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Plädoyer für eine Ethik der Bezogenheit | Reproduktive Rechte | bpb.de

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Plädoyer für eine Ethik der Bezogenheit

Irme Stetter-Karp

/ 12 Minuten zu lesen

Nach geltendem Recht ist ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen nach einer Beratung straffrei möglich. Diese Regelung berücksichtigt sowohl den Schutz des ungeborenen Lebens als auch die Rechte der Frau.

Das strafrechtliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs führt seit seiner erstmaligen Normierung 1871 zu Konflikten und gesellschaftlichen Debatten. Insofern sollte nicht überraschen, dass auch jetzt wieder intensiv darüber diskutiert wird. Gleichzeitig sind die Pläne der Bundesregierung für eine Änderung des bestehenden Gesetzes weder hinreichend klar noch ist die Diskussion in der ganzen Gesellschaft schon angekommen; eine breite Debatte dazu steht noch aus. Dennoch sind bereits überaus starke Narrative am Werk. Diese sind verführerisch, bei näherer Betrachtung aber oberflächlich.

Eine sachorientierte, fachlich fundierte Argumentation ist gerade bei diesem Thema notwendig. Gesellschaftspolitische Fragen, die so sehr über die Existenz und die Lebenswirklichkeit von Frauen und von ungeborenen Kindern entscheiden, enthalten ethische Dilemmata, die unvermeidbar sind. Umso mehr empfiehlt sich Sachkenntnis, Respekt und der aufrichtige Versuch, die Position der und des jeweils Anderen verstehen zu wollen.

Wie lässt sich die bestehende Gesetzeslage in Kurzform kennzeichnen? Auf der Basis eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts gilt nach §218 und §219 Strafgesetzbuch (StGB) seit 1995, dass bei einer Entscheidung für einen Abbruch dieser rechtswidrig ist, aber unter definierten Voraussetzungen straffrei bleibt. Adressiert wird dabei nicht die werdende Mutter, sondern die Person, die den Schwangerschaftsabbruch vornimmt. Diese Kompromisslösung hat den politischen Lagern und der Gesellschaft seinerzeit einiges abverlangt. Die derzeitige Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass der §218 StGB auf den Prüfstand soll und dafür eine Regierungskommission berufen. Diese legte am 15. April 2024 auf 600 Seiten ihre Empfehlungen vor. Die Expertenkommission empfiehlt, dass in der Frühphase der Schwangerschaft Abbrüche nicht mehr grundsätzlich rechtswidrig sein sollen. Gleichzeitig legt sie differenziert dar, wie bei einer eventuellen Entscheidung des Parlaments zur Streichung des §218 im Strafgesetzbuch Schutzaspekte in anderer Weise zu garantieren sind. Sollte der Gesetzgeber einen Änderungsbedarf feststellen, wird er sich mit den folgenden Argumenten auseinandersetzen müssen.

Doppelte Anwaltschaft für die Frau und das Kind

Ein wesentliches Ziel einer jeden gesetzlichen Regelung muss sein, Frauen in existenziellen Situationen zu unterstützen. Die geltende Gesetzeslage reagiert auf ein Spannungsfeld, das kaum größer sein könnte. Die Gesetzeslogik folgt dem im Grundgesetz verankerten Recht eines jeden Menschen auf Leben, womit auch das Recht des ungeborenen Kindes geschützt wird. Das bewährte Schutzkonzept in doppelter Anwaltschaft für die Mutter und das ungeborene Kind trägt dem Rechnung. In der Praxis der Konfliktberatung gehören Zielorientierung und Ergebnisoffenheit zusammen. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch wirken mag, trägt zu dem Ziel bei, zwei grundlegenden Rechtsgütern bestmöglich gerecht zu werden: dem Recht auf Leben und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau.

Es werden alle Lösungswege verfolgt, um das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen. Dafür ist die Erkenntnis leitend, dass das Leben des ungeborenen Kindes nur zusammen mit der Mutter geschützt werden kann. Die Frage ist also, wie ein Staat das grundgesetzlich garantierte Recht auf Leben und das Selbstbestimmungsrecht der Frau im Detail am besten schützen kann und muss. Dazu muss der Gesetzgeber die vielfältigen Herausforderungen zur Kenntnis nehmen, die einem Schwangerschaftsabbruch zugrunde liegen. Hierzu liegen Studien und Daten vor, die bislang zu wenig gewürdigt wurden. Demnach sind vor allem die folgenden Faktoren für die Entscheidung ausschlaggebend, eine Schwangerschaft abzubrechen: Partnerschaftsprobleme, biografische Gründe, Überforderung, äußerer Druck und materielle Sorgen.

Recht auf Leben

Aus ethischer und medizinethischer Perspektive sind mehrere normative Prinzipien für eine Urteilsbildung relevant: Autonomie, relationale Autonomie und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens. Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) hat 2005 die „Universal Declaration on Bioethics and Human Rights“ verabschiedet, in der es in Artikel 5 heißt: „The autonomy of persons to make decisions, while taking responsibility for those decisions and respecting the autonomy of others, is to be respected.“ Dies zeigt, wie das ethische Prinzip des Respekts vor der Autonomie des Menschen international an Relevanz gewonnen hat, wenngleich bei einer genaueren Analyse kulturell geprägte unterschiedliche Reichweiten, Ausprägungen und Grenzmarkierungen nicht zu übersehen sind.

Je stärker allerdings der Begriff „Autonomie“ in der Postmoderne mit dem Begriff der „Selbstbestimmung“ konnotiert ist, umso mehr muss daran erinnert werden, dass sich Autonomie und Freiheit erst dem „freiheitsermöglichenden bzw. -förderlichen Zusammenleben mit allen anderen“ verdanken – und dass die Freiheit des einen an der Freiheit der anderen endet. Insoweit ist Autonomie ebenso wenig grenzenlos wie Freiheit. Wie die Medizinethikerin Claudia Wiesemann zutreffend beschreibt, ist Autonomie immer als soziales Konstrukt zu verstehen und steht in Abhängigkeit soziokultureller Aushandlungsprozesse.

Ansätze relationaler Autonomie verweisen darauf, dass sich Selbstbestimmung in sozialen Beziehungen auf der Basis wechselseitiger Anerkennung und Sorge konstituiert. Gerade in den vergangenen Jahren verstärken sich in Philosophie und Ethik Debatten um die Frage, ob der Anspruch auf Selbstbestimmung zu apodiktisch interpretiert wird und die vielseitigen Interdependenzen des Lebens zu wenig gewürdigt werden. Vertreter:innen relationaler Autonomiekonzepte, etwa die Theologin und Ethikerin Hille Haker, verweisen auf das Spannungsfeld von Selbstständigkeit, Verletzlichkeit und Bezogenheit. Dabei darf nicht übersehen werden, dass just aus der feministischen Philosophie und Ethik vergleichbare Einwürfe kommen, ähnlich argumentiert auch die „Salzburger Erklärung“ feministischer Theologinnen.

Welche Rechte kommen dem ungeborenen Kind zu? In verfassungsrechtlicher Hinsicht wird der Embryo durch Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) geschützt. Während der personale Schutzbereich des Artikels 1 die Würde des „Menschen“ erfasst, schützt Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 ausdrücklich das menschliche „Leben“. Durch das Grundgesetz wird der Staat verpflichtet, sich schützend und fördernd vor jedes menschliche Leben zu stellen. Dies umfasst ausdrücklich auch das ungeborene Leben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 28. Mai 1993 offengelassen, ob der verfassungsrechtliche Schutz des menschlichen Lebens bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle oder erst ab der Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Nidation) beginnt.

Während noch 2018 der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages zur Bewertung kam, dass ein großer Teil der Literatur dem ungeborenen Leben bereits ab dem Zeitpunkt der Nidation den Schutz der Verfassung zuspricht, hat sich die von der aktuellen Bundesregierung beauftragte Kommission für eine andere Empfehlung entschieden. Bei allem Respekt für die insgesamt sehr sorgfältige und detaillierte Analyse der Kommission wirft die Empfehlung, dem Embryo in der ersten Phase der Schwangerschaft keinen diesbezüglichen staatlichen Schutz zuzusprechen, mehrere gewichtige Fragen auf und kann insofern nicht nachvollzogen werden. Der Gedanke des „Lebens-von-Anfang-an“ ist nicht allein im biblisch-christlichen Konzept der Gottesebenbildlichkeit verankert, sondern auch das antike Würdeverständnis und die neuzeitliche Ausprägung der Menschenwürde sind Quellen dafür. Der Anspruch, als Mensch in seinem Mensch-Sein geachtet zu werden, ist kein Sonderdenken religiös geprägter Menschen, sondern konstitutiv für Recht und Demokratie in einem modernen demokratischen Rechtsstaat. Auch deshalb ist nicht zu erwarten, dass eine eventuelle Entscheidung der Regierung rasch zu einer zwischen den drei zuständigen Ministerien abgestimmten Beschlussempfehlung und entsprechenden Debatten des Deutschen Bundestages führen wird.

Medizinethisch sind für die Frage nach der Schutzwürdigkeit des menschlichen Lebens die sogenannten SKIP-Argumente relevant. SKIP steht für die vier Begriffe Spezies-, Kontinuitäts-, Identitäts- und Potenzialitätsargument. Prägnant und allgemeinverständlich übersetzt die medizinische Fachdebatte der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof, wenn er für die Schutzwürdigkeit eines Embryos ab dem Zeitpunkt der Nidation plädiert und das Fazit des Bundesverfassungsgerichts über den Schutzstatus des Embryos so begründet: Der Zeitpunkt sei laut Bundesverfassungsgericht richtig, weil „es sich bei dem Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben handelt, das sich im Prozess des Wachsens und sich Entfaltens nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt“.

Auch der Deutsche Ethikrat ist der Auffassung, dass hier keine Abstufungen in Betracht gezogen werden dürfen. Diese Überzeugung teile ich. Eine Abstufung der Schutzwürde, gekoppelt an die extrauterine Lebensfähigkeit des Embryos oder dessen kognitives Vermögen, hätte jenseits der Frage des Schwangerschaftskonflikts weitreichende Folgen, beispielsweise bei der Frage der Aberkennung von Persönlichkeitsrechten von demenziell erkrankten Menschen. Und selbst wenn man dem Gedanken einer abgestuften Schutzwürdigkeit folge, so der Ethikrat, spreche doch die größere Hilfsbedürftigkeit des Embryos dafür, ihm einen höheren Schutzanspruch einzuräumen, zumal es für ihn um alles oder nichts gehe. In der Ethik werden die Bedürfnisse von Menschen mit höherem Schutzanspruch aktuell unter den Begriffen „Vulnerabilität“ und „Verletzlichkeit“ verhandelt. In dieser Perspektive werden Gerechtigkeitsfragen gezielt aufgewertet. Statt einseitig auf reproduktive Selbstbestimmung zu setzen, geht es darum, reproduktive Gerechtigkeit anzustreben und den Lebensschutz mittels einer Anerkennungsgerechtigkeit zu gewährleisten.

Sollte die derzeitige Bundesregierung der Empfehlung der Kommission Folge leisten und ein abgestuftes Lebensrecht anstreben, hätte das überdies zur Folge, dass ein praktikabler Modus gefunden werden müsste, wie die von medizinischen Fortschritten abhängige extrauterine Lebensfähigkeit des Embryos definiert beziehungsweise, noch schwieriger, jeweils auf aktuellem Stand gehalten werden kann. Kurzum: Der bestehende §218 hat die ethischen Dilemmata und die widerstreitenden Interessen über die vergangenen drei Jahrzehnte hinweg austariert und wurde dabei von einem gesellschaftlichen Konsens getragen. Die von der Kommission vorgelegten Gründe, jetzt auf ein abgestuftes Lebenskonzept zu setzen, überzeugen nicht.

Qualifizierte Beratung für alle Frauen

Derzeit wird auch darüber diskutiert, ob, verbunden mit der gesetzlichen Änderung von §218 StGB, die Pflichtberatung abgeschafft werden soll. Die langjährige berufliche Kenntnis der täglichen Arbeit in den Schwangerschaftsberatungsstellen veranlasst mich, entschieden für die Beibehaltung der Pflichtberatung für alle Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt einzutreten. Die sorgfältige Analyse der Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch, wie sie uns durch Studien vorliegen, lassen den Schluss zu, dass eine Fachberatung durch unabhängige Dritte hilfreich ist. Ziel der Beratung muss sein, gemeinsam mit der Ratsuchenden Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu entwickeln. Grundlegende Voraussetzung einer solchen Beratung ist der Respekt vor der Freiheit und Würde der Ratsuchenden. Insofern erfolgt die Beratung zielorientiert, doch ergebnisoffen. Die Aufgabe der professionellen Fachkräfte ist es, ressourcenorientiert zu arbeiten und den Frauen im Schwangerschaftskonflikt den Blick auf Stärkendes in ihrem Umfeld zu eröffnen.

Für die Konfliktberatung ist es im Alltag von Bedeutung, dass Frauen einen freien Zugang zu den Beratungsstellen haben. Der Deutsche Bundestag hat am 5. Juli 2024 das Schwangerschaftskonfliktgesetz geändert und es um Maßnahmen gegen die sogenannte Gehsteigbelästigung erweitert. Diese Gesetzesänderung ist ausdrücklich zu begrüßen, weil sie Voraussetzung dafür ist, dass Frauen ungehindert und ohne Belästigung durch Dritte Zugang zu Beratungsstellen haben. Der Kommissionsbericht hat im April 2024 anerkannt, dass Beratungsstellen auch über die Pflichtberatung hinaus wesentlich zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten beitragen können, unter anderem durch Beratung im Kontext auffälliger pränataldiagnostischer Befunde, der Angebote zur Paarberatung und der sexuellen Bildung. Nach Ansicht der Kommission kann der Gesetzgeber entscheiden, weiterhin die Pflichtberatung vorzuschreiben, er kann die Pflicht zur Beratung aber auch beenden. Im letzteren Fall muss der Gesetzgeber aus Kommissionssicht ein breites, niedrigschwelliges, barrierearmes und vielsprachiges professionelles Beratungsangebot garantieren – und zwar als Teil eines umfassenden Rechtsanspruches. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass freiwillige Beratungsangebote deutlich weniger nachgefragt werden. Insbesondere Frauen in prekären Situationen, die besonders von der Beratung profitieren, würden so nicht mehr erreicht werden. Zudem ist in der jetzigen Lage der Sozialpolitik Skepsis angebracht, ob ein neues Beratungsangebot finanziell zu realisieren sein würde.

Herausnahme aus dem Strafrecht?

Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach geltendem Recht innerhalb der ersten zwölf Wochen auch dann straffrei möglich, wenn keine Indikationen im Sinne der §218a Absatz 2 und 3 StGB festgestellt worden sind. Bedingung ist allein, dass die Frau mindestens drei Tage vor Durchführung der Abtreibung einen Beratungstermin wahrgenommen hat. Das geltende Gesetz unterstellt im Falle eines danach vorgenommenen Abbruchs im Interesse der Frau so schwerwiegende individuelle Gründe, dass das Lebensrecht des ungeborenen Kindes hinter diesen zurückzustehen hat. Strafen drohen daher in diesem Fall weder Frauen noch Ärzten. Sie handeln straffrei.

Wenn in der Öffentlichkeit aktuell zu hören ist, dass §218 StGB schwangere Frauen oder Ärztinnen und Ärzte kriminalisiere, dann muss sachlich festgehalten werden, dass §218a StGB diese Kriminalisierung explizit ausschließt, worauf Juristen auch hinweisen. Eine Auswertung der Strafverfolgungsstatistik der Jahre 2006 bis 2021 etwa ergibt, dass insgesamt nur 148 Personen nach §218 StGB verurteilt worden sind. Das entspricht statistisch zwischen sieben und neun Personen pro Jahr, betroffen sind fast ausnahmslos Männer, die gewalttätig gegenüber Frauen wurden, mit der Folge der Tötung des Embryos. Die Relation zu den rund 100.000 straffreien Schwangerschaftsabbrüchen pro Jahr in Deutschland spricht für sich. Die Rede von der Kriminalisierung von Frauen jedenfalls lässt sich in der Sache nicht halten.

Festzuhalten ist, dass sich die verfassungsrechtlich garantierte Schutzpflicht des Staates nicht auf ein Niveau von Empfehlungen herunterstufen und auch nicht auf Dritte delegieren lässt. Es ist der Staat selbst, der den Schutz garantieren muss, zu dem ihn die Verfassung verpflichtet. Das klassische Instrument hierfür ist das Strafgesetzbuch. Der Einwand, völkerrechtlich sei eine Herausnahme aus dem Strafrecht angezeigt, wird zwar vermehrt vorgebracht und normativ mit dem Begriff der reproduktiven Autonomie der Frau hinterlegt. Dieser Einwand ignoriert aber, dass das Völkerrecht sich mit dem Lebensrecht Ungeborener nicht explizit auseinandersetzt beziehungsweise dazu keine eindeutige Interpretation bietet.

Verbesserungsbedarf

In einer Frage gibt es beim bestehenden Gesetz allerdings Verbesserungsbedarf, und dieser betrifft die medizinische Indikation. Diese ist laut Kommissionsbericht in den Jahren von 1996 bis 2022 eine fast konstante Größe. Ihr Anteil unter allen Indikationen bei Schwangerschaftsabbrüchen lag zum Beispiel 2008 bei 2,5 Prozent, 2021 bei 4,1 Prozent. Die Feststellung der (Un-)Zumutbarkeit der Fortsetzung der Schwangerschaft ist besonders in denjenigen Konstellationen kritisch, bei denen es nicht um eine Gefahr für das Leben der Frau beziehungsweise ihre Gesundheit geht, sondern wo eine Abwägung aus Fragen zum erwartbaren postnatalen Zustand des Kindes erwächst. Bis zum Einsetzen der Geburtswehen ist ein Spätabbruch möglich. Die Kommission kritisiert zu Recht, dass es an Kriterien insbesondere für den Umgang mit auffälligen pränataldiagnostischen Befunden mangelt. Über die medizinische Indikation wird damit eine versteckte embryopathische Indikation Realität, obwohl diese doch bewusst abgeschafft worden war. Vom Gesetzgeber ist zu erwarten, dass er die gesetzlichen Ziele zur Inklusion gesellschaftspolitisch im Rahmen des §218 mitdenkt.

Anders gefragt: Lässt es sich in einer Gesellschaft, die dem Paradigma der Inklusion einen so hohen Stellenwert einräumt, politisch verantworten, Föten mit Behinderungen den Schutz des Lebens vorzuenthalten? Über 90 Prozent Schwangerschaftsabbrüche bei Embryonen mit Trisomie 21 seien als Beispiel angeführt. Der Empfehlung der Kommission, die medizinische Indikation in der aktuellen Gesetzesform zu überdenken, stimme ich daher zu, auch wenn konkrete Änderungsvorschläge noch fehlen. Schließlich sei ein letzter virulenter Punkt benannt: Es gibt Indizien dafür, dass die Versorgungslage im Falle der Entscheidung einer Frau zum Schwangerschaftsabbruch verbessert werden muss. In dieser Frage konnte sich die Kommission nun jedoch just nicht einigen, weil die Datenlage zu widersprüchlich sei. Vor allem hinsichtlich der Frage erheblicher Differenzen zwischen den Bundesländern ist dies ein erhebliches Desiderat.

Schluss

Der Ball für eine mögliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs liegt jetzt politisch im Feld der Ampelregierung. Für die Beibehaltung des Gesetzes gibt es sehr gute Argumente. Die wichtigsten hier vorgetragenen Argumente sind der dem ungeborenen Leben in der Verfassung zuerkannte Schutzstatus, die doppelte Anwaltschaft für die Frau und das Kind sowie die Einsichten aus der Beratungspraxis. Die Argumente lassen sich vertiefen in den wertvollen Anregungen einer Ethik der Bezogenheit, die im politischen Raum bis heute zu wenig reflektiert werden.

Sollte sich die Bundesregierung dennoch auf eine Änderung des geltenden Gesetzes einigen, ist angesichts der ethischen Dilemmata eine sachlich orientierte und breite Diskussion in der Gesellschaft zwingend erforderlich. Nicht übersehen werden sollte dann auch, dass laut demoskopischer Daten 54 Prozent der Befragten in Deutschland die Meinung vertreten, dass §218 StGB weiter gelten sollte – Schwangerschaftsabbrüche also nur bis zur 12. Woche und mit Pflichtberatung straffrei bleiben sollten.

ist promovierte Sozialwissenschaftlerin und Medizinethikerin und Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Von 2010 bis 2022 war sie Vizepräsidentin des Deutschen Caritasverbandes.