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Internationale Drogenpolitik | Rausch und Drogen | bpb.de

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Internationale Drogenpolitik Ansätze und aktuelle Diskurse

Maximilian Wieczoreck

/ 15 Minuten zu lesen

In fast allen Ländern dieser Welt wird die Verfügbarkeit und die Nachfrage nach illegalen Drogen streng kontrolliert und durch Verbote auf wissenschaftliche oder medizinische Zwecke eingeschränkt. Maßgebend hierfür ist das sogenannte internationale Drogenkontrollregime, welches auf dem Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel der Vereinten Nationen von 1961 gründet und durch die Konvention über psychotrope Substanzen von 1971 und die Konvention gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988 erweitert wird. Dieses Regime hat die Prohibition als globale Norm und die Rhetorik des Anfang der 1970er Jahre von den USA ausgerufenen "Krieges gegen die Drogen" institutionalisiert. Dabei geben die Konventionen das Modell für die nationale Drogenprohibition vor, und Vergehen werden in den meisten Staaten mit strafrechtlichen Mitteln sanktioniert.

Der Konsens über die Wirksamkeit einer auf Repression fußenden Drogenkontrolle wird allerdings in der jüngeren Vergangenheit durch die Verfolgung abweichender Ansätze auf die Probe gestellt. Auf der einen Seite haben vor allem westeuropäische Länder seit Ende der 1980er Jahre pragmatische Alternativen zu einer strikten Prohibition erprobt und sogenannte schadensreduzierende Maßnahmen (harm reduction) wie die Bereitstellung steriler Nadeln für den intravenösen Drogenkonsum oder die Verfügbarkeit von Substitutionstherapien für Opioidabhängige eingeführt. Andererseits hat eine wachsende Anzahl an Mitgliedstaaten den völkerrechtlichen Spielraum der Konventionen durch dekriminalisierende Reformen ausgereizt, insbesondere in Bezug auf Cannabis. So haben zum Beispiel die Niederlande mit der Duldung des Verkaufs von Cannabis in "Coffeeshops" den Konsum von Cannabis de facto legalisiert, und Länder wie Belgien, Italien, Spanien, Portugal oder die Schweiz haben Haftstrafen für den Besitz von Cannabis für den persönlichen Konsum als Sanktionsform abgeschafft. Als Resultat werden Vergehen hauptsächlich nur noch durch administrative Strafen oder Geldbußen geahndet.

Während solche Reformen die Legitimität des internationalen Drogenkontrollregimes nicht grundsätzlich infrage stellten, sieht dies mit Bezug auf die Legalisierung von Cannabis über den medizinischen Gebrauch hinaus anders aus. Damit verletzen Staaten wie Uruguay oder Kanada nunmehr offen die völkerrechtlichen Bestimmungen der Konventionen. Die Missachtung der Konventionen stellt das aktuelle Regime vor große Herausforderungen, und die Zukunftsfähigkeit der internationalen Drogenprohibition erscheint fraglich. Auch wenn sich das Drogenkontrollregime bisher weitgehend resistent gegenüber Reformvorschlägen gezeigt hat, haben diese Entwicklungen zu einem dynamischen Diskurs über die Weiterführung der bisherigen internationalen Drogenpolitik geführt.

Ziele und Aufbau des internationalen Drogenkontrollregimes

Eine umfangreiche Verpflichtung, psychoaktive Substanzen wie Opium, Kokain oder Cannabis für illegal zu erklären und diese entsprechend zu verbieten, setzte sich erstmals mit dem 1961 beschlossenen Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel durch. Diese Konvention zählt zu den einflussreichsten Abkommen der Vereinten Nationen, ihr gehören heute 186 der 193 Mitgliedstaaten an. Mit ihr wurden die seit dem internationalen Opiumabkommen 1912 geschlossenen internationalen Verträge in eine einheitliche Konvention überführt, wobei sich die USA mit einer strikten Haltung gegenüber dem unerwünschten Konsum bestimmter Drogen durchsetzten. Übergeordnetes Ziel der Konventionen ist die drastische Beschränkung des Angebots an Betäubungsmitteln, das in Artikel 4 (c) der Konvention definiert wird. In diesem verpflichten sich die Staaten dazu, den Anbau, die Produktion, den Handel, den Import und Export, den Konsum sowie den Besitz der unter die Regelungen der Konvention fallenden Substanzen auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke zu beschränken. Hierzu werden die unter die internationale Kontrolle fallenden Substanzen aufgelistet und je nach gesundheitlichem Schädigungspotenzial und therapeutischem Nutzen in vier Kategorien eingestuft. Basierend auf der Einstufung in eine Kategorie kommen dabei unterschiedlich strenge Kontrollmechanismen zum Einsatz.

Der einheitliche rechtliche Rahmen, der mit der Konvention von 1961 eigentlich geschaffen werden sollte, musste schon einige Jahre später ergänzt werden: Zunächst wurde 1971 die Konvention über psychotrope Substanzen verabschiedet. Diese trägt dem verstärkten Aufkommen synthetischer Drogen wie Amphetaminen, Ecstasy oder LSD seit den 1960er Jahren Rechnung, die aufgrund des damaligen Schwerpunkts auf aus "Drogenpflanzen" gewonnenen Substanzen bisher noch keiner Kontrolle unterlagen. 1988 wurde zudem in Wien die Konvention gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen beschlossen. Diese stand maßgeblich im Zeichen des von US-Präsident Richard Nixon 1971 ausgerufenen war on drugs, der unter der Administration von Präsident Ronald Reagan bis 1989 zunehmend eskalierte.

Angesichts eines wachsenden Drogenschwarzmarktes und der Zunahme von organisierter Kriminalität sollte mit der Konvention von 1988 dem Problem des transnationalen illegalen Drogenhandels begegnet werden. Mit ihrer Verabschiedung wurde die Perspektive, Drogen als existenzielle Gefahr für die nationale Sicherheit und Frieden zu sehen, institutionell festgeschrieben, und repressive Maßnahmen entwickelten sich zunehmend zum Mittel der Wahl. Entsprechend sah die Konvention vor allem ein härteres Vorgehen gegen den organisierten Drogenschmuggel vor, und die Mitgliedstaaten wurden nun generell dazu verpflichtet, strafrechtlich gegen verschiedene Aspekte des illegalen Verkehrs mit Betäubungsmitteln vorzugehen.

Zu den konkret beschlossenen Maßnahmen gehörten die Kontrolle der für die Drogenproduktion notwendigen Vorläuferstoffe, eine Bestrafung der Geldwäsche von aus dem Handel mit illegalen Drogen erzielten Erlösen und eine vertiefte Zusammenarbeit bei der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Mit Artikel 3 Absatz 2 kam es zudem erstmals zur Verpflichtung, die Nachfrage nach illegalen Drogen einzuschränken. Während die vorherigen Konventionen sich vornehmlich auf die Angebotskontrolle konzentriert hatten, wurden die Mitgliedstaaten nun angehalten, auch den Anbau, Erwerb und Besitz von illegalen Drogen für den persönlichen Konsum als Straftat einzustufen.

Alternative Ansätze

Der Anspruch, das illegale Angebot und die Nachfrage an Betäubungsmitteln drastisch zu reduzieren, wurde durch die internationale Gemeinschaft auf der Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen (United Nations General Assembly Special Session, UNGASS) zum Thema Drogen 1998 in New York erneut bekräftigt. In der verabschiedeten Resolution verpflichteten sich die Mitgliedstaaten auf weitreichende Maßnahmen zur Eliminierung – oder zumindest einer signifikanten Reduzierung – des illegalen Anbaus des Kokastrauchs, von Cannabispflanzen und Schlafmohn. Dies sollte bis 2008 erreicht werden. Bei der Revision der Ergebnisse zeigte sich aber, dass das Ziel, eine "Welt ohne Drogen zu schaffen", trotz der verstärkten Anstrengungen gegen den illegalen Drogenanbau und -handel deutlich verfehlt wurde – vielmehr erreichte der Konsum von Drogen neue Höchstwerte. Da auch die Drogenkonsumierenden zunehmend ins Visier der Strafverfolgung gerieten, zeigten sich die Schattenseiten der auf Repression ausgerichteten Strategie immer klarer. So kam es vor allem in Ländern mit besonders strikter Drogengesetzgebung zu einer Ausbreitung von HIV/Aids unter Konsumierenden, weil sie in der Illegalität höhere Risiken eingingen und beispielsweise Spritzen mehrfach oder gemeinsam verwendeten. Angesichts der Kollateralschäden des "Krieges gegen die Drogen" und der Ineffektivität der Maßnahmen hat sich seither eine Reihe von Mitgliedstaaten von der repressiven Drogenpolitik abgewandt und alternative Ansätze entwickelt.

Schadensreduzierung

Auch wenn es die drogenpolitischen Beschlüsse auf internationaler Ebene nicht direkt widerspiegeln: Der internationale Konsens über die repressive Drogenpolitik wird bereits seit den 1980er Jahren durch den Ansatz der harm reduction herausgefordert. In Reaktion auf die rapide Verbreitung von Krankheiten wie HIV/Aids oder Hepatitis C durch intravenösen Drogenkonsum mit verunreinigten Spritzen haben mehrere Länder Maßnahmen zur Schadensreduzierung eingeführt, die sich in Deutschland sowie in vielen anderen europäischen Staaten mittlerweile als zusätzliche Säule der Sucht- und Drogenpolitik etabliert haben. Dazu zählen unter anderem die Verteilung steriler Nadeln für den intravenösen Drogenkonsum, die Bewilligung von Substitutionsbehandlungen für Opioid-Abhängige, die Verschreibung von synthetischem Heroin oder die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in mehreren europäischen Großstädten wie Frankfurt am Main oder Zürich. Da diese Maßnahmen vornehmlich auf eine Reduzierung der mit dem Drogenkonsum verbundenen gesellschaftlichen und gesundheitlichen Schäden und Risiken abzielen und eine Reduzierung des Drogenkonsum an sich nicht zwingend vorgesehen ist, haben sie auf internationaler Ebene immer wieder zu Spannungen über die Einhaltung der Vorgaben des Drogenkontrollregimes geführt.

Entsprechend kontrovers wird der Ansatz der Schadensreduzierung international diskutiert. So wurden Instrumente der harm reduction von Ländern wie Russland, Japan oder den USA als gegen die Konventionen verstoßend abgelehnt, und auch die mit der Überwachung der Einhaltung und Umsetzung der Konventionen beauftragten Organisationen haben sich wiederholt kritisch geäußert. Der Internationale Suchtstoffkontrollrat (International Narcotic Control Board, INCB) zum Beispiel hat in seinen jährlichen Berichten darauf hingewiesen, dass Maßnahmen wie die Einrichtung von Drogenkonsumräumen oder die Verschreibung von synthetischem Heroin mit den internationalen Verträgen unvereinbar sind. Die Vorbehalte gegenüber schadensreduzierenden Maßnahmen zeigten sich auch in den Debatten der Suchtstoffkommission (Commission on Narcotic Drugs, CND), dem zentralen legislativen Organ des Drogenkontrollregimes der Vereinten Nationen. Die Europäische Union hat zwar versucht, einen Fokus auf schadensreduzierende Maßnahmen in die politischen Erklärungen und den Aktionsplan des Suchtstoffkontrollrats von 2009 einzubringen, scheiterte damit jedoch an der Ablehnung der Länder, die den drogenpolitischen Status quo befürworten. Trotz dieses "Widerstands" der internationalen Drogenkontrollorganisationen haben sich die Maßnahmen der harm reduction innerhalb und außerhalb Europas weiter verbreitet, womit einer an den gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen des Drogenkonsums ausgerichteten Politik weiter Vorschub geleistet wird.

Dekriminalisierung

Die Spannungen in der internationalen Drogenpolitik lassen sich darüber hinaus anhand der Dekriminalisierung von illegalen Substanzen, insbesondere der von Cannabis, aufzeigen. Mit Dekriminalisierung ist dabei gemeint, dass der Besitz für den persönlichen Konsum einer Substanz bei Erwachsenen nicht mehr als Straftat behandelt wird, womit bei geringen Verstößen die Möglichkeit einer Haftstrafe entfällt. Während ein Großteil der Staaten den Besitz von Cannabis für den persönlichen Konsum weiterhin strafrechtlich verfolgt, lässt sich vor allem seit Anfang der 2000er Jahre eine Welle an Reformen in Richtung Dekriminalisierung beobachten. Mittlerweile haben weltweit mehr als 30 Länder ihre Gesetze entsprechend reformiert.

Ein viel beachtetes Beispiel in diesem Kontext ist die Drogenrechtsform in Portugal, mit der 2001 ein alternativer Kurs zur Kriminalisierungsstrategie eingeschlagen wurde. Schon in den 1990er Jahren sah sich das Land mit einer eskalierenden Drogenproblematik in Form von ansteigendem Konsum und zunehmender Verbreitung von HIV/Aids unter Drogenkonsumierenden konfrontiert. Als Reaktion entschied die sozialdemokratische Regierung unter Premierminister António Guterres, dem heutigen Generalsekretär der Vereinten Nationen, den Besitz von allen illegalen Drogen für den persönlichen Konsum umfangreich zu entkriminalisieren. Unter den Regelungen der Reform wird der Besitz von geringen Mengen an illegalen Drogen nur noch als Ordnungswidrigkeit gewertet. Dabei entscheiden im Falle von Verstößen speziell geschaffene Kommissionen zur Vermeidung des Drogenmissbrauchs über zu treffende Maßnahmen. Hierzu bespricht die Kommission mit den Betroffenen zunächst die Gründe für das bisherige Suchtverhalten und kann darauf aufbauend lediglich eine Verwarnung aussprechen, eine Geldstrafe festlegen oder eine andere administrative Sanktion verhängen (zum Beispiel die Auferlegung von sozialer Arbeit). Im Fall von Abhängigkeiten werden die Strafen jedoch ausgesetzt, wenn sich die Betroffenen freiwillig in Therapie begeben. Zusätzlich wurden die Reformen durch eine Reihe von Maßnahmen zur Prävention, Schadensreduzierung und Therapie ergänzt.

Auf der internationalen Ebene wurden die Bestrebungen mancher Staaten, die Drogenpolitik zu dekriminalisieren, anfänglich massiv kritisiert. In der Suchtstoffkommission zeigten sich insbesondere Länder mit einer restriktiven Drogenpolitik – wie Schweden, die USA oder Saudi-Arabien – besorgt über eine Aufweichung der internationalen Bestimmungen zur Drogenprohibition. Daneben wurden die Reformen auch von einigen "drogenproduzierenden Ländern" scharf kritisiert, da diese durch eine Dekriminalisierung der Nachfrage ihre Anstrengungen in der Reduzierung des illegalen Drogenanbaus konterkariert sahen. In ähnlicher Weise argumentierte auch der Internationale Suchtstoffkontrollrat, der in seinem jährlichem Bericht 2001 die Unvereinbarkeit einer Dekriminalisierung von Cannabis mit den Verpflichtungen der Konventionen herausstellte. Bereits ein Jahr zuvor wurde der portugiesischen Regierung eine Verletzung von Artikel 3 Absatz 2 der Konvention von 1988 vorgeworfen, in der sich die Staaten explizit verpflichtet hatten, auch den Besitz und Konsum von Drogen für den persönlichen Konsum als Straftat zu behandeln.

Im Zeitverlauf hat sich diese ablehnende Haltung jedoch deutlich abgeschwächt. Mittlerweile schätzt der Suchtstoffkontrollrat die portugiesischen Drogenpolitik sogar als vertragskonform ein. Dies liegt sicherlich auch daran, dass sich Portugal international für viele zu einem Vorbild für eine progressive Drogenpolitik entwickelt hat und sich die von Kritikern geäußerten Befürchtungen über einen rapiden Anstieg des Drogenkonsums nicht verwirklicht haben. Vielmehr weist ein Großteil der Studien zur portugiesischen Drogensituation eine positive Entwicklung seit den Reformen nach: Die Zahl der konsumbedingten Todesfälle ist deutlich gesunken, und die drogeninduzierte Mortalitätsrate liegt mit vier Todesfällen pro eine Million Einwohner:innen inzwischen weit unter dem europäischen Durchschnitt von 22 Todesfällen pro eine Million Einwohner:innen. Darüber hinaus konnte der Anteil von HIV-Neuinfektionen unter den Konsumierenden deutlich reduziert werden. Und die Zahl der in Therapie befindlichen Drogenkonsumierenden wurde bis 2008 um über 60 Prozent gesteigert, was den Ausbau der Angebote der öffentlichen Gesundheitsfürsorge widerspiegelt.

Legalisierung von Cannabis

Bewegten sich die Staaten mit der Umsetzung der beschriebenen alternativen Ansätze noch auf dem völkerrechtlichen Terrain der Konventionen, haben in jüngerer Vergangenheit – aufgrund der Unzufriedenheit mit der Funktionsweise und den Ergebnissen des Drogenkontrollregimes – vor allem einige lateinamerikanische Länder offen mit den Konventionen gebrochen. Dies wird besonders bei der Legalisierung von Cannabis offenbar, denn entsprechende Reformen widersprechen explizit den Bestimmungen des Einheitsabkommens von 1961.

Der Impuls für eine Legalisierung von Cannabis ging paradoxerweise von den USA aus, deren restriktive Nulltoleranzpolitik die Drogenpolitik international jahrzehntelang geprägt hatte. Seit 2012 wurde Cannabis mittlerweile in 15 US-Bundesstaaten legalisiert. Durch die Überführung des Cannabismarktes in staatlich regulierte Strukturen ist Uruguay im Dezember 2013 als weltweit erstes Land nachgezogen und hat Cannabis für Erwachsene vollständig legalisiert. Unter der liberalen Regierung von Justin Trudeau hat auch Kanada 2018 ähnliche Reformen umgesetzt und den Kauf und Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis für den Freizeitgebrauch für Erwachsene freigegeben. Damit verstößt erstmals auch ein Mitglied der G7 offen gegen die Verpflichtungen des Einheitsabkommens von 1961.

Obwohl sich der Suchtstoffkontrollrat in seinen jährlichen Berichten wiederholt besorgt über die Legalisierung von Cannabis geäußert hat und die Verletzung der in den Konventionen festgelegten Bestimmungen unmissverständlich kritisiert, hat der Diskurs über eine Legalisierung von Cannabis weltweit an Dynamik gewonnen. So war die Legalisierung von Cannabis in Neuseeland erst im Oktober 2020 Gegenstand einer Volksabstimmung, in der mit knapper Mehrheit zwar gegen eine Legalisierung von Besitz und Gebrauch gestimmt wurde, der Erwerb für medizinische Zwecke jedoch weiterhin erlaubt bleibt. Als erstes europäisches Land hat Luxemburg 2019 angekündigt, Cannabis legalisieren zu wollen.

Auch der bereits seit Anfang der 2000er Jahre in Deutschland geführte Diskurs über eine Entkriminalisierung und Legalisierung von Cannabis hat durch die Entwicklungen auf internationaler Ebene neue Aktualität erfahren – allerdings noch ohne gesetzliche Folgen: Nachdem 2015 ein erster Entwurf für ein Cannabiskontrollgesetz vom Bundestag abgelehnt worden war, brachten die Grünen im September 2020 einen neuen Gesetzentwurf ein, der vorsah, Cannabis aus den strafrechtlichen Regulierungen des Betäubungsmittelgesetzes herauszunehmen. Doch auch dieser Entwurf fand keine Mehrheit. Mit Blick auf die vorgestellten Ansätze beschreitet die deutsche Drogenpolitik damit einen Mittelweg. Auf der einen Seite gehört Deutschland mit der umfangreichen Umsetzung von Maßnahmen der Schadensreduzierung international zu den Vorreitern. Andererseits ist Deutschland bei der Regulierung der Nachfrage in Bezug auf den Besitz von Cannabis für den persönlichen Konsum im europäischen Vergleich eher ein Nachzügler, da in vielen europäischen Staaten das Strafniveau seit einigen Jahren deutlich herabgesetzt wurde.

Ob weitere Länder Uruguay und Kanada folgen werden, hängt sicherlich von Erfahrungen ab, die dort gemacht wurden und werden. Auch wenn es für eine umfangreiche Bewertung der Auswirkungen der Legalisierung noch zu früh ist, zeigen bisherige Studien ein gemischtes Bild – der genaue Effekt auf die öffentliche Gesundheit ist noch unklar. So konnten in Uruguay auf der einen Seite die Kontakte zwischen Konsumierenden und oftmals auch andere, harte Drogen verkaufenden Drogendealern deutlich reduziert werden. Seit den Reformen geraten Konsumierende kaum noch in Konflikt mit den Strafverfolgungsbehörden. Andererseits ist seit der Legalisierung ein Anstieg des Cannabiskonsums zu beobachten. Allerdings ist noch unklar, inwieweit sich dieser tatsächlich auf die Legalisierung zurückführen lässt, da sich zum Beispiel eine ähnliche Entwicklung für den Konsum für Kokain zeigt, das nicht legalisiert wurde.

Fazit und Ausblick

Auch wenn sich einige alternative Ansätze zur repressiven Nulltoleranzpolitik in einer Reihe von Ländern durchgesetzt haben, ist ein umfassender Wandel der internationalen Drogenpolitik derzeit nicht zu erwarten. So ist die bisherige Herangehensweise auf der jüngsten Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zum Weltdrogenproblem (UNGASS 2016) durch die Staaten größtenteils bestätigt worden. Bei den Verhandlungen offenbarte sich dabei vor allem ein erheblicher Dissens über die generelle Ausrichtung der Drogenpolitik.

Aufbauend auf den Erfahrungen mit Maßnahmen der Schadensreduzierung setzten sich zum Beispiel die europäischen Länder für eine an den Prinzipien der öffentlichen Gesundheit und Menschenrechten orientierten Politik ein. Ihr Gegengewicht finden diese Bestrebungen in einer Gruppe von Staaten, die an einer autoritären Linie festhält und Drogendelikte zum Teil weiterhin mit der Todesstrafe ahndet. Außergerichtliche Hinrichtungen auf den Philippinen zeigen beispielsweise, dass es darüber hinaus auch immer öfter zur systematischen Verletzung von Menschenrechten kommt.

Angesichts der teilweise sehr weit auseinanderliegenden Wertvorstellungen über das Vorgehen in der Drogenpolitik wird eine umfassende Reform der Konventionen daher nur schwerlich zu erreichen sein. Insofern ist fraglich, inwieweit das jetzige Regime überhaupt noch in der Lage ist, die verschiedenen Vorstellungen über die zukünftige Ausrichtung zu vereinen. Eine Erneuerung oder Modernisierung des internationalen Drogenkontrollregimes wird sich somit voraussichtlich nur über die Umsetzung alternativer und fortschrittlicher Strategien in den einzelnen Staaten vollziehen können. Die zunehmende Ausrichtung nationaler Drogenpolitiken auf gesundheitspolitische Prinzipien und eine sich weiterverbreitende Dekriminalisierung und Legalisierung von Cannabis sind hierbei wahrscheinlich. Der zukünftige Stellenwert des Drogenkontrollregimes wird dabei entscheidend davon abhängen, wie die einzelnen Mitgliedstaaten und die entsprechenden internationalen Organisationen auf die jüngsten Spannungen über die Funktionsfähigkeit der Drogenprohibition reagieren werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Ethan Nadelmann, Global Prohibition Regimes: The Evolution of Norms in International Society, in: International Organization 4/1990, S. 479–526.

  2. Vgl. Catherine Cook/Jamie Bridge/Gerry V. Stimson, The Diffusion of Harm Reduction in Europe and Beyond, in: Tim Rhodes/Dagmar Hedrich (Hrsg.), Harm Reduction: Evidence Impacts and Challenges, European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, EMCDDA), Luxemburg 2010, S. 37–58. Siehe hierzu auch den Beitrag von Henning Schmidt-Semisch in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  3. Vgl. Andreas Raschzok, Immun gegen Wandel. Die Regulierung illegaler Drogen, in: Christoph Knill et al. (Hrsg.), Moralpolitik in Deutschland. Staatliche Regulierung gesellschaftlicher Wertekonflikte im historischen und internationalen Vergleich, Wiesbaden 2015, S. 203–223.

  4. Vgl. Wayne Hall, The Future of the International Drug Control System and National Drug Prohibitions, in: Addiction 7/2018, S. 1210–1223.

  5. Für eine detaillierte Übersicht über die Mitgliedstaaten der Konvention siehe Externer Link: https://treaties.un.org/doc/Publication/MTDSG/Volume%20I/Chapter%20VI/VI-18.en.pdf.

  6. Vgl. Julia Buxton, The Historical Foundations of the Narcotic Drug Control Regime, The World Bank, Policy Research Working Paper 4553/2008.

  7. United Nations Office on Drugs and Crime, The International Drug Control Conventions, 2013, Externer Link: http://www.unodc.org/documents/commissions/CND/Int_Drug_Control_Conventions/Ebook/The_International_Drug_Control_Conventions_E.pdf.

  8. Für eine genaue Auflistung der unter Kontrolle stehenden organischen Suchtstoffe siehe die "gelbe Liste" des Suchtstoffkontrollrats: Externer Link: http://www.incb.org/incb/en/narcotic-drugs/Yellowlist_Forms/yellow-list.html.

  9. Vgl. Robert Lessmann, Internationale Drogenpolitik. Herausforderungen und Reformdebatten, Wiesbaden 2017, S. 7.

  10. Vgl. Emily Crick, Drugs as an Existential Threat: An Analysis of the International Securitization of Drugs, in: International Journal of Drug Policy 5/2012, S. 407–414.

  11. Vgl. United Nations Office on Drugs and Crime (Anm. 7), S. 129.

  12. Vgl. Martin Jelsma, Drugs in the UN System: The Unwritten History of the 1998 United Nations General Assembly Special Session on Drugs, in: International Journal of Drug Policy 2/2003, S. 181–195.

  13. Vgl. Sebastian Scheerer, Internationales Drogenkontrollrecht: Ursprung, Expansion, Erosion, in: Kritische Justiz 3/2019, S. 315–335.

  14. Vgl. Evan Wood et al., The War on Drugs: A Devastating Public-Policy Disaster, in: The Lancet 9668/2009, S. 989f.

  15. Vgl. David Bewley-Taylor, International Drug Control. Consensus Fractured, Cambridge 2012.

  16. Vgl. International Narcotics Control Board (INCB), Report of the International Narcotics Control Board for 2003, Externer Link: http://www.incb.org/incb/en/publications/annual-reports/annual-report-2003.html.

  17. Vgl. Susanne MacGregor/Marcus Whiting, The Development of European Drug Policy and the Place of Harm Reduction within This, in: Rhodes/Hedrich (Anm. 2), S. 59–78.

  18. Vgl. Andreas Raschzok, Illegal Drugs: Two Worlds of Authority, in: Christoph Knill/Christian Adam/Steffen Hurka (Hrsg.), On the Road to Permissiveness? Change and Convergence of Moral Regulation in Europe, Oxford 2015, S. 234–264.

  19. Vgl. Niamh Eastwood/Edward Fox/Ari Rosmarin, A Quiet Revolution. Drug Decriminalisation Across the Globe, 2016, Externer Link: http://www.release.org.uk/publications/drug-decriminalisation-2016.

  20. Vgl. Mirjam Van Het Loo/Ineke Van Beusekom/James P. Kahan, Decriminalization of Drug Use in Portugal: The Development of a Policy, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science 1/2002, S. 49–63.

  21. Vgl. Artur Domosławski, Drug Policy in Portugal. The Benefits of Decriminalizing Drug Use, 2011, Externer Link: http://www.tni.org/files/publication-downloads/drug-policy-in-portugal-english.pdf.

  22. Vgl. Bewley-Taylor (Anm. 15), S. 203.

  23. Vgl. INCB, Report of the International Narcotics Control Board for 2000, Externer Link: http://www.incb.org/incb/en/publications/annual-reports/annual-report-2000.html.

  24. Vgl. Alexander Henderson, Portuguese Defiance: Analyzing the Strenuous Relationship between Drug Decriminalization and International Law, in: Michigan State International Law Review 3/2015, S. 725–760.

  25. Vgl. EMCCDA, Portugal Country Drug Report 2019, S. 12f., Externer Link: http://www.emcdda.europa.eu/system/files/publications/11331/portugal-cdr-2019_0.pdf.

  26. Vgl. Caitlyn Elisabeth Hughes/Alex Stevens, What Can We Learn from the Portuguese Decriminalization of Illicit Drugs?, in: British Journal of Criminology 6/2010, S. 1015f.

  27. Vgl. Lessmann (Anm. 9), S. 30.

  28. Erst jüngst, am 3. November 2020, stimmten Arizona, Montana, New Jersey und South Dakota per Referendum für eine Legalisierung. Die übrigen elf Staaten sind Alaska, Colorado, Kalifornien, Illinois, Maine, Massachusetts, Michigan, Nevada, Oregon, Vermont und Washington. Vgl. Engel Bromwich, This Election, a Divided America Stands United on One Topic, 5.11.2020, Externer Link: http://www.nytimes.com/2020/11/05/style/marijuana-legalization-usa.html.

  29. Vgl. Tom Decorte/Simon Lenton/Chris Wilkins, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Legalizing Cannabis. Experiences, Lessons and Scenarios, London–New York, S. 1–8, hier S. 2.

  30. Vgl. INCB, Report of the International Narcotics Control Board for 2018, Externer Link: http://www.incb.org/incb/en/publications/annual-reports/annual-report-2018.html.

  31. Vgl. Till Fähnders, Für Sterbehilfe und gegen Cannabis, 30.10.2020, Externer Link: http://www.faz.net/-17027336.html.

  32. Vgl. Paula Leocadia Pleiss, Erstes Land in Europa bereitet Cannabis-Legalisierung vor, 26.4.2019, Externer Link: http://www.welt.de/192485767.

  33. Vgl. Claudia Kaup, Sucht und Drogen – ein Handlungsfeld Kommunaler Kriminalprävention, Frankfurt/M. 2018.

  34. Vgl. Deutscher Bundestag, Cannabiskontrollgesetz abgelehnt, 16.9.2020, Externer Link: http://www.bundestag.de/presse/hib/792930-792930.

  35. Vgl. Raschzok (Anm. 3), S. 209.

  36. Vgl. Rosario Queirolo, Uruguay. The First Country to Legalize Cannabis, in: Decorte/Lenton/Wilkins (Anm. 29), S. 116–130.

  37. Vgl. Lessmann (Anm. 9), S. 39f.

  38. Vgl. Scheerer (Anm. 13), S. 335.

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ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für vergleichende Policy-Forschung und Methoden empirischer Sozialforschung des Instituts für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. In seiner Promotion forscht er zum Einfluss von Parteien auf die Drogenpolitik in Europa. E-Mail Link: maximilian.wieczoreck@uni-muenster.de