"Generationengerechtigkeit" ist im Zusammenhang mit Reformen des Sozialversicherungssystems ein häufig genutztes Schlagwort. Mit diesem positiv besetzten Begriff wird versucht, ganz verschiedene Ziele argumentativ zu rechtfertigen – von der Sicherung des Lebensstandards der älteren Generation bis zum Ausbau der Kapitaldeckung der Alterssicherung. Welche philosophischen Theorien und Konzepte sich dahinter verbergen, spielt meist eine untergeordnete Rolle in der öffentlichen Debatte. Dieser Beitrag führt in die Genese und die Dimensionen des Begriffs ein, bevor mit Blick auf die Rentenpolitik skizziert wird, welche politischen Maßnahmen sinnvoller Weise als "generationengerecht" bezeichnet werden können und welche nicht.
Debatten in der Philosophie
Eine vollständige philosophische Theorie der Gerechtigkeit zwischen den Generationen hat zu klären, wer von wem wie viel von was erhalten soll. In der exponentiell wachsenden Literatur zu Generationengerechtigkeit sind alle diese W-Fragen umstritten.
Nicht strittig ist allerdings, dass sich Fragen der Generationengerechtigkeit, also der intergenerationellen Gerechtigkeit, immer zwischen Personengruppen stellen, die zu unterschiedlichen Zeiten geboren sind. Gerechtigkeit innerhalb einer wie auch immer definierten Generation ist nicht Gegenstand der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. In diesem anderen, intragenerationellen Bereich sind etwa Fragen der Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen (Geschlechtergerechtigkeit), Einkommensstarken und Einkommensschwachen (soziale Gerechtigkeit) oder Menschen verschiedener Herkunft angesiedelt. Gerechtigkeit zwischen den Generationen ist ein davon abzugrenzendes Feld, auch wenn es Wechselwirkungen zu Fragen der intragenerationellen Gerechtigkeit gibt.
Umstritten ist bereits die scheinbar eindeutige Frage, wer die beteiligten Akteure sind, denn der Begriff "Generation" ist mehrdeutig. Forschung zu familialen Generationen nimmt das Gegensatzpaar Kinder/Eltern in den Blick und stellt Analysen überwiegend auf der Mikroebene an. Dagegen bezieht sich die chronologische beziehungsweise demografische Bedeutung des Generationenbegriffs auf das Geburtsjahr beziehungsweise die Zugehörigkeit zu einer Alterskohorte. Hier wiederum können zwei unterschiedliche Gegensatzpaare in den Blick genommen werden: jung/alt oder heutig/zukünftig. Je nach Art des Generationenvergleichs ergeben sich unterschiedliche Fragestellungen.
Auch die Frage, wie viel eine Generation einer anderen hinterlassen sollte, ist umstritten. Aus philosophischer Sicht ist hier zunächst eine Vorklärung nötig: Sind wir der Nachwelt überhaupt etwas schuldig? Im Wesentlichen gibt es drei Gegenargumente gegen jedwede Verpflichtungen: erstens das Nicht-Identitäts-Problem, das besagt, dass die jeweils Lebenden keine Verpflichtungen gegenüber künftig Lebenden haben, weil die Existenz Letzterer von den Entscheidungen Ersterer abhängt.
Zweitens die These der reichen Zukunft, die gemeinhin lautet, dass die materiellen Problemlösungsmöglichkeiten kommender Generationen größer sein werden als die der heutigen und daher Verschiebungen von finanziellen oder ökologischen Lasten in die Zukunft legitim sind.
Drittens das Problem der unklaren Interessen und Präferenzen künftiger Generationen, das sich auf die zwangsläufige Nicht-Auskunftsfähigkeit ungeborener Menschen bezieht. Auch dieser Einwand schließt moralische Verpflichtungen gegenüber der Nachwelt nicht aus. So argumentieren etwa Vertreter von bedürfnisorientierten Ansätzen, dass es nicht konkret um den Nutzen, die Präferenzen, die Interessen oder die Wünsche Ungeborener gehe, sondern schlicht um die Grundbedürfnisse aller Menschen – früher, heutig und künftig Lebender.
Wenn also Pflichten gegenüber kommenden Generationen bestehen, stellt sich die Anschlussfrage, welches Ausmaß diese Pflichten haben. Meistens werden in der Literatur komparative Standards zusammen mit der Formulierung "mindestens genauso gut" verwendet, aber auch der Ausdruck "besser als" wird gebraucht.
Welches ist aber das intrinsisch wertvolle Gut, das im Generationenvergleich erhalten beziehungsweise weitergegeben werden sollte? Als alternative Antworten auf diese Frage werden in der Literatur unter anderem "Fähigkeiten", "subjektiver Nutzen", "Grad der Bedürfniserfüllung", "Lebensgestaltungschancen", "Güter", "Land", "Wohlstand", "Lebensstandard" oder "Konsumniveau pro Kopf" genannt.
Generationengerechtigkeit und Alterssicherung
Bei der Übertragung des philosophischen Konzepts der Generationengerechtigkeit in den Kontext der Alterssicherung stellt sich die Frage, was mit "Generation" gemeint ist. Chronologische Generationen werden hier gleichgesetzt mit "Kohorten", und zwar nicht nur im Sinne von Geburtskohorten, sondern auch im Sinne von Jahrgangskollektiven, die durch alle Lebensstadien schreiten. Die Jahrgangskollektive werden im allgemeinen Sprachgebrauch wiederum zu drei Generationen aggregiert: die noch nicht Erwerbstätigen, die Erwerbstätigen und die Generation im Ruhestand.
Es sind nun Vergleiche zwischen unterschiedlich alten Kohorten zu einem bestimmten Zeitpunkt oder zwischen gleichaltrigen Kohorten zu unterschiedlichen Zeitpunkten möglich. Beim ersten, direkten Vergleich stellt man etwa den Prozentsatz der 0- bis 17-Jährigen und der 65- bis 80-Jährigen, die 2022 in Einkommensarmut leben, einander gegenüber; beim zweiten, indirekten Vergleich beispielsweise den Prozentsatz von einkommensarmen 0- bis 17-Jährigen in den Jahren 1992 und 2022. Es kann also sein, dass die heutige junge Generation bei den beiden beschriebenen Generationenvergleichen einmal besser und einmal schlechter dasteht als die Generation, mit der sie verglichen wird.
Wer jetzt jung ist, wird später alt sein, und wer heute alt ist, war früher jung. Wenn wir Ressourcenanteile über das ganze Leben hinweg berücksichtigen, dann kann ein Vorteil während eines bestimmten zeitlichen Lebensabschnitts eine Last während einer anderen Phase kompensieren. Um Aussagen darüber zu treffen, was generationengerecht beziehungsweise generationenungerecht ist, sollten also die Gesamtlebensverläufe von zwei Generationenkohorten verglichen werden.
Damit lässt sich in Bezug auf die Rente eine wichtige Erkenntnis festhalten: Es ist nicht generationenungerecht, wenn eine Generation A hohe Beitragssätze bezahlt – solange sie später, im Rentenalter, auch hohe Renten erhält. Es ist nicht generationenungerecht, wenn eine Generation B niedrige Renten erhält – solange sie früher, als sie die aktive Generation war, auch niedrige Beitragssätze bezahlt hat. Generationenungerecht ist es im Rentensystem allerdings, wenn eine Generation hohe Beitragssätze bezahlen muss, aber später nur niedrige Renten erhält, wohingegen eine andere Generation niedrige Beitragssätze bezahlen durfte und trotzdem im Alter hohe Renten erhält. Das Maß ist immer das Beitrags-Leistungs-Verhältnis, also die Rendite, und eine generationengerechte Rentenpolitik darf hier keine eklatanten Unterschiede zulassen.
Der Generationenvertrag
Muss also der Staat dafür sorgen, dass jede Generation eine gleichermaßen hohe Rendite erhält? Diese Forderung würde ignorieren, dass sich Zeiten ändern können. Schon jetzt erlebt Deutschland einen demografischen Übergang, der durch eine Kombination aus niedriger Geburtenrate und steigender Lebenserwartung gekennzeichnet ist. Diese Veränderung des Bevölkerungsaufbaus untergräbt das gesetzliche Umlageverfahren, das in Form des sogenannten Generationenvertrags organisiert ist.
Um die grundlegenden Zusammenhänge verständlich zu machen, soll kurz beschrieben werden, wie der Generationenvertrag in einem nicht-monetären Kontext aussähe:
In Deutschland wird sich das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenbeziehern langfristig stark verändern. Kurzfristig jedoch, das ist unstrittig, ist in Deutschland die Situation günstig. Denn derzeit ist die Zahl der Beitragszahler aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge der "Baby-Boomer" hoch, während die Zahl der Rentenempfänger gering ist. Erst wenn die zahlenmäßig starken Jahrgänge – der größte davon ist die 1964 geborene Kohorte – ins Renteneintrittsalter kommen, drehen sich die Verhältnisse um. Im deutschen Umlageverfahren kann es dennoch besser laufen als in der beispielhaften Dorfgemeinschaft – zum einen aufgrund der kontinuierlichen Gesundheitsverbesserung großer Teile der Bevölkerung, die zu einem immer weiteren Hinausschieben des Ruhestands führen kann, zum anderen wegen des Produktivitätszuwachses.
Der medizinische Fortschritt hat in den vergangenen Jahrzehnten dafür gesorgt, dass die jeweiligen Neurentner-Kohorten länger gesund bleiben als die Jahrgänge vor ihnen. Vor allem zwischen dem 65. und dem 80. Lebensjahr gibt es einen neuen, spektakulären Zugewinn an Gesundheit.
Das Umlageverfahren lebt davon, dass das Verhältnis der Zahl der "Arbeitsjahre" und der "Ruhestandsjahre" nicht aus dem Takt gerät. In Deutschland wird seit 2012 das Eintrittsalter für die Regelaltersrente schrittweise heraufgesetzt, bis 2032 auf 67 Jahre. Das hilft dem Generationenvertrag gleich in zweifacher Hinsicht: Die Rentenversicherung hat für jeden Versicherten für eine längere Zeit Beitragseinnahmen und für eine kürzere Zeit Rentenausgaben. Eine Erhöhung der Regelaltersgrenze ist generationengerecht, bei der älteren Generation jedoch unbeliebt.
Der zweite Faktor, der die demografiebedingten Probleme des Generationenvertrags zumindest in der Theorie lindern kann, ist der Produktivitätsfortschritt.
Für eine geteilte Belastung
Um die Jahrtausendwende wurde der Anpassungsbedarf des Generationenvertrags vor dem Hintergrund der demografischen Herausforderung intensiv öffentlich diskutiert.
Ein vollständiger Umstieg auf ein Kapitaldeckungsverfahren wäre im Hinblick auf Generationengerechtigkeit problematisch, da er in einer Übergangsphase zu einer Doppelbelastung der mittleren Generation führen würde: Die heute im Erwerbsleben stehende Generation müsste gleichzeitig die umlagefinanzierten laufenden Renten der heutigen Rentner stemmen und ihre eigene, künftige Rente im Kapitaldeckungsverfahren ansparen. Und im Falle einer vollständig kapitalgedeckten Altersversorgung der Bevölkerung hängt die Höhe der Renten von den Entwicklungen an den Aktien- und Anleihemärkten ab, sodass diese durch politische Akteure nicht intergenerational beeinflusst und geglättet werden kann. Es kommt also zu Gewinner- und Verliererkohorten. Es sind Modelle entwickelt worden, um dies auszugleichen,
Der Grundgedanke des Nachhaltigkeitsfaktors ist hingegen bestechend:
Diese Logik wurde von den Rentenreformen in den 2000er Jahren prinzipiell anerkannt. Allerdings ist eine generationengerechte Rentenpolitik umso schwerer durchzuhalten, je älter eine Gesellschaft wird. Bei der Bundestagswahl 2021 waren nur noch 15 Prozent der Wahlberechtigten unter 30, aber ein Drittel über 60 Jahre alt. Das hat zur Folge, dass die rentenpolitischen Interessen der älteren Generation schwerer wiegen. Das zeigt sich etwa an der 2014 erfolgten Einführung der Rente mit 63 für langjährig Versicherte, die dazu geführt hat, dass heute bereits ein Drittel aller Versicherten vorzeitig abschlagsfrei in Rente gehen, und vor allem an der Aussetzung des Nachhaltigkeitsfaktors im Zuge einer Veränderung der Rentenformel zugunsten der Älteren mit dem Rentenpaket 2018, das das Prinzip eines Mindestrentenniveaus verabsolutiert.
Die Dominanz der Interessen der Ruheständler ist in der deutschen Rentenpolitik derzeit unverkennbar. Wie könnte der Reformeifer der Parlamentarier trotzdem gestärkt werden? Dem in der Ökonomie und den Sozialwissenschaften wohlbekannten Principal-Agent-Theorem zufolge hängt die Qualität von Maßnahmen immer auch von der eigenen Betroffenheit der Entscheidungsträger ab.