Spätestens mit der Etablierung moderner europäischer Staaten interessierten sich Regierungen für die Entwicklung ihrer nun territorial abgrenzbaren Bevölkerungen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden erste Volkszählungen durchgeführt und statistische Ämter zur Erfassung von demografischen Kennzahlen gegründet. Wie der Historiker Thomas Etzemüller argumentiert, haben Regierungen den staatlichen Raum und seine Bevölkerung zunehmend als eine gemeinsame Größe verstanden, die optimiert werden sollte.
Diese Aspekte der Geschichte der vergangenen 250 Jahre können unter dem vom politischen Theoretiker und Philosophen Michel Foucault geprägten Begriff der „Biopolitik“ gefasst werden, worunter dieser die Regulierung der Prozesse menschlichen Lebens inklusive der Fortpflanzung und Reproduktion verstand.
Diese Phasen unterscheiden sich in drei zentralen Dimensionen: der Wirkungsmacht reproduktionspolitischer Vorstellungen, dem technisch-medizinischen Wissen der Zeit und der jeweils spezifischen Konfiguration von Rechtsgütern. Im Kern drehte sich die Diskussion über Reproduktionspolitik immer auch darum, wer Entscheidungen über Reproduktion treffen kann und soll: Ist es eine rein individuelle Entscheidung? Soll der Staat in diese Entscheidungen eingreifen dürfen? Sollen Individuen zwar formell selbst entscheiden dürfen, aber nur unter Einbeziehung moralischer, politischer oder religiöser Vorstellungen? Ansprüche und Imaginationen von Recht begleiten die moderne Reproduktionspolitik seit ihrem Entstehen.
Utopien der Naturbeherrschung seit dem 18. Jahrhundert
Die Französische Revolution 1789 produzierte glühende Anhänger und Gegner von gesellschaftlich radikaler Umwälzung. In ihrem Selbstverständnis zielten die französischen Revolutionäre nicht nur auf die Etablierung einer neuen Staatsform, sie wollten auch eine grundlegende Umwälzung der Gesellschaft – und änderten dafür sogar die Zeitmessung.
Auch im Bereich der Reproduktionspolitik verfolgten die Revolutionäre radikal-utopische Vorstellungen. Wie in den sowjetischen Revolutionsutopien etwa 130 Jahre später, gingen auch die französischen Revolutionäre davon aus, dass die Menschheit durch gezielte Planung grundlegend verbessert werden könne. Wie der Historiker William Max Nelson jüngst gezeigt hat, waren politische Theoretiker und Philosophen wie Jean-Jacques Rousseau oder Joachim Faiguet de Villeneuve der Auffassung, dass es zwar gut sei, „Menschen so einzusetzen, wie sie sind“, es aber noch besser wäre, „sie so zu machen, wie man sie brauchen kann“. Es komme darauf an, die „unterschiedlichen Ausdrucksformen der Natur auf intelligente Weise zu kombinieren“. Die Französische Revolution radikalisierte diese Ideologien bis hin zu Vorschlägen für eine bewusste Heranzüchtung neuer „Menschenarten“, die bestimmte Funktionen im postrevolutionären Gefüge spielen sollten.
Das Besondere dieser historischen Phase besteht darin, dass der Glaube an die Notwendigkeit einer Veränderung von Bevölkerung politische Ideologien überspannte und nicht nur in revolutionären, sondern auch in konservativen Vorstellungen überzeugungsfähig wurde. Neben der französischen Revolutionsromantik bildeten sich hegemoniale Diskurse über Reproduktion und Sexualität heraus, die eng mit der Rationalisierung und Arbeitsteilung einer aufsteigenden bürgerlichen Gesellschaft verbunden waren. Nicht zufällig bezeichnete der mit seinem „Essay on the Principle of Population“ berühmt gewordene britische Ökonom Robert Malthus die Thesen seines Kollegen Adam Smith als „wichtigstes Argument“ auch für seine eigene Arbeit. Zwar nannte er die Vorstellungen zur Perfektionierung der Menschheit in Abgrenzung zur französischen Revolutionsutopie „absurd“, gleichzeitig glaubte er jedoch daran, „gewisse Grade der Verbesserung“ der Menschheit durch einen „Fokus auf gezielte Fortpflanzung“ erreichen zu können.
Diese Vorstellungen verbanden sich mit spezifischen Diskursen über Geschlechtlichkeit und geschlechtliche Arbeitsteilung und zogen eine lebendige Debatte über die „richtige“ Sexualität nach sich, die mit neuen gesellschaftlichen Leitbildern nach Vermehrung und Verbesserung der Körper korrespondierte. Frauen wurden dabei vor allem als Hüterinnen von Moral und Anstand verstanden, denen kein eigenes sexuelles Begehren zugeschrieben wurde. Sie sollten „sparsam“ mit ihrem Körper umgehen, um ihre Reproduktionsfähigkeit zu schützen und gesunde Kinder hervorbringen zu können. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse waren jedoch dazu geeignet, diese Geschlechterordnungen herauszufordern. Die 1875 erstmals veröffentlichte Erkenntnis, dass nicht nur die Eizelle für die Entwicklung des Kindes verantwortlich war, sondern sich Samen und Eizelle dafür verbanden, löste eine leidenschaftliche Debatte über Vererbung und die Verantwortung geteilter Elternschaft aus.
Eugenik und Sexualreform im späten 19. Jahrhundert
Die reproduktionspolitischen Vorstellungen der französischen Revolutionäre blieben wie jene ihrer konservativen Gegenspieler Theorie. Im 19. Jahrhundert begann sich dies zu ändern. Das seit den 1860er Jahren zunehmende Wissen über die Vererbung von Eigenschaften führte zusammen mit dem Anstieg des europäischen Nationalismus zur Herausbildung einer eugenischen Bewegung, die sich die bewusste Veränderung eines national gedachten „Volkskörpers“ zum Ziel setzte. 1905 wurde etwa die deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene gegründet, 1907 die britische Eugenics Education Society, 1922 das schwedische Staatliche Institut für Rassenbiologie und 1929 die American Eugenics Society. Diese politisch diversen Organisationen umfassten linke wie rechte Positionen: In rechten Vorstellungen ging es darum, den national gedachten Volkskörper zu perfektionieren, linke Theoretikerinnen und Theoretiker argumentierten für eine Verbesserung der Arbeiterschaft und eine Eliminierung des „Lumpenproletariats“.
Eugenische Gesetze gab es in vielen Staaten der Welt. Sie bedeuteten einen radikalen Eingriff in die individuelle Entscheidungsfähigkeit von Paaren über ihre eigene Nachkommenschaft. Archetypisch für diese Gesetze wurden Sterilisationsverordnungen, die eine Unfruchtbarmachung gegen den Willen der Betroffenen ermöglichten. Der US-Bundesstaat Indiana führte als erstes Land 1907 ein Gesetz ein, das Zwangssterilisationen erlaubte und das in den 1920er Jahren auf andere Bundesstaaten ausgedehnt wurde. Europäische Staaten wie Dänemark oder Schweden nahmen sich diese Gesetze zum Vorbild, und auch in manchen außereuropäischen Regionen wurden eugenische Gesetze erlassen, in Japan etwa 1940. Das weitreichendste Gesetz trat 1934 im nationalsozialistischen Deutschland in Kraft: Im Rahmen des sogenannten Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses wurden etwa 400.000 Menschen einer Zwangssterilisation unterzogen.
Die eugenische Bewegung war eng mit einer aufkommenden Bewegung für Sexualreform verbunden, die maßgeblich von Feministinnen getragen wurde, die sich für die Freigabe und Verfügbarmachung von Verhütungsmitteln einsetzten. Die amerikanischen und britischen Aktivistinnen Margaret Sanger und Marie Stopes etwa stritten leidenschaftlich für die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln für Frauen. Sie vertraten die Ansicht, dass die Kontrolle über die eigene Fortpflanzung ein wesentlicher Aspekt der gesellschaftlichen Emanzipation sei. Als Sanger 1914 die Zeitung „Woman Rebel“ ins Leben rief, beschrieb sie das Ziel der Zeitung damit, „arbeitende Frauen zum eigenständigen Denken anzuregen und einen bewussten, kämpferischen Charakter zu entwickeln“.
Eugenische Vorstellungen waren insofern ein integraler Bestandteil der sexualreformerischen Bewegung. Gleichzeitig brachten diese Aktivistinnen jedoch ein Argument in die Debatte ein, das in der eugenischen Bewegung fehlte: Sie verstanden Verhütung nicht notwendigerweise – und in ihrer Mehrheit vermutlich auch nicht primär – als Zweck zur Erreichung eugenischer Ziele. Übergeordnet war vielmehr ein moralisches Argument, das Frauen mehr Entscheidungsfreiheit über ihren eigenen Körper geben sollte. Mary Stopes etwa bezeichnete das Verbot von Verhütungsmitteln als amoralisch, da eine schnelle Abfolge von Schwangerschaften Frauen und ihre Kinder schwäche.
Sorgen vor globaler „Überbevölkerung“
In den 1940er und 1950er Jahren sind dann zwei parallele Entwicklungen zu beobachten: Zum einen verlor die Eugenik wegen der von ihr verantworteten und einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordenen Medizinverbrechen massiv an Ansehen. Zum anderen kam es zu einer zunehmenden Problematisierung des globalen Bevölkerungswachstums – zum Teil durch dieselben Akteurinnen und Akteure, die zuvor in der eugenischen Bewegung führend gewesen waren. Entsprechende Broschüren und Bücher wurden zu in mehrere Sprachen übersetzten Bestsellern, die eindringlich vor den Konsequenzen eines prognostizierten Missverhältnisses zwischen natürlichen Ressourcen und der Anzahl von Menschen warnten.
Die Ängste vor Überbevölkerung zogen auch explorative Programme ab den 1960er Jahren nach sich, die durch eine Verteilung von Verhütungsmitteln die Geburtenraten zu senken versuchten. Anfang der 1970er Jahre hatten 26 Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika solche Programme gestartet. Insgesamt gab es in diesen Ländern 45366 Kliniken für Familienplanung, in denen mehr als 1,7 Millionen Beschäftigte den Menschen die Vorzüge von kleineren Familien nahezubringen versuchten.
Rechtlich bildete sich zu dieser Zeit eine paradoxe Vorstellung von Menschenrechten heraus, die auch die Vereinten Nationen erfasste. 1968 beschloss die UN auf der Weltmenschenrechtskonferenz in Teheran ein neues Menschenrecht auf Verhütungsmittel, das Paare „frei und verantwortungsvoll“ umsetzen sollten. In der Präambel der entsprechenden Resolution wurde jedoch deutlich, dass mit einem „verantwortungsvollen Verhalten“ vor allem gemeint war, die möglichen Folgen des Bevölkerungswachstums in die Entscheidung über den eigenen Kinderwunsch einzubeziehen. Denn die „aktuelle rapide Geburtenrate in manchen Weltregionen“, so die Resolution, hindere den Kampf gegen „Hunger und Armut“, was zu einer „Beeinträchtigung von Menschenrechten“ führe.
In der historischen Rückschau werden diese Programme häufig als neokoloniale Interventionen verstanden. Der Westen habe Dominanz über den Globalen Süden ausgeübt, um aus rassistischen Motiven das Wachstum nicht-weißer Bevölkerungen zu beschränken. Während rassistische Äußerungen von einzelnen Protagonisten dieser Bewegung dokumentiert sind (und andere diesen Rassismus wiederum explizit von sich wiesen), kann man diese Programme vielleicht eher als global verfolgtes Elitenprojekt denn als neokolonial beschreiben. Während westliche Staaten die Ausbreitung des Kommunismus durch hohe Geburtenraten fürchteten, sahen politische und ökonomische Eliten des Globalen Südens ihre postkolonialen Modernitätsversprechen auf schnelles ökonomisches Wachstum durch ein zu hohes Bevölkerungswachstum gefährdet. Die indische Premierministerin Indira Gandhi etwa rechtfertigte das unter ihrer Administration umgesetzte Sterilisationsprogramm Mitte der 1970er Jahre mit einem „Menschenrecht der Nation auf Entwicklung“ und ließ beinahe acht Millionen Menschen im Namen des Fortschritts sterilisieren.
Genetische Screenings seit den 1960er Jahren
Unabhängig davon, ob hinter den Geburtenkontrollprogrammen eine rassistische Intention stand oder nicht, ist es auffällig, dass arme Bevölkerungsschichten des Globalen Südens oft als Kollektiv wahrgenommen wurden, während zur gleichen Zeit im Westen individuelle reproduktionspolitische Präferenzen in den Vordergrund rückten. Technische Neuerungen im Bereich der Reproduktionsmedizin seit den 1960er Jahren veränderten sowohl das gesellschaftliche Denken als auch das individuelle Empfinden über Reproduktion und Schwangerschaft. Der erstmals 1966 geglückte Versuch, die Chromosomen eines ungeborenen Kindes anhand der Zellen im Fruchtwasser zu untersuchen, ermöglichte eine genauere Prognose genetischer Krankheiten.
Rasch verbanden sich auch eugenische Überlegungen mit dieser neuen Methode. In einer von der Weltgesundheitsorganisation WHO 1966 eingesetzten Kommission wurden die Möglichkeiten von genetischen Screenings kontrovers diskutiert. Einige WHO-Delegierte betrachteten diese Untersuchungen als ein wirksames Instrument zur Eliminierung von Krankheit und Armut. Sie plädierten für ein globales Angebot genetischer Beratung, um „gesunde Köpfe in gesunden Körpern“ zu schaffen, und behaupteten, dass „der geistig behinderte Mensch eine Belastung für die Gesellschaft darstellt“. In Anbetracht der geografisch ungleichen Verteilung genetischer Krankheiten wie etwa der vor allem in Afrika auftretenden Sichelzellenanämie waren solche Perspektiven eng mit Debatten über die Migration afrikanischer Bevölkerungsgruppen nach Europa verbunden. Andere Teilnehmer der WHO-Debatten lehnten eugenische Vorstellungen ab und betonten, dass Beraterinnen und Berater im Rahmen von Genscreenings „kein genetisches Programm verfolgen sollte[n], das künftigen Generationen zugute kommt“ – eine Vorwegnahme späterer Deklarationen der Vereinten Nationen, etwa der Universal Declaration on the Human Genome and Human Rights.
Potenziale und Gefahren dieses neuen Wissens wurden auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs kontrovers diskutiert. Organisationen wie „March of Dimes“ in den USA, „Aktion Sorgenkind“ in der Bundesrepublik oder die „Gesellschaft für Humangenetik“ in der DDR setzten sich für eine Ausweitung genetischer Beratungsangebote für werdende Eltern ein. „March of Dimes“ versuchte etwa 1974, den US-Präsidenten Gerald Ford davon zu überzeugen, einen „Birth Defects Prevention Month“ auszurufen, um Eltern die „vernichtende Nachricht“ eines behinderten Kindes zu „ersparen“. DDR-Genetiker argumentierten in Abgrenzung zur als bürgerlich verstandenen Eugenik zwar, dass individuelles Glück von primärer Bedeutung sei, verwiesen jedoch gleichzeitig darauf, dass DDR-Bürgerinnen und -Bürger bei ihren reproduktiven Entscheidungen ihre „gesellschaftliche Verantwortung“ in Betracht ziehen sollten, womit sie auf das Ziel einer möglichst gesunden sozialistischen Gesellschaft verwiesen.
Solche radikalen Positionen blieben im Vergleich zu den bis heute relevanten Stimmen der Behindertenbewegung jedoch marginal, nicht zuletzt deshalb, weil die neuen Technologien breit nachgefragt wurden. Denn mit den technischen Möglichkeiten wie Ultraschalluntersuchungen, Tests zur Schwangerschaftsfrüherkennung oder der Risikoabschätzung über mögliche genetische Krankheiten hat sich auch das Empfinden über Schwangerschaften grundlegend verändert. Wie die Historikerin Lara Freidenfelds zeigt, hat sich damit der Glaube an eine „perfekte“ Schwangerschaft kulturell festgesetzt, in der alle Risikofaktoren möglichst ausgeschaltet werden müssen. Durch bildgebende Verfahren wie Ultraschall und 3D-Modellierung entwickeln sich im Vergleich zu vorherigen Jahrhunderten frühere emotionale Bindungen von Eltern an ihre ungeborenen Kinder.
Diese Kultur einer „perfekten Schwangerschaft für ein perfektes Kind“ ist nicht von oben diktiert, sondern entspricht einer gesellschaftlichen Nachfrage nach gesunden Lebensstilen. Solche „bottom-up“-Forderungen nach genetischer Gesundheit lassen sich auch an historischen Gerichtsverfahren zeigen, in denen Eltern für ein Recht auf genetische Screenings kämpften. Sowohl in den USA als auch in der Bundesrepublik zogen Eltern vor Gericht, um Schadenersatzforderungen für ihre mit genetischen Krankheiten geborenen Kinder zu verlangen. Eine Familie in North Carolina argumentierte etwa 1985, dass aufgrund einer Verschleppung von genetischer Beratung kein Schwangerschaftsabbruch mehr möglich gewesen sei, was zum „wrongful birth“ ihres Kindes geführt habe. In einem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof 1992 wurden die Unterhaltskosten eines mit einer genetischen Krankheit geborenen Kindes aus demselben Grund als „Schadensfall“ bezeichnet. Diese Verfahren zeigen das komplexe Verhältnis zwischen historischen Sedimenten eugenischen Denkens, die gleichzeitig zu einer Verankerung von reproduktiven Rechten – in diesem Fall dem Recht auf genetische Beratung – geführt haben und individuelle Entscheidungsfreiheiten von Frauen und Paaren erweitern konnten.
Reproduktions- und Geschichtspolitik bis heute
Über alle beschriebenen Phasen hinweg lässt sich ein zunehmender menschlicher Glaube an die Beherrschung der Natur feststellen, der immer stärker auch den Bereich menschlicher Reproduktion zu umfassen begann. Die von Max Horkheimer gemachte Beobachtung, der Mensch teile im Prozess der zunehmenden Kontrolle über die Natur „das Schicksal seiner eigenen Welt“, liefert dafür eine treffende Beschreibung. Der Möglichkeitsraum zur Veränderung der menschlichen Umwelt erstreckte sich bald auch auf den Menschen selbst, wodurch er zum Gegenstand von Interventionen wurde. Wie Horkheimer pointiert formulierte: „Naturbeherrschung ist Menschenbeherrschung.“
Die kontroverse Geschichte der Reproduktionspolitik dient bis heute als Folie für politische Argumente, etwa in der Debatte für oder gegen das Recht zum Schwangerschaftsabbruch. In Polen oder den USA verweisen Abtreibungsgegner immer wieder auf die eugenische Geschichte der International Planned Parenthood Federation und ihrer Gründerin Margaret Sanger. Im Gegenzug verteidigen sich diese Organisationen als Verfechterinnen von Frauen- und Menschenrechten. Geradlinige Argumente bleiben in dieser Geschichte jedoch schwierig, da sich die Bedeutung von Begriffen wie „Menschenrechte“ oder „Eugenik/Genetik“ konstant verändert – und nicht friktionsfrei auf heutige politische Debatten übertragbar ist.
Foucaults Begriff der Biopolitik ist vielleicht zu breit, um die unterschiedlichen Aspekte der Reproduktionspolitik der vergangenen 250 Jahre zu beschreiben. Was die Theorie der Biopolitik jedoch nachhaltig in die Debatte eingebracht hat, ist eine Distanzierung von einem Repressionsparadigma, das die Regulierung von Sexualität und Reproduktion nur als staatliche Kontrollpolitik verstand. Historisch zeigen sich im Gegensatz dazu sowohl Versuche der staatlichen Kontrolle als auch der individuellen Selbstermächtigung bei der Ausnutzung von neuen Spielräumen. So wurden in den 1920er und 1930er Jahren etwa eugenische Beratungsstellen eingerichtet, die darauf zielten, genetisch „hochwertige“ Paare zur Zeugung von mehr Kindern anzuhalten. Tatsächlich nutzten Menschen diese Stellen jedoch, um Informationen über Sexualität und Verhütung einzuholen.