Der inzwischen häufig verwendete Begriff der "Baseballschlägerjahre" steht für die breite Welle rechter Gewalt nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Zur Auflösung der Fußnote[1] Dabei markiert er weniger die im öffentlichen Gedächtnis der Bundesrepublik vielfach mit Verweis auf Rostock, Hoyerswerda, Solingen oder Mölln aufgerufenen Orte schwerer rassistischer Gewalt in Gestalt von Pogromen oder nächtlichen Brandanschlägen. Insbesondere mit Blick auf die ostdeutschen Bundesländer verweist der Begriff vor allem auf die ungezählten Fälle von Straßengewalt und gezielten gewaltsamen Angriffen auf diejenigen, die von rechten Täter*innen als Feinde des "deutschen Volkes" betrachtet wurden.
Das können die zahlreichen Überfälle auf ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innen gewesen sein, die sich durch Handel mit Zigaretten oder Textilien ein Auskommen verschaffen mussten. Das waren die Überfälle auf Jugendliche aus linken und alternativen Jugendkulturen, die nicht nur in den wenigen ihnen zur Nutzung gebliebenen Jugendtreffs, sondern immer wieder auch in ihren Wohnungen angegriffen wurden. Oder es handelte sich um Ereignisse wie die sogenannten Magdeburger Himmelfahrtskrawalle am 12. Mai 1994, als extrem rechts eingestellte Jugendliche eine Gruppe Schwarzer Menschen stundenlang durch die Stadt hetzten. Zur Auflösung der Fußnote[2] Geteiltes Ziel solcher Aktivitäten waren die Einschüchterung sozialer Gruppen sowie die Vertreibung der Betroffenen.
Erweiterung der Perspektive
Anfang der 2010er Jahre führte das allgemeine Bekanntwerden der Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" zu verstärkter Aufmerksamkeit für Rechtsterrorismus als besondere Form rechter Gewalt. Demgegenüber rückt der Verweis auf die "Baseballschlägerjahre" stärker die rechte Alltagsgewalt in den Mittelpunkt, deren Umfang und Auswirkungen bis heute noch nicht hinreichend erfasst sind. Dass es auch in den beiden deutschen Staaten vor 1989/90 rechte Gewalt gegeben hat, ist inzwischen in der Forschung weithin Konsens und findet auch den Weg in das öffentliche Bewusstsein. Allerdings bleibt es weiterhin eine Herausforderung, Ausmaß und Wirkung der verschiedenen Gewaltformen angemessen abzubilden.
Hinsichtlich rechtsterroristischer Gewalt richtet sich die Aufmerksamkeit verstärkt auf die 1980er Jahre. Bei den Forschungen zu rechtsterroristischen Strukturen wie den "Deutschen Aktionsgruppen" oder der "Hepp-Kexel-Gruppe" können dabei umfangreiche Archivbestände und Quellen herangezogen werden. Zur Auflösung der Fußnote[3] Etliche andere Gruppen, deren Wirken in der zeitgenössischen Berichterstattung zumindest kurz sichtbar wurde, wie etwa die Kasseler Gruppe "Aktion Wehrhafte Demokraten", Zur Auflösung der Fußnote[4] sind jedoch hinsichtlich ihrer Aktivitäten und deren Auswirkungen noch nicht einmal systematisch erfasst. Noch immer steht auch begründet zu vermuten, dass die Zahl der Menschen, die aufgrund einer rechtsextremen Weltdeutung getötet wurden, nicht bekannt ist. In mehreren Bundesländern sind nachträgliche Überprüfungen veranlasst worden, um die Einstufung von Taten gegebenenfalls zu korrigieren, die staatlicherseits bisher nicht als politisch motiviert bewertet wurden. Zur Auflösung der Fußnote[5] Für den Zeitraum bis 1990 gilt zudem für die alte Bundesrepublik, dass rechtsextrem motivierte Tötungsdelikte von den Ermittlungsbehörden nicht gesondert ausgewiesen wurden und ein Verständnis von Rechtsterrorismus als gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtetes Handeln beispielsweise dazu führte, dass rassistische Tatmotive nicht beachtet wurden. Hinsichtlich tödlicher rassistischer Gewalt in der DDR ist das Ausmaß noch schwieriger zu bestimmen, Zur Auflösung der Fußnote[6] wurde diese doch häufig als "Rowdytum" entpolitisiert. Zur Auflösung der Fußnote[7]
Noch unschärfer bleibt das Ausmaß an Sachbeschädigungen, Bedrohungen und Körperverletzungen, die aus extrem rechter Motivation und Weltsicht begangen wurden und auf die (Wieder-)Herstellung einer sozialen Ordnung zielten, die durch völkische Homogenität und gesellschaftliche Hierarchisierung mit entsprechender sozialer Platzzuweisung charakterisiert ist. Im April 1982 fand sich beispielsweise in der Tageszeitung "Die Welt" die folgende Kurzmeldung: "25 maskierte Jugendliche überfielen am Samstagabend eine Tanzveranstaltung im Haus der Jugend am Alten Teichweg. Die mit Gaspistolen und Baseballschlägern bewaffneten Rowdys schossen wahllos in die Menge und schlugen auf ausländisch aussehende Jugendliche ein." Zur Auflösung der Fußnote[8] Die organisierte Gewalttat zielte auf die Vertreibung der Angegriffenen von diesem Ort und auf ihren Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe. Sie erregte keine besondere Aufmerksamkeit und ist bestenfalls bei der Polizei als Auseinandersetzung zwischen Hamburger Jugendgruppen aktenkundig geworden.
Inzwischen hat sich das gesellschaftliche Bewusstsein bezüglich einer angemessenen Einordnung solch rassistischer Gewalt verändert. In der Rückschau Ausmaß, Dynamik und Formen rechter Gewalt in ihrer vollen Bedeutung in den beiden deutschen Staaten zu ermitteln, bedarf jedoch noch umfangreicher weiterer Forschung, zumal sich auch die Erfassungskriterien staatlicher Instanzen und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen im Laufe der Zeit verändert haben. Insofern ist es für eine empirisch abgesicherte Typologie rechter Gewalt, in der sich gegebenenfalls auch strategische Entscheidungen extrem rechter Akteur*innen widerspiegeln, noch zu früh.
Rechtsterrorismus
Rechtsterroristische Gewalt als eine spezifische Form der aus politisch rechten Motiven verübten physischen Gewalt reicht zurück in die 1960er Jahre, als insbesondere ein grenzrevisionistischer Terrorismus Schlagzeilen machte: Unter Beteiligung deutscher Rechtsextremist*innen wurden in Norditalien Bomben gelegt, um Südtirol wieder an Österreich zu binden; extrem rechte Kroat*innen verübten Anschläge und Morde, um die Volksrepublik Jugoslawien zu destabilisieren und einen eigenen Nationalstaat durchzusetzen; und vielfach kam es auch zu Gewalttaten gegen Repräsentant*innen und Einrichtungen der DDR, Polens und der Sowjetunion. Zur Auflösung der Fußnote[9] Rechtsterroristische Akteur*innen planten beziehungsweise verübten zudem zahlreiche Anschläge gegen Gruppen und Individuen, die als "fünfte Kolonne" der Ostblockstaaten angesehen wurden. Einer der Betroffenen war der Wortführer der Studierendenbewegung, Rudi Dutschke, der am 11. April 1968 bei einem Schusswaffenattentat schwer verletzt wurde.
Ab den 1970er Jahren wurden zunehmend auch jüdische Einrichtungen und Vertreter*innen des Judentums in Deutschland zu Zielen rechtsterroristischer Täter*innen. So wurden am 19. Dezember 1980 der jüdische Verleger und Rabbiner Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frieda Poeschke in ihrem Haus in Erlangen von einem Neonazi ermordet. Eine antisemitische Weltsicht stand auch hinter den gewaltsamen Angriffen auf Formate zur kritischen Aufarbeitung und zum Erinnern der NS-Verbrechen, etwa durch die "Deutschen Aktionsgruppen" mit ihrem Sprengstoffanschlag auf eine Ausstellung zum Vernichtungslager Auschwitz im Landratsamt Esslingen sowie auf das Wohnhaus des Landrates Hans Peter Braun am 1. April 1980.
Ab den späten 1970er Jahren griffen rechtsextreme Terrorist*innen vielfach Geflüchtete und Arbeitsmigrant*innen an. In Hamburg starben nach einem Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete am 22. August 1980 die beiden Vietnamesen Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân. Am 24. Juni 1982 wurden in Nürnberg William Schenck, Rufus Surles und Mohamed Ehap aus rassistischer Motivation ermordet.
Rechtsterroristische Gewalt speist sich aus einer extrem rechten Weltanschauung und deren völkischem und organizistischem Kern, also der Idee, dass in einer "Volksgemeinschaft" jede*r/m qua Natur eine bestimmte Aufgabe zufällt. Vor diesem Hintergrund werden politische und gesellschaftliche Entwicklungen wie zum Beispiel Migrationsprozesse, Grenzverschiebungen oder die Auflösung heteronormativer Geschlechterordnungen als existenzielle Angriffe wahrgenommen, denen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln begegnet werden muss.
Über die thematischen Konjunkturen hinweg sind rechtsterroristische Strukturen in der Bundesrepublik – mit Ausnahme des späteren NSU – in der Regel ohne hohe Kontinuität geblieben. Es war den jeweiligen Akteur*innen gleichwohl vielfach möglich, die entsprechenden Ressourcen wie Geld, Waffen und Infrastruktur zu mobilisieren, sich mithilfe internationaler Netzwerke zu organisieren und mit Gewaltakten ihre Zielsetzungen zu verfolgen, insbesondere Einschüchterung, Vertreibung, Bestrafung, Eskalation. Zur Auflösung der Fußnote[10]
Über rechtsterroristische Gewalt in der DDR mit dem Ziel, politische Botschaften zu verbreiten oder Entscheidungen politisch verantwortlicher Instanzen zu beeinflussen, lassen sich bisher kaum belastbare Aussagen treffen. Hinweise auf straff organisierte extrem rechte Strukturen sind bisher nicht vorhanden. Zur Auflösung der Fußnote[11] Zu Recht wird allerdings darauf hingewiesen, dass unter den durch die Bundesrepublik zwischen Ende 1962 und 1989 freigekauften DDR-Bürger*innen auch Häftlinge waren, die anschließend "im Westen" in neonazistischen Strukturen zum Teil wichtige Rollen spielten – und dass die Gründe für die Verurteilungen durch DDR-Gerichte noch nicht ausreichend erforscht wurden. Zur Auflösung der Fußnote[12]
Alltägliche rechte Gewalt
Die Abgrenzung zwischen rechtsterroristischer Gewalt und anderen Formen rechter Gewalt kann trotz systematischer Vorschläge zu ihrer Unterscheidung im Einzelfall unscharf bleiben. Zur Auflösung der Fußnote[13] Für die von rechter Straßengewalt unmittelbar betroffenen Menschen kann die traumatische Erfahrung und die emotionale Erschütterung ebenso gravierend sein wie für Betroffene rechtsterroristischer Gewalt. Für die soziale Gruppe, die dabei stellvertretend angegriffen wurde, sind insbesondere Kontinuität und regionale Verbreitung der gegen sie gerichteten Gewalt für das Gefühl der Verunsicherung und Einschüchterung relevant. Am Auftreten antisemitischer Gewalt lässt sich nachvollziehen, dass rechtsterroristische Gewalt gegen Jüdinnen und Juden – bei fortbestehendem Dunkelfeld – immer eingebettet war in einen breiteren Strom antisemitischer Gewalt. Zur Auflösung der Fußnote[14]
Wer sich entsprechend auf die Suche nach rassistischen Gewaltpraktiken begibt, wird auch für die Jahrzehnte vor den 1990er Jahren vielfach fündig: Brandstiftungen in Häusern in Bad Homburg, die von Einwander*innen aus der Türkei bewohnt wurden;
Zur Auflösung der Fußnote[15] Überfälle auf Unterkünfte von Asylsuchenden, etwa in Mannheim;
Zur Auflösung der Fußnote[16] rassistische Gewalt unter Einsatz von Schusswaffen oder Schlagwerkzeug.
Zur Auflösung der Fußnote[17] Solch exemplarisch ausgewählte Fälle lassen sich durch eine ebenso zufällig getroffene Zusammenstellung von Angriffen auf Einrichtungen linker Parteien und Organisationen ergänzen: Brand- und Sprengstoffanschläge auf Einrichtungen der Deutschen Kommunistischen Partei, der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, der SPD sowie linker Verlagsprojekte;
Zur Auflösung der Fußnote[18] gewaltsame Störungen von Veranstaltungen etwa der Humanistischen Union oder der Jugendorganisation der SPD in Gütersloh;
Zur Auflösung der Fußnote[19] Angriffe auf Wahlkämpfer*innen demokratischer Parteien;
Zur Auflösung der Fußnote[20] Überfälle auf Gruppen oder einzelne Personen, etwa auf deren Weg zu einer antifaschistischen
Veranstaltung.
Zur Auflösung der Fußnote[21] Ins Visier rechter Gewalttäter*innen gerieten bereits vor einigen Jahrzehnten Politiker*innen und Aktivist*innen, die sich für die Anerkennung der Vielfalt sexuellen Begehrens und geschlechtlicher Orientierungen einsetzten. So wurde etwa in München auf den grünen Bundestagsabgeordneten Herbert Rusche geschossen, der im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema "Gleichberechtigung Homosexueller" sprach; in Berlin wurde ein entsprechendes Fest überfallen.
Zur Auflösung der Fußnote[22]
Bedrohungen und physische Gewaltpraktiken der extremen Rechten waren in der alten Bundesrepublik also bereits vor den "Baseballschlägerjahren" Realität. In den 1980er Jahren gelang es der extremen Rechten in Gestalt der Deutschen Volksunion sowie der Republikaner zudem, erstmals seit den späten 1960er Jahren wieder in Landesparlamente einzuziehen.
In der DDR war die Bildung rechtsextremer Parteien nicht möglich, allerdings gab es dort ab den späten 1950er Jahren einige informell strukturierte Kleingruppen Jugendlicher, die Hakenkreuze schmierten und zum Teil Waffen sammelten. Insbesondere gegenüber den Vertragsarbeiter*innen aus Kuba, Angola und Mozambique gab es verbreitetes Missbehagen, aber auch offene Ablehnung in der DDR-Bevölkerung. Die rassistischen Einstellungen führten immer wieder zu Schlägereien, etwa bei Tanzveranstaltungen. Wiederholt wurden bei solchen Auseinandersetzungen auch Black and People of Color ermordet. Ab Ende der 1970er Jahre entwickelte sich eine rechte Skinhead-Szene, die sich in den 1980er Jahren deutlich politisierte. 1988 zählten sich zwei Prozent der DDR-Jugendlichen zu den Skins, weitere vier Prozent sahen sich als Sympathisant*innen, und etwa dreißig Prozent zeigten ein gewisses Verständnis für sie. Zur Auflösung der Fußnote[23] Mit dem Überfall auf Besucher*innen eines Konzerts in der Ostberliner Zionskirche am 17. Oktober 1987 wurde das Problem rechter Skinheads einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der Verfolgungsdruck staatlicher Instanzen nahm zu. Allerdings fand das Auftreten der Skinheads, die sich mit der Bezugnahme auf nationalsozialistische Symbole und Rhetorik der höchstmöglichen Provokationsmöglichkeiten bedienten, die in einem sich antifaschistisch verstehenden Staat denkbar waren, auch Zustimmung – und sei es in Form einer Interpretation, die darin vor allem den Wunsch nach mehr Freiheiten sah. Aufgrund ihrer sozialen Angepasstheit im Alltag und im Arbeitsleben wurden die Skinheads in der vielfach an kleinbürgerlichen Werten orientierten Bevölkerung viel eher akzeptiert als etwa die Punk- oder die Blues-Szene. Zur Auflösung der Fußnote[24]
Das Besondere der 1990er Jahre
Vergleicht man das Auftreten rechter Gewalt in den 1990er Jahren mit der vorhergehenden Periode, lassen sich signifikante Unterschiede ausmachen.
So nahm die rassistische Gewalt in den frühen 1990er Jahren angesichts einer steigenden Zahl Schutzsuchender aus dem zerfallenden Jugoslawien besonders stark zu und erreichte in den Jahren 1991 und 1992 bis dahin nicht gekannte Ausmaße – bis hin zu Pogromen wie in Hoyerswerda, Mannheim-Schönau und Rostock-Lichtenhagen, zu nächtlichen Brandanschlägen, Schusswaffeneinsatz und kollektiven Hetzjagden. Zur Auflösung der Fußnote[25] In der medialen Berichterstattung wurden Begriffe wie "Flächenbrand" aufgerufen und auf die begrenzten Kontrollmöglichkeiten der Polizei verwiesen. Zur Auflösung der Fußnote[26] Dabei zielte die rassistische Gewalt nicht allein auf die Einschüchterung von Geflüchteten, Arbeitsmigrant*innen und entlang von Kultur und Sprache als nicht zugehörig markierter Menschen. Insbesondere in Regionen der ostdeutschen Bundesländer, in denen deren Anteil vergleichsweise niedrig war, ging es den Gewalttäter*innen und ihren Claqueur*innen tatsächlich um eine Politik der Vertreibung, um dem Ziel eines "ausländerfreien" Deutschland näher zu kommen.
Dies verband sich immer wieder auch mit dem Anspruch einer weitreichenden Raumkontrolle, der sich vor allem in ostdeutschen Bundesländern in den zahllosen Angriffen und Überfällen auf Jugendliche niederschlug, die den lokalen rechtsextremen Hegemonieansprüchen nichts abgewinnen konnten oder ihnen ablehnend gegenüberstanden. Den rechten Gewalttäter*innen ging es darum, diese Jugendlichen entweder so lange anzugreifen, bis sie sich zu einem Umzug entschlossen, auf öffentliche Präsenz verzichteten oder sich den rechten Strukturen in der Hoffnung anschlossen, damit der Gewalt zu entgehen. Konnten extrem rechte Akteur*innen eine solche Situation herstellen, sank die sichtbare Gewalt. In der Öffentlichkeit, die nicht selten vor allem die Gewaltförmigkeit, weniger jedoch die weltanschaulichen Grundlagen thematisierte, galt der Ort dann vielen Beobachter*innen als weniger problematisch.
Die Spezifik rechter Gewalt der 1990er Jahre zeigt sich also zum einen in ihrem Ausmaß. Damit verbunden war zum anderen der Anspruch, nicht nur vereinzelt Akte der Einschüchterung und Bestrafung umzusetzen, sondern mittels Kontrolle des Raumes durch eigene Präsenz und gezielte Gewalt möglichst nachhaltig Einfluss auf die soziale Ordnung zu nehmen. Mit dem Konzept der "national befreiten Zone", das Anfang der 1990er Jahre in extrem rechten Kreisen zirkulierte, gab es einen strategischen Ansatz, der diese Zielsetzung systematisch umriss. In solchen "Zonen" sollten Rechtsextreme den öffentlichen Raum und das Alltagsleben prägen und über erlaubtes beziehungsweise nicht-erlaubtes Verhalten entscheiden. Andersdenkende oder als "fremd" und damit als nicht zugehörig Definierte sollten in diesen "Zonen" nicht geduldet werden. Auch wenn es kaum gelang, solche "national befreiten Zonen" dauerhaft und in relevanten räumlichen Größenordnungen zu realisieren, so blieb doch aufseiten der rechtsextremen Gewaltakteur*innen vielfach die Erfahrung, Gewalt weitgehend sanktionsfrei zur Durchsetzung politischer Ziele und sozialer Ordnungsvorstellungen ausüben zu können.
Diese Erfahrung teilt die "Generation Hoyerswerda" ebenso wie die Erkenntnis, Zur Auflösung der Fußnote[27] dass die massive rassistische Gewalt der frühen 1990er Jahre politische Entscheidungen beeinflussen konnte, etwa so weitreichende wie die Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes, der bis zur Verfassungsänderung am 28. Juni 1993 das Recht auf Asyl verbürgte. Nach dem tagelangen Pogrom in Rostock-Lichtenhagen Ende August 1992 fand sich eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag, um dieses Grundrecht zu beschneiden.
Die Wirksamkeit massiver politisch motivierter Gewalt und die vielfach ausbleibende strafrechtliche Sanktionierung trugen erheblich zum Selbstbewusstsein extrem rechter Milieus in den 1990er Jahren bei. In diesen Milieus entwickelte sich damit nicht nur eine rassistische Gewaltpraxis, wie sie in der Anschlags- und Mordserie des NSU ab den späten 1990er Jahren zum Ausdruck kam, sondern auch ein intergenerationeller und intrafamiliärer Transfer der oben genannten Erfahrung an jüngere Rassist*innen und Rechtsextreme. Dies wurde in der Vermassung rechtsextremer und asylfeindlicher Straßenproteste Mitte der 2010er Jahre ebenso sichtbar wie in der begleitenden Gewaltwelle. Sie sind insofern auch als Erbe der 1990er Jahre zu betrachten.