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Stärker im Verbund | Politische Bildung | bpb.de

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Stärker im Verbund Zum Verhältnis von politischer und ökonomischer Bildung

Christine Engartner Tim Engartner

/ 13 Minuten zu lesen

Wirtschaftswissenschaftliche Inhalte haben in den vergangenen Jahren eine einzigartige Stärkung in Lehrplänen erfahren, zulasten von politischen und soziologischen. Als Unterrichtsfach ist Ökonomie jedoch vor allem sozialwissenschaftlich eingebettet von Nutzen.

Während die politische Bildung seit einigen Jahren einen teils erheblichen curricularen Bedeutungsverlust erleidet, haben wirtschaftswissenschaftliche Inhalte, Theorien und Paradigmen in den Lehrplänen und Stundentafeln allgemeinbildender Schulen einen einzigartigen Bedeutungszuwachs erfahren. So forciert unter anderem die Kultusministerkonferenz (KMK) ökonomische Bildung als "unverzichtbaren Bestandteil der Allgemeinbildung". Ihren schulpolitischen Ausdruck findet diese Schwerpunktsetzung in der Umbenennung sozialwissenschaftlicher Unterrichtsfächer, so zum Beispiel an den allgemeinbildenden Schulen Hessens, an denen das 1956 eingeführte Unterrichtsfach "Sozialkunde" seit 2002 den Namen "Politik und Wirtschaft" trägt. Ebenso wurde in Nordrhein-Westfalen das in der Sekundarstufe I angesiedelte Unterrichtsfach "Politik/Wirtschaft" von der damaligen schwarz-gelben Landesregierung zum Schuljahresbeginn 2020/21 in das Fach "Wirtschaft-Politik" überführt, nachdem CDU und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart hatten, "an allen weiterführenden Schulen das Schulfach Wirtschaft [zu] etablieren". Ein solches Partikularfach ist an den allgemeinbildenden Schulen in Baden-Württemberg bereits seit 2016 mit der Einführung des Unterrichtsfachs "Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung (WBS)" Realität, womit eine Separierung ökonomischer Bildung vom sozialwissenschaftlich konturierten Fach "Gemeinschaftskunde" vorgenommen wurde. Nicht wenige Hochschulen reagierten mit Neufassungen der Lehramtszugangsverordnungen, um die Nomenklatur von Studiengang und Unterrichtsfach zugunsten der ökonomischen und zulasten der politischen Bildung zu synchronisieren.

Vor dem Hintergrund der weitreichenden curricularen Neuerungen verwundert es kaum, dass die Stärkung ökonomischer Bildung nicht nur in den Schul-, Kultus- und Bildungsministerien zwischen Kiel und München diskutiert, sondern auch von international einflussreichen Akteur:innen gefordert wird. So verlangen etwa die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) seit 2005 und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften seit 2007, dass in den Schulen finanzielle Grundbildung ("Financial Literacy") vermittelt werden solle. Nahezu durchweg wird argumentiert, ökonomische Urteils- und Handlungskompetenzen müssten sich in demselben Maße fortentwickeln, in dem die Lebenswelt "ökonomisiert" wird. Unterstützt von Vertreter:innen der orthodoxen Wirtschaftsdidaktik fordert eine wachsende Zahl unternehmensnaher oder -eigener Stiftungen wie die Joachim Herz Stiftung, die Flossbach von Storch Stiftung oder die Bertelsmann Stiftung die bundesweite Einführung eines eigenständigen Unterrichtsfachs "Wirtschaft" für sämtliche Schulformen. Und auch das 2019 initiierte Bündnis ökonomische Bildung Deutschland (BÖB) mit seinen mehr als 50 Mitgliedsorganisationen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft tritt (öffentlichkeits)wirksam für eine curriculare Ausweitung ökonomischer Bildung ein. Während bis in die 1980er Jahre hinein ein sozialwissenschaftlicher Zugang zu wirtschaftlichen Fragestellungen unter dem Dach der politischen Bildung gewählt wurde, um etwa die Humanisierung und Demokratisierung der Arbeit aus der Perspektive der Arbeitnehmer:innen zu thematisieren, läuft die aktuelle Entwicklung somit in Richtung einer monodisziplinären Wirtschaftsbetrachtung.

In ihrer Funktion als KMK-Präsidentin betonte auch die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) Ende September 2022 auf einem BÖB-Kongress die Bedeutung ökonomischer Bildung: "Ökonomische Bildung vermittelt nicht nur Wirtschaftskompetenz, sondern auch die Botschaft: Nimm Dein Leben selbst in die Hand, sei aktiv, übernimm Verantwortung. Sei Unternehmerin oder Unternehmer deines Lebens." Auf derselben Veranstaltung warb auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) für ökonomische Bildung: "Im Sinne der Chancengerechtigkeit sollte eine flächendeckende ökonomische Bildung daher zur Selbstverständlichkeit werden – für den Einzelnen, aber auch um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort zu wahren." Wenngleich er in seiner kurzen Rede auch darauf verwies, "dass wirtschaftliche Zusammenhänge gesellschaftliche Zusammenhänge sind", so ist doch bereits die Inanspruchnahme des Wirtschaftsministers für ökonomische Bildungsanliegen augenfällig.

Obwohl multidisziplinäre sozialwissenschaftliche Ansätze die Domäne Wirtschaft zunehmend berücksichtigen, lehnen die Vertreter:innen eines eigenständigen Unterrichtsfachs die Einbindung ökonomischer Frage- und Problemstellungen in Verbundfächer wie Arbeitslehre, Wirtschaft-Arbeit-Technik, Politik/Wirtschaft, Verbraucher:innenbildung oder Sozialwissenschaften kategorisch ab. Selbst das in Bayern und Thüringen unterrichtete Fach "Wirtschaft und Recht" wird von vielen Fachvertreter:innen trotz der überwiegend ökonomischen Inhalte als Verbundfach – und damit als nicht ausreichend für die Vermittlung ökonomischer Kompetenzen – gewertet. Dabei unterschlagen die Befürworter:innen, dass das Prinzip, wonach jeder Disziplin ein Unterrichtsfach zugesprochen wird, die Schulen organisatorisch und inhaltlich überfordern würde. Bereits die aufgeführten Beispiele verdeutlichen, dass eine Stärkung wirtschaftlicher Inhalte und Perspektiven in aller Regel zulasten sozialwissenschaftlicher Fächeranteile geht. Obwohl es keine Belege dafür gibt, dass das Wissen über Wirtschaft schlechter ist als das über Recht, Politik, Geschichte oder Gesellschaft, fordern einige Initiativen, dass in der Sekundarstufe I bis zu 480 Stunden Wirtschaftsunterricht erteilt werden sollen. Gäbe man dieser Forderung nach, "entfielen auf ökonomische Inhalte ein Drittel mehr Stunden als auf die drei Fächer Geschichte, Erdkunde und Politik zusammen". Zugleich konkurriert das Partikularfach "Wirtschaft" mit wenigstens 58 anderen Fächern, deren bundesweite Einführung gefordert wird – darunter Kultur, Psychologie, Recht, Technik und Verbraucherbildung.

Chronologie einer Kampagne

Ausgangspunkt der bis heute leidenschaftlich geführten Schulfachdebatte ist ein 1999 vom Deutschen Aktieninstitut (DAI) veröffentlichtes "Memorandum zur ökonomischen Bildung". Im Bewusstsein, dass "Wirtschaftsfragen das gesamte Leben eines Menschen begleiten", wurden darin grundlegende Kenntnisse der ökonomischen Zusammenhänge für "wichtiger denn je" erklärt. Das DAI zielte damit auf eine Diskussion, "an deren Ende im einzel- wie im gesamtwirtschaftlichen Interesse die Einführung eines Schulfaches Ökonomie stehen muss".

Wenige Monate darauf erschien das von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) gemeinsam mit Eltern- und Lehrerverbänden in die Öffentlichkeit getragene Grundsatzpapier "Wirtschaft – notwendig für schulische Allgemeinbildung". Auch darin wird die Politik aufgefordert, ein Unterrichtsfach "Wirtschaft" in den allgemeinbildenden Schulen einzuführen, wenngleich die Forderung noch explizit auf eine (nicht näher spezifizierte) sozioökonomische Bildung abzielte: "Die materielle Basis der Gesellschaft – Arbeit und Erholung, Produktion und Konsum, Unternehmertum und Mitbestimmung – muss deshalb eine stärkere Rolle in den allgemeinbildenden Schulen spielen." Mit dem Papier verband sich insbesondere für Befürworter:innen eines sozialwissenschaftlichen Bildungsverständnisses die Hoffnung, dass auch solche Positionen vermittelt würden, die der "Fürsprache des Marktes" Argumente entgegensetzen, indem die Grammatik einer Gesellschaft gelesen und deren politische Konstitution gedeutet wird.

2001 legte dann ein Autorenteam unter Federführung des ehemaligen Direktors des Oldenburger Instituts für ökonomische Bildung (IÖB), Hans Kaminski, das aus der Initiative "Schule und Wirtschaft" der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hervorgegangene und von ihr geförderte Papier "Soziale Marktwirtschaft stärken – Kerncurriculum ökonomische Bildung" vor. Drei Jahre später veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für ökonomische Bildung (DeGöB) den ersten Entwurf von Kompetenzstandards. 2008 folgte die vom Bundesverband deutscher Banken (BdB) initiierte und finanzierte "Konzeption für die ökonomische Bildung als Allgemeinbildung von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II". Diesen Ruf nach mehr ökonomischer Bildung deutete der Wirtschaftssoziologe Reinhold Hedtke als ein dezidiert politisches Projekt, das darauf abziele, "der Legitimationskrise von Marktwirtschaft und Kapitalismus entgegenzutreten, indem man Kinder und Jugendliche zum Glauben an die grundsätzliche Überlegenheit von kapitalistischer Gesinnung, Privatunternehmen, Markt und Wettbewerb erzieht."

Einen für die fachdidaktische Debatte bedeutsamen Höhepunkt erreichte die Diskussion mit der kontrovers erörterten Frage nach den in der ökonomischen Bildung zu vermittelnden Kompetenzen. Schon dem im Auftrag von BDA und DGB vorgelegten Kompetenzmodell lag die Annahme zugrunde, dass ökonomische Bildung als Allgemeinbildung in der Primarstufe zu begreifen sei. Doch erst das im Auftrag des Gemeinschaftsausschusses der deutschen gewerblichen Wirtschaft vorgelegte Gutachten "Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen" orientierte sich an den KMK-Standards und konnte so einige bildungspolitische Strahlkraft entfalten. Kritik kam indes von den Begründer:innen der Initiative für eine bessere ökonomische Bildung (iböb) um Reinhold Hedtke, die dem Gutachten in einer Kurzexpertise zutreffend "ein veraltetes Verständnis von Bildung und Didaktik" attestierten, "da es die Lebenswirklichkeit und die Interessen der Lernenden ignoriert, theoretisches Begriffswissen bevorzugt und überwiegend praktisch nutzlose Kompetenzen beschreibt".

Auch im fachdidaktikwissenschaftlichen Diskurs fanden die bildungspolitischen Debatten ihren Widerhall. In Reaktion auf die von der DeGöB vorgenommene bildungspolitische Festlegung auf ein Partikularfach "Wirtschaft" und das von der BDA zeitweilig erwirkte faktische Vertriebsverbot eines bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienenen Bandes mit dem Titel "Ökonomie und Gesellschaft" gründete sich 2016 die Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft (GSÖBW), die mit 189 Mitgliedern inzwischen fast genauso viele Mitglieder zählt wie die 1993 aus der Bundesfachgruppe ökonomische Bildung hervorgegangene DeGöB. Unter dem Dach der GSÖBW sind plurale Ökonom:innen, Sozioökonom:innen und Wirtschaftspädagog:innen organisiert, um den Forderungen nach einer Erneuerung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und Lehre Rechnung zu tragen.

Financial Literacy und Entrepreneurship Education

Demgegenüber setzen die in der DeGöB versammelten ökonomischen Bildner:innen mehrheitlich auf die Themenfelder "Finanzielle Bildung" und "Entrepreneurship Education" und betreiben so die Herauslösung der ökonomischen Bildungsanliegen aus dem sozialwissenschaftlichen Kontext der politischen Bildung. Sie argumentieren mit der aus dem Um- und Abbau der Sozialversicherungssysteme erwachsenden Notwendigkeit privater (Alters-)Vorsorge sowie dem unzureichend ausgeprägten unternehmerischen Denken in der Bevölkerung.

Dabei basiert die Forderung nach mehr finanzieller Bildung insbesondere auf der alle drei Jahre veröffentlichten Jugendstudie des BdB, wonach das Wissen über Aktien und Anleihen, Devisen und Derivate sowie Fonds und Futures hierzulande unzureichend sei. Ob Kinder und Jugendliche eine Vorstellung davon haben, welche steuer-, finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergriffen werden sollen, leuchtet die Jugendstudie hingegen ebenso wenig aus wie zentrale politisch-ökonomische oder sozioökonomische Aspekte, also zum Beispiel Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung oder der nicht-monetären Funktionen von Geld. Überdies sind Zweifel an der bildungspolitischen Forderung nach der Notwendigkeit von mehr Ökonomieunterricht angebracht. So ließ die US-Ratingagentur Standard & Poor’s 2015 mehr als 150000 Erwachsene in über 140 Ländern hinsichtlich ihres Wissens in den Themenfeldern Zinsen und Zinseszinsen, Inflation und Risikostreuung befragen. Demnach rangiert Deutschland unter den zehn Staaten mit der höchsten Finanzbildung. Und auch nach einer 2020 veröffentlichten OECD-Studie landet die deutsche Bevölkerung beim Finanzwissen auf einem zufriedenstellenden Rang 3.

Zugleich geht es den Befürworter:innen von mehr ökonomischer Bildung um die Ausweitung extracurricularer "Wirtschaftsbildung" – etwa über Projekte im Feld der "Entrepreneurship Education", mit denen Schüler:innen auf ihre berufliche Selbstständigkeit vorbereitet werden sollen. Zumeist über die Organisation von Schülerfirmen erklären Initiativen wie der Businessplan-Wettbewerb "Business@School" der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, der von der Joachim Herz Stiftung und der ZBW – Leibniz Informationszentrum Wirtschaft verantwortete "Young Economic Summit (YES)" oder die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz getragene "Gründungswoche" betriebswirtschaftliches Denken zum Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt von Lehr- und Lernprozessen. Bedenklich sind Projekte dieser Art, weil schon im Kontext der Pisa-Studie 2006 beinahe 90 Prozent der befragten Schulleitungen hierzulande angaben, dass Wirtschaft und Industrie Einfluss auf die Lehrinhalte ausübten.

Hinzu kommt, dass mittels eigens produzierter Unterrichtsmaterialien – zwei Drittel der DAX-Unternehmen stellen eigenes Unterrichtsmaterial her – unternehmerische Interessen direkt in die Klassenzimmer transportiert werden. Hierbei wird vielfach das 1976 im Beutelsbacher Konsens festgeschriebene Überwältigungsverbot ignoriert, das bis heute die Grenze zwischen Aufklärung und Indoktrination markiert, die es für sozialwissenschaftliche Fächer einzuhalten gilt. Dass Lehrkräfte nicht nur der Versuchung erliegen, Unternehmensvertreter:innen einzuladen, sondern auch von den Unternehmen erstellte Materialien zu verwenden, ist aufgrund ihrer Aktualität sowie ansprechenden Gestaltung insbesondere im Vergleich zu veralteten Schulbüchern zwar nachvollziehbar, aber höchst problematisch: Da Kinder und Jugendliche sich den unterrichtlich eingebetteten "Werbeveranstaltungen" aufgrund der Schulpflicht nicht entziehen können, sind Kooperationsprojekte der Art "Schule-Wirtschaft" kritisch zu würdigen. Dies gilt erst recht, wenn man die auf sozialwissenschaftliche Symbiose zielende Komplementarität von politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Bildungsinhalte und -perspektiven einfordert.

Sozialwissenschaftliche Verwobenheit ökonomischer Bildung

Die ökonomistische Wende in der ökonomischen Bildung lässt sich weder fachwissenschaftlich noch fachdidaktisch, schulorganisatorisch oder lernpsychologisch überzeugend begründen. Die von den Befürworter:innen eines Separatfachs "Wirtschaft" vorgetragene Formel "eine Disziplin = eine Perspektive = ein Schulfach" verkennt zunächst das für die Schulorganisation virulente Ressourcenproblem. Angesichts eines durch Stundenzahlen begrenzten Fächerkanons kann ein neues Fach schließlich nur eingeführt werden, wenn andere Fächer gestrichen oder in der Stundentafel gekürzt werden. Zugleich ignoriert die Forderung nach einem Separatfach "Wirtschaft", dass ökonomische Fragen seit jeher integraler Bestandteil der politischen beziehungsweise sozialwissenschaftlichen Bildung sind. Zweifellos ist wirtschaftliches Orientierungswissen für eine mündige Bürger:innenschaft erforderlich, wobei "Wirtschaft" jedoch nicht mit der Mainstream-Ökonomik oder der deutschen Ordnungsökonomik gleichgesetzt werden kann, sondern vielmehr ein Bewusstsein über die unterschiedlichen Paradigmen innerhalb der Wirtschaftswissenschaft vorliegen sollte.

Welchen essenziellen Beitrag Soziologie und Politikwissenschaft für das Verständnis von Wirtschaft leisten, hat der langjährige Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, der Soziologe Wolfgang Streeck, auf den Punkt gebracht: "Wer gesellschaftstheoretische Grundlagenforschung betreibt, findet, sofern er die Regeln der wissenschaftlichen Kunst beachtet, dass eine Marktwirtschaft nicht auf eigenen Füßen stehen kann, sondern in soziale Solidarität und politische Regulierung eingebettet sein muss; dass Märkte nur in Grenzen expandieren können; dass das, wodurch Märkte begrenzt werden müssen, nicht durch Märkte geschaffen werden kann, sondern nur durch ausgleichende, einhegende, sozial rekonstruktive Politik; dass Märkte dies aber nicht wissen können und dass ihre soziale Einbettung und Eingrenzung deshalb Entscheidungen verlangt, die marktförmig nicht zustande kommen können. Eine Sozialwissenschaft, die dies nicht verschweigt, muss freilich in Widerspruch zum Zeitgeist des neuerlich liberalisierten Kapitalismus geraten. Das bedeutet zugleich, dass sie zur Auskunftsinstanz für gesellschaftliche Kräfte wird, die andere Ziele haben als die möglichst weitgehende Kommerzialisierung des sozialen Lebens."

Zweifellos muss der Institution des Marktes in einer zunehmend "vermarktlichten" Gesellschaft eine durchgreifende Prägekraft attestiert werden, aber in allgemeinbildender Absicht lässt er sich eben nur dann sachgerecht erschließen, wenn deutlich wird, dass ökonomisch motivierte Entscheidungen auch maßgeblich von politischen Rahmenbedingungen geprägt, gesteuert oder garantiert werden. Nahezu jede ökonomisch veranlasste Handlung ist an den Ausgleich konfligierender Interessen in einem auf Wettbewerb angelegten System gebunden, das institutionell und regulatorisch kontextualisiert, also ordnungspolitisch gestaltbar ist.

Vermeidung disziplinärer Monokulturen

Dass unser Wirtschaften politisch eingebettet, historisch gewachsen und rechtlich geordnet ist, zeigen die drängenden wirtschaftspolitischen Problemstellungen unserer Zeit: Wenn die Mehrwertsteuer angehoben, die Pendlerpauschale gekürzt oder der Energiemarkt mit einer Gaspreisbremse belegt wird, erklären und deuten wir das Geschehen nicht nur ökonomisch. Dass die Perspektive im Bildungskontext multi- und nicht monodisziplinär sein muss, illustriert auch ein Blick auf die Tatsache, dass ökonomische Bildner:innen Geld vielfach ausschließlich als Mittel der Wertaufbewahrung, -übertragung oder -bemessung thematisieren. Schließlich geht die Bedeutung von Geld für Lernende jedweden Alters weit darüber hinaus; Menschen monetarisierter Gesellschaften erleben und gebrauchen Geld immer auch als Symbol. Neben den ökonomischen hat Geld psychosoziale Funktionen: Es wird als Maßstab für beruflichen Erfolg gewertet, verleiht Ansehen, bedeutet Macht und Einfluss. Während ebenjene Zusammenhänge in einem Separatfach "Wirtschaft" unter den Tisch fallen würden, werden sie in jüngeren Entwicklungssträngen der politischen und sozioökonomischen Bildung hervorgehoben.

Der dem politisch-ökonomischen Lernen immanente sozialwissenschaftlich integrative Zugang lässt sich auch wahrnehmungspsychologisch begründen, indem man darauf verweist, dass wir die Realität als soziale Entität und nicht entlang von Disziplinen wahrnehmen. Obwohl Multiperspektivität disziplinäre Perspektivität voraussetzt, lässt sich die gesellschaftliche, politische und ökonomische Wirklichkeit sachgerecht nicht nur aus einer Perspektive erfassen – jedenfalls dann nicht, wenn man sich dem Anspruch verpflichtet sieht, dass (sozialwissenschaftliche) Bildung auf die Entfaltung politischer wie ökonomischer Komplexität zielt. Demgegenüber löst ein Unterrichtsfach "Wirtschaft" ökonomische Aspekte aus dem sozialwissenschaftlichen Kontext heraus und überlässt die Vernetzung dieser rein additiven "Bildungsbausteine" den Schüler:innen.

Dessen ungeachtet orientiert sich die orthodoxe Wirtschaftsdidaktik zu großen Teilen am neoklassischen Mainstream der Ökonomik, die unter anderem auf der klassischen ökonomischen Verhaltenstheorie des Homo oeconomicus mit stabilen Präferenzen und vollständigen Informationen bei zugleich Eigennutz maximierendem und rationalem Verhalten fußt. "Dementsprechend wird von Vertreter*innen der ökonomistischen Bildung erwartet, dass sich Menschen in Dilemma- und Entscheidungssituationen grundsätzlich angesichts der überall anzutreffenden Knappheit als Nutzenmaximierer*innen effizient verhalten." Aber soll der Homo oeconomicus, der alles Tun und Trachten – von der Aufnahme des Studiums über die Berufswahl bis hin zur Familiengründung – unter den ökonomischen Vorbehalt des "Sich-Rechnen-Müssens" stellt, tatsächlich als Leitbild in Bildungsprozessen fungieren?

Obwohl die ökonomische Verhaltenstheorie nur einen kleinen Strang der Ökonomik repräsentiert und neueren interdisziplinären Forschungsanstrengungen in den international orientierten Wirtschaftswissenschaften zuwiderläuft, ist sie in der deutschsprachigen ökonomischen Bildung ausgesprochen wirkmächtig. Somit kreiert eine monodisziplinäre ökonomische Bildung ein "Paralleluniversum", das die Vielfalt und Kontroversität innerhalb der eigenen Disziplin ausblendet. Wenn Schüler:innen gesellschaftliche Zusammenhänge in einem Unterrichtsfach "Wirtschaft" ausschließlich durch die ökonomische Brille betrachten, verlassen sie die Schule nicht ökonomisch gebildet, sondern ökonomistisch verbildet. Denn wer den Heiratsmarkt oder auch den "Bildungsmarkt" als einen Markt wie jeden anderen ausschließlich ökonomisch analysiert, ignoriert, dass man eine Ehe bestenfalls ebenso wenig nur aus ökonomischen Gründen eingeht, wie man sich allein mit Blick auf seine Verdienstmöglichkeiten bilden sollte.

Während die orthodoxe ökonomische Bildung Individualismus und Rationalität akzentuiert, Menschen also letztlich als singuläre "Opportunitätskostenkalkulationsautomaten" deutet, versteht sozialwissenschaftliche Bildung sie als kulturell geprägte und gesellschaftlich integrierte Akteur:innen, die in vielfältige soziale Beziehungen auf privater, beruflicher und gesellschaftlicher Ebene eingebunden sind, wenn sie ökonomisch denken und handeln. Lehnt man die Auffassung ab, dass die gegenseitige Befruchtung der sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen zur Sterilisation der jeweiligen Einzeldisziplinen führt, gilt es, der Losung "Integration statt Separation" zu folgen. Demnach ist ökonomische Bildung als integraler Bestandteil des gesellschaftswissenschaftlichen Bildungskanons zu begreifen – und somit als sozialwissenschaftliches Verbundfach gemeinsam mit Anliegen der politischen Bildung in den Stundentafeln zu verankern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. KMK, Wirtschaftliche Bildung an allgemeinbildenden Schulen, Bericht der KMK vom 19.10.2001 i.d.F. v. 27.6.2008, S. 7.

  2. Vgl. Volker Nitzschke/Jürgen Langhammer-Jaeschke, Hessen, in: Klaus Rothe (Hrsg.), Unterricht und Didaktik der politischen Bildung in der Bundesrepublik, Wiesbaden 1989, S. 155–175. Interessanterweise kann in der gymnasialen Oberstufe in Hessen auch das Unterrichtsfach "Wirtschaftswissenschaften" belegt werden.

  3. CDU/FDP, Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen, 2017–2022, 26.6.2017, S. 11.

  4. In Berufsfachschulen, Berufskollegs, beruflichen Gymnasien sowie Berufsschulen sind ökonomische Bildungsanliegen seit jeher etabliert. Während ökonomische Bildung in den Voll- und Teilzeitschulen außerhalb des dualen Systems oftmals als "Allgemeine Wirtschaftslehre" verankert ist, wird sie am Wirtschaftsgymnasium für gewöhnlich als Volks- und Betriebswirtschaftslehre unterrichtet.

  5. Zit. nach BÖB, Mehr Chancengerechtigkeit durch Ökonomische Bildung, Pressemitteilung, 27.9.2022.

  6. Vgl. Thomas Retzmann/Günther Seeber, Ökonomische Bildung in der Schule als Politikum – zur Geschichte und Situation einer umstrittenen Selbstverständlichkeit, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2/2022, S. 81–93.

  7. Reinhold Hedtke/Carolin Uppenbrock, Atomisierung der Stundentafeln? Schulfächer und ihre Bezugsdisziplinen in der Sekundarstufe I, Initiative für eine bessere ökonomische Bildung (iböb), Working Paper, Bielefeld 2011, S. 27.

  8. DAI, Memorandum zur ökonomischen Bildung. Ein Ansatz zur Einführung des Schulfaches Ökonomie an allgemeinbildenden Schulen, Frankfurt/M. 1999.

  9. BDA/DGB, Wirtschaft – notwendig für die schulische Allgemeinbildung, Berlin 2000, S. 2.

  10. Reinhold Hedtke, Wirtschaft in die Schule?! Ökonomische Bildung als politisches Projekt, in: Gesellschaft – Wirtschaft – Politik 4/2008, S. 455–461, hier S. 457.

  11. Vgl. Thomas Retzmann et al., Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen. Bildungsstandards, Standards für die Lehrerbildung, Gutachten im Auftrag des Gemeinschaftsausschuss der deutschen gewerblichen Wirtschaft, Berlin 2010, S. 15.

  12. Reinhold Hedtke et al., Für eine bessere ökonomische Bildung! Kurzexpertise zum Gutachten "Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen", Bielefeld 2010, S. 3.

  13. Vgl. Hanno Pahl, Pluralismus unter Beschuss, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2015, S. 105ff.; Vivien Timmler, Pluralität oder Propaganda, in: Süddeutsche Zeitung, 29.10.2015, S. 21. Transparenzhinweis: Tim Engartner war Autor im beanstandeten bpb-Band und Gründungssprecher der GSÖBW (Anm. d. Red).

  14. Vgl. Leora Klapper et al., Financial Literacy Around the World: Insights From the Standard & Poor’s Ratings Services Global Financial Literacy Survey, 2016, Externer Link: http://www.cssf.lu/wp-content/uploads/S_P_Survey.pdf.

  15. Vgl. OECD, OECD/INFE 2020 International Survey of Adult Financial Literacy 2020, Externer Link: http://www.oecd.org/financial/education/launchoftheoecdinfeglobalfinancialliteracysurveyreport.htm.

  16. Vgl. Tim Engartner, Wie DAX-Unternehmen Schule machen. Lehr- und Lernmaterial als Türöffner für Lobbyismus, Otto Brenner Stiftung, OBS-Arbeitsheft 100/2019.

  17. Wolfgang Streeck, Von der gesteuerten Demokratie zum selbststeuernden Kapitalismus, in: WestEnd 1/2009, S. 13–33, hier S. 30.

  18. Christian Fridrich, Transformatorisches Potenzial von Paradigmen ökonomischer Bildung – eine diskursanalytische Annäherung, 2023 (i. E.).

  19. Vgl. ebd.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Christine Engartner, Tim Engartner für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Doktorandin an der Universität Bremen und Lehramtsanwärterin am Studienseminar Köln.
E-Mail Link: christine.engartner@ipw.rwth-aachen.de

ist Professor für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt ökonomische Bildung an der Universität zu Köln.
E-Mail Link: tim.engartner@uni-koeln.de