Gerade in Krisenzeiten gilt die staatliche Rente als bewährte Garantin des Einkommens der älteren Bevölkerung. Dies war während der Weltwirtschaftskrise 2008/09 ebenso der Fall wie während der Pandemie ab 2020. In Deutschland bezieht heute jede/r Vierte eine staatliche Rente oder Beamtenpension. EU-weit machen die Rentenausgaben ungefähr 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus und stellen mit 45 Prozent den größten Anteil der Sozialversicherungsausgaben.
Die finanzielle Nachhaltigkeit der Alterssicherung steht jedoch überall in Europa vor der unabwendbaren Herausforderung einer alternden Gesellschaft: Der anhaltende Geburtenrückgang, die längere Lebenserwartung und häufiger Vorruhestand stellen die staatlichen Rentensysteme vor zunehmende Finanzprobleme, insbesondere wenn sie umlagefinanziert sind, also ohne Rücklagen arbeiten. Der Generationenvertrag kommt in Schieflage: Immer weniger potenzielle Erwerbspersonen sollen die Renten von immer mehr Älteren bezahlen. In den vergangenen Jahren wurden deshalb europaweit Reformen aufgelegt, um das Renteneintrittsalter zu erhöhen, die Leistungen anzupassen und staatliche Umlageverfahren hin zu Mehrsäulenmodellen mit zunehmender kapitalgedeckter, oft in privater Verantwortung liegender Altersvorsorge weiterzuentwickeln.
In Deutschland wurden 1989 erste Schritte eingeleitet, um Frühverrentungen zurückzudrängen; 2001 wurde die Riester-Rente als private Zusatzversorgung und 2003 die Grundsicherung als Mindestsicherung im Alter eingeführt. Auch in anderen europäischen Ländern wurden Rentenreformen eher schrittweise und pfadabhängig entlang eingeübter Wege angegangen. Tatsächlich hängen Reformen von verschiedenen wirtschaftlichen, institutionellen und politischen Voraussetzungen ab. Der Vergleich Deutschlands mit anderen europäischen Sozialstaaten kann nicht nur die Unterschiede im Problemdruck und die verschiedenen Rentenreformwege verdeutlichen, sondern auch best practices aufzeigen, die zur deutschen Rentenreformdebatte beitragen können.
Einer der historisch bedeutsamen Unterschiede besteht zwischen der Sozialversicherungstradition der Länder mit Bismarckschen Rentenversicherungen einerseits – neben Deutschland sind das zum Beispiel Frankreich, Italien und Polen – und der mit den Beveridge-Reformen verbundenen Grundrente andererseits, wie sie in Großbritannien 1946 eingeführt wurde, zum Beispiel aber auch in Irland, den Niederlanden oder ursprünglich Schweden.
In diesem Beitrag werden zunächst anhand demografischer und sozioökonomischer Prognosen die Herausforderungen alternder Gesellschaften dargestellt, um die politischen Hürden für Reformprozesse zu erörtern. In einem Vergleich ausgewählter europäischer Staaten werden anschließend anhand der Umkehr der Frühverrentungspolitik die unterschiedlichen Problemlagen, Reformdynamiken und Erfolge bei der Erhöhung der Beschäftigungsquote Älterer betrachtet, bevor wir den Blick auf Reformschritte hin zu einer Privatisierung und Vermarktlichung in der Alterssicherung richten.
Demografie und Reformdynamik
Insbesondere in umlagefinanzierten Rentensystemen ist für den Fortbestand des Generationenvertrags vor allem die Lastenverteilung zwischen Erwerbsbevölkerung und Älteren ausschlaggebend. Bis 2050 prognostiziert die EU einen Anstieg des Altenquotienten, also der Zahl der über 65-Jährigen im Verhältnis zur Erwerbsbevölkerung im Alter zwischen 20 und 64 Jahren, von gegenwärtig rund 34 auf 57 Prozent im EU-Durchschnitt und von rund 36 auf 53 Prozent in Deutschland (Tabelle). Zwar bestehen beträchtliche Unterschiede zwischen den älteren Bevölkerungen Deutschlands oder etwa Italiens mit einem Altenquotienten von über einem Drittel und den relativ jungen Gesellschaften in Irland oder Polen mit Altenquotienten von 24 beziehungsweise 29 Prozent. In der Regel käme aber in drei Jahrzehnten eine ältere Person in Europa auf nurmehr zwei im Erwerbsalter stehende Personen.
Der Anteil der älteren Personen an der Gesamtbevölkerung liegt bereits heute in Deutschland und Italien über dem EU-Durchschnitt und wird in Italien um 2050 fast 34 Prozent betragen. Das anhaltende Wachstum der Bevölkerung ab 65 Jahren von gegenwärtig EU-durchschnittlich rund 20 auf 30 Prozent innerhalb von drei Jahrzehnten hat ein erhebliches politisches Gewicht: Ältere gehen eher zur Wahl als Jüngere.
Da im Umlageverfahren die aktuellen Renten derjenigen, die während ihres Erwerbslebens Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt und dadurch Ansprüche erworben haben, von den heutigen Beitragszahler/-innen finanziert werden, die hierfür in Zukunft wiederum Renten erwarten, würde eine umfassende Systemreform hin zu einer kapitalgedeckten Altersvorsorge auf das Problem des Doppelzahlers stoßen: Diejenigen, die aktuell durch ihren Beitrag die Ansprüche der gegenwärtigen Rentner/-innen aufgrund des Generationenvertrags decken, müssten gleichzeitig einen Kapitalstock für ihre eigene Vorsorge ansparen.
Vor diesem Hintergrund waren eine schrittweise Einführung des Mehrsäulenprinzips über längere Zeitspannen oder die Einrichtung einer freiwilligen Zusatzvorsorge, um eine zukünftige staatliche Rentenlücke zu schließen, bisher die häufigsten Reformstrategien.
Im globalen Wettbewerb führte die Verteuerung des Faktors Arbeit durch steigende Sozialabgaben zu Personalabbau, was wiederum höhere Ausgaben für Arbeitslosigkeit oder gar Frühverrentungen zur Folge hatte. Dieser Teufelskreis passiver Arbeitsmarktpolitik war typisch für kontinentaleuropäische Sozialstaaten, so zunächst auch für Deutschland in den 1980er und 1990er Jahren.
Aus sozialstaatlicher Sicht ist nicht allein die Demografie entscheidend, sondern auch die wirtschaftliche Leistungskraft, insbesondere der Beschäftigungsgrad, die Produktivität und das Wirtschaftswachstum einer Gesellschaft.
Umkehrung der Frühverrentung und aktives Altern
Das bisherige Paradox moderner Arbeitsgesellschaften war, dass die Menschen zwar immer länger leben, in den vergangenen Jahrzehnten jedoch immer früher aufhörten, zu arbeiten. Diese Frühverrentungspraxis breitete sich ab den Wirtschaftskrisen der 1970er Jahre aus. Im Lichte des wachsenden Kostendrucks auf die sozialen Sicherungssysteme und der steigenden Lohnnebenkosten kam es ab den 1990er Jahren zu einer politischen Kehrtwende, und die Vorruhestandspfade wurden eingeschränkt oder abgeschafft, das Ruhestandsalter angehoben und eine Erhöhung der Erwerbsquote unter Älteren forciert. Heute wird eine aktive Arbeitsmarktpolitik sowie eine beschäftigungsfreundliche Sozialpolitik angestrebt.
Die EU setzte sich im Rahmen des Lissabon-Prozesses im Jahr 2000 eine Steigerung der Beschäftigung zum Ziel: Bis 2010 sollten mindestens 50 Prozent der 55- bis 65-Jährigen arbeiten, bis 2020 mindestens 75 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung. Das erste Ziel wurde nur von den nordischen Sozialstaaten, den liberalen Wohlfahrtsregimen, aber auch von Deutschland und den Niederlanden erreicht.
Das Alter des Austritts aus dem Erwerbsleben variiert nach wie vor zwischen den europäischen Sozialstaaten, wobei einige südliche und östliche EU-Mitglieder ein noch immer niedrigeres Ruhestandsalter aufweisen als die meisten westlichen und nordischen Länder (Tabelle). Das durchschnittliche Austrittsalter liegt heute in den EU-Mitgliedsländern um 64 Jahre. In Frankreich und Osteuropa liegt es noch immer darunter, wohingegen Deutschland und die Niederlande in der vergangenen Dekade durch eine erstaunliche Umkehr von Frühverrentung hin zu einer höheren Erwerbsbeteiligung von Älteren zu den nordischen Ländern aufgeschlossen haben.
Die Einschränkung flexibler Altersrenten, Erwerbsunfähigkeitsrenten, Altersarbeitslosenhilfen und anderer Vorruhestandsregelungen birgt das Risiko, zu vermehrter Altersarmut durch Erwerbsunfähigkeit oder bei Verlust des Arbeitsplatzes zu führen, wenn die Wiederbeschäftigungschancen von Älteren nicht verbessert werden. Davon zeugt etwa Irland, wo höhere Beschäftigungsraten in den älteren Altersgruppen häufig mit atypischen und prekären Beschäftigungsformen sowie mit Altersarmut zusammengehen. Die skandinavischen Erfahrungen zeigen, dass es einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und einer Strategie zur Förderung lebenslangen Lernens bedarf, um die Voraussetzungen für eine längere Erwerbsbeteiligung im Alter zu schaffen. Dazu gehört auch ein Umdenken betrieblicher Personalstrategien sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Betriebsräten.
Die Schließung der Frühverrentungspfade und die Anhebung des Renteneintrittsalters sollten von einer ausreichenden Erwerbsunfähigkeitsrente für diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht länger arbeiten können, sowie von präventiven Integrationsmaßnahmen flankiert werden, um ältere Arbeitnehmer/-innen länger im Berufsleben zu halten und solche, die erwerbslos sind, wieder in Arbeit zu bringen. Einerseits müssen Anforderungsprofile von Arbeitsplätzen altersgerechter gestaltet werden, andererseits sollten Einstellungshürden für ältere Arbeitnehmer/-innen verringert werden, zum Beispiel durch eine Erleichterung von befristeten Arbeitsverträgen oder einer weniger am Senioritätsprinzip orientierten Entlohnung. Die Beschäftigungssicherung muss jedoch lange vor dem Renteneintritt beginnen: Lebenslanges Lernen sollte durch eine systematische Förderung von Weiterbildung ab 50 Jahren Teil einer präventiven Beschäftigungspolitik werden.
Privatisierung und Vermarktlichung
Ein weiterer Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik erfolgte durch einen Umbau zur Mehrsäulenarchitektur, die einerseits eine Privatisierung beabsichtigt, also die teilweise Verlagerung der Alterssicherungsverantwortung vom Staat auf private Akteure, und andererseits eine Vermarktlichung vorsieht, also die Einführung von beitragsbezogenen und kapitalgedeckten Marktmechanismen in der Altersvorsorge,
Besonders weitreichend waren einige grundsätzliche Rentenreformen. So überführte etwa Schweden durch eine umfangreiche Reform in den 1990er Jahren sein Grundrenten- in ein Mehrsäulenmodell mit staatlicher Einkommensversicherung nach dem Umlageverfahren und obligatorischer kapitalgedeckter Zusatzversicherung neben weiteren tarifvertraglichen Zusatzrenten. Nach der Marktöffnung der osteuropäischen Länder wurden in den späten 1990er Jahren gemäß der Empfehlungen internationaler Organisationen,
In den meisten Bismarckschen Sozialstaaten erfolgte der Paradigmenwechsel in kleineren Schritten. So wurden etwa in Deutschland und Frankreich neben staatlichen Rentenkürzungen ausschließlich freiwillige individuelle Kapitalrenten zusätzlich zur betrieblichen Altersvorsorge eingeführt. Hierzulande soll seit 2001 die Riester-Rente, die für Geringverdienende und Familien mit Zulagen subventioniert wird, die Versorgungslücke ausgleichen, die durch zukünftige staatliche Rentenanpassungen entstehen werden. Rund 40 Prozent der Beschäftigten haben entsprechende Verträge abgeschlossen.
In den Beveridge-Rentensystemen wurde die Mehrsäulenarchitektur wesentlich früher eingeführt, so etwa in Großbritannien und Irland. Infolgedessen konnten sie bisher einen größeren Kapitalstock der privaten Altersvorsorge aufbauen, von dem bereits gegenwärtige Rentner/-innen Leistungen beziehen. In der Tat zeigen sich die Unterschiede in der Bedeutung privater Altersvorsorge in den verschiedenen Sozialstaaten im Ausmaß des Pensionsfonds-Kapitalismus – die "Spielarten des Kapitalismus"
Hinsichtlich des Deckungsgrads der privaten Zusatzvorsorge gibt es erhebliche Unterschiede. Dieser liegt in der Schweiz, seitdem sie 1985 obligatorisch wurde, sowie in den nordischen Ländern und den Niederlanden dank tarifvertraglicher Regelung mit 90 Prozent sehr hoch, wohingegen um 2010 in den liberalen Mehrsäulensystemen wie in Großbritannien und Irland aufgrund der Freiwilligkeit erhebliche Deckungslücken von 50 Prozent bestanden. In den 2010er Jahren wurde in Großbritannien versucht, die freiwillige Mitgliedschaft in Pensionsfonds dadurch zu erhöhen, dass Arbeitnehmer/-innen automatisch eingeschrieben wurden und ihre Austrittsoption proaktiv wahrnehmen mussten. In einigen osteuropäischen Ländern sind Arbeitnehmer/-innen zwar seit den späten 1990er Jahren zu einer Mitgliedschaft in einem Pensionsfonds verpflichtet, ansonsten ist der Anteil kapitalgedeckter Altersvorsorge in Bismarckschen Rentensystemen aber niedrig. Ausnahme ist Deutschland mit 70 Prozent der Beschäftigten, die eine betriebliche oder individuelle Altersvorsorge haben.
Reformen hin zu mehr privater Vorsorge bergen bei unzureichender Deckung und mangelnder Zeit zum Ansparen sowie für Beschäftigungsgruppen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien – wie vor allem Frauen, die unbezahlte Sorgearbeit geleistet haben, und Erwerbslose – sowie Personen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen – also befristet oder Teilzeitbeschäftigte – das Risiko einer Zunahme sozialer Ungleichheit. Dabei hängt der Deckungsgrad von staatlichen Anreizen und Subventionen sowie von tarifvertraglichen Regelungen ab: Wo keine Verpflichtung zu solchen Zusatzrenten durch Obligatorium wie in der Schweiz oder durch allgemeingültige Tarifverträge wie in den Niederlanden einen breiten Deckungsgrad garantieren, ist in Ländern mit ausgebauten privaten Alterssicherungssäulen die Altersarmut wie in Großbritannien und Irland besonders hoch.
Fortsetzung folgt
Der Zusammenbruch der Finanzmärkte 2008 und die darauffolgende Wirtschaftskrise haben sich unmittelbar, aber auch langfristig auf staatliche Renten und die private Altersvorsorge ausgewirkt. Die Möglichkeiten, die staatlichen Sozialleistungen im Umlageverfahren zu finanzieren, wurden durch die Staatsschuldenkrise noch weiter eingeschränkt, und der Börsencrash führte zu Verlusten der kapitalgedeckten Altersvorsorge: So fiel etwa das Anlagevermögen der Pensionsfonds in Irland innerhalb eines Jahres um 35 Prozent, während die meisten anderen europäischen Pensionsfonds einen nominalen Rückgang zwischen 10 und 20 Prozent zu verzeichnen hatten.
Die demografische Entwicklung ist unabwendbar und im Lichte fiskalpolitischer Zwänge auch weiterhin ein wesentlicher Grund für umfangreiche Reformen zur Alterssicherung. Dabei sollte nicht nur finanzielle Nachhaltigkeit angesichts der Alterung der Gesellschaft, sondern auch soziale Nachhaltigkeit im Hinblick auf die Folgen der Vermarktlichung und Privatisierung sozialer Risiken leitendes Prinzip sein.