"Wie ich mir die Zukunft vorstelle, weiß ich nicht, aber wenn’s noch weiter mit diesen Brandanschlägen geht, möchte ich keine Zukunft. Ich habe keine Lust, mal selber in diesen Flammen zu stecken."
Nuray, 1993
1993, nach dem Brandanschlag in ihrer Stadt, der fünf jungen Frauen und Mädchen der Familie Genç das Leben gekostetet hatte, wurde die 14-jährige Solingerin Nuray zu ihrer Zukunft befragt. Zunächst antwortete sie ganz altersgemäß: Sie gehe gerne zur Schule, habe eine deutsche Freundin und nette Nachbarn. Aber auch wenn Deutschland ihre Heimat sei: Eine Zukunft hier könne sie sich schwer vorstellen, sie fühle sich in der Türkei, dem Heimatland ihrer Eltern, "sicherer". Ihre Angst brachte sie auf eine erschreckend lakonische und dabei jugendliche Weise zum Ausdruck: Sie habe "keine Lust, mal selber in diesen Flammen zu stecken".
Ikonische Bilder der ausgebrannten Häuser in Mölln und Solingen, die im November 1992 und im Mai 1993 Deutschland erschütterten, prägten sich vor allem den türkeistämmigen Bevölkerungsgruppen in der Bundesrepublik unauslöschlich ein, begleitet von Ängsten um die eigene Familie und um sich selbst. Ferda Ataman, seit Juli 2022 Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, erinnert sich in einem Radiofeature: "Ich weiß noch, dass meine Mutter damals viel Nachrichten schaute, weinte und sagte: 'Bizi yakıyorlar', 'Sie verbrennen uns'."
Bei dem von vier rechtsradikalen Tätern verübten Mordanschlag in Solingen kamen in der Nacht vom 28. auf den 29. Mai 1993 fünf Mädchen und junge Frauen ums Leben. Die 28-jährige Gürsün İnce starb nach dem Sprung aus dem Dachgeschossfenster des Einfamilienhauses in der Unteren Wernerstraße 81. Vier Menschen verbrannten im Haus: die 18-jährige Hatice Genç, die neunjährige Hülya Genç, ihre vierjährige Schwester Saime sowie die zwölfjährige Gülüstan Öztürk, die aus der Türkei zu Besuch war. Anlass für den Besuch war das einen Tag später anstehende Opferfest gewesen. Die Mädchen hatten neue Kleider bekommen, die zusammen mit kleinen Geschenken neben ihren Betten lagen, Saime dazu noch einen Kindergartenplatz, über den sie so glücklich war, dass sie den Brief immer wieder ihrer Großmutter zeigte – Mevlüde Genç hat danach in Interviews von diesem letzten Tag erzählt. Ihre Erzählungen machen deutlich, dass und wie der Mordanschlag das Leben einer Familie von jetzt auf gleich zerstörte. Wie gingen die Überlebenden und die potenziellen Opfer rassistischer Gewalt mit der Angst um? In welchem gesellschaftlichen Klima ereigneten sich die Mordanschläge, welche historischen Ursachen lassen sich identifizieren?
Ich möchte hier die These vertreten, dass die Gewaltform des Brandanschlags auf die Wohnhäuser türkeistämmiger Familien eine historische Genese hat, die in die alte Bundesrepublik zurückführt. Seit den 1970er, vor allem aber in den 1980er Jahren entwickelte sich hier das, was zeitgenössisch als "Türkenhass" oder "Türkenfeindlichkeit" bezeichnet wurde, zu einem eigenen Kosmos. Wer in ihm lebte, den begleitete die Angst vor Diskriminierung, aber auch vor Gewalt und Abschiebung, verlässlich durch den Alltag. Die bundesdeutschen 1980er Jahre lassen sich als Pendant zu den "Baseballschlägerjahren" ein Jahrzehnt später verstehen; zugleich unterscheidet sie ihr Gepräge von dieser Zeit.
Einwanderungsrassismus in der Bundesrepublik
Fragen nach den Erfahrungen und Umgangsweisen mit rassistischer Gewalt sind zeithistorisch wenig untersucht. Entweder werden die Brandanschläge 1992 und 1993, so suggeriert es die stereotype Reihung der Ortsnamen Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, als Folgeereignisse der Gewaltwelle in Ostdeutschland verstanden. Oder sie werden in einer von der zeitlichen Nähe der Ereignisse nahegelegten kausalen Logik mit dem "Asylkompromiss" in Verbindung gebracht, der am 26. Mai 1993, drei Tage vor dem Anschlag in Solingen, vom Bundestag verabschiedet wurde.
Tatsächlich lassen sich die Brandanschläge auf von Familien türkischer Herkunft bewohnte Häuser nicht jenseits der rassistischen Konstellation verstehen, die sich mit Mauerfall und Vereinigung entwickelte und in der "Vereinigungskrise" auswuchs – als eine Kombination aus, wie der Historiker Patrice Poutrus pointiert, "politischer Mobilisierung, Kampagnenjournalismus und rassistischer Gewalt".
Gleichzeitig wohnt diesen Erklärungen, mag die Folge der Ereignisse sie auch plausibilisieren, eine dreifache Gefahr inne: Erstens dienen sie als bequemes Argument, um die Ursachen rassistischer Gewalt vom "reinen Westen" auf den "braunen Osten" abzuschieben und sich damit der Notwendigkeit zu entziehen, die westdeutsche Parallelgeschichte in ihrer Spezifik und Genese zu untersuchen. Zweitens verknüpfen sie lokale Gewaltereignisse und bundespolitische Entscheidungen in zwar plausibler, aber auch suggestiver Weise, denn gründlich gearbeitete empirische Forschungen zur Asylpolitik nach der Vereinigung liegen bislang nicht vor; es fehlt uns an quellenbasiertem Wissen. Daneben verstellt die These den Blick auf mittel- und längerfristige Kontinuitäten, die in die Geschichte der Bundesrepublik zurückreichen. Drittens geraten die lokalen Kontexte und individuellen Erfahrungen zu oft aus dem Blick. Um die Allgegenwart rassistischer Diskriminierung verstehen zu können, muss der Kosmos individueller Erfahrungen und Reaktionsweisen viel systematischer ausgeleuchtet werden – auch um aus den oft passivierten Opfern handelnde Akteur*innen zu machen.
Rassistischer Begriffskosmos
Wenn Menschen türkischer Herkunft von den 1980er Jahren erzählen, wie Fatma Aydemir oder Ferda Ataman, dann wird deutlich, dass antitürkischer Rassismus zu dieser Zeit auf allen Ebenen der Gesellschaft grassierte.
Dieser Kosmos eines im Alltag stets präsenten Rassismus stellte sich für Kinder und Jugendliche wie Nuray oder Ferda Ataman anders dar als für ältere Personen, anders für Männer als für Frauen und je unterschiedlich auch für verschiedene soziale Schichten und Milieus. In ihm lebten zudem nicht nur die Angehörigen jener in sich diversen Gruppe, die aus der Türkei nach Deutschland gekommen waren, sondern alle, die als "türkisch" – und das meinte damals: fundamental "fremd" – angesehen wurden. Das Wort "Türke" bedeutete mehr als die Herkunft aus der Türkei; es avancierte zum konstruktiven Synonym für den "Fremden" an sich, eine kaum überbrückbare Nicht-Dazugehörigkeit und grundlegende Distanz. Aus diesem Grund muss den Begriffen, die damals geprägt wurden und kursierten, mit aller semantischen Vorsicht begegnet werden; mit einer Sprachsensibilität, die keiner abstrakten Political Correctness gehorcht, sondern sich dem Nachdenken darüber verdankt, dass diese Begriffe historische Konnotationen transportieren, die reaktiviert werden, wenn man die Wörter verwendet.
Auch der in den 1980er Jahren gebräuchliche, vom Migrations- und Rassismusforscher Mark Terkessidis kritisch reflektierte Begriff "Fremdenfeindlichkeit" wurde schon zeitgenössisch als "Türkenfeindlichkeit" übersetzt.
Rassistische Zuzugsbeschränkungs- und Rückführungspolitik
Dieser wirkmächtige Begriffskosmos entwickelte sich parallel zur Einwanderung aus der Türkei und reagierte auf das, was der Historiker Marcel Berlinghoff treffend als "Entdeckung der Einwanderung" bezeichnet hat.
Der im November 1973 verhängte "Anwerbestopp" war primär eine Antwort auf diese "Entdeckung der Einwanderung" und reagierte nur sekundär auf die ökonomische Krise. Bekanntlich stieg die Zahl von Migrant*innen aus der Türkei dennoch: nicht nur wegen des Familiennachzugs, sondern auch, weil nach dem Militärputsch 1980 türkische Flüchtlinge Asyl beantragten.
Die Jahre um 1980 lassen sich als Zäsur in der Rassismusgeschichte der Bundesrepublik verstehen, in der mit teilweise drastischen Formen einer Zuzugsbeschränkungs-, Rückführungs- oder gar Ausweisungspolitik experimentiert wurde. Dabei unterschied sich die Haltung der beiden großen Volksparteien SPD und CDU/CSU nur graduell, Kontinuitäten in der "Ausländerpolitik" zwischen den Regierungen Schmidt und Kohl überwogen – aus dieser Perspektive ist die Zustimmung der SPD zum "Asylkompromiss" 1993 weniger erstaunlich. Die sozialliberale Regierung unter Helmut Schmidt hatte in der Bundesrepublik, analog zu anderen europäischen Staaten, nicht nur den Anwerbestopp verhängt, sondern in einem Kabinettsbeschluss vom November 1981 auch bekräftigt, dass die Bundesrepublik "kein Einwanderungsland ist und auch nicht werden soll".
Stattdessen wurden die Ansätze zu einer ihrerseits zu problematisierenden "Integrationspolitik" und Vorschläge einer Einbindung durch Partizipation von einer forcierten Zuzugsbeschränkungs- wie Rückführungspolitik verdrängt. Diese operierte auf mehreren Ebenen und müsste noch genauer bis in ihre lokalen bürokratischen Details hinein verfolgt werden.
Daneben wurde mit rabiaten Formen einer Rückführungs- oder gar Ausweisungspolitik experimentiert. Ausländerbehörden setzten diese gelegentlich willkürlich ins Werk, wie die Ausländerbehörde Gelsenkirchen, die – politisch nicht gedeckt – anordnete, Ausländer über 18 Jahren, die nicht in einem Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis stünden, seien auszuweisen.
Zentral war schließlich das unter der Regierung Schmidt vorbereitete und unter Kohl 1983 ausgearbeitete "Gesetz zur Förderung der Rückkehrwilligkeit von Ausländern", das die Entscheidung zur Rückwanderung ins Herkunftsland mit Prämienzahlungen belohnte. 10500 D-Mark plus 1500 D-Mark pro Kind erhielt eine Familie, wenn sie die Bundesrepublik verließ; die Communities titulierten das sarkastisch als "Hau-ab-Prämie". Die Zahl derjenigen, die zurückkehrten, war angesichts der Lage in der Türkei gering. Dennoch forcierte die in Betrieben und Nachbarschaften spürbare Rückreisewelle den Rassismus bei all denjenigen, die dafür zugänglich waren. Während die Rückführung bei Mannesmann in Duisburg auf Hochtouren lief – insgesamt 1000 Arbeiter*innen entschieden sich dort für Abfindung und Rückkehr –, brannte im Stadtteil Wanheimerort 1984 ein von türkeistämmigen Familien bewohntes Haus, in dessen Flur das Gepäck für die Rückreise einer Nachbarsfamilie zwischengelagert stand.
Wohnen als Kreuzungspunkt des Einwanderungsrassismus
Brandanschläge auf Häuser wie in Duisburg oder 1988 im bayerischen Schwandorf waren die drastischste Form des Einwanderungsrassismus. Häufiger wurde den Arbeitsmigrant*innen das Recht auf und der Zugang zu Wohnraum bestritten. So unscheinbar das Thema zunächst wirken mag: Für Menschen mit Migrationsgeschichte war – und ist – Wohnen nichts Selbstverständliches.
Wohnen lässt sich darum als ein Kreuzungspunkt einwanderungsfeindlicher Politik wie rassistischer Praxis verstehen; als Kern eines Einwanderungsrassismus, der zugleich von oben wie von unten wirkte, durch bundespolitische Entscheidungen wie durch kommunale Bürokratien und lokale Vermieter*innen. Auch Nachbar*innen, die die Zugezogenen im besten Fall ignorierten, oft drangsalierten und im schlimmsten Fall vertrieben, konnten Zugezogenen mit Migrationsgeschichte das Bleiben verleiden. Die Historikerin Maria Alexopoulou hat auf die Bedeutung des Wohnens für die Migrations- und Rassismusgeschichte hingewiesen; der Wohnungsmarkt, schreibt sie, "blieb ein Feld, auf dem im Kleinen, aber flächendeckend konkrete Anti-Einwanderungspolitik betrieben wurde".
Sowohl Aufenthaltstitel als auch Familiennachzug waren an den Nachweis von ausreichendem Wohnraum gekoppelt; um 1980 wurde die nötige Quadratmeterzahl in einigen Bundesländern von acht auf zwölf Quadratmeter erhöht.
prangte.
Spuren lokaler Wohnverhinderungspraktiken lassen sich bis in die Nachbarschaften hinein verfolgen, so auch für die Straße in Solingen, wo die Familie Genç ein Haus gekauft hatte. Einer der Täter lebte ganz in der Nähe. Schon vor dem Brandanschlag waren die wenigen türkeistämmigen Familien in der Straße belästigt worden, wie Metin Gür und Alaverdi Turhan in "Die Solingen-Akte" berichten. Für das 1996 erschienene Buch führten sie Interviews in der Nachbarschaft, unter anderem mit Mehmet Abak, der sich zusammen mit seinem Bruder ein Haus gekauft hatte und nach dem Anschlag seine Kinder zur Sicherheit zurück in die Türkei schickte, denn "meine Kinder, die dürfen mir nicht verbrennen".
Schluss
Das Wissen um Wiederholung und die endlose Geschichte rassistischer Gewalt ist Menschen mit Migrationsgeschichte stets präsent. Sich eingehend mit der Alltags- und Erfahrungsgeschichte des Rassismus zu beschäftigen, geht darum nicht in dem normativen Anspruch auf, "den Opfern eine Stimme zu geben". Weit darüber hinaus hat deren Perspektive ein epistemologisches Potenzial: Es generiert historisches Wissen. Familienerzählungen führen in die 1980er Jahre zurück, als sich der "Türkenhass" zu einem Kosmos auswuchs, dessen Grenzen sich immer weiter verschoben und in dem Menschen mit Migrationsgeschichte auf allen Ebenen mit Rassismus konfrontiert werden konnten.
Diese intime Kenntnis war ein Grund dafür, dass Angehörige der NSU-Opfer schon 2006 – fünf Jahre, bevor die Täter sich selbst entlarvten – bei Demonstrationen an den Tatorten Dortmund und Kassel auf Rassismus als Motiv für die Morde hinwiesen, ohne dass dieses Wissen ermittlungstechnisch relevant geworden wäre. Aus den Erfahrungen der Betroffenen lässt sich also viel lernen über die historischen Ursachen rassistischer Gewalt; eine zeithistorische Rassismusforschung muss auf ihnen basieren.
Wer diese Perspektive konsequent aufnimmt, lernt nicht nur etwas über die Ursachen, sondern auch über die Auswirkungen auf Dauer gestellter Rassismuserfahrungen. Nach den Brandanschlägen etablierten sich variantenreiche Formen der Selbstverteidigung und des Schutzes der eigenen Familie. Das Solinger Stadtgedächtnis dagegen bewahrt vor allem die "Ausschreitungen" gewaltbereiter türkeistämmiger wie linker, autonomer Demonstranten in den Tagen nach dem Brandanschlag auf, die überregional weitgehend vergessen sind. Diese von rechtsradikalen Kräften wie den "Grauen Wölfen" instrumentalisierte Gegengewalt stand für das "Ende der Geduld".
Viel weniger präsent sind – neben solidarischem Engagement und antirassistischen Initiativen in der Stadt, die ein eigenes Thema darstellen – die alltäglichen Umgangsweisen mit der Angst nach den Anschlägen. Der Verkauf von Brandmeldern und Strickleitern stieg, Familien schickten ihre Kinder aus der Stadt zu Verwandten, dachten über eine Rückkehr in die Türkei nach oder verließen das Land tatsächlich. Sie legten ihre Kinder nachts angezogen schlafen, ließen sie nur noch ungern vor die Tür und begegneten "dem kollektiven Schutzgedanken des Staates" mit wachsendem Misstrauen.
Die anstehenden 30. Jahrestage könnten einen Anlass bieten, diese Erfahrungs- und Handlungsräume genauer auszuleuchten und in das "Doing Memory" an rassistische Gewalt zu integrieren.
In Gedenken an Mevlüde Genç (1943–2022).