Die Gruppe der älteren Menschen in Deutschland ist heute finanziell sehr gut ausgestattet – nicht ohne Ausnahmen, aber im Durchschnitt. Diese überwiegend gute materielle Sicherung im Alter ist insbesondere ein Erfolg der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung, die seit der Rentenreform von 1957 ein hohes Sicherungsniveau und ein Schritthalten der Alterseinkommen mit der wirtschaftlichen Entwicklung ermöglicht hat. Zudem konnten die heute älteren Menschen – im Zeitraum von Mitte der 1920er bis Mitte der 1950er Jahre geboren – in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums und politischer Stabilität Immobilien- und Geldvermögen akkumulieren. Sie sind daher heute in aller Regel nicht – wie noch vor Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung – von ihren eigenen Nachkommen abhängig, sondern können im Gegenteil oftmals ihre Kinder finanziell unterstützen und durch Schenkungen und Erbschaften etwas zum Vermögensaufbau in den nachfolgenden Generationen beitragen. Auch bilden ältere Menschen eine der größten Konsumentengruppen in unserer Marktwirtschaft.
Allerdings ist die soziale Ungleichheit innerhalb der Gruppe der älteren Menschen groß, wie sich an der Verteilung sowohl der Vermögen als auch der Alterseinkommen ablesen lässt. Zwar konnte Altersarmut zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Deutschland faktisch als überwunden betrachtet werden. Doch in den vergangenen Jahren steigen die Armutsquoten – von einem niedrigen Niveau ausgehend – wieder deutlich an, wovon neben Kindern und Familien vor allem ältere Menschen betroffen sind.
Diese Entwicklung war vorhersehbar.
In diesem Beitrag werden zunächst die wichtigsten Einkommensquellen im Ruhestand dargestellt. Vor diesem Hintergrund wird Einkommensarmut im Alter definiert und in ihrer zeitlichen Entwicklung dargestellt. Anschließend werden Gruppen älterer Menschen mit besonders hohem Armutsrisiko beschrieben, Ursachen von Altersarmut diskutiert sowie Lösungsansätze skizziert.
Einkommensquellen
Wenn wir Einkommen im Alter diskutieren, ist zunächst zu klären, wie wir die Lebensphase "Alter" definieren. Lange wurde ihr Beginn mit dem Übergang in den Ruhestand und dem Ende der Berufstätigkeit gleichgesetzt. In der Statistik wurden Begriffe wie "Personen im erwerbsfähigen Alter" für die Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen verwendet sowie "Personen in der Nacherwerbsphase" für Personen ab 65 Jahren. Spätestens seit der schrittweisen Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre hat sich das überholt – als Altersgrenze wird oft nicht mehr das vollendete 65. Lebensjahr verwendet, sondern die angehobene Regelaltersgrenze. Das erschwert jedoch den Zeitvergleich. Zudem handelt es sich beim Übergang in den Ruhestand um einen Prozess, der durchaus mehrere Monate umfassen kann: Beendigung der Erwerbstätigkeit, die auch schrittweise etwa durch Reduzierung der Arbeitszeit oder Blockaltersteilzeitmodelle erfolgen kann, und Beginn eines Rentenbezugs, etwa einer gesetzlichen Rente oder einer Pension, der Bezug betrieblicher Renten oder sonstiger Renten sowie Einmalzahlungen, die zeitlich deutlich auseinanderliegen können. Auch kann die Beendigung der Erwerbstätigkeit zeitlich nicht nur vor, sondern auch nach dem Beginn des Rentenbezugs liegen. Tatsächlich sind immer mehr Menschen trotz Rentenbezugs erwerbstätig, und die "Flexi-Rente" ermöglicht sogar, bei Rentenbezug zusätzliche Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwerben. Für die erleichterte Vergleichbarkeit legen wir in diesem Beitrag die Altersgrenze von 65 Jahren zugrunde. Gleichwohl sollten diese Hinweise deutlich machen, dass "Alter" als Begriff nicht ohne nähere Erläuterung interpretierbar ist.
Im Alterssicherungssystem in Deutschland hat jeder Mensch – unabhängig von der Erwerbsbiografie – einen Anspruch auf eine bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, auch als "nullte Schicht" bezeichnet. Für die erste Schicht der Regelversorgung ist entscheidend, ob jemand im mittleren Lebensalter Einkünfte aus selbstständiger oder aus abhängiger Beschäftigung erzielt hat, wobei in erster Linie die gesetzliche Rentenversicherung und die Beamtenversorgung mit den jeweils gültigen Regelaltersgrenzen zu nennen sind. Als zweite Schicht wird die ergänzende betriebliche Vorsorge betrachtet, als dritte die individuell ergänzende Sicherung wie etwa eine staatlich geförderte private Altersvorsorge.
Alterseinkommen ergeben sich aus verschiedenen Quellen – neben gesetzlichen Renten aus eigenen oder abgeleiteten Anwartschaften sind dies gegebenenfalls betriebliche und private Renten beziehungsweise Pensionen sowie zusätzlich Miet- und Pachteinnahmen, Einkommen aus Kapitalvermögen, private Unterstützungsleistungen oder Unterhaltszahlungen eines getrennt lebenden oder geschiedenen Ehepartners sowie Transfereinkommen wie Grundsicherung im Alter oder Wohngeld. Ein steigender Anteil von Personen mit Rentenbezug geht zudem noch einer Erwerbstätigkeit nach, allerdings überwiegend in reduziertem Stundenumfang und mit eher geringem Erwerbseinkommen.
In Tabelle 1 ist dargestellt, wie hoch der Anteil älterer Menschen ist, die eine entsprechende Alterssicherungsleistung erhalten, sowie der durchschnittliche Nettobetrag dieser Einkommen, wobei sowohl eigene als auch abgeleitete Leistungen für Hinterbliebene enthalten sind. Der ersten Schicht kommt die weitaus höchste Bedeutung für die Alterseinkommen zu: Eine gesetzliche Rente erhalten 90 Prozent der Menschen ab 65 Jahren, und zwar im Durchschnitt monatlich 1109 Euro. Lediglich 29 Prozent der Menschen ab 65 Jahren erhalten zusätzlich eine Rente aus der betrieblichen Altersversorgung. Die Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge bleiben in hohem Maße davon abhängig, wie die sehr unterschiedlichen Vorsorgemöglichkeiten im jeweiligen Sektor und Betrieb konkret ausgestaltet sind.
Bei Renteneintritt erfolgt eine Erstberechnung des Monatsbetrags der Rente. Die Alterseinkommen hängen aber nicht nur von dieser Erstberechnung ab, sondern auch von der Anpassung der Leistungshöhe im Zeitverlauf. Hier zeigen sich große Unterschiede zwischen gesetzlichen Renten, deren Höhe jährlich angepasst wird, und der betrieblichen und privaten Alterssicherung, die nicht ausreichend dynamisch gestaltet ist.
Eine Besonderheit von Altersarmut im Vergleich zu Armut in anderen Lebensphasen ist: Armut im Alter ist tatsächlich meist von Dauer. Wenn das gesamte Einkommen aus den verschiedenen Alterssicherungsschichten nicht ausreicht, gibt es kaum Möglichkeiten, eine kleine Rente später noch aufzubessern. Eventuell vorhandene Vermögen sind bis auf ein kleines Schonvermögen überwiegend aufzuzehren, falls die Grundsicherung greifen soll.
Armut
Wird in Deutschland über Armut debattiert, findet meist ein Konzept relativer Armut Anwendung, das Armut als Mangel an finanzieller Teilhabe im Vergleich zum gesellschaftlichen Mittel fasst.
(© Bundesregierung, Lebenslagen in Deutschland. Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht, Berlin 2021, S. 478.)
(© Bundesregierung, Lebenslagen in Deutschland. Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht, Berlin 2021, S. 478.)
Die Armutsgefährdungsquote der Menschen im Alter ab 65 Jahren ist in den vergangenen Jahren von einem Minimum von 11,0 Prozent auf 15,7 Prozent gestiegen (Tabelle 2). Bei 18,3 Millionen Menschen im Alter von 65 und mehr Jahren
Diese Betrachtung der Altersarmut anhand der Einkommen erfolgt ohne Berücksichtigung der jeweiligen Vermögen. Es kann also nicht von einer so berechneten Armutsgefährdung auf faktische Armut im Einzelfall geschlossen werden. Auch gibt es den Trend einer zunehmenden Überschuldung bei älteren Menschen: Für das Jahr 2020 weist die Überschuldungsstatistik aus, dass 7,5 Prozent der in Schuldner- oder Insolvenzberatungsstellen beratenen Personen über 64 Jahre alt waren; 2015 waren 6,3 Prozent der beratenen Personen in dieser Altersgruppe.
Der Anstieg der Armut im Alter lässt sich auch daran ablesen, dass immer mehr Menschen Grundsicherung im Alter beziehen und der relative Anteil der Grundsicherungsempfängerinnen und -empfänger an der älteren Bevölkerung steigt. Die Grundsicherung im Alter ist eine steuerfinanzierte Sozialleistung und wird bedarfsgeprüft bewilligt. Leistungen erhalten Menschen auf Antrag, die die Altersgrenze nach Paragraf 41 Absatz 2 Sozialgesetzbuch XII erreicht haben und ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen sicherstellen können. Der Nettoanspruch lag 2017 im Durchschnitt bei 499 Euro, Leistungen für Unterkunft und Heizung werden zusätzlich entsprechend den tatsächlich anfallenden Kosten übernommen, wenn sie "angemessen" sind.
Bei Einführung im Jahr 2003 bezogen 257734 Personen Grundsicherung im Alter, ein Anteil von 1,7 Prozent. Im Jahr 2020 waren es mit 564110 Personen bereits weit mehr als doppelt so viele, ein Anteil von 3,2 Prozent. Dabei ist der Anteil der Männer mit 3,3 Prozent ähnlich hoch wie der Anteil der Frauen mit 3,2 Prozent. Große Unterschiede zeigen sich vor allem zwischen Menschen mit und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit: Während unter denjenigen mit deutscher Staatsangehörigkeit lediglich 2,6 Prozent der Männer und 2,4 Prozent der Frauen Grundsicherung im Alter beziehen, sind es in der Gruppe ohne deutsche Staatsangehörigkeit 15,0 Prozent der Männer und 19,2 Prozent der Frauen.
Armut im Alter wird aufgrund dieser Anteile von Grundsicherungsbezug sicherlich unterschätzt, da nicht alle bedürftigen älteren Menschen ihren Rechtsanspruch auf Grundsicherung tatsächlich geltend machen – sei es aus Unwissenheit, Scham oder Bescheidenheit.
Eine differenziertere Analyse der armutsgefährdeten Personengruppe über 65 erlauben die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (Abbildung).
(© Sozio-oekonomisches Panel 2019)
(© Sozio-oekonomisches Panel 2019)
Nach Familienstand betrachtet ist die Armutsgefährdung bei verwitweten deutlich höher als bei verheirateten Personen. Das höchste Armutsrisiko haben Geschiedene, fast jede dritte geschiedene Person ist im Alter armutsgefährdet. Nach Wohnregion zeigt sich, dass die Armutsquote der 65-Jährigen und älteren Menschen in Ost- heute etwas höher ist als in Westdeutschland. Insbesondere bei den in den 1950er Jahren Geborenen, die derzeit das Rentenalter erreichen, machen sich lange Phasen der Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung nun in geringen Renten bemerkbar. Betrachtet man die Armutsgefährdung der 65-Jährigen und älteren Menschen nach Staatsangehörigkeit, zeigt sich, dass Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit eine mehr als doppelt so hohe Armutsgefährdung aufweisen wie deutsche Staatsangehörige. Bei Personen, die eine Beamtenpension erhalten, ist die Armutsgefährdungsquote nahe null. Bei Personen im Alter ab 65 Jahren, die eine gesetzliche Rente beziehen, ist die Armutsgefährdungsquote hingegen mit 17 Prozent vergleichsweise hoch.
Gründe
Die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anwartschaften spiegeln das gesamte Erwerbsleben wider – wer viel eingezahlt hat, bekommt eine hohe Rente, wer wenig eingezahlt hat, eine geringe. Viel eingezahlt haben in der Regel abhängig Beschäftigte, die kontinuierlich und in Vollzeit erwerbstätig waren. Wenig eingezahlt haben in der Regel Beschäftigte, die lange Phasen der Krankheit oder der Arbeitslosigkeit erlebt haben sowie Phasen der Erwerbsunterbrechung etwa zur Ausübung privater Sorgearbeit.
Im Alter von Armut betroffen zu sein, kann also verschiedene individuelle und biografische, aber auch strukturelle und systembedingte Gründe haben. Als biografische Faktoren, die zu diskontinuierlichen Erwerbs- und Versicherungsverläufen führen und somit das Risiko für Armut im Alter erhöhen, sind erstens gesundheitliche Beeinträchtigungen, Krankheit und Erwerbsunfähigkeit sowie Behinderung zu nennen. Mehr als 1,8 Millionen Menschen beziehen Erwerbsminderungsrenten, deren Beträge oft nicht für ein individuelles Einkommen oberhalb der Armutsschwelle ausreichen.
Zweitens sind familiäre Verpflichtungen zu nennen. Menschen unterbrechen ihre Erwerbsarbeit oder reduzieren den Stundenumfang in verschiedenen Phasen des Familienlebens. Bei der Geburt von Kindern sind es meist die Mütter, die ihre Erwerbsarbeit unterbrechen. Bei den heute Älteren war der Anteil von Hausfrauen noch besonders hoch. Nicht zu unterschätzen ist auch, wie viele Angehörige Pflegebedürftige – meist die Eltern, aber auch Partnerinnen und Partner oder kranke Kinder – betreuen.
Drittens ist der Faktor Migration zu nennen. Wer einen Teil seines Erwerbslebens außerhalb des bundesdeutschen Systems verbracht hat, dem fehlen möglicherweise entsprechende Anwartschaften bei der Deutschen Rentenversicherung.
Als strukturelle Gründe für Armut im Alter lassen sich sowohl arbeitsmarktpolitische als auch alterssicherungspolitische Faktoren nennen: Zu den gravierendsten Veränderungen des Arbeitsmarktes der vergangenen Jahrzehnte zählen der Ausbau des Niedriglohnsektors, die Ausweitung der atypischen Beschäftigung sowie die Zunahme hybrider Selbstständigkeit und das Ausüben mehrerer Beschäftigungsverhältnisse. Sowohl die dauerhafte Beschäftigung im Niedriglohnsektor als auch eine dauerhafte Tätigkeit in Teilzeit führen zu geringen Rentenanwartschaften. Bei den heutigen Rentnerinnen und Rentnern haben zudem Phasen hoher Arbeitslosigkeit, aber auch neue Formen der nicht-sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wie Minijobs – neben der klassischen Schattenwirtschaft – zu vielen vergleichsweise geringen Renten beigetragen.
Zu den alterssicherungspolitischen Faktoren gehören mangelnde Vorsorgefähigkeit und -bereitschaft.
Lösungsvorschläge
Nach unserer Einschätzung kann mehr Eigenverantwortung in der Altersvorsorge nicht die Lösung für das Problem einer steigenden Altersarmut sein. Die Rede von mehr Eigenverantwortung suggeriert fälschlicherweise, dass Armut im Alter selbstverschuldet und durch individuelle Verhaltensveränderung vermeidbar sei, und bestraft unter anderem jene, die für die Familie und die Gesellschaft unbezahlte Arbeit geleistet haben. Stattdessen sollte das System von Altersvorsorge und Grundsicherung so ausgestaltet werden, dass es allen sichere Alterseinkommen und einen verlässlichen Schutz vor finanzieller Not im Alter bietet. Die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung mit ihren solidarischen Elementen und ihrer Dynamisierung ist hierfür der beste Weg. So könnte etwa geprüft werden, weitere Berufsgruppen wie etwa Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen oder den Anspruch auf Grundrente zu erweitern – die Anforderung von 35 Versicherungsjahren ist für viele armutsgefährdete Menschen im Alter heute nicht zu erfüllen. Der Einbezug der Beamtinnen und Beamten wäre hingegen wenig hilfreich, weil diese sowohl durchschnittlich hohe Einkommen als auch durchschnittlich hohe Lebenserwartungen haben – das Finanzierungsproblem der gesetzlichen Rentenversicherung würde also mittelfristig größer. Hier ist die Steuerfinanzierung mit ihrer breiteren Basis vorzuziehen.
Die gegenwärtige Tendenz der Individualisierung sozialer Risiken findet eine fast schon zynische Zuspitzung in der Forderung nach financial literacy, also der Kompetenz, alterseinkommenssichernde Entscheidungen am Kapitalmarkt richtig zu treffen, obgleich die komplexen Entwicklungen aller die Alterssicherung beeinflussenden Größen auch von Expertinnen und Experten nicht langfristig zu überschauen sind.