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Rente Editorial Alterssicherung in Deutschland Einkommen und Armut im Alter Arbeit und Alter(n). Wie ein längeres Erwerbsleben möglich werden kann Der lange Schatten der Demografie. Handlungsfelder einer Rentenreform in Deutschland Rentensysteme im Umbau. Herausforderungen und Reformwege der Alterssicherung in Europa Generationengerechtigkeit. Genese und Dimensionen eines Begriffs

Einkommen und Armut im Alter

Claudia Vogel Harald Künemund

/ 16 Minuten zu lesen

Die Armutsquote der Älteren ist überdurchschnittlich, betroffen sind insbesondere Frauen, Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft und über 84-Jährige. Eine Stärkung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung ist für die künftigen Alterseinkommen entscheidend.

Die Gruppe der älteren Menschen in Deutschland ist heute finanziell sehr gut ausgestattet – nicht ohne Ausnahmen, aber im Durchschnitt. Diese überwiegend gute materielle Sicherung im Alter ist insbesondere ein Erfolg der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung, die seit der Rentenreform von 1957 ein hohes Sicherungsniveau und ein Schritthalten der Alterseinkommen mit der wirtschaftlichen Entwicklung ermöglicht hat. Zudem konnten die heute älteren Menschen – im Zeitraum von Mitte der 1920er bis Mitte der 1950er Jahre geboren – in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums und politischer Stabilität Immobilien- und Geldvermögen akkumulieren. Sie sind daher heute in aller Regel nicht – wie noch vor Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung – von ihren eigenen Nachkommen abhängig, sondern können im Gegenteil oftmals ihre Kinder finanziell unterstützen und durch Schenkungen und Erbschaften etwas zum Vermögensaufbau in den nachfolgenden Generationen beitragen. Auch bilden ältere Menschen eine der größten Konsumentengruppen in unserer Marktwirtschaft.

Allerdings ist die soziale Ungleichheit innerhalb der Gruppe der älteren Menschen groß, wie sich an der Verteilung sowohl der Vermögen als auch der Alterseinkommen ablesen lässt. Zwar konnte Altersarmut zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Deutschland faktisch als überwunden betrachtet werden. Doch in den vergangenen Jahren steigen die Armutsquoten – von einem niedrigen Niveau ausgehend – wieder deutlich an, wovon neben Kindern und Familien vor allem ältere Menschen betroffen sind.

Diese Entwicklung war vorhersehbar. Hier kommt die Ausweitung des Niedriglohnsektors und der verschiedenen Formen atypischer Beschäftigung wie Befristung oder Leiharbeit zum Tragen, die zu geringen Rentenanwartschaften geführt hat, insbesondere aber auch der Paradigmenwechsel in der Alterssicherungspolitik, der 2002 mit einer Abkehr von der Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung und mit einer Stärkung der betrieblichen sowie der staatlich geförderten privaten Vorsorge besiegelt wurde. Aufgrund der weiteren Absenkung des Leistungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung werden Armutsrisiken wohl auch künftig weiter deutlich wachsen – politische Kurskorrekturen ausgenommen. Selbst Ansätze wie die 2021 eingeführte Grundrente können keine flächendeckende Bekämpfung der Altersarmut erreichen.

In diesem Beitrag werden zunächst die wichtigsten Einkommensquellen im Ruhestand dargestellt. Vor diesem Hintergrund wird Einkommensarmut im Alter definiert und in ihrer zeitlichen Entwicklung dargestellt. Anschließend werden Gruppen älterer Menschen mit besonders hohem Armutsrisiko beschrieben, Ursachen von Altersarmut diskutiert sowie Lösungsansätze skizziert.

Einkommensquellen

(© Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Alterssicherungsbericht 2020, Berlin 2021, Tabelle B.4.2.)

Wenn wir Einkommen im Alter diskutieren, ist zunächst zu klären, wie wir die Lebensphase "Alter" definieren. Lange wurde ihr Beginn mit dem Übergang in den Ruhestand und dem Ende der Berufstätigkeit gleichgesetzt. In der Statistik wurden Begriffe wie "Personen im erwerbsfähigen Alter" für die Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen verwendet sowie "Personen in der Nacherwerbsphase" für Personen ab 65 Jahren. Spätestens seit der schrittweisen Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre hat sich das überholt – als Altersgrenze wird oft nicht mehr das vollendete 65. Lebensjahr verwendet, sondern die angehobene Regelaltersgrenze. Das erschwert jedoch den Zeitvergleich. Zudem handelt es sich beim Übergang in den Ruhestand um einen Prozess, der durchaus mehrere Monate umfassen kann: Beendigung der Erwerbstätigkeit, die auch schrittweise etwa durch Reduzierung der Arbeitszeit oder Blockaltersteilzeitmodelle erfolgen kann, und Beginn eines Rentenbezugs, etwa einer gesetzlichen Rente oder einer Pension, der Bezug betrieblicher Renten oder sonstiger Renten sowie Einmalzahlungen, die zeitlich deutlich auseinanderliegen können. Auch kann die Beendigung der Erwerbstätigkeit zeitlich nicht nur vor, sondern auch nach dem Beginn des Rentenbezugs liegen. Tatsächlich sind immer mehr Menschen trotz Rentenbezugs erwerbstätig, und die "Flexi-Rente" ermöglicht sogar, bei Rentenbezug zusätzliche Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwerben. Für die erleichterte Vergleichbarkeit legen wir in diesem Beitrag die Altersgrenze von 65 Jahren zugrunde. Gleichwohl sollten diese Hinweise deutlich machen, dass "Alter" als Begriff nicht ohne nähere Erläuterung interpretierbar ist.

Im Alterssicherungssystem in Deutschland hat jeder Mensch – unabhängig von der Erwerbsbiografie – einen Anspruch auf eine bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, auch als "nullte Schicht" bezeichnet. Für die erste Schicht der Regelversorgung ist entscheidend, ob jemand im mittleren Lebensalter Einkünfte aus selbstständiger oder aus abhängiger Beschäftigung erzielt hat, wobei in erster Linie die gesetzliche Rentenversicherung und die Beamtenversorgung mit den jeweils gültigen Regelaltersgrenzen zu nennen sind. Als zweite Schicht wird die ergänzende betriebliche Vorsorge betrachtet, als dritte die individuell ergänzende Sicherung wie etwa eine staatlich geförderte private Altersvorsorge.

Alterseinkommen ergeben sich aus verschiedenen Quellen – neben gesetzlichen Renten aus eigenen oder abgeleiteten Anwartschaften sind dies gegebenenfalls betriebliche und private Renten beziehungsweise Pensionen sowie zusätzlich Miet- und Pachteinnahmen, Einkommen aus Kapitalvermögen, private Unterstützungsleistungen oder Unterhaltszahlungen eines getrennt lebenden oder geschiedenen Ehepartners sowie Transfereinkommen wie Grundsicherung im Alter oder Wohngeld. Ein steigender Anteil von Personen mit Rentenbezug geht zudem noch einer Erwerbstätigkeit nach, allerdings überwiegend in reduziertem Stundenumfang und mit eher geringem Erwerbseinkommen.

In Tabelle 1 ist dargestellt, wie hoch der Anteil älterer Menschen ist, die eine entsprechende Alterssicherungsleistung erhalten, sowie der durchschnittliche Nettobetrag dieser Einkommen, wobei sowohl eigene als auch abgeleitete Leistungen für Hinterbliebene enthalten sind. Der ersten Schicht kommt die weitaus höchste Bedeutung für die Alterseinkommen zu: Eine gesetzliche Rente erhalten 90 Prozent der Menschen ab 65 Jahren, und zwar im Durchschnitt monatlich 1109 Euro. Lediglich 29 Prozent der Menschen ab 65 Jahren erhalten zusätzlich eine Rente aus der betrieblichen Altersversorgung. Die Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge bleiben in hohem Maße davon abhängig, wie die sehr unterschiedlichen Vorsorgemöglichkeiten im jeweiligen Sektor und Betrieb konkret ausgestaltet sind. Zur privaten Alterssicherung ist wenig bekannt. Laut ersten Daten erhielten im Jahr 2019 weniger als 2 Prozent der Personen im Alter ab 65 Jahren Alterssicherungsleistungen aus einem Riester-Vertrag, wobei sich der durchschnittliche Bruttobetrag auf 65 Euro belief.

Bei Renteneintritt erfolgt eine Erstberechnung des Monatsbetrags der Rente. Die Alterseinkommen hängen aber nicht nur von dieser Erstberechnung ab, sondern auch von der Anpassung der Leistungshöhe im Zeitverlauf. Hier zeigen sich große Unterschiede zwischen gesetzlichen Renten, deren Höhe jährlich angepasst wird, und der betrieblichen und privaten Alterssicherung, die nicht ausreichend dynamisch gestaltet ist. Die Dynamisierungen sind nicht aufeinander abgestimmt, sodass weniger stark ansteigende Einkünfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Zeitverlauf nur rein theoretisch durch steigende Bezüge aus anderen Schichten kompensiert werden könnten – da die Dynamisierung in den anderen Schichten oft fehlt oder gering ausfällt, ist eher das Gegenteil der Fall: Ein Rückgang der Kaufkraft wird bei Inflation insbesondere dort festzustellen sein, wo Einkünfte aus der zweiten und dritten Schicht ein hohes Gewicht haben. Die Alterseinkommen bleiben also hinter der wirtschaftlichen Entwicklung zurück. Schließlich sind die Menschen in einer Gesellschaft des langen Lebens nicht nur deutlich länger erwerbstätig, sondern sie erleben auch eine entsprechende Ausweitung der Ruhestandsphase. Zu bedenken bleibt auch, dass mit steigendem Alter Bestandteile des Einkommens wegfallen, etwa bei Beendigung eines beruflichen Zuverdiensts, wenn Höchstaltersgrenzen bei bestimmten privaten Rentenprodukten erreicht sind oder wenn Personen sterben, die Unterhalt gezahlt haben, sowie bei Verwitwung. Zugleich können die Ausgaben insbesondere im Bereich von Gesundheit und Pflege sowie im Bereich Wohnen steigen. Das individuelle Armutsrisiko wächst also im Verlauf der Altersphase.

Eine Besonderheit von Altersarmut im Vergleich zu Armut in anderen Lebensphasen ist: Armut im Alter ist tatsächlich meist von Dauer. Wenn das gesamte Einkommen aus den verschiedenen Alterssicherungsschichten nicht ausreicht, gibt es kaum Möglichkeiten, eine kleine Rente später noch aufzubessern. Eventuell vorhandene Vermögen sind bis auf ein kleines Schonvermögen überwiegend aufzuzehren, falls die Grundsicherung greifen soll.

Armut

Wird in Deutschland über Armut debattiert, findet meist ein Konzept relativer Armut Anwendung, das Armut als Mangel an finanzieller Teilhabe im Vergleich zum gesellschaftlichen Mittel fasst. Hinsichtlich der Einkommensarmut hat sich etabliert, Menschen als armutsgefährdet zu betrachten, die nach Einbeziehung staatlicher Transferleistungen über ein Einkommen verfügen, das unterhalb der Armutsschwelle liegt, also unter 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung. Laut Statistischem Bundesamt liegt dieser Schwellenwert derzeit bei knapp 1200 Euro pro Monat für einen Einpersonenhaushalt.

(© Bundesregierung, Lebenslagen in Deutschland. Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht, Berlin 2021, S. 478.)

Die Armutsgefährdungsquote der Menschen im Alter ab 65 Jahren ist in den vergangenen Jahren von einem Minimum von 11,0 Prozent auf 15,7 Prozent gestiegen (Tabelle 2). Bei 18,3 Millionen Menschen im Alter von 65 und mehr Jahren bedeutet das: Rund 2,9 Millionen ältere Menschen sind armutsgefährdet. Bezieht man auch unter 65-Jährige mit Renten- oder Pensionsbezug ein, liegt die Armutsgefährdungsquote mit 17,1 Prozent höher. Ältere Frauen sind anteilig häufiger von Armut bedroht als ältere Männer. Der Abstand zwischen Frauen und Männern, der sich aus den geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Erwerbsbiografien ergibt, hat lediglich geringfügig abgenommen. Dass die Unterschiede nicht noch größer sind, liegt an der Berücksichtigung der finanziellen Situation des gesamten Haushalts sowie an der Hinterbliebenenversorgung.

Diese Betrachtung der Altersarmut anhand der Einkommen erfolgt ohne Berücksichtigung der jeweiligen Vermögen. Es kann also nicht von einer so berechneten Armutsgefährdung auf faktische Armut im Einzelfall geschlossen werden. Auch gibt es den Trend einer zunehmenden Überschuldung bei älteren Menschen: Für das Jahr 2020 weist die Überschuldungsstatistik aus, dass 7,5 Prozent der in Schuldner- oder Insolvenzberatungsstellen beratenen Personen über 64 Jahre alt waren; 2015 waren 6,3 Prozent der beratenen Personen in dieser Altersgruppe. Unklar ist, wie hoch die Dunkelziffer von überschuldeten Älteren ist, die keine Beratungsangebote in Anspruch nehmen. Einkommensarmut und das Leben ohne finanzielle Reserven hängen stark miteinander zusammen, sind aber nicht deckungsgleich. In sehr seltenen Fällen gibt es Menschen, die größere Vermögen haben, etwa einen landwirtschaftlichen Betrieb, aber nur geringe Einkommen und somit als einkommensarm gelten können. Häufiger ist der umgekehrte Fall, dass Menschen kein Vermögen haben und möglicherweise sogar verschuldet sind, aber nicht als arm gelten, weil ihre laufenden Einkommen oberhalb der Armutsschwelle liegen. Auch gibt es in Deutschland vermehrt Fälle, in denen ältere Menschen existenzielle Notlagen erfahren, etwa bei Wohnungslosigkeit. Die Forschungslage ist hier bislang allerdings schlecht, insbesondere was Differenzierungen nach Alter betrifft.

Der Anstieg der Armut im Alter lässt sich auch daran ablesen, dass immer mehr Menschen Grundsicherung im Alter beziehen und der relative Anteil der Grundsicherungsempfängerinnen und -empfänger an der älteren Bevölkerung steigt. Die Grundsicherung im Alter ist eine steuerfinanzierte Sozialleistung und wird bedarfsgeprüft bewilligt. Leistungen erhalten Menschen auf Antrag, die die Altersgrenze nach Paragraf 41 Absatz 2 Sozialgesetzbuch XII erreicht haben und ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen sicherstellen können. Der Nettoanspruch lag 2017 im Durchschnitt bei 499 Euro, Leistungen für Unterkunft und Heizung werden zusätzlich entsprechend den tatsächlich anfallenden Kosten übernommen, wenn sie "angemessen" sind. Die Anträge müssen in regelmäßigen Abständen neu gestellt werden. Leistungen werden meist für ein Jahr bewilligt. Ein Bezug der Grundsicherung im Alter ist jedoch meist von Dauer.

Bei Einführung im Jahr 2003 bezogen 257734 Personen Grundsicherung im Alter, ein Anteil von 1,7 Prozent. Im Jahr 2020 waren es mit 564110 Personen bereits weit mehr als doppelt so viele, ein Anteil von 3,2 Prozent. Dabei ist der Anteil der Männer mit 3,3 Prozent ähnlich hoch wie der Anteil der Frauen mit 3,2 Prozent. Große Unterschiede zeigen sich vor allem zwischen Menschen mit und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit: Während unter denjenigen mit deutscher Staatsangehörigkeit lediglich 2,6 Prozent der Männer und 2,4 Prozent der Frauen Grundsicherung im Alter beziehen, sind es in der Gruppe ohne deutsche Staatsangehörigkeit 15,0 Prozent der Männer und 19,2 Prozent der Frauen. Die große Mehrheit der Empfängerinnen und Empfänger stocken eine niedrige Rente durch Grundsicherungsleistungen auf, nur etwa ein Viertel von ihnen ist ohne Rentenanspruch.

Armut im Alter wird aufgrund dieser Anteile von Grundsicherungsbezug sicherlich unterschätzt, da nicht alle bedürftigen älteren Menschen ihren Rechtsanspruch auf Grundsicherung tatsächlich geltend machen – sei es aus Unwissenheit, Scham oder Bescheidenheit. Der Grundsicherungsbezug als Indikator für Armut ist ebenfalls umstritten: Menschen werden gewissermaßen dadurch zu "Armen" erklärt, dass ihre Situation staatlich überprüft und durch die Bewilligung von Sozialleistungen sichtbar wird. Politisch wird Armut im Zusammenhang mit Grundsicherung gelegentlich auch als "erfolgreich bekämpft" thematisiert, allerdings leben Empfängerinnen und Empfänger in der Regel dennoch mit einem Einkommen unterhalb der Armutsschwelle von 60 Prozent des Medianeinkommens, zudem sind nur Vermögen bis zu 5000 Euro als Schonvermögen vorgesehen. Insofern halten wir die relative Betrachtung der Armutsgefährdung für eine Bewertung der Veränderungen in der Gesellschaft für die wichtigste Perspektive, die sich zwar nicht verlässlich für die Bewertung von Einzelfällen, wohl aber für Vergleiche von Bevölkerungsgruppen eignet.

Eine differenziertere Analyse der armutsgefährdeten Personengruppe über 65 erlauben die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (Abbildung). So lag 2018 die Armutsgefährdungsquote der Menschen der Altersgruppe ab 85 Jahre mit 23 Prozent weitaus höher als jene der 65- bis 74-Jährigen und der 75- bis 84-Jährigen. Hierzu trägt unter anderem bei, dass zu der Gruppe der ab 85-Jährigen überdurchschnittlich viele Frauen und Witwen zählen, da sie eine höhere Lebenserwartung haben als Männer, aber auch geringere Alterseinkünfte. Die vom Statistischen Bundesamt als "hochbetagte Personen" bezeichnete Gruppe der über 84-Jährigen wächst stark und umfasst mittlerweile 2,5 Millionen Menschen.

(© Sozio-oekonomisches Panel 2019)

Nach Familienstand betrachtet ist die Armutsgefährdung bei verwitweten deutlich höher als bei verheirateten Personen. Das höchste Armutsrisiko haben Geschiedene, fast jede dritte geschiedene Person ist im Alter armutsgefährdet. Nach Wohnregion zeigt sich, dass die Armutsquote der 65-Jährigen und älteren Menschen in Ost- heute etwas höher ist als in Westdeutschland. Insbesondere bei den in den 1950er Jahren Geborenen, die derzeit das Rentenalter erreichen, machen sich lange Phasen der Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung nun in geringen Renten bemerkbar. Betrachtet man die Armutsgefährdung der 65-Jährigen und älteren Menschen nach Staatsangehörigkeit, zeigt sich, dass Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit eine mehr als doppelt so hohe Armutsgefährdung aufweisen wie deutsche Staatsangehörige. Bei Personen, die eine Beamtenpension erhalten, ist die Armutsgefährdungsquote nahe null. Bei Personen im Alter ab 65 Jahren, die eine gesetzliche Rente beziehen, ist die Armutsgefährdungsquote hingegen mit 17 Prozent vergleichsweise hoch.

Gründe

Die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anwartschaften spiegeln das gesamte Erwerbsleben wider – wer viel eingezahlt hat, bekommt eine hohe Rente, wer wenig eingezahlt hat, eine geringe. Viel eingezahlt haben in der Regel abhängig Beschäftigte, die kontinuierlich und in Vollzeit erwerbstätig waren. Wenig eingezahlt haben in der Regel Beschäftigte, die lange Phasen der Krankheit oder der Arbeitslosigkeit erlebt haben sowie Phasen der Erwerbsunterbrechung etwa zur Ausübung privater Sorgearbeit. Außerdem haben diejenigen wenig eingezahlt, die weniger verdienen, was zu einem großen Teil das höhere Armutsrisiko von Frauen oder auch von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit erklärt.

Im Alter von Armut betroffen zu sein, kann also verschiedene individuelle und biografische, aber auch strukturelle und systembedingte Gründe haben. Als biografische Faktoren, die zu diskontinuierlichen Erwerbs- und Versicherungsverläufen führen und somit das Risiko für Armut im Alter erhöhen, sind erstens gesundheitliche Beeinträchtigungen, Krankheit und Erwerbsunfähigkeit sowie Behinderung zu nennen. Mehr als 1,8 Millionen Menschen beziehen Erwerbsminderungsrenten, deren Beträge oft nicht für ein individuelles Einkommen oberhalb der Armutsschwelle ausreichen.

Zweitens sind familiäre Verpflichtungen zu nennen. Menschen unterbrechen ihre Erwerbsarbeit oder reduzieren den Stundenumfang in verschiedenen Phasen des Familienlebens. Bei der Geburt von Kindern sind es meist die Mütter, die ihre Erwerbsarbeit unterbrechen. Bei den heute Älteren war der Anteil von Hausfrauen noch besonders hoch. Nicht zu unterschätzen ist auch, wie viele Angehörige Pflegebedürftige – meist die Eltern, aber auch Partnerinnen und Partner oder kranke Kinder – betreuen. Und während durch die gemeinsame Altersvorsorge im Haushaltskontext inklusive der Hinterbliebenenabsicherung der gesetzlichen Rentenversicherung oft Armut im Alter abgewendet wird, bergen Trennung und Scheidung vor allem für Frauen ohne ausreichende eigene Anwartschaften ein hohes Armutsrisiko – auch beim sogenannten Rentensplitting, der Teilung von Rentenansprüchen zwischen Ehe- und Lebenspartnern.

Drittens ist der Faktor Migration zu nennen. Wer einen Teil seines Erwerbslebens außerhalb des bundesdeutschen Systems verbracht hat, dem fehlen möglicherweise entsprechende Anwartschaften bei der Deutschen Rentenversicherung. Prinzipiell können ältere Menschen auch aus mehreren Ländern Renten beziehen, die hohen Armutsquoten der älteren Migrantinnen und Migranten verweisen jedoch darauf, dass dies insbesondere für die heute Älteren kaum in nennenswertem Umfang der Fall ist. Zudem haben Ältere mit Migrationshintergrund auch häufiger durch geringe Einkommen und Arbeitslosigkeit geprägte Erwerbsverläufe in Deutschland. Oft überlappen sich gesundheitliche, familiale und migrationsspezifische Aspekte.

Als strukturelle Gründe für Armut im Alter lassen sich sowohl arbeitsmarktpolitische als auch alterssicherungspolitische Faktoren nennen: Zu den gravierendsten Veränderungen des Arbeitsmarktes der vergangenen Jahrzehnte zählen der Ausbau des Niedriglohnsektors, die Ausweitung der atypischen Beschäftigung sowie die Zunahme hybrider Selbstständigkeit und das Ausüben mehrerer Beschäftigungsverhältnisse. Sowohl die dauerhafte Beschäftigung im Niedriglohnsektor als auch eine dauerhafte Tätigkeit in Teilzeit führen zu geringen Rentenanwartschaften. Bei den heutigen Rentnerinnen und Rentnern haben zudem Phasen hoher Arbeitslosigkeit, aber auch neue Formen der nicht-sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wie Minijobs – neben der klassischen Schattenwirtschaft – zu vielen vergleichsweise geringen Renten beigetragen. Insbesondere in Ostdeutschland wird sich die hohe Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung bis zum Ende der Finanzkrise in den nächsten Jahren wahrscheinlich in noch stärkerem Maße im Anstieg der Armutsquote der rentennahen Jahrgänge zeigen.

Zu den alterssicherungspolitischen Faktoren gehören mangelnde Vorsorgefähigkeit und -bereitschaft. Nur wer Erwerbseinkommen in ausreichender Höhe und über einen ausreichenden Zeitraum erzielt, kann individuell ausreichend Anwartschaften auf Leistungen aus einem Alterssicherungssystem erwerben. Die Vorsorgebereitschaft ist nicht nur voraussetzungsreich, weil sie Vorsorgefähigkeit benötigt. Um langfristig und vorausschauend vorsorgen zu können, benötigen Menschen ausreichendes Wissen über die Notwendigkeit und die Möglichkeiten einer adäquaten Altersvorsorge. Dem steht sowohl die Komplexität der Alterssicherungssysteme entgegen, die durch die Teilprivatisierung im Mehrschichtsystem stark gestiegen ist, als auch die Schwierigkeit, zukünftige Entwicklungen der Kapitalmärkte korrekt einschätzen zu können.

Lösungsvorschläge

Nach unserer Einschätzung kann mehr Eigenverantwortung in der Altersvorsorge nicht die Lösung für das Problem einer steigenden Altersarmut sein. Die Rede von mehr Eigenverantwortung suggeriert fälschlicherweise, dass Armut im Alter selbstverschuldet und durch individuelle Verhaltensveränderung vermeidbar sei, und bestraft unter anderem jene, die für die Familie und die Gesellschaft unbezahlte Arbeit geleistet haben. Stattdessen sollte das System von Altersvorsorge und Grundsicherung so ausgestaltet werden, dass es allen sichere Alterseinkommen und einen verlässlichen Schutz vor finanzieller Not im Alter bietet. Die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung mit ihren solidarischen Elementen und ihrer Dynamisierung ist hierfür der beste Weg. So könnte etwa geprüft werden, weitere Berufsgruppen wie etwa Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen oder den Anspruch auf Grundrente zu erweitern – die Anforderung von 35 Versicherungsjahren ist für viele armutsgefährdete Menschen im Alter heute nicht zu erfüllen. Der Einbezug der Beamtinnen und Beamten wäre hingegen wenig hilfreich, weil diese sowohl durchschnittlich hohe Einkommen als auch durchschnittlich hohe Lebenserwartungen haben – das Finanzierungsproblem der gesetzlichen Rentenversicherung würde also mittelfristig größer. Hier ist die Steuerfinanzierung mit ihrer breiteren Basis vorzuziehen.

Die gegenwärtige Tendenz der Individualisierung sozialer Risiken findet eine fast schon zynische Zuspitzung in der Forderung nach financial literacy, also der Kompetenz, alterseinkommenssichernde Entscheidungen am Kapitalmarkt richtig zu treffen, obgleich die komplexen Entwicklungen aller die Alterssicherung beeinflussenden Größen auch von Expertinnen und Experten nicht langfristig zu überschauen sind. Das Drei-Schichten-System ist, um es ökonomisch auszudrücken, höchst ineffektiv. Vor allem schützt es jene Gruppen nicht vor Altersarmut, die nicht ausreichend vorsorgen können, weil ihnen im mittleren Alter die finanziellen Ressourcen dafür fehlen. Mit Blick auf die gestiegene Armut auch bei Familien schreibt sich das Problem der Armut im Alter in den Lebensläufen der jüngeren Menschen von heute – den älteren Menschen von morgen – bereits fest, wenn keine Kurskorrekturen erfolgen. Zudem sollten denjenigen, die heute zu den älteren Menschen gehören und in Armut leben, ihre Rechte nicht verwehrt werden. Es braucht Verbesserungen etwa bei der Antragstellung für soziale Transferleistungen, um die Inanspruchnahme von Hilfeleistungen wie Wohngeld und Grundsicherung zu erhöhen. Es lohnt sich, Armut im Alter zu bekämpfen, denn ein Leben in finanzieller Sicherheit auch im höheren Lebensalter ist ein wichtiger Faktor für eine starke Zivilgesellschaft und eine funktionierende Demokratie.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. z.B. Gerhard Bäcker, Alterssicherung in Deutschland, in: Klaus R. Schroeter/Claudia Vogel/Harald Künemund (Hrsg.), Handbuch Soziologie des Alter(n)s, Wiesbaden 2018, Externer Link: https://doi.org/10.1007/978-3-658-09630-4_16-1.

  2. Vgl. z.B. Claudia Vogel/Harald Künemund, Armut im Alter, in: Petra Böhnke/Jörg Dittmann/Jan Goebel (Hrsg.), Handbuch Armut. Ursachen, Trends, Maßnahmen, Opladen 2018, S. 144–153.

  3. Vgl. Uwe Fachinger, Alterssicherung und Armut, in: Karsten Hank et al. (Hrsg.), Alternsforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis, Baden-Baden 2019, S. 131–170.

  4. Vgl. Heribert Engstler/Julia Simonson/Claudia Vogel, Die Vielfalt der selbstständigen Erwerbstätigkeit im Rentenalter zwischen biographischer Kontinuität und Neuanfang. Ergebnisse des Deutschen Alterssurveys (DEAS), in: Frerich Frerichs/Uwe Fachinger (Hrsg.), Selbstständige Erwerbstätigkeit und Erwerbskarrieren in späteren Lebensphasen. Potentiale, Risiken und Wechselverhältnisse, Wiesbaden 2020, S. 225–278.

  5. Vgl. Bäcker (Anm. 1).

  6. Vgl. Bundestagsdrucksache 19/24926, 1.12.2020, S. 130.

  7. Vgl. Fachinger (Anm. 3).

  8. Vgl. ders. et al., Die Dynamisierung von Alterseinkommen in Deutschland, in: ders./Winfried Schmähl (Hrsg.), Absicherung im Alter. Diskurse und Perspektiven, Münster 2015, S. 195–301.

  9. Die Konzeption relativer Armut steht gelegentlich in der Kritik. Sie impliziert aber nicht, wie etwa Walter Krämer behauptet, dass es bei dieser Berechnungsmethode immer einen gewissen Prozentsatz an Armen geben müsse – wären die Einkommen gleich oder blieben innerhalb einer relativ engen Spannbreite um den Mittelwert, gäbe es auch keine relative Armut. Vgl. Walter Krämer, So lügt man mit Statistik, München 2000, S. 152.

  10. Zur Bestimmung der Armutsgefährdung ist die individuelle Einkommensposition von Bedeutung, für die nicht nur das individuelle Einkommen, sondern vielmehr auch das Einkommen des Haushalts berücksichtigt werden muss, was über die Äquivalenzgewichtung sichergestellt wird. Vgl. Statistisches Bundesamt, Armutsgefährdungsschwelle und Armutsgefährdung (monetäre Armut) in Deutschland, 4.11.2021, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Lebensbedingungen-Armutsgefaehrdung/Tabellen/armutsschwelle-gefaehrdung-mz-silc.html.

  11. Vgl. dass., Ältere Menschen, 2022, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/Aeltere-Menschen/bevoelkerung-ab-65-j.html.

  12. Selbst wenn die Quote konstant bliebe, würde die absolute Zahl der von Armut betroffenen älteren Menschen in den nächsten Jahren steigen, da geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand treten werden.

  13. Vgl. Statistisches Bundesamt, Überschuldungsstatistik, 2022, www-genesis.destatis.de.

  14. Vgl. Jan Goebel/Markus Grabka, Armut im Zusammenspiel von Einkommen und Vermögen, in: Böhnke/Dittmann/Goebel (Anm. 2), S. 93–106.

  15. Vgl. Sarah Lotties, Zu Lebenslagen wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen in Deutschland, Berlin 2021.

  16. Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Soziale Mindestsicherung in Deutschland 2017, Wiesbaden 2019.

  17. Vgl. Bäcker (Anm. 1).

  18. Vgl. Statistisches Bundesamt, Grundsicherung, 2022, www-genesis.destatis.de.

  19. Vgl. Antonio Brettschneider/Ute Klammer, Armut im Alter, in: Kirsten Aner/Ute Karl (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit und Alter, Wiesbaden 2020, S. 433–441.

  20. Vgl. Hermann Buslei et al., Starke Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung deutet auf hohe verdeckte Altersarmut, in: DIW Wochenbericht 49/2019, S. 910–917.

  21. Wir bedanken uns bei Alberto Lozano Alcántara für SOEP-Sonderauswertungen.

  22. Vgl. Statistisches Bundesamt (Anm. 11).

  23. Vgl. Brettschneider/Klammer (Anm. 19).

  24. Gerhard Bäcker/Ernst Kistler, Erwerbsminderungsrenten, 30.1.2020, Externer Link: http://www.bpb.de/290880.

  25. Vgl. Daniela Klaus/Claudia Vogel, Geht das stärkere Engagement von Frauen in der Pflege und Unterstützung auf ihre geringere Arbeitsmarktbeteiligung zurück? Ein Beitrag zur Gleichstellungsdebatte, in: Sozialer Fortschritt 2/2021, S. 53–108.

  26. Vgl. Brettschneider/Klammer (Anm. 19).

  27. Vgl. Janina Söhn, Migration: Erwerbsverläufe und Rentenansprüche von Zugewanderten bei der Gesetzlichen Rentenversicherung, Berlin 2018.

  28. Eine derzeit diskutierte Erhöhung der Verdienstgrenze für Minijobs auf 520 Euro wird dieses Problem zusätzlich verschärfen. Und anders als häufig vermutet, ist auch eine Erwerbstätigkeit bei Bezug von Altersrente kein Mittel gegen Armut im Alter. Viele sind im Alter arm, weil sie auf dem Arbeitsmarkt weniger Chancen hatten als andere – dies lässt sich im höheren Lebensalter meist nicht mehr revidieren.

  29. Vgl. Peter Haan et al., Entwicklung der Altersarmut bis 2036, Gütersloh 2017.

  30. Vgl. Fachinger (Anm. 3).

  31. Ausführlicher hierzu Ingo Bode/Felix Wilke, Private Vorsorge als Illusion: Rationalitätsprobleme des neuen deutschen Rentenmodells, Frankfurt/M. 2014.

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Weitere Inhalte

ist Professorin für Soziologie und Methoden der quantitativen Sozialforschung an der Hochschule Neubrandenburg.
E-Mail Link: cvogel@hs-nb.de

ist Professor für Empirische Alternsforschung und Forschungsmethoden am Institut für Gerontologie der Universität Vechta.
E-Mail Link: harald.kuenemund@uni-vechta.de