum über einen möglichen EU-Beitritt, und im Herbst 2025 folgen dann Parlamentswahlen.

Austragungsort für hybride Drohgebärden

Territorialkonflikte haben Russland bereits in der Vergangenheit als Plattform gedient, um die hybriden Drohgebärden gegen Moldau zu verstärken. Die nicht anerkannte Republik Transnistrien und die autonome Region Gagausien wurden dabei zur Projektionsfläche für verschiedene Destabilisierungsversuche. Während es der moldauischen Regierung in Bezug auf Transnistrien gelungen ist, eine Eskalation zu verhindern und die Kommunikation mit den transnistrischen Behörden aufrechtzuerhalten, gestaltete sich die Lage in Gagausien zunehmend schwierig.

Der 2017 wegen Finanzbetrugs verurteilte und seit 2019 flüchtige Oligarch und Politiker Ilan Șor, der die moldauische, israelische und russische Staatsbürgerschaft besitzt, von der EU und den USA mit Sanktionen belegt ist und sich in Russland aufhält, instrumentalisiert derzeit die Spannungen im Land, etwa in der Region Gagausien, um Propaganda des Kremls zu verbreiten. Zusammen mit seinen Verbündeten setzt er aus dem russischen Exil heraus Methoden der hybriden Kriegsführung gegen die moldauische Regierung unter Präsidentin Maia Sandu ein, etwa durch die Initiierung regierungsfeindlicher Kampagnen, die Verbreitung von Desinformation und den Einsatz illegaler Finanzmittel zum Anheizen von inneren Unruhen. Die Partei des Oligarchen wurde im Sommer 2023 zwar für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst, was seine Bemühungen, die politische Landschaft aufzumischen, teilweise erschwerte. Seinem Einfluss hat dies jedoch keinen Abbruch getan – es entstanden neue Parteien, die mit ihm in Verbindung stehen, und die Gefahr einer Destabilisierung bleibt hoch, solange es einen Zustrom von Finanzmitteln aus Moskau gibt.

Neuauflage der Transnistrien-Frage

Die nicht anerkannte Republik Transnistrien mit ihren rund 300000 Einwohnern, etwa 1500 seit 1992 als "Friedenstruppe" stationierten russischen Soldaten und dem Munitionsdepot beim Dorf Cobasna ist für die Republik Moldau ein wunder Punkt. In der Vergangenheit nutzte der Kreml die Abhängigkeit des Landes von russischem Gas und transnistrischem Strom erfolgreich als politisches Druckmittel. Der Krieg in der Ukraine hat diese Dynamik erheblich verändert.

Nach Ausbruch des Krieges sah sich Chișinău gezwungen, seine Energieimporte zu diversifizieren, wodurch sich die Hebelwirkung Transnistriens faktisch abschwächte. Das von Gazprom gelieferte Gas kommt nun in Transnistrien an, und im Gegenzug beliefert das transnistrische Cuciurgan-Kraftwerk Moldau mit Strom. Russland könnte diese Gaslieferungen nach wie vor jederzeit unterbrechen, was sich drastisch auf die wirtschaftliche Lage der Region auswirken und im Falle von Fluchtbewegungen zu einer humanitären Katastrophe in der Republik führen würde.

Die Bemühungen Moldaus um eine Diversifizierung der Energiequellen des Landes, darunter auch der Bau der Hochspannungsleitungen Vulcănești-Chișinău und Suceava-Bălți, die Transnistrien umgehen, werden den Einfluss der abtrünnigen Region auf die übrigen Landesteile weiter verringern. Die Abhängigkeit Transnistriens von der Republik Moldau nimmt hingegen zu, und zwar insbesondere bei Handel und Mobilität. Viele transnistrische Unternehmen profitieren vom DCFTA (Deep and Comprehensive Free Trade Agreement), das zwischen der EU und Moldau 2014 vereinbart wurde und auch die Wiedereingliederung Transnistriens auf wirtschaftlicher Ebene fördern soll. Darüber hinaus hat die Schließung der moldauisch-ukrainischen Grenze auf transnistrischer Seite dazu geführt, dass Transnistrien bei Exporten, Importen und im Personenverkehr vollständig von der Zentralregierung abhängig geworden ist. Das hat auch zur Folge, dass der EU-Markt für Transnistrien mit 70 Prozent der Exporte entscheidend an Bedeutung gewonnen hat.

Schätzungsweise 90 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner Transnistriens besitzen einen moldauischen Pass, und auch die Anzahl der beantragten moldauische Führerscheine steigt beständig. Die Loyalität der transnistrischen Bevölkerung gegenüber den Behörden in ihrer Hauptstadt Tiraspol oder gegenüber Russland scheint zudem fraglich zu sein, was sich auch daran festmachen lässt, dass es Menschen gab, die die abtrünnige Region verließen, nachdem eine Meldung über eine Mobilmachung in Umlauf geriet, was sich später als Fehlinformation herausstellen sollte. In der in Transnistrien stationierten russischen "Friedenstruppe" gibt es keine Rotation, und die meisten "Friedensschützer" bestehen aus in Transnistrien ansässigen Personen mit russischer Staatsbürgerschaft. Dennoch ist die Bevölkerung nach wie vor empfänglich für Desinformation, und es steht zu befürchten, dass der Kreml dies weiter ausnutzt. Ein Beispiel dafür war etwa der Abgeordnetenkongress in Tiraspol im Februar 2024, der internationale Spekulationen darüber auslöste, ob Transnistrien Russland um formale Anerkennung und eine militärische "Schutzintervention" bitten würde. Es kam nicht dazu, die Delegierten beschäftigten sich in erster Linie mit der Verschlechterung der Wirtschaftslage. Hintergrund war die Entscheidung der Behörden in Chișinău, die Zollbefreiungen für transnistrische Unternehmen aufzuheben und sie damit den Unternehmen am rechten Ufer des Dnister-Flusses gleichzustellen. Der Kongress übte außerdem Druck auf die moldauische Regierung aus, insbesondere im Hinblick auf ihre Bemühungen um Wiedereingliederung.

Die Regierung in Chișinău hält daran fest, dass die Wiedereingliederung nur auf friedlichem Wege erfolgen kann, und betrachtet sie als einen langfristigen Prozess. Transnistrien und Russland treten für die Beibehaltung des sogenannten 5+2-Verhandlungsformats ein (Republik Moldau, Transnistrien, Russland, Ukraine, OSZE, EU, USA), doch dessen Wirksamkeit bei der Beilegung des Konflikts wird seit langem infrage gestellt. Ursprünglich zur Handhabung praktischer Fragen gedacht, diente er nie als Plattform zur Ausarbeitung einer dauerhaften Lösung, sondern wurde vielmehr zur Aufrechterhaltung des Status quo genutzt. Vor dem Hintergrund der russischen Aggression in der Ukraine ist dieses Format dysfunktional, die Treffen wurden in einem 1+1-Format zwischen Chișinău und Tiraspol fortgesetzt. Diese neuen Rahmenbedingungen veranlasste die moldauische Regierung dazu, ihre Reintegrationsstrategie, einschließlich möglicher Szenarien und der damit verbundenen Kosten, neu zu bewerten. Die Beibehaltung des Status quo, bei dem Russland weiterhin Einfluss auf die Republik Moldau ausübt und mit militärischer Präsenz in Transnistrien eine ständige Bedrohung für die Ukraine darstellt, ist nicht mehr praktikabel.

Die derzeitige Situation in den Beziehungen zwischen Chișinău und Tiraspol ist äußerst heikel, da die Republik Moldau mit Sicherheitsproblemen, begrenzten Regierungskapazitäten und einer angespannten sozioökonomischen Lage zu kämpfen hat. Hinzu kommt, dass die begrenzte Anzahl von Kontakten und ein geringes öffentliches Interesse den kulturellen und sozialen Austausch über den Dnister-Fluss hinweg behindert. Die Unterstützung von Programmen zur Förderung des kulturellen, bildungsbezogenen und sportlichen Austauschs zwischen beiden Seiten ist daher von großer Bedeutung. Der Aufbau von Vertrauen und Verständnis zwischen den Menschen ist für einen allmählichen Wiedereingliederungsprozess eine zentrale Komponente, da es gerade die fehlende Vertrautheit ist, die derzeit Fortschritte hemmt. In diesem Zusammenhang sollte die Reintegration Transnistriens als langfristige Strategie zur Stärkung der Resilienz der Republik insgesamt betrachtet werden.

Ilan Șor und Gagausien

Obwohl Transnistrien anfangs als potenzieller Ausgangspunkt eines Destabilisierungsversuchs angesehen wurde, ist es der moldauischen Regierung gelungen, den Dialog mit den dortigen Behörden aufrechtzuerhalten und eine nennenswerte Eskalation zu verhindern. Eine große Herausforderung stellen jedoch der im russischen Exil lebende Oligarch Ilan Șor und seine Verbündeten in Gagausien dar.

Im Juli 2023 gewann die Șor nahestehende Kandidatin Evghenia Guțul, die wie aus dem Nichts auf der politischen Bühne aufgetaucht war, die Gouverneurswahlen in der autonomen Region, in der etwa 4,7 Prozent der Bevölkerung Moldaus leben, und versprach ihren Wählerinnen und Wählern billiges Gas. Getrübt wurde dieser Sieg allerdings durch den Vorwurf der Wählerbeeinflussung über dubiose Wahlkampffinanzierung. Die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft beschuldigte Guțul und eine weitere Führungskraft aus dem Büro von Șor, zwischen 2019 und 2022 illegale Gelder aus Russland zur Unterstützung der Șor-Partei weitergeleitet sowie Gelder aus dem Umfeld des organisierten Verbrechens erhalten zu haben.

Im Anschluss an den Besuch von Guțul und anderen politischen Vertreterinnen und Vertretern aus Moldau in Moskau im Frühjahr 2024, bei denen sie sich unter anderem auch mit Șor trafen und die Gründung der neuen prorussischen Partei "Pobeda" (russisch: Sieg) ankündigten, wurden rund 100 Millionen moldauische Lei (rund 5 Millionen Euro) bei den etwa 150 aus Russland zurückkehrenden Personen beschlagnahmt. Dieser Beschlagnahmung ging der Verdacht voraus, dass illegale Finanzmittel eingeführt werden sollten, ohne sie zu deklarieren.

Die Destabilisierungsbemühungen aus Gagausien werden wahrscheinlich anhalten. Fragen zur wirtschaftlichen Lage und zur EU-Integration sind in diesem Zusammenhang dafür prädestiniert, propagandistisch ausgeschlachtet zu werden. Außerdem könnte die neue prorussische Partei einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr aufstellen beziehungsweise eine kremlfreundliche Stimme unterstützen und finanzieren. Diese Entwicklung stellt ein erhebliches Risiko für die amtierende Regierung dar. Es ist daher entscheidend, den Zufluss illegaler Gelder zu unterbinden, um bezahlte Kampagnen und manipulierte Abstimmungen sowie gekaufte Demonstrationen einzudämmen. Das gestaltet sich jedoch alles andere als einfach und stellt die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden vor beträchtliche Herausforderungen.

Prekäre Sicherheitslage

Wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine hat das Thema Sicherheit für die Republik Moldau höchste Priorität. Mit einer Streitkraft von nur rund 6000 Mann steht das Land im weltweiten Militärstärkeindex an vorletzter Stelle. In der moldauischen Öffentlichkeit ist dieses Thema sichtbar in den Fokus gerückt. In Umfragen wurde 2022 die Kriegsgefahr in der Region als zweitgrößte Sorge nach den hohen Preisen für die Lebenshaltung genannt. Obwohl diese Besorgnis inzwischen auf den vierten Platz zurückgefallen ist und von wirtschaftlichen Ängsten überholt wurde, ist sie in der Gesellschaft weiterhin sehr präsent.

Die Sorgen der Menschen haben einen realen Hintergrund: 2022 erlebte die Republik Moldau eine Welle von Bombenalarmen, Explosionen und Cyberangriffen. Aufgrund des Krieges in der Ukraine und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Spannungen und der Energiekrise stieg die Inflation bis Ende 2022 auf über 30 Prozent. Diese Situation und die wachsende Unbeliebtheit des vorherigen Kabinetts, das während seiner eineinhalbjährigen Amtszeit mehrere Krisen zu bewältigen hatte, machte im Februar 2023 eine Regierungsumbildung erforderlich. Dorin Recean, der ehemalige Sicherheitsberater von Präsidentin Maia Sandu und frühere Innenminister, wurde zum neuen Ministerpräsidenten ernannt. Die Ernennung Receans spiegelt auch den Wunsch wider, die Popularität der regierenden proeuropäischen Partei Partidul Acțiune și Solidaritate (PAS) zu steigern und den Themen Sicherheit und Wirtschaft mehr Raum zu geben.

Das Sicherheitsbudget ist in den vergangenen zwei Jahren aufgrund der politischen Bedeutungsverlagerung erheblich gestiegen. 2024 ist es fast viermal so hoch wie noch 2013, der Verteidigungssektor macht etwa 96 Milliarden moldauische Lei (rund 100 Millionen Euro) aus. Dieser Betrag entspricht allerdings nur 0,6 Prozent des BIP und fällt damit deutlich geringer aus als die angestrebten ein bis zwei Prozent. Um die Armee angemessen zu modernisieren, bräuchte die Republik Moldau tatsächlich rund 250 Millionen Euro pro Jahr. Das Land hat in diesem Kontext von EU-Unterstützung profitiert. Die neue EU-Partnerschaftsmission (EUPM) stellt etwa technisches Fachwissen zur Bekämpfung von Desinformation und Cyberangriffen bereit und stärkt so die Verteidigung des Landes gegen hybride Bedrohungen. Darüber hinaus unterstützt die Europäische Friedensfazilität (EFF) die Republik Moldau bei der Modernisierung ihres Militärs und stärkt so die Fähigkeit, sich gegen potenzielle Angriffe von außen zu wehren.

Ferner zielt die im Oktober 2023 verabschiedete neue nationale Sicherheitsstrategie darauf ab, die Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten des Landes weiter zu stärken, Fortschritte bei der Lösung des Transnistrien-Konflikts zu erzielen und die Partnerschaften mit der EU, ihren Mitgliedstaaten und den NATO-Verbündeten zu festigen. Die Strategie erklärt die Angleichung an EU-Standards zum Ziel und unterstreicht den erklärten proeuropäischen Kurs. Man bezeichnet Russland ausdrücklich als Feind und unterlässt jede Andeutung auf eine Neutralität der Republik Moldau. Gleichzeitig steht der NATO-Beitritt nicht ausdrücklich auf der Agenda der Regierung, da er in der Bevölkerung unpopulär ist und sich 69 Prozent für eine Neutralität des Landes aussprechen. Die Herausforderungen sind nach wie vor groß, da die Verwaltungs- und Finanzkapazitäten im Sicherheitsbereich an ihre Grenzen stoßen.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Präsidentin Maia Sandu bereitet sich derzeit nach einer schwierigen vierjährigen Amtszeit, die vor allem durch die anhaltende russische Aggression in der Ukraine geprägt war, auf ihren Wahlkampf vor. 2020 sicherte sie sich im zweiten Wahlgang den Sieg gegen den ehemaligen Präsidenten Igor Dodon, mit 57,7 Prozent der Stimmen und bei einer Wahlbeteiligung von fast 53 Prozent. Fast 93 Prozent der moldauischen Diaspora unterstützten Sandu. Auch ihre Partei, die PAS, erreichte bei den Parlamentswahlen mit 52,8 Prozent der Stimmen und 63 von 101 Mandaten eine absolute Mehrheit im Parlament. PAS und Sandu setzten im Wahlkampf damals vor allem auf die Themen wirtschaftlicher Wohlstand, Korruptionsbekämpfung und den Abbau oligarchischer Strukturen, die unter anderem von dem berüchtigten, auch international sanktionierten Oligarchen und ehemaligen Parlamentspräsidenten Vladimir Plahotniuc geschaffen worden waren.

Drei Jahre später ist die moldauische Gesellschaft angesichts der inneren Schwierigkeiten und der Auswirkungen des Ukraine-Krieges nach wie vor anfällig für russische Desinformationskampagnen. Sie leidet unter der schlechten Wirtschaftslage, und im täglichen Leben scheint es keine sichtbaren Veränderungen zu geben. Viele Menschen halten die Wahlversprechen der Präsidentin für nicht erfüllt, und die Regierung geht zu wenig auf die Bedenken in der Bevölkerung ein. Angesichts der Tatsache, dass 59 Prozent der Meinung sind, das Land bewege sich in die falsche Richtung, und zwar vor allem aufgrund wirtschaftlicher Sorgen, wird es für die PAS schwierig werden, nach den Parlamentswahlen an der Macht zu bleiben. Der gesellschaftliche Zusammenhalt bleibt damit eine entscheidende Herausforderung für die Republik Moldau.

Hybride Angriffe gibt es an verschiedenen Fronten und über verschiedene Kanäle. Während der Krieg im Nachbarland und der Flüchtlingszustrom aus der Ukraine zunächst ein Gefühl der Einheit im Land förderten und die Bürgerinnen und Bürger bei der Unterstützung der Geflüchteten tatkräftig mit anpackten (nur 4 Prozent kamen in Flüchtlingslagern unter), war die Situation nicht völlig frei von Desinformation. In russlandnahen Medien kursierte die Behauptung, die Ukrainer nähmen Arbeitsplätze weg, und auch wenn diese Meldungen keine nennenswerte Wirkung erzielten, trugen sie doch zur allgemeinen Unruhe in der Gesellschaft bei. Weite Verbreitung fanden außerdem Ansichten wie diejenige, dass die moldauische Regierung mit ihren EU-Ambitionen das Land zu einem Beitritt zum Sanktionsregime gegen Russland bewegen und in den Krieg hineinziehen wolle.

Die Entscheidung, parallel zu den Präsidentschaftswahlen im Herbst 2024 ein Verfassungsreferendum über den EU-Beitritt abzuhalten, hat aufgrund der gespaltenen öffentlichen Meinung zur EU-Integration eine Kontroverse ausgelöst. Eine Umfrage vom April ermittelte eine Zustimmung von 56,5 Prozent, wohingegen eine frühere Umfrage eine geringere Zustimmung von 48 Prozent ergeben hatte. In diesen Zahlen ist die EU-freundlich gesinnte Diaspora nicht enthalten, deren Einbeziehung die Position der Beitrittsbefürworter erheblich stärken könnte. Obwohl das Referendum darauf abzielt, die Agenda der EU-Integration zu festigen, könnte dieses Ziel verfehlt werden. Denn die Zahlen machen deutlich, wie nötig ein landesweiter Konsens in dieser Frage wäre, der aber bislang fehlt. Ihn zu erreichen hat die amtierende Regierung bislang nicht vermocht. Dabei richten sich die vorherrschenden Anti-EU-Narrative gar nicht so sehr gegen die EU selbst, als vielmehr gegen mutmaßliche Korruption innerhalb der Regierung und dass sie die EU-Agenda für ihre eigenen Interessen nutze. Außerdem herrscht Skepsis darüber, ob die EU Moldau überhaupt aufnehmen würde, und es sorgt für Irritation, dass man selbst in Brüssel in manchen Punkten gespalten ist, zum Beispiel bezüglich der Unterstützung der Ukraine.

Die Parteien, die Ilan Șor nahe stehen, werden das Referendum wahrscheinlich zum Anlass nehmen, Desinformation über die EU zu verbreiten, indem sie sich vertraute Narrative zunutze machen, die die Gemeinschaft als Ursache von Flüchtlingsströmen, hohen Energiekosten und einer Propagierung von LGBTQI-Lebensmodellen darstellen. Eine solche Kampagne könnte durchaus die öffentliche Meinung in Moldau beeinflussen, insbesondere Menschen, die kulturelle Veränderungen oder wirtschaftliche Instabilität mit großer Sorge betrachten.

Hauptziel des angesetzten Referendums im Herbst ist, die Wählerinnen und Wähler für die Präsidentschaftswahlen und die EU-Beitrittsfrage zu mobilisieren. Aktuelle Umfragen deuten zwar darauf hin, dass Maia Sandu Spitzenkandidatin für die Wahl bleiben wird, doch sechs Monate Wahlkampf bieten reichlich Gelegenheit für neue Hemmnisse. Vor dem Hintergrund knapper Verwaltungsressourcen werden kremlnahe Parteien wahrscheinlich versuchen, aus etwaigen Fehlern der Regierung Kapital zu schlagen oder die Wirkung von Desinformationen zu verstärken, um das Ergebnis in ihrem Sinne zu beeinflussen. Nicht zuletzt wurde der Regierung bereits auf internationaler Ebene vorgeworfen, bei ihren Versuchen, den Einfluss der Șor-Partei zu beschneiden, die Rechte auf Vereinigungsfreiheit und freie Meinungsäußerung im Land zu verletzen.

Die Parlamentswahlen 2025 werden voraussichtlich ein weiterer Anlass sein, um die Regierungspartei zu schwächen. Jüngsten Umfragen zufolge liegt die PAS bei etwa 30 Prozent der Stimmen, was bedeutet, dass sie ihre Mehrheit im Parlament in Chișinău höchstwahrscheinlich einbüßen wird und eine Koalition gebildet werden müsste.

Eine anhaltende internationale Unterstützung für den Weg zu einem moldauischen EU-Beitritt und wirtschaftlichen Aufschwung, aber auch bei der Bekämpfung von Desinformation und Cyber-Bedrohungen ist daher entscheidend für den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land. Im Falle eines Scheiterns dieses Weges könnte die Republik Moldau finanzieller Instabilität und einer verstärkten russischen Einflussnahme schutzlos ausgeliefert sein, wodurch das Land in eine Grauzone geriete und die Gefahr bestünde, dass sich eine kleptokratische Regierung etabliert. Durch langfristige und kontinuierliche Unterstützung durch ihre westlichen Partner kann die Republik Moldau hingegen ihre Widerstandsfähigkeit stärken, der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken und den Weg zur EU-Integration erfolgreich beschreiten.