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Strategische Wende? | Republik Moldau | bpb.de

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Strategische Wende? EU-Erweiterungspolitik in Südost- und Osteuropa

Barbara Lippert

/ 17 Minuten zu lesen

Bedingt durch außen- und sicherheitspolitische Gründe, will die EU die Beitrittsprozesse der Republik Moldau, der Ukraine oder des Westbalkans beschleunigen, ohne auf bewährte Kriterien zu verzichten. Eine schrittweise Integration soll Zielkonflikte abmildern.

Die Erweiterungspolitik der EU und ihrer Vorläufergemeinschaften war bis zur Aufnahme der EFTA-Länder 1995 kaum strategisch angelegt. Die EU reagiert, wenn Regierungen einen Antrag auf Aufnahme ihres Landes stellen oder dies ankündigen. An Aspiranten gab und gibt es dabei keinen Mangel. In allen Erweiterungsrunden seit 1973 machten sich zwar einzelne Mitgliedstaaten für den Beitritt des einen oder anderen Landes stark, aber von einer gemeinschaftlichen, proaktiven Strategie gegenüber ausgesuchten europäischen Drittstaaten konnte nicht die Rede sein. So spricht die EU traditionell von Erweiterung im Sinne einer Vergrößerung, jedoch nicht von Expansion, die eine zielgerichtete Aufnahme oder gar Rekrutierung von Ländern verfolgt. Auch die Praxis, mehrere Länder zum selben Zeitpunkt aufzunehmen, entsprang nicht einem geopolitischen Ansatz, wie es die Bezeichnungen "Nord‑" oder "Süderweiterung" nahelegen könnten. Ohnehin befasste sich die EU im Zeichen von Grenzabbau und Transnationalität kaum mit der territorial-physischen Dimension des Binnenmarkts oder des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

Erst mit Blick auf die nach 1989 möglich gewordene Osterweiterung entwickelte die EU eine umfassende Strategie, die die Europäische Kommission in der "Agenda 2000" skizzierte. Das lag zum einen an der nie dagewesenen Größenordnung einer Erweiterung um zwölf Länder, die schließlich 2004 beziehungsweise 2007 beitraten. Zum anderen geriet die EU in die Rolle einer Transformationshelferin für die ostmitteleuropäischen Länder, die den Systemwechsel zu Demokratie und Marktwirtschaft mit der Perspektive einer späteren EU-Mitgliedschaft bewerkstelligen wollten. Dazu gab ihnen die EU einen Fahrplan an die Hand, der im Wesentlichen die Übernahme des politischen und rechtlichen Besitzstands der EU (Acquis) zum Inhalt hatten und an dessen Ende die Mitgliedschaft mit allen Rechten und Pflichten stand. EU-Erweiterung war ein normativ-politisches Konzept, und nicht auf die Errichtung von Einflusszonen, Hegemonie oder Machtbildung gegenüber Nachbarn ausgerichtet. Mit Ausnahme des Beitritts von Kroatien 2013 gelang es der EU trotz aller Bemühungen nicht, die Erweiterungsprozesse zu dynamisieren und diese Erfolgsgeschichte in Südost- und Osteuropa fortzuschreiben. Die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau als Antwort auf Russlands Krieg seit 2022 könnte eine strategische Wende der Erweiterungspolitik einläuten, von der auch die sechs Länder des Westbalkans – Montenegro, Serbien, Nordmazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo – profitieren.

Erweiterung und postsowjetischer Raum

Die Öffnung Osteuropas nach dem Fall der Mauer 1989 brachte erste Anstöße für eine planvolle Erweiterungspolitik. Denn die EU musste sich mit der Perspektive auseinandersetzen, dass im Sinne von Artikel O EUV (Vertrag von Maastricht, heute Artikel 49 EUV) jeder europäische Staat einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen konnte. Angesichts der Transformationsprozesse in den Ländern, die den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe und den Warschauer Pakt hinter sich gelassen hatten, wurde prinzipiell eine kontinentale Ausdehnung der EU auf mehr als 30 Länder möglich. Dabei unterließ es die Gemeinschaft bewusst, die Grenzen Europas zu definieren, und betonte vielmehr ihre Entscheidungsautonomie und prinzipielle Offenheit gegenüber Ländern, die ihre Werte – Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Menschen- und Minderheitenrechte – und Regelwerke teilen. Ihr Angebot zur Unterstützung der Transformationsprozesse durch das Hilfsprogramm PHARE richtete die EU zunächst an zehn ostmitteleuropäische Länder und dehnte es, ergänzt um das Schwesterprogramm CARDS, sukzessive auf die Nachfolgestaaten Jugoslawiens und Albanien aus. Anfang der 1990er Jahre zeichneten sich damit die Umrisse eines möglichen Erweiterungsraums ab. Er schloss die drei baltischen Staaten ein, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR ihre wiedererlangte Souveränität durch EU- und NATO-Mitgliedschaft absichern wollten. Die übrigen post-sowjetischen Staaten, die sich vorübergehend zu einer von Russland dominierten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zusammenfanden, zählte die EU nicht dazu und ging auch nicht von Mitgliedschaftsaspirationen aus. Das betraf in Südosteuropa auch die zwischen der Ukraine und Rumänien gelegene Republik Moldau, obwohl das Land historisch, kulturell und ethnisch eng mit Rumänien verbunden ist. Aus EU-Sicht war der Raum östlich ihrer Grenzen dreigeteilt: Ostmitteleuropa als unmittelbarer, Südosteuropa bis zur Türkei sowie Zypern und Malta als potenzieller Erweiterungsraum und außerhalb davon die GUS.

Das damalige Drängen der ostmitteleuropäischen Staaten auf rasche Aufnahme setzte die EU unter Zugzwang. Sie antwortete darauf in dem Sinne strategisch, dass sie bisherige Erweiterungsgrundsätze konsolidierte und als Beitrittskriterien von Kopenhagen bekanntgab. Danach müssen neue Mitglieder den rechtlichen und politischen Acquis in toto übernehmen und können nur befristete Übergangsregelungen beanspruchen. Verhandlungen werden bilateral im Rahmen von Regierungskonferenzen auf der Grundlage einer gemeinsamen Position der EU-Staaten geführt. Neue Mitglieder müssen politisch und wirtschaftlich kompatibel, das heißt demokratisch, rechtsstaatlich und marktwirtschaftlich verfasst sein. Auf dem Kopenhagener Gipfel 1993 proklamierten die zwölf Staats- und Regierungschefs, dass assoziierte Länder, die dies wünschen und die die Kriterien erfüllen, Mitglieder der EU werden können. Im Fokus standen somit zunächst jene Länder, mit denen die EU zwischen 1991 und 1996 sogenannte Europaabkommen unterzeichnet hatte oder aushandelte: Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Tschechien, Slowakei, Estland, Lettland, Litauen und Slowenien. Alle wurden 2004 beziehungsweise 2007 EU-Mitglieder. Darunter war Slowenien der einzige Staat des früheren Jugoslawiens, der nicht in die Zerfallskriege hineingezogen worden war, die sich bis zum Kosovo-Krieg 1999 fortsetzten.

Eine Folge des dortigen NATO-Kampfeinsatzes war, dass auch die EU vom reaktiven Krisenmanagement zu einem strategischeren Engagement in Südosteuropa überging, in EU-Dokumenten seit 1998 auch "Westbalkan" genannt. Paradigmatisch steht dafür die 1999 unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft initiierte internationale Koordinierungsplattform "Stabilitätspakt für Südosteuropa" mit den Schwerpunkten Wiederaufbau angesichts der Kriegszerstörungen sowie Aufbau der politischen Ordnung und Konfliktprävention. Zudem leitete die EU 2000 den regionalen Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess ein, der erstmals auch eine Beitrittsperspektive für die Nachfolgestaaten Jugoslawiens in Betracht zog. Zwischen 2001 und 2008 vereinbarte Brüssel bilaterale Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, Kroatien, Albanien, Montenegro, der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) und Bosnien-Herzegowina. Kosovo zog erst 2014 nach. Es wird bis heute nicht von Griechenland, Rumänien, Spanien, der Slowakei und Zypern anerkannt. In puncto Freihandel und wirtschaftliche Kooperation sind die SAA weniger ambitioniert als die Europaabkommen und legen zudem einen Schwerpunkt auf Befriedung sowie regionale Kooperation und Stabilität. Bis heute fehlt es an einer selbsttragenden Stabilität in der Region, die auf die zivil-militärische Präsenz und die aktive Diplomatie von EU, NATO, USA und UN angewiesen bleibt. Zwar wurde "Südosteuropapolitik" Ende der 1990er Jahre zur Beitrittspolitik, allerdings ergänzt um Instrumente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Südosteuropa und restriktive Wende

Die Osterweiterung 2004 war Höhepunkt und zugleich Endpunkt der Erweiterungsdynamik nach 1989. Zwar beeilte sich die EU 2003 in Thessaloniki, diesem Eindruck entgegenzutreten, und gab das Versprechen, dass die Zukunft der Länder des westlichen Balkans in der EU liege. Damit hatte sie sich selbst unter Erfolgsdruck gesetzt, sieben Länder heranzuführen, die angesichts massiver Governance-Defizite, unabgeschlossener Staatsbildungsprozesse und zwischenstaatlicher Konflikte weit von der Beitrittsreife entfernt waren und sind.

Ernüchtert über die eigene Entscheidung zur verfrühten Aufnahme von Rumänien und Bulgarien und absorbiert von den Schwierigkeiten nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags klärten die EU-Staaten 2006/07 untereinander noch einmal die Parameter für die Fortsetzung der Erweiterungspolitik. Der "erneuerte Konsens über die Erweiterung" steht für eine restriktive Auslegung der Kopenhagener Kriterien im Sinne einer strikten Konditionalität und der Begrenzung der Beitrittsperspektive auf die Westbalkanländer und die Türkei. Die Botschaft lautete: Keine Ausdehnung des Erweiterungsraums auf Osteuropa.

Symptome der Krise der Erweiterung waren mannigfach: EU-Mitgliedstaaten blockierten Beitrittsverhandlungen, weil sie bilateral im Streit mit dem betreffenden Kandidaten lagen. Das traf vor allem das heutige Nordmazedonien, dem Griechenland absprach, den Landesnamen "Mazedonien" zu tragen und von dem Bulgarien verlangt, in seiner Verfassung die bulgarische Minderheit zu erwähnen. Zwischen der ersten Empfehlung der Kommission 2009 und der tatsächlichen Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Skopje 2020 vergingen elf Jahre. Das geringe Tempo und die völlige Unbestimmtheit des Endes der Verhandlungen waren weitere Anzeichen für die Krise der Erweiterungspolitik. Kroatiens Beitritt 2013 (Antrag 2003) gab keine Impulse für die Region. Seit 2012 ziehen sich die Verhandlungen mit Montenegro und seit 2014 mit Serbien hin. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte bei seinem Amtsantritt 2014, dass er nicht mit einer Aufnahme neuer Mitglieder in seiner Amtszeit, also bis 2019, rechne. In der Juncker-Kommission wurde die Generaldirektion für Erweiterung aufgelöst und zur Generaldirektion für Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen unter einem Kommissar umgewandelt, was als Zeichen der geringen Ambition der EU gewertet wurde. Allenthalben war von Erweiterungsmüdigkeit die Rede, die sowohl die EU-Akteure als auch die Beitrittskandidaten und die öffentliche Meinung erfasste. Das gab auch den Anstoß, wieder stärker über Alternativen zur Mitgliedschaft nachzudenken, wie etwa eine Juniormitgliedschaft oder andere Formen privilegierter Nachbarschaft. Gespeist wurden diese Überlegungen durch die von Anbeginn kontroverse Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei 2005, aber auch durch die 2003 offiziell als Alternative zur Erweiterung lancierte Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP).

Das Interesse der EU an enger Kooperation mit Südosteuropa einschließlich der Türkei belebte sich angesichts des massiven Zustroms von Geflüchteten über die Balkanroute im Krisenjahr 2015. Zugleich nahm die EU eine wachsende geopolitische Konkurrenz mit Russland, China und auch der Türkei wahr, deren Präsenz und wirtschaftlich-politischer Einfluss in der Region stärker wurden. Rat und Kommission argumentierten deshalb, dass die Erweiterungspolitik die "(geo-)strategische Investition in Frieden, Stabilität, Sicherheit und wirtschaftliches Wachstum" sei. Einzelne Mitgliedstaaten wollten daraufhin die Beziehungen dynamisieren: 2014 startete etwa der Berliner Prozess mit dem Schwerpunkt auf regionaler Wirtschaftskooperation und 2018 ergriffen die deutsche und britische Regierung eine Initiative zur Wiederbelebung des Reformprozesses in Bosnien-Herzegowina. Außerdem legte die Kommission 2018 sechs Leitinitiativen vor, die ausdrücklich "eine glaubwürde Erweiterungsperspektive für und ein verstärktes Engagement der EU gegenüber dem westlichen Balkan" anvisierten. Im selben Jahr wurde zudem der Westbalkan-Gipfel lanciert, bei dem sich Staats- und Regierungschefs der EU und der sechs Länder treffen. 2020 einigte sich die Gemeinschaft auf eine "neue Methodologie", um den Erweiterungsprozess dynamischer, glaubwürdiger und berechenbarer zu machen und im Fall von Reformrückschritten der Kandidaten die Unterstützung wieder zu reduzieren. Alle diese Bemühungen signalisierten, dass vor allem die Wirtschaft in den Westbalkanländern nicht schnell und stark genug wuchs. Für ausländische Investoren waren die Rahmenbedingungen angesichts von Korruption, Rechtsunsicherheit, Abwanderung von jungen Menschen, relativ kleinen und fragmentierten Märkten, geringer Kaufkraft der Bevölkerung und unsicheren Entwicklungsperspektiven wenig attraktiv.

Vom möglichen EU-Beitritt der Ukraine und dem derzeitigen neuen Momentum für die Erweiterungspolitik profitieren auch die Staaten des Westbalkans. Österreich und Ungarn stehen dabei an der Spitze der Länder, die eine geografische Balance einfordern. Die Westbalkanländer sollen sich trotz der unveränderten Beitrittsdefizite nicht abgehängt fühlen und von dem Osteuropa-Trio Ukraine, Moldau und Georgien überholt werden. Als der Europäische Rat im Juni 2022 den Kandidatenstatus an die Ukraine und Moldau vergab, zog das eine gleichgerichtete Entscheidung für Bosnien-Herzegowina im Dezember 2022 nach sich und im März 2024 für die an Vorbedingungen gebundene Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Sarajewo. 2022 gab der Europäische Rat schließlich grünes Licht für die Verhandlungen mit Nordmazedonien und Montenegro.

Nachbarschaftspolitik als Abhaltestrategie

Die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 und die damals lancierte ENP zeigten, dass die EU auf eine Ordnung im "größeren Europa" hinarbeiten wollte, in der sie selbst von einem "Ring verantwortungsvoll regierter Staaten" umgeben wäre. Diesen Staaten bot die EU alles außer Institutionen an, also so viel funktionale Kooperation und Integration wie unterhalb der Mitgliedschaft möglich wäre, um eine "Zone des Wohlstands und der guten Nachbarschaft" zu schaffen. Adressaten dieser "Erweiterung light" im "größeren Europa" waren die drei Südkaukasus-Staaten sowie die Ukraine, Moldau und mit Einschränkungen Belarus. Russland gehörte auch nach eigenem Willen nicht zu den ENP-Ländern. Zugleich schloss die EU ihrerseits eine punktuelle Mitwirkung Moskaus nicht prinzipiell aus. Brüssel engagierte sich nach dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien auch für die zahlreichen regionalen Kooperationsinitiativen unter Schwarzmeer-Anrainerstaaten, darunter Russland und die Türkei.

Die ENP sollte insbesondere die Ukraine und andere davon abhalten, Mitgliedschaftsanträge zu stellen. Innerhalb der EU setzten vor allem Polen und andere ostmitteleuropäische Staaten auf die Reformkräfte, die die "Rosenrevolution" in Georgien und die "Orange Revolution" in der Ukraine 2003/04 getragen hatten, und drängten auf eine Mitgliedschaftsperspektive für die Länder. Dem kam die EU weder in den durch vertiefte und umfassende Freihandelsbestimmungen ergänzten Assoziierungsabkommen (AA/DCFTA) mit der Ukraine, Georgien und Moldau noch durch ein mit den Gipfelinhalten von Thessaloniki vergleichbares Versprechen nach. Gleichzeitig führten die manifesten Konflikte, die zumeist von Moskau ausgingen, mehrfach zur Revision der ENP: Der georgisch-russische Krieg 2008 brachte die Östliche Partnerschaft (ÖP) mit Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der Ukraine auf den Weg und beschleunigte die Verhandlungen über AA/DCFTA mit der Ukraine, die 2008 und mit Georgien und Moldau 2010 begannen. Armenien konnte wegen des Drucks aus Moskau nur ein abgespecktes "Umfassendes und vertieftes Partnerschaftsabkommen" mit der EU vereinbaren. Belarus mit der größten Nähe zu Russland war bis 2021 nur punktuell in multilaterale Formate der ÖP einbezogen. Aserbaidschan strebt eine rein transaktionale Beziehung mit Brüssel an.

Die EU entwickelte also vor 2022 eine differenzierte Politik für das externe Regieren gegenüber den ÖP-Ländern. Im Mittelpunkt stand nicht Transformation, sondern Stabilität in der Region, verbunden mit einer Option zur politischen Assoziierung und wirtschaftlichen Integration. Mit dieser Offerte machte die EU einerseits klar, dass sie die Beziehungen zu den ÖP-Ländern nicht länger als Unterfall der Russlandpolitik behandeln will. Aber die Gemeinschaft ignorierte, welche Folgen es für die assoziierten Länder haben würde, wenn sie sich normativ, politisch und wirtschaftlich auf die EU zubewegen und damit in einen Gegensatz zum russischen Regime und seinem imperialen Machtanspruch geraten. Dass dieser Ansatz auf eine Pufferzone zwischen EU und Russland hinauslief, wurde in der EU kaum reflektiert. Wie der Erweiterungspolitik fehlte auch der ENP eine außen- und sicherheitspolitische Komponente, was sich angesichts eines zunehmend antagonistischen Umfelds als gravierendes Defizit herausstellen sollte. Brüssel wich einer Auseinandersetzung mit Moskau über ihre gegenläufigen Ordnungsvorstellungen in den Nachbarschaftsländern aus. Erst Russlands Drohungen und politische Intervention gegen den Abschluss des AA/DCFTA mit der Ukraine 2013 und die nachfolgende völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014 bedeuteten einen geopolitischen Weckruf. Die Rivalität mit Moskau wurde zur Grundlage der ÖP, wozu Sanktionen gegen Moskau und eine Intensivierung der Kooperation mit den ÖP-Ländern gehörten.

Krieg als Gamechanger

Dennoch steuerte die EU bis zur russischen Vollinvasion in der Ukraine ihre Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik auf zwei getrennten Gleisen. Als Antwort auf den russischen Angriffskrieg vollzog sie im Juni 2022 einen Kurswechsel und setzte Moldau, die Ukraine und Georgien auf das Erweiterungsgleis. Die Erweiterung wird seitdem vor allem sicherheitspolitisch begründet (Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine) und dient dazu, den Einfluss Russlands einzudämmen und ihm entgegenzuwirken. Sicherheitspolitische Grauzonen sollen in Europa verhindert oder minimiert werden. Da Russland gleichermaßen die Sicherheit der EU- und NATO-Länder bedroht, ist der neu abgesteckte Erweiterungsraum zu einem Raum gemeinsamer Sicherheit beziehungsweise Unsicherheit geworden. Diese geopolitische Logik diktiert ein hohes Erweiterungstempo. Die EU bekräftigt andererseits, dass es keine Schnellspur zum Beitritt und keinen Rabatt auf die Beitrittskriterien geben soll. Hier stoßen Geo- und Integrationspolitik aufeinander. Offen ist, ob die EU nicht nur deklaratorisch auf eine primär "strategische Erweiterung" umschwenkt.

Wenn die EU ihre "strategische Verantwortung" herausstellt, dann bedeutet das etwa, die Komplementarität von EU- und NATO-Mitgliedschaft künftig zu einem wichtigen Gesichtspunkt der EU-Erweiterungspolitik zu machen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie künftig die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten ist. Bis dato wurde die Sicherheit eines neuen EU-Mitglieds in den meisten Fällen durch dessen vorhergehenden Beitritt zur NATO gewährleistet, was etwa für Montenegro, Nordmazedonien und Albanien zutreffen würde und eine Option für die übrigen Westbalkanstaaten bleibt. Angesichts dieser Ausgangskonstellation kam dem EU-Beistandsartikel 42 (7) EUV kaum Bedeutung zu. Das ist mit Blick auf die Ukraine und Georgien anders, weil sie in absehbarer Zeit nicht NATO-Mitglied werden dürften und Moldau eine Kooperation mit der NATO unterhalb einer Mitgliedschaft anstrebt. Selbst wenn die EU den Beistandsmechanismus vorab auf diese Kandidaten ausdehnen würde, wäre es doch zentral, dass sie ein solches Versprechen mit glaubwürdigen militärischen Fähigkeiten und dem politischen Willen untermauert, tatsächlich Hilfe leisten zu können.

Vor diesem Hintergrund und unabhängig davon, wer in den USA ab Januar 2025 regieren wird, werden die Europäer erheblich mehr Verteidigungslasten übernehmen müssen. Damit könnten sie in Zukunft selbst zu Sicherheitsanbietern werden, sei es im NATO- oder auch im EU-Rahmen. Mit Blick auf die künftige Sicherheit der Ukraine und Moldau haben die vier europäischen G7-Staaten Anfang 2024 bilaterale Vereinbarungen über die Sicherheitskooperation mit der Ukraine geschlossen. Die EU hat kürzlich mit Moldau eine politische Erklärung über die Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft abgeschlossen, in der es unter anderem um die Abwehr hybrider Bedrohungen geht. Die Union unterstützt zudem über die Europäische Friedensfazilität und andere Programme Waffenlieferungen von EU-Staaten an die Ukraine und die Produktion beziehungsweise die Beschaffung von Munition. Insgesamt wird die Erweiterungspolitik also stärker in die Entwicklungsziele der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich der Verteidigung eingebettet, für deren Umsetzung die Kommission in den vergangenen zwei Jahren eine Serie von konkreten Vorschlägen auf den Weg gebracht hat. Sie bezieht etwa die Ukraine ein in aktuelle Pläne für die Stärkung der verteidigungstechnologischen-industriellen Basis, um den Aufbau von militärischen Fähigkeiten der Mitgliedstaaten zu beschleunigen und abzustimmen. Dies ist ein Beispiel für die schrittweise Integration, die sich nun auch auf die Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihren Unterbau bezieht.

Schrittweise Integration

In den meisten Ländern des Westbalkans ist – anders als in Moldau und selbst unter Kriegsbedingungen in der Ukraine – wenig Momentum für Reformen zu erkennen. Auch deswegen entwickelt die EU ihre Erweiterungsmethode inkrementell weiter. Sie stellte im Juni 2022 etwa die Weichen für eine gradualistische Erweiterungspolitik, um "die schrittweise Integration zwischen der Europäischen Union und der Region [dem Westbalkan] bereits während des Erweiterungsprozesses auf umkehrbare und leistungsorientierte Weise weiter voranzubringen". Durch solche Zwischenschritte sollen Fortschritte in einzelnen Sektoren unmittelbar, also vor dem förmlichen Beitritt eines Landes, durch Finanzhilfen, Zugang zu Teilen des Binnenmarkts sowie die Teilhabe an Programmen und Agenturen der EU belohnt werden. Schon die AA/DCFTA haben diese Möglichkeiten eröffnet, aber die EU will dies nun für alle Kandidaten systematischer betreiben. Der neue Wachstumsplan für den Westbalkan mit seinen vier Pfeilern geht in diese Richtung. Erwartet wird so eine schnellere wirtschaftliche Integration basierend auf EU-Regeln und Standards im Gemeinsamen Regionalen Markt, der 2020 im Rahmen des Berliner Prozesses vereinbart wurde. Allerdings geht die EU nicht zu einem regionalen Ansatz über, sondern hält am "Regatta-Prinzip" fest, sodass jedes Land einzeln das Ziel erreichen muss. Dabei konkurrieren die sechs Westbalkanländer untereinander und mit der Ukraine und Moldau um Aufmerksamkeit, Ressourcen und politische Unterstützung, was in einigen Westbalkanstaaten konsequentere Reformen befördern könnte.

Es fehlt allerdings noch an konkreten Plänen, wie die schrittweise Integration der Beitrittsländer in den Binnenmarkt ohne Friktionen bewerkstelligt werden kann. Zudem dürfte die schrittweise Übernahme des Binnenmarkt-Acquis mit erheblichen Finanztransfers einhergehen. Die Regierungen der Westbalkanländer haben in den zurückliegenden zehn Jahren die Governance-Defizite in ihren Ländern nicht abgebaut, worin das Haupthindernis für schnellere Beitritte liegt. Die EU kündigt nun an, Prozesse auch umkehren zu wollen, also ihre Unterstützung bei ausbleibenden oder rückläufigen Reformen in einem Beitrittsland zu reduzieren. Als politisches Signal kann das sinnvoll sein, praktisch und auch politisch dürfte sich diese Maxime aber weder zügig noch treffsicher umsetzen lassen. Schrittweise Integration böte aber ein Sicherheitsnetz, sollten Beitrittsverhandlungen stillstehen oder gar scheitern.

Ausblick

Eine geopolitische Wende in der Erweiterungspolitik sollte keinen Bruch mit der Konditionalitätspolitik herbeiführen. Denn das wäre integrationspolitisch brisant und würde die Funktionsfähigkeit und den Zusammenhalt der EU gefährden. Die Europäische Kommission hat seit Februar 2022 die geopolitische Dimension der Erweiterungspolitik und die Verzahnung der GSVP mit den Gemeinschaftspolitiken vorangetrieben. Dennoch ziehen die EU-27 nicht an einem Strang und setzen die Prioritäten zwischen geo- und integrationspolitischen Zielen unterschiedlich. Die vereinbarte schrittweise Integration ist eine Kompromissformel, die die Unterschiede abmildern und zugleich die Beitrittsprozesse beschleunigen könnte. Für die Beitrittsverhandlungen im engeren Sinne bringt die EU, vor allem die Kommission und der Rat, viel Erfahrung und Lösungskompetenz mit. Die Hürden liegen neben der Erfüllung der "fundamentals" seitens der Aspiranten im sicherheitspolitischen Umfeld.

Grundsätzlich wird die EU ihre künftige Erweiterung gegen Russland verfolgen und militärisch – aus eigener Kraft und in Kooperation mit der NATO – begleiten und absichern müssen. Dabei geht es um eine qualitativ und materiell völlig andere Dimension als das sicherheitspolitische Engagement auf dem Westbalkan über die vergangenen Jahrzehnte. Auch die Mittel für den Wiederaufbau in der Ukraine und Moldau spielen sich in einer neuen Größenordnung ab und müssten schon gegenwärtig mit der schrittweisen Integration in die EU verbunden werden. Das erfordert über einen sehr langen Zeitraum hinweg enorme Steuerungskapazitäten seitens der EU, für die sie eine überzeugende und umsichtige politische Führung benötigt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Sofern der Bezug zu einem eindeutigen Zeitpunkt fehlt, wird vereinfachend von der EU gesprochen.

  2. Gelegentlich wird die EU-Erweiterungspolitik nach 1989 als Ausdruck imperialer Politik behandelt, wobei die Herrschaftsordnung zwischen Zentrum und Peripherie im Inneren im Mittelpunkt steht. Vgl. Timothy Garton Ash, Postimperial Empire. How the War in Ukraine Is Transforming Europe, in: Foreign Affairs 3/2023, S. 64–75.

  3. Vgl. Ludger Kühnhardt, Raumbegriff und Grenzbewusstsein, in: Peter Becker/Barbara Lippert (Hrsg.), Handbuch Europäische Union, Wiesbaden 2020, S. 289–303.

  4. Vgl. Europäische Kommission, Agenda 2000 – Eine stärkere und erweiterte Union, KOM(97) 2000 endg., Brüssel, 15.7.1997. Auf die dort behandelten Fragen der Aufnahmefähigkeit der EU gehe ich nicht weiter ein.

  5. Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europa und die Problematik der Erweiterung, Brüssel, 24.6.1992, Punkt 7; siehe ferner Daniel C. Thomas, The Limits of Europe. Membership Norms and the Contestation of Regional Integration, Oxford 2021.

  6. Für Malta, Zypern und die Türkei stellte die EU eigene Programme auf.

  7. Zur sogenannten Erweiterungsdoktrin vgl. Barbara Lippert, Alle paar Jahre wieder. Dynamik und Steuerungsversuche des EU-Erweiterungsprozesses, in: integration 4/2007, S. 422–439.

  8. Mit der Türkei begannen 2005 die inzwischen eingefrorenen Verhandlungen, nachdem Ankara schon 1987 einen Antrag gestellt hatte.

  9. Vgl. Europäischer Rat, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Wien, 11./12.12.1998.

  10. Heinz-Jürgen Axt, Südosteuropapolitik, in: Jan Bergman (Hrsg.), Handlexikon der Europäischen Union, Baden-Baden 20226, S. 992.

  11. Rat der Europäischen Union, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 14./15.12.2006; Europäische Kommission, Erweiterungsstrategie und wichtigste Herausforderungen für den Zeitraum 2006–2007 mit Sonderbericht über die Fähigkeit der EU zur Integration neuer Mitglieder, KOM(2006) 649 endg., Brüssel 8.11.2006.

  12. Vgl. Christophe Hillion, The Creeping Nationalisation of the EU Enlargement Policy, Swedish Institute for European Policy Studies (SIEPS), SIEPS Paper 6/2010.

  13. Vgl. Jean-Claude Juncker, Political Guidelines for the Next European Commission, Strasbourg 15.7.2014, hier Punkt 9: A Stronger Global Actor.

  14. Vgl. Barbara Lippert, Die EU und ihre Nachbarschaftsbeziehungen: etablierte Assoziierungsmodelle und neue Grundformen, in: integration 2/2019, S. 83–96, hier S. 88.

  15. So die Formel des Rats seit 2016 mit fortlaufendem Zusatz. Vgl. Council of the EU, Presidency Conclusions, 13.12.2016, 15536/16.

  16. Europäische Kommission, Eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive für und ein verstärktes Engagement der EU gegenüber dem westlichen Balkan, COM(2018) 65 final, 6.2.2018.

  17. Dies., Stärkung des Beitrittsprozesses – Eine glaubwürdige EU-Perspektive für den westlichen Balkan, COM(2020) 57 final, 5.2.2020.

  18. Rat der Europäischen Union, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt – Europäische Sicherheitsstrategie, 12.12.2003.

  19. Romano Prodi, A Wider Europe – A Proximity Policy as the Key to Stability, Sixth ECSA-World Conference, 5./6. Dezember 2002; vgl. Europäische Kommission, Größeres Europa – Nachbarschaft: Ein neuer Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn, Kom(2003)104 endg.

  20. Vgl. Barbara Lippert, Die EU-Nachbarschaftspolitik in der Diskussion – Konzepte, Reformvorschläge und nationale Positionen, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2007, Externer Link: http://library.fes.de/pdf-files/id/04736.pdf, S. 13ff.

  21. Vgl. Europäische Kommission, Überprüfung der Nachbarschaftspolitik, JOIN 2015(50) endg.

  22. Vgl. Barbara Lippert, EU-Erweiterungspolitik in der Zeitenwende: Zäsur oder business as usual?, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 3/2023, S. 475–485; dies., Eine geopolitisch wachgerüttelte EU und ihre osteuropäischen Nachbarn: mehr Realismus, mehr Investitionen, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 62/2019.

  23. Vgl. Sören Keil/Bernhard Stahl, EU Enlargement in Times of Crisis: Strategic Enlargement, the Conditionality Principle and the Future of the "Ever-Closer Union", in: Mechthild Roos/Daniel Schade (Hrsg.), The EU Under Strain? Current Crises Shaping European Union Politics, Berlin–Boston 2024, S. 155–172.

  24. Josep Borrell, Sicherheit und Verteidigung der EU – ein Ausblick, 8.8.2022, Externer Link: http://www.eeas.europa.eu/eeas/sicherheit-und-verteidigung-der-eu-%E2%80%93-ein-ausblick_de.

  25. Vgl. Markus Kaim/Ronja Kempin, Von Zeitenwende zu Zeitenwende – die Neuvermessung der amerikanisch-europäischen Sicherheitsbeziehungen, SWP-Studie 15/2024.

  26. Europäischer Rat, Schlussfolgerungen, EUCO 24/2, 24.6.2022.

  27. Vgl. Europäische Kommission, New Growth Plan for the Western Balkans, Brüssel 2023, COM(2023) 691 final.

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