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Editorial | Rechte Gewalt in den 1990er Jahren | bpb.de

Rechte Gewalt in den 1990er Jahren Editorial #baseballschlägerjahre. Ein Hashtag und seine Geschichten Rechte Gewalt in Deutschland nach 1945. Eine Einordnung der 1990er Jahre Deutscher Herbst 1991. Rechte Gewalt und nationale Selbstbetrachtung Umkämpftes Erinnern. Für eine migrantisch situierte Geschichtsschreibung Mölln, Solingen und die lange Geschichte des Rassismus in der Bundesrepublik Radikale Rechte als ostdeutsches Problem? Zur langen Kultur- und Gesellschaftsgeschichte des Rechtspopulismus in Ostdeutschland Jung, männlich, ostdeutsch, gewalttätig? Die Debatte um Jugendarbeit und rechte Gewalt seit den 1990er Jahren

Editorial

Anne-Sophie Friedel

/ 2 Minuten zu lesen

Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen – die Ortsnamen stehen für die Welle rechter Gewalt, die zu Beginn der 1990er Jahre das frisch vereinte Deutschland prägte. Sie symbolisieren einen sich entladenden Hass auf Eingewanderte, Geflüchtete und vermeintlich "Andere", dem Behörden und Politik wenig entgegenzusetzen wussten und der sich abseits tagelanger Pogrome und nächtlicher Brandanschläge vor allem in Ostdeutschland in einer alltäglichen, von einer rechten Jugendkultur getragenen Straßengewalt niederschlug. Diese Zeit, in der sich auch das mordende Trio des "Nationalsozialistischen Untergrunds" formierte, wird heute als "Baseballschlägerjahre" bezeichnet.

Drei Jahrzehnte später rückt dieses Kapitel der deutschen Geschichte in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Retrospektive auf die rechte Gewalt und ihre zeitgenössische Rezeption macht Nuancen im Bild der Jahre nach "Friedlicher Revolution" und "Wiedervereinigung" sichtbar: Der Blick ruht nicht mehr nur auf der Beziehung zwischen Ost und West und dem Transformationsprozess in Ostdeutschland, sondern richtet sich verstärkt auch auf die Geschichte von Einwanderung und Rassismus in beiden deutschen Staaten und auf die Verhandlung gesellschaftlicher Vielfalt im vereinten Land.

Damit öffnet sich der Diskurs für die lange vernachlässigte Perspektive der Betroffenen von rechter Gewalt. In einer postmigrantischen Gesellschaft gilt es, ihre Erfahrungen insbesondere hinsichtlich des behördlichen und gesellschaftlichen Umgangs mit ihren Verletzungen, Verlusten und Traumata systematisch aufzuarbeiten und angemessen an sie zu erinnern – und zwar über die 1990er Jahre hinaus. Denn seit 1990 wurden laut Bundeskriminalamt über 100, nach Angaben von NGOs sogar über 200 Menschen von Rechtsextremen getötet, und weitere Ortsnamen sind ins kollektive Gedächtnis eingegangen, darunter Kassel, Halle an der Saale und Hanau.