Der Abbruch einer Schwangerschaft ist seit jeher maßgeblich mit seinen strafrechtlichen Konsequenzen konnotiert; er wird im Wesentlichen durch sein Verbot sichtbar. Oft nicht begründet wird, warum dies so ist – und nicht ausreichend begründbar ist, warum dies so sein muss.
Narrativ und Chance
Das Narrativ über den Schwangerschaftsabbruch ist zunächst maßgeblich ein bevölkerungspolitisches. Über die Entdeckung des Ungeborenen im Mutterleib und den bevölkerungspolitischen Missbrauch des Themas in Deutschland wurde es zu einer Erzählung über den Schutz ungeborenen Lebens. Für den Rechtswissenschaftler Walter Gropp sind deshalb die entsprechenden Vorschriften stets ein Seismograf für den Lebensschutz. Im zeitgeschichtlichen Kontext trat erst spät die Erkenntnis hinzu, dass der Schutz des ungeborenen Lebens nur gemeinsam mit dem Schutz der Schwangeren und ihrer Gesundheit, mit und nicht gegen ihren Willen zu verwirklichen ist. Verkannt wurde dabei lange, dass mit dem Fokus auf den Lebensschutz für das Ungeborene mit Blick auf die Schwangere regelmäßig auf die Mutterrolle „vorgespult“ und das „Schwangergehen“ auf einen per se zumutbaren Ist- und Sollzustand verkürzt wird – und reproduktive Rechte auf ein Abwägungskriterium reduziert werden.
Dass die Übernahme einer ungewollten Schwangerschaft die Gesundheit einer Frau für den gesamten vor ihr liegenden Zeitraum der Schwangerschaft maßgeblich beeinträchtigt und mit einer Vielzahl gesundheitlicher Gefahren einhergeht, gerät dabei ebenso wenig in den Blick wie die Tatsache, dass auch im sich an die Schwangerschaft anschließenden Zeitraum die gesamte physische und psychische Verfasstheit der Frau betroffen ist und identitätsprägend verändert wird. Dass in aller Regel eine vollständige Neuorganisation der gesamten Lebensumstände erforderlich ist, wird nicht beachtet. Mit dem Eintritt einer Schwangerschaft hat vielmehr ein Glückszustand zu bestehen, ganz gleich, ob die Umwelt einen solchen tatsächlich bereithält – und auch dann, wenn zur Herstellung dieses Glückszustands weder nahestehende Personen noch staatliche Institutionen mit erforderlichen Unterstützungsleistungen beitragen.
In einer umfassenden Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland läge die Chance einer strafrechtsdogmatisch denkbaren, widerspruchsfreien Vereinbarung reproduktiver Rechte mit dem Lebensschutz für Ungeborene. Ein umfassender Anspruch auf Beratung gerade auch zu Schwangerschaft, Abbruch und Schwangerschaftskonflikt bei gleichzeitiger Sicherstellung der Versorgung böte die Chance einer erheblichen Verbesserung der Frauengesundheit, der Verbesserung von Lebenslagen von Frauen und damit einer Hilfestellung, die dann auch Hilfe für die Annahme einer Schwangerschaft sein kann. Erst mit der offen möglichen Aussprache von Hindernissen, eine Schwangerschaft und ein Kind anzunehmen, lassen sich Wege entwickeln und aufzeigen, die bis heute weiter (ungebrochen und relativ) hohen Zahlen an frühen Schwangerschaftsabbrüchen zu senken. Deutschland käme so internationalen Vorgaben nach und könnte Vorreiter für eine Regelung sein, die die selbstbestimmte Entscheidung von Frauen über ihre grundlegenden reproduktiven Freiheiten respektiert, ihre Gesundheit schützt und verbessert und dabei zugleich den Lebensschutz für das Ungeborene entscheidend stärkt.
Versorgungssicherung und Entstigmatisierung
Die bei Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen des §218a Absatz 1 StGB im Ergebnis straffreie, jedoch gleichwohl rechtswidrige Durchführung von Abbrüchen in der Frühphase der Schwangerschaft bedeutet weder deren Entkriminalisierung noch ein fehlendes Strafbarkeitsrisiko für die Beteiligten. Gleiches gilt für nach §218a Absatz 2 medizinisch und nach Absatz 3 kriminologisch indizierte (rechtmäßige) Abbrüche. Die Zulässigkeitsfrage spitzt sich hier in der Spätphase der Schwangerschaft mangels Leitlinien für den Umgang mit Abbrüchen nochmals zu, wenn jeweils im Einzelfall entschieden werden muss, wie mit außerhalb des Uterus lebensfähigen Feten umgegangen werden soll und darf. Die Voraussetzungen für die Straffreiheit sind hier von den Beteiligten jeweils zu schaffen und zu erweisen. Steht ihr Vorliegen infrage, droht ein Strafverfahren; im Falle der Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase besteht nicht einmal die Chance auf ein rechtmäßiges Verhalten.
Die aktuelle Rechtslage schafft damit Zugangshindernisse, die die Versorgungssicherheit gefährden, und fördert die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Ärztinnen und Ärzte werden zur Mitwirkung an bürokratisch aufwendigen, gesondert abzurechnenden und im Falle der Abbrüche in der Frühphase sogar rechtswidrigen Verfahren verpflichtet und setzen sich so ebenfalls den Risiken der Strafverfolgung aus. Ausweislich der ELSA-Studie nehmen von denjenigen Ärztinnen und Ärzten, die keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, nur etwa fünf Prozent aus Gewissensgründen nicht an den Verfahren teil; der weit überwiegende Anteil bleibt wegen der mit dem Verfahren einhergehenden Schwierigkeiten fern. Dass 2023 erneut 106218 Abbrüche – davon 103045 in der Frühschwangerschaft – und damit ein weiterer Anstieg um 2,2 Prozent zu verzeichnen war, ändert nichts daran, dass alle an diesen Abbrüchen Beteiligten die Straftatvoraussetzungen nach §218 Absatz 1 StGB erfüllten – und Straffreiheit erst durch das Einhalten der Verfahrensmaßgaben erlangen konnten.
Stellt man dem die Zahlen der strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung gegenüber, zeigt sich, dass nur rund ein Prozent der statistisch erfassten Abbrüche polizeilich und davon wiederum nur rund zehn Prozent gerichtlich verfolgt werden, bei zumeist einstelligen jährlichen Verurteilungszahlen. Auch ärztliche Pflichtverletzungen nach §§218b und 218c StGB haben kaum kriminologische Relevanz. Die grundsätzliche Kriminalisierung verhindert also Schwangerschaftsabbrüche nicht, sondern führt nur dazu, dass sie unter erschwerten bis rechtlich unsicheren Bedingungen mit zugleich erheblicher strafrechtlicher Stigmatisierung erfolgen.
Dass es nur zu wenigen strafrechtlichen Verfahren kommt, ist kein Argument gegen eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, sondern stellt vielmehr gerade infrage, ob Strafrecht als Ultima Ratio hier überhaupt zum Einsatz kommen darf. Selbst wenn man beachtet, dass die verbleibenden Verurteilungen wegen Schwangerschaftsabbruchs vornehmlich Fälle nicht einverständlichen Abbruchs in Verbindung mit Gewalttaten gegen Schwangere betreffen, rechtfertigt dies gerade nicht den Kriminalappell gegenüber allen und schützt deshalb auch nicht das ungeborene Leben in besonderem Maße. Vielmehr besteht hier sogar eine Strafbarkeitslücke, deren Schließung die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin dem Gesetzgeber ebenfalls dringend nahegelegt hat.
Nach allem bedarf es des strafrechtlichen Schutzes der Schwangeren vor Abbrüchen gegen ihren Willen und vor unsicheren Abbrüchen – und es bedarf des Schutzes des ungeborenen Lebens vor Eingriffen gegen den Willen der Schwangeren, denn hier wird der Schwangerschaftsabbruch in der Strafstatistik relevant.
Internationale Vorgaben
Unter Berücksichtigung internationaler Vorgaben erweist sich die Beibehaltung der aktuellen Rechtslage in Deutschland sogar in vielerlei Hinsicht als widersprüchlich. Denn unter dem Vorwand gefundener rechtlicher Kompromisse für das deutsche Recht – verkürzt: die Abwägung zwischen staatlichem Schutzauftrag zum Lebensschutz und dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren – wird übersehen, dass das Recht so zwar Embryo und Fetus weitreichende Leistungsansprüche gegenüber der Schwangeren zuerkennt, deren reproduktive Gesundheit und Selbstbestimmung aber weitgehend unbeachtet lässt. Die existenzielle, unauflöslich relationale Verbundenheit, die mit einer Schwangerschaft zwangsläufig einhergeht, wird vielmehr ausschließlich zu Ungunsten der Schwangeren aufgelöst. Der „verfassungsrechtlich vorgeprägte Mittelweg“ verfehlt, genau besehen, die Mitte. Hinzu kommt, dass die Maßnahmen der reproduktiven Gesundheit und Geburtshilfe in den vergangenen 30 Jahren weitgehend ökonomisiert wurden. Geburtsstationen wurden geschlossen, Hebammen sehen sich mit hohen Haftpflichtprämien konfrontiert, kostenfreie Verhütungsmittel gibt es nur für bestimmte Altersgruppen gesetzlich Versicherter – all dies hat zu Versorgungsengpässen beigetragen.
Im Mai 2023 wurde Deutschland vom UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau gerügt, weil die auf die Pflichtberatung folgende dreitägige Wartefrist, die im Ergebnis nicht zu einer rechtmäßigen Handlung führt, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen erheblich erschwert. Die Zugangsbeschränkungen treffen aus Sicht des Gremiums einseitig die Schwangere, schränken ihre reproduktive Entscheidungsfreiheit und Autonomie ein und bedingen soziale und wirtschaftliche Abhängigkeiten, verbunden mit den Gefahren weiterer Diskriminierungen. Bereits 2017 hatte der Ausschuss moniert, dass der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland keine Kassenleistung ist, und Regelungen zur Kostenerstattung über die Krankenversicherung für alle Schwangerschaftsabbrüche angemahnt. Zwar ist die Bundesrepublik nicht unmittelbar zur Umsetzung der Empfehlungen verpflichtet, als Vertragsstaat hat sie jedoch die Frauenrechtskonvention (CEDAW) umzusetzen. Artikel 16 Absatz 1e CEDAW sowie Artikel 23 Absatz 1b der UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD) garantieren zudem Frauen und Menschen mit Behinderungen das Recht auf freie und verantwortungsbewusste Entscheidung über die Anzahl und den Altersunterschied ihrer Kinder sowie den Zugang zu den für die Ausübung dieses Rechts erforderlichen Informationen und Mitteln. Der Status als Vertragsstaat erfordert damit jedenfalls die Kenntnisnahme dieser Rechte und die Prüfung etwaiger Umsetzungsmöglichkeiten und -defizite.
In Bezug auf das nationale Strafrecht ist darüber hinaus festzuhalten, dass – nach der vom UN-Menschenrechtsausschuss unter Berücksichtigung des Rechts auf Leben aus Artikel 6 des Internationalen Pakts über die bürgerlichen und politischen Rechte ausgesprochenen Empfehlung – die Vertragsparteien sicherstellen sollen, dass keine strafrechtlichen Sanktionen für Personen greifen, die einen Schwangerschaftsabbruch wünschen. Auch insoweit ist eine Prüfung angezeigt, ob eine Straffreiheit erst im Ergebnis – und nach Überwinden gesetzlich bestimmter Zugangshindernisse – ausreichend ist. Gefordert ist eine Verschränkung der international anerkannten reproduktiven Rechte mit den Grundlinien des deutschen Verfassungsrechts. Das muss sich für die Rechtsordnung insbesondere in den sensiblen Bereichen des Strafrechts und des Gesundheitsrechts auswirken.
Zur Korrektur des deutschen „Mittelwegs“
Die andauernde (Fehl-)Erzählung des Schwangerschaftsabbruchs als Straftat, seine in der Durchführung insbesondere der frühen Abbrüche ungebrochen hohe statistische Relevanz bei strafprozessualer Nicht-Relevanz, die völkerrechtlichen Maßgaben zu reproduktiver Gesundheit und Lebensschutz für Frauen sowie die Empfehlungen zu barrierefreien, legal gesicherten und als Gesundheitsleistung zu finanzierenden Abbrüchen verdeutlichen, wie notwendig eine Neuabwägung der Strafbarkeitsfrage ist.
Dem wird man sich auf Basis der verfassungsgerichtlich gefestigten Argumentation zur staatlichen Schutzpflicht, auch gegenüber dem ungeborenen menschlichen Leben, nicht entziehen können. Die Fortgeltung verfassungsrechtlicher Grundlagen steht dabei nicht infrage. Die Schutzpflichtdogmatik ist heute anerkannt, sie erfasst die von Verfassungs wegen gebotene Pflicht des Staates, Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit des Einzelnen zu schützen – und nach herrschender Ansicht in Artikel 2 Absatz 2 GG auch das ungeborene Leben, weil mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle ein identitätsstiftendes genetisches Programm zur Entwicklung menschlichen Lebens festgelegt wird. Strittig ist nicht das „Ob“ des Schutzes, sondern das „Wie“ – und die Frage, inwieweit dem ungeborenen Leben bereits Menschenwürde oder „nur“ ein entsprechender Achtungsanspruch zukommt. Für die hier erforderliche Neuabwägung kommt es aber nicht maßgeblich darauf an, ob das Bundesverfassungsgericht zukünftig zwischen dem Schutz Ungeborener und Geborener zu Differenzierungen neigen wird, die es in der Vergangenheit verneint zu haben meinte. Zum Schutz des ungeborenen Lebens bedarf es keiner neuer (normativer) Einsichten, abgesehen vielleicht von der Feststellung, dass dieser Schutz auch bisher schon nur lückenhaft und unzureichend erfolgte, wenn etwa Embryo und Fetus gegen Eingriffe gegen den Willen der Schwangeren nicht gesondert geschützt sind.
Neue normative Einsichten sind vielmehr in Bezug auf die Grundrechtspositionen der Schwangeren, ihre Gesundheitsrechte und ihre reproduktiven Rechte einzufordern – und vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen und EU-weiten Entwicklungen auch zu erwarten. Wenn man so will, ist die biologische Erkenntnis aller erforderlich, dass die Übernahme einer Schwangerschaft kein „Sonntagsspaziergang“ ist, sondern eine lebenslange Herausforderung, die mit einer Vielzahl gesundheitlicher Gefahren einhergeht. Eine Auflösung des Güterkonflikts mittels praktischer Konkordanz wurde bisher nicht erzielt. Wer sie, nach umfassender inter- und intradisziplinärer Prüfung und verfassungsrechtlicher Gesamtabwägung, wagt, wird zu dem Ergebnis kommen, dass es der teilweisen Neuausrichtung der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht – hier zum Schutz des ungeborenen Lebens – deshalb bedarf, weil die Frau nur insoweit zur Erfüllung jener Schutzpflicht in Anspruch genommen werden darf, wie ihr dies zuzumuten ist. Das aber ist – unter Hinzunahme der reproduktiven Gesundheit und Freiheit der Frau – keineswegs automatisiert und immer der Fall, sondern ist gerade im Fall der ungeplanten und ungewollten Schwangerschaft wegen der damit einhergehenden umfassenden Eingriffe in die gesamte Verfasstheit der Frau grundsätzlich nicht so.
Das bedeutet in der Folge zweierlei: Erstens ist die Schwangere bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Schwangerschaft entpflichtet. Die Übernahme der sogenannten Gefahrtragungspflicht darf dann von ihr nicht verlangt werden, der Abbruch muss rechtmäßig und darf nicht strafbar sein. Letztlich liegt darin nur eine Fortschreibung schon der Rechtsprechung des Reichsgerichts, nun aber unter konsequenter Berücksichtigung der reproduktiven Gesundheit und Freiheit der Frau.
Zweitens muss der Staat – keineswegs unter Absenkung des Schutzniveaus – ausreichend Maßnahmen ergreifen, um seine Schutzpflichten für das ungeborene Leben und für die reproduktive Gesundheit der Frau zu erfüllen. Das erfordert den Schutz vor ungewollten und unsicheren Abbrüchen und den Schutz der Gesundheit der Frau durch ein barrierefreies, ihre reproduktive Autonomie schützendes Verfahren (präventiv) und vor Verletzungen (repressiv); es erfordert den Schutz des ungeborenen Lebens mit gezielten Maßnahmen zum Schutz vor ungewollten Schwangerschaften (präventiv) und vor Eingriffen gegen den Willen der Schwangeren (repressiv). Wenn trotz anerkannter Schutzpflicht außerstrafrechtliche Regelungen getroffen werden, ist das kein Verstoß gegen das sogenannte Untermaßverbot. Vielmehr liegt es in der Natur der Sache, verfahrensgebende, gebündelt präventive Maßnahmen außerhalb des Strafrechts zu regeln. Mit Strafrecht als Ultima Ratio lassen sich nur Unrechtshandlungen einer Strafe zuführen, die im Falle des Schwangerschaftsabbruchs eben nicht per se vorliegen, sondern allenfalls dort, wo die für die Schwangere zumutbar fortsetzbare Schwangerschaft abgebrochen wird. Für das Strafrecht kommen mithin allein gegen den Willen der Schwangeren gerichtete und gesundheitsgefährdende Angriffe infrage. Die besonders schwierigen und alle Beteiligten herausfordernden Fragen der Zulassung sogenannter Spätabbrüche bedürfen hingegen eines eigenen Augenmerks – und weiterer Debatten.