Eine intersektional angelegte politische Bildung schafft (…) Zugangsmöglichkeiten und Reflexionsräume, die plurale Wege kollektiver Geschichten entstehen lassen. So können gesellschaftliche Narrative kontinuierlich divers gestaltet werden.
Politische Bildung ist im besten Falle in der Lage, Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Das bedeutet, sie sollte dazu beitragen, Personen in ihrer politischen Selbstbildung zu unterstützen, politische Systeme zu erklären und Menschen in die Lage versetzen, politische Spannungen, Herausforderungen und Gewichtungen zu erkennen. Politische Bildung sollte dabei informativ und engagiert sein, um auch den Streitwert zu vermitteln, um den es geht. Das bedeutet, politische Bildung ist involviert und betrachtet nicht nur einen abstrakten Gegenstand. Wenn politische Bildung intersektional – also unter Berücksichtigung sich überschneidender Diskriminierungskategorien – gedacht wird, stehen zudem folgende Fragen im Zentrum: Wie steht es um Beteiligung und Diversität in der Themensetzung von politischer Bildung? Wie können strukturelle Problemlagen der Demokratie verdeutlicht werden? Und wie sind insgesamt mehr politische Teilhabe und Repräsentation von marginalisierten Menschen in der politischen Bildung zu erreichen?
Wenn wir im Folgenden von "intersektionaler politischer Bildung" sprechen, müssen wir vorwegnehmen, dass es so etwas in institutionalisierter Form (noch) nicht gibt; dass aber gleichzeitig viele intersektionale Ansätze für die politische Bildung erprobt, gedacht und ermöglicht werden.
Wenn wir uns der Idee von intersektionaler politischer Bildung annähern und fragen, wie sie in unterschiedlichen Zusammenhängen gefasst wird, so bedarf es zunächst einer grundsätzlichen Verständigung darüber, was mit Intersektionalität gemeint ist: Zum einen geht es darum, wer oder was dazugehört und welche grundlegenden Perspektiven Berücksichtigung finden müssen. Zum anderen geht es aber auch darum, herauszustellen, welche Arten von Diskriminierungen zu berücksichtigen sind und wo sich analytisch Ausschlüsse ergeben. In der intersektionalen politischen Bildung ist zudem zu bedenken, dass neben der politischen Bildung häufig auch Beratung oder politische Vertretung in das Aufgabengebiet einfließt, wie es derzeit einige Organisationen schon anbieten. Zu nennen sind hier beispielsweise das Kompetenzzentrum Prävention und Empowerment, das Center for Intersectional Justice, Les Migras, Eoto oder auch die Anne-Frank-Bildungsstätte und einige andere mehr. All diese Institutionen sprechen Menschen an, die mehrfach marginalisiert sind und eine politische Bildung der Teilhabe und Sichtbarmachung dieser Marginalisierungen verdeutlichen.
Das Feld der intersektionalen politischen Bildung ist offen, dynamisch und mehrdeutig. In diesem Beitrag wollen wir uns deshalb damit beschäftigen, was verschiedene intersektionale Zugänge für die politische Bildung bedeuten. Wir beginnen mit einer Begriffsrekonstruktion und werden anschließend die Relevanz von Ungleichheiten und ungleichen Zugängen zu Bildung und politischer Bildung verdeutlichen. Darauf aufbauend wollen wir diskutieren, welche spezifischen Herausforderungen dies mit sich bringt und zum Schluss festhalten, warum intersektionale politische Bildung verschiedene Ebenen adressieren muss.
Was ist Intersektionalität?
Der Begriff "Intersektionalität" ist in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum angekommen, zunächst hauptsächlich im Bereich der Geschlechterforschung. Innerhalb dieses Forschungsfeldes galt der intersektionale Zugang als Kritik an einer rein weißen und bürgerlichen Perspektive auf Geschlecht und eben auch als Kritik an einem Zugang zu Geschlechterforschung, die eine hierarchische kategoriale Trennung von race, class und gender nutzte. Wichtig für diese frühen deutschsprachigen Auseinandersetzungen um Intersektionalität ist, dass darin zwei unterschiedliche Debattenstränge, deutschsprachige und englischsprachige, aufeinandertrafen, die im Nachhinein als dieselben erscheinen. Tatsächlich sind sie das aber nicht, und an der Kategorie race beziehungsweise "Rasse" zeigt sich das sehr deutlich.
Frühe Debatten in der Bundesrepublik
Besonders in den 1980er Jahren wurde in Deutschland umfänglich über Differenz innerhalb feministischer Kontexte debattiert. Gestritten wurde über die Position, Sichtbarkeit und Anerkennung von Frauen*, die aufgrund verschiedener Merkmale ihre jeweiligen Lebenslagen innerhalb mehrheitsweißer feministischer Debatten und Organisationen diskursiv und praktisch negiert sahen.
Der gesellschaftliche Hintergrund, vor dem diese Perspektiven formuliert wurden, war eine bundesdeutsche Gesellschaft, die Migration als Realität leugnete, obgleich diese Gesellschaft und ihr Wohlstand erst durch die massenhafte Anwerbung und Ausbeutung sogenannter Gastarbeiter hatten entstehen können. Insbesondere vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit mit Shoah, Porajmos,
Die Bundesrepublik ließ sich daher schon in den 1980er Jahren in dreifacher Hinsicht als "post" verstehen: postkolonial, postnationalsozialistisch und postmigrantisch. Die Vorsilbe "post" meint auch in diesem Kontext nicht einfach ein zeitliches danach, sondern markiert die dreifache Wiederholung sowohl einer bestimmten Struktur (Rassenherrschaft oder rassistische Herrschaft) als auch deren erfolgreiche Neutralisierung und Überdeckung im Nachhinein. Seit 1989 ist die Bundesrepublik außerdem postsozialistisch, was eine Herrschaftsform mit eigener Gewaltgeschichte markiert, die aber insofern anders gelagert ist, als die Kategorie der "Rasse" nicht in demselben Ausmaß (wenn auch in derselben globalen Logik) Strukturkategorie sozialistischer Herrschaft war.
Die Debatten der 1980er Jahre griffen also den historisch spezifischen Hintergrund auf und markierten genau diejenigen Positionen, die im offiziellen Narrativ der Bundesrepublik verunsichtbart wurden. Der gesellschaftliche Ort, an denen die Debatten auch theoretisiert wurden, war innerhalb feministischer Kontexte. Dort war es möglich, marginalisierte Perspektiven einzubringen – auch wenn die Auseinandersetzungen, die an weißen bürgerlichen Verständnissen von Feminismus orientiert waren, die Thematisierung von Antisemitismus und Rassismus erschwerten. Die marginalisierten Feminismen verdeutlichten die Notwendigkeit, die Verwobenheit von Ungleichheitsverhältnissen analytisch nachzuvollziehen, um ihnen politisch begegnen zu können. Damit gerieten mehrheitsweiße Feminist*innen in den mehrheitsweißen Frauen*- und Lesbenbewegungen sehr konkret in die Kritik, rassistische und antisemitische Verhältnisse nicht nur nicht zu kritisieren, sondern sie im Gegenteil zu stabilisieren.
Begriffsprägung und Black Feminist Thought in den USA
Auch beim Blick in die USA der 1980er Jahre zeigt sich, dass feministische Debatten in dieser Zeit besonders stark von diversen Positionen aus geführt wurden, was die zeitgenössischen und historischen Bedingungen der US-Gesellschaft widerspiegelte. Zentrale Marker waren und sind hier die koloniale Siedlungsgeschichte und Versklavung sowie ihre verschiedenen langfristigen Effekte. Die Soziologin Patricia Hill Collins entwarf 1990 dafür das Konzept der "Matrix of Domination".
Als die Juristin Kimberlé Crenshaw ein Jahr zuvor den Begriff intersectionality prägte, tat sie das mithilfe der reichen Theoriegeschichte von Black Feminist Thought.
Eine Verengung auf Black Feminist Thought würde hier allerdings zu kurz greifen. Die 1980er Jahre waren auch im angloamerikanischen Raum stark von der Theoriebildung verschiedener marginalisierter Feminismen geprägt, die in einem engen thematischen Austausch standen und insofern bereits vor der kanonischen Begriffsprägung 1989 als Realisierung des intersektionalen Projekts angesehen werden können.
Race, "Rasse" und Weißsein
Ein Kernthema in der komplexen Begriffsgeschichte von Intersektionalität ist die Kategorie race oder "Rasse". Schon bei der Wahl von entweder race als sprachliche Bezugsgröße oder aber "Rasse" werden durchaus miteinander verbundene, aber distinkte historische Bedingungen aufgerufen. Mit der Etablierung des Begriffs "Intersektionalität" für unterschiedliche marginalisierte Feminismen hat die Kategorie race einen unhintergehbaren und deshalb konflikthaften Eingang in deutschsprachige Auseinandersetzungen gefunden. Im Unterschied zu angloamerikanischen Debatten ist im deutschsprachigen Raum vor dem Hintergrund insbesondere der Shoah kein nicht-rassistischer Bezug auf "Rasse" möglich. Race als soziale Situation oder Rassismus und Antisemitismus als Macht- und Herrschaftsinstrumente konnten zwar benannt werden, sie konnten jedoch nicht konzeptuell integriert und schon gar nicht in die Forschungslandschaft aufgenommen werden.
So kritisieren viele Feministinnen und Geschlechterforscher*innen of Color denn auch, dass die Kategorie entleert und in intersektionalen Arbeiten in Deutschland nicht aufgegriffen werde.
Wie verstehen wir Intersektionalität?
Es gibt aber mittlerweile – speziell außerhalb Europas – weitere Verständnisse von Intersektionalität. Anders als Crenshaw, die Intersektionalität vor dem Hintergrund einer gewachsenen Rechtsphilosophie und -praxis versteht und damit auf andere gewachsene Wissenssysteme hinweist, sehen Patricia Hill Collins und Selma Bilge Intersektionalität als gesellschaftliches Strukturproblem.
Im Anschluss an diese Theoretiker*innen verstehen wir eine intersektionale Perspektive als Analyseinstrument gesellschaftlicher Verhältnisse, die durch Kolonialismus und Versklavung hervorgebracht wurden. Insbesondere race und class sind hier über Ausbeutung eng verwoben und weisen noch immer auf Migrations- und Lohnarbeitsverhältnisse hin.
Race, class und gender in Bildungsprozessen
Race, class und gender haben nicht nur große Bedeutung für die Strukturierung von Gesellschaft – das gleiche Gewicht kommt ihnen auch in der politischen Bildung zu. Hierbei lassen sich vier Problemkonstellationen identifizieren: Das ist erstens der Zugang zu politischer Bildung, zweitens die Art, wie Menschen von dieser Bildung angesprochen und als Subjekte ernst genommen werden, drittens die Themensetzung und viertens die personelle Besetzung in der politischen Bildung.
Zugang zu politischer Bildung
Der Zugang zu politischer Bildung wird – einer Studie folgend – als ungleich und hochschwellig beschrieben; er reproduziere soziale Ungleichheit.
Intersektionale Subjekte
Bildungsprozesse und auch jene in der politischen Bildung können als Transformation von Selbst, Welt und anderen Verhältnissen nur stattfinden, wenn Personen sich angesprochen fühlen, wenn sie ihr Selbstverständnis mit den Themen verknüpfen können. Das bedeutet, dass insbesondere Bildungsprozesse eine hohe Eigenmotivation und Identifikation benötigen, um als solche eine Wirkung zu entfalten. Bildung ist, bildungstheoretisch verstanden, eine Veränderung – meist der eigenen Person – in ihrem Bezug zu ihrer Umwelt und zu anderen Menschen.
Intersektionale Themensetzungen
Die Frage der Subjekte korrespondiert mit Fragen der Themensetzung. Themen sind immer Zugangsmöglichkeiten, oder sie verweigern einen Zugang; sie sind eine spezifische Anerkennung von Lebens- und Seinsmöglichkeiten. Gerade, wenn politische Bildung sich der Setzung intersektionaler Themen verweigert, verweigert sie implizit auch die Anerkennung dieser politischen Auseinandersetzungen und die Relevanz für Menschen, die davon betroffen sind. Fragestellungen und Themensetzungen, die der Mainstream als relevant betrachtet, werden von Menschen, die von intersektionalen Machtverhältnissen betroffen sind, teilweise anders wahrgenommen. Festmachen lässt sich das am Thema Rassismus: Wo die Mehrheitsgesellschaft über rassistische Strukturen und Alltäglichkeiten aufgeklärt werden muss, geht es Menschen, die von Rassismus betroffen sind, häufig so, dass sie um diese Strukturen wissen, sie manchmal nur nicht benennen können. Der Ausgangspunkt ist dann unterschiedlich: Wo die einen Aufklärung und eine Art Verlernen brauchen, benötigen die anderen eine Auseinandersetzung, die es ihnen ermöglicht, eine Politik der Anerkennung und Veränderung anzustoßen. Sie leben mit und in diesen Entmenschlichungen und benötigen daher dezidiert andere Strategien.
Personelle Besetzung
Last but not least führt die personelle Besetzung dazu, dass spezifische Themen und Zugänge ermöglicht werden und dass Menschen sich angesprochen fühlen. Aber auch hier verengen sich Möglichkeiten, Ansprachen und Wünsche, welche Menschen politische Bildung mitgestalten und wie diese vermittelt werden. In einem klassischen Verständnis von politischer Bildung geschieht dies noch immer über Seminare und Face-to-face-Interaktionen. Dabei wäre hier eine Öffnung hin zu niedrigschwelligen, divers besetzten multimedialen Formaten möglich und manchmal anzuraten. Sie ermöglichen einerseits einen leichteren Zugang und helfen anderseits bei einer diverseren Personalbesetzung, so der Wille dazu gegeben ist.
Herausforderungen
Ein nach wie vor prägendes Problem für Intersektionalitätsdebatten im deutschsprachigen Raum generell ist die bereits angesprochene Kategorie race. So beruht die Existenz der USA auf dem "erfolgreichen" kolonialen Siedlungsprojekt, der Versklavung Schwarzer Menschen und einer rassifizierten Einwanderungspolitik, die jeweils eigenen kapitalistischen Ausbeutungen folgte. Diese unterschiedlichen Formen der rassistischen Logiken haben Eingang in nationale Selbsterzählungen der weißen Selbsterschaffung und des Wiederaufbaus nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg gefunden.
Dem entgegen gründet die Bundesrepublik nach den nationalsozialistischen Verbrechen auf der Fiktion eines Neuanfangs, der "Stunde Null". Ihre politische Legitimität speist sich also gerade aus der umfänglichen Abgrenzung zur jüngsten Vergangenheit. Allerdings war die Abgrenzung eben nur das und kein radikaler Bruch, wie die persönlichen, politischen und gesetzlichen Kontinuitäten zeigen. "Rasse" und Rassismus in ihrer Kombination mit Klasse wurden diskursiv in eine inkriminierte, nunmehr überwundene Vergangenheit verschoben, verbunden mit dem offiziellen Bekenntnis zum umfänglichen Diskriminierungsverbot in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes. Anstelle einer wirklichen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen von Rassismus und Antisemitismus trat und tritt das Bekenntnis gegen Antisemitismus und Rassismus.
Mit dieser besonderen diskursiven Verkehrung tritt folgendes Paradox auf: Das Bekenntnis gegen Antisemitismus und Rassismus verhindert die Thematisierung von Antisemitismus und Rassismus auch in Zusammenhang mit Klassenverhältnissen. In der Folge können Rassismus und Antisemitismus weiter gedeihen, was mancherorts zu einer liberalen Thematisierung führt, ohne Klasse als spezifisches Moment im Blick zu haben. Die Thematisierung erfolgt, wenn überhaupt, meist aus politischen Bewegungen, Communities und von Betroffenen und lassen sich nur schwer nach außen tragen. Für intersektionale Praktiken bringt das eine Dopplung desselben Paradoxes mit sich: Der Begriff "Intersektionalität" (wie zuvor das Bekenntnis) tritt an die Stelle der noch immer ausbleibenden Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus als strukturelle Größen von Gesellschaft.
Schluss
Wie angemerkt, enthält Intersektionalität auch eine Verteilungsfrage: Wer ist in welchen Räumen mit welchen Zugängen? Die gläserne Decke scheint in deutschsprachigen feministischen Institutionen, den Orten der Debatten, Ressourcen und Zugänge, besonders stabil zu sein. Zwar hat der Begriff erfolgreich in die entsprechenden Räume und Forschungen Einzug gehalten, nicht aber die damit verknüpften Körper. Es sind nach wie vor mehrheitsweiße Räume, in denen Intersektionalität verhandelt wird. Damit sind sie per definitionem keine intersektionalen Räume. Politische Bildung mit intersektionalem Anspruch richtet sich entsprechend nicht nur an ein zu bildendes äußeres Gegenüber. Intersektionale politische Bildung tut vielmehr und insbesondere überall dort Not, wo vermeintlich bereits mit intersektionaler Bildung gearbeitet wird – nur eben in Ignoranz des Umstandes, dass die Räume monokulturell mehrheitsweiß sind.
Verteilung bedeutet in diesem Sinne, ebenso sehr danach zu fragen, welche Leute von den Bildungsangeboten überhaupt profitieren können, wie danach, welches Wissen in den Angeboten vermittelt wird, und wer dies tut. Intersektionalität braucht (nicht nur) in Deutschland einen Prozess der Dekolonisierung. Ein Anfang wäre, von den Kämpfen marginalisierter Feminist*innen und ihren Themensetzungen in den 1980er Jahren auszugehen und ihnen folgend die langausstehende Auseinandersetzung um race in der postkolonialen, postnationalsozialistischen, postmigrantischen und postsozialistischen deutschen Gegenwart zu führen.