"Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? – Wer nicht fragt, bleibt dumm." Mit dieser Zeile aus dem Intro der "Sesamstraße" startete bis 2016 die Eigeninformation des Deutschen Bundestages über parlamentarische Anfragen.
Regierungskontrolle durch Fragen
Regierungskontrolle durch das Parlament meint, die Art und Weise der Staatsführung durch die Regierung für die Bürgerinnen und Bürger transparent, nachvollziehbar und bewertbar zu machen. Dazu gehört insbesondere, die Verantwortlichkeit des Kanzleramts, der Ministerien und der diesen jeweils nachgeordneten Behörden für bestimmte Entscheidungen und Handlungsweisen zu thematisieren.
Verfassungsrechtliche Basis
Für den Bundestag
Konkret kann die Ausübung von Kontrolle natürlich nur durch die Parlamentsmitglieder erfolgen. In dieser Selbstverständlichkeit wurzelt der andere Herleitungsstrang: Abgeordnete müssen, quasi als Vorstufe effektiver Ausübung der Kontrollfunktion durch den Bundestag als Ganzes, ein Recht auf Gespräche nicht nur mit Interessenvertretern von Verbänden, Organisationen oder Unternehmen haben, sondern auch ein Frage- und Informationsrecht gegenüber der Bundesregierung. Dabei kann jeder Abgeordnete selbst entscheiden, welche Informationen er sich auf welche Weise beschafft und ob und in welchem Umfang er Dritte über seine Quellen informiert. Abgestützt wird dies durch die Verfassungsgewährleistung des freien Mandats (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG).
In der Praxis wird die Wahrnehmung der Kontrollfunktion und damit auch die Ausübung des Fragerechts von der Aufteilung des Bundestages in Regierungsmehrheit und Opposition geprägt. Öffentlich beziehungsweise medial sichtbar mit ihrer Kritik und ihren sachlichen und personellen Alternativvorstellungen wird fast immer nur die Parlamentsminderheit, die ihrerseits – vor allem, wenn die Oppositionsfraktionen unterschiedlichen politischen Lagern entstammen – aber auch nicht immer auf einer Linie sein muss. Ungeachtet der Rollenverteilung zwischen Mehrheit und Minderheit beeinflusst jedoch auch die Parlamentsmehrheit das Regierungs- beziehungsweise das Ministerienhandeln, nur eben nicht in offener Debatte, sondern über allerlei interne Kommunikationskanäle und damit stiller und unauffälliger.
Historische Entwicklung
Details zum parlamentarischen Frage- und Informationsrecht, dem "Interpellationsrecht", sind heute in der Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT) festgeschrieben. Dieser Regelungsort hat Tradition.
Nach dem Übergang zur parlamentarischen Demokratie wurde das Interpellationsrecht in der Geschäftsordnung des Weimarer Reichstages und von dort in die Geschäftsordnung des Bundestages übernommen. Mit der Geschäftsordnung von 1951 entfiel dabei der Begriff der "Interpellation", wenngleich der Begriff "Interpellationsrecht" bis heute als übergreifende Beschreibung für die parlamentarischen Fragerechte genutzt wird. Hinzu kam nach dem Vorbild der "Question Time" im englischen Parlament die Fragestunde und damit die Möglichkeit für jeden einzelnen Abgeordneten, die Regierung zu befragen.
Heutige Instrumente und Parlamentspraxis
Derzeit lassen sich in der Geschäftsordnung des Bundestages fünf verschiedene Frageinstrumente finden. "Kleine Anfragen" müssen von einer Fraktion beziehungsweise von fünf Prozent der Abgeordneten unterstützt werden. Es gibt, wenn nicht Fristverlängerung gewährt wird, eine Beantwortungsfrist von 14 Tagen; die Antwort erfolgt schriftlich. "Große Anfragen" haben dieselben Unterstützungsvoraussetzungen, sind thematisch umfangreicher und in der Beantwortung aufwändiger. Die ebenfalls schriftlich zu erteilende Antwort, die häufig erst nach mehreren Monaten vorliegt, wird im Gegensatz zu der Antwort auf eine Kleine Anfrage meist im Plenum debattiert. In der jetzt 75-jährigen Bundestagsgeschichte sind bis Ende Juni 2024 insgesamt 1456 Große Anfragen und 38412 Kleine Anfragen zu verzeichnen.
Beide Anfragetypen kommen ganz überwiegend aus den jeweiligen Oppositionsfraktionen, die damit die Regierung zur öffentlichen Darlegung ihrer Ansichten auf einem großen Politikfeld zwingen, um sie der Kritik und Kontrolle zugänglich zu machen. Es kommt aber auch vor, dass eine Fraktion des Regierungslagers eine solche Anfrage stellt, um einer eigenen Ministerin oder einem eigenen Minister Gelegenheit zu geben, umfassend über ein Vorhaben oder über Erfolge zu berichten. Obwohl sich Große Anfragen zum Agenda-Setting besonders eignen und eindeutig das weitreichendste Instrument im Fragerecht sind,
Neben den Frageinstrumenten der Fraktionen besteht das Recht jedes einzelnen Abgeordneten, für die "Fragestunde",
In der derzeitigen Praxis dominieren Kleine Anfragen und Einzelfragen zur schriftlichen Beantwortung. Die Prominenz dieser Frageformen erklärt sich daraus, dass beide Instrumente den Anforderungen der Abgeordneten am besten entsprechen. Gerade die Schriftform der Antwort bewirkt ihre Eignung als Tätigkeitsnachweis gegenüber der Öffentlichkeit im Wahlkreis genauso wie sie die Chance auf Publicity bietet, wenn das Thema durch die Medien oder von Interessengruppen aufgegriffen wird. Allerdings hat der stark gestiegene Gebrauch dieser Instrumente eine Diskussion darüber bewirkt, ob die gestellten Fragen tatsächlich noch in erster Linie die Funktion eines Kontrollinstruments hätten oder ob sie nur noch "reines politisches Showgeschäft" seien.
Antwortpflicht
Mit dem parlamentarischen Fragerecht korrespondiert eine grundsätzliche Antwortpflicht der Bundesregierung.
Ob die Regierung das Informations- beziehungsweise Kontrollinteresse insgesamt oder bezogen auf einzelne Anfragegegenstände für sachgerecht, sinnvoll oder bedeutsam hält, ist irrelevant. Auch Beweggründe und politische Ziele des fragenden Abgeordneten dürfen keine Rolle spielen, ebenso wenig der Erfüllungsaufwand
Gerade die grundsätzlich bestehende Antwortpflicht verstärkt die kontrollierende Wirkung des Fragerechts. Dessen Wirksamkeit als Kontrollinstrument liegt in der enormen Streubreite der Fragen ebenso wie in ihrer Zufälligkeit und dem aus beidem resultierenden "Drohpotenzial": Es kann praktisch jedes Thema angesprochen werden, ein länger zurückliegendes ebenso wie ein brandaktuelles. Vorkehrungen gegen womöglich "lästige" Fragen sind praktisch kaum zu treffen. Die Ministerialverwaltung muss also bei all ihrem Handeln antizipieren, dass sie zu allem und jedem gefragt werden könnte und dann im Stande sein, eine Antwort zu liefern, die nicht Nachfragen der Fragesteller, negative Presse und gegebenenfalls auch politische oder gerichtliche Folgen nach sich zieht.
Antwortverweigerungsrecht
Grenzenlos ist das parlamentarische Fragerecht nicht. Die Rechtsprechung hat vielmehr eine Reihe von Fallkonstellationen herausgearbeitet, in denen die Regierung ein Informationsverweigerungsrecht besitzt.
Fragen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs
Zunächst ist die Bundesregierung gegenüber dem Parlament nur insoweit zur Antwort verpflichtet, als sich das Informationsbegehren auf Sachverhalte aus ihrem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich einschließlich des Verantwortungsbereichs nachgeordneter Behörden bezieht.
Fragen zu internen Angelegenheiten
Bundestag und Abgeordnete haben die Bundesregierung bei ihren Fragen als eigenständiges Verfassungsorgan zu respektieren. Es gibt daher, das wird wesentlich auf das Gewaltenteilungsprinzip gestützt, einen kontrollfreien Internbereich, in dem die Regierung sicher vor "ausspähender" Kontrolle durch Abgeordnete agieren kann.
Fragen zu staatlichen Geheimnissen
Eine weitere Grenze des parlamentarischen Fragerechts bildet das Staatswohl, also das Wohl des Bundes oder eines Landes, das durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen gefährdet werden kann.
Die Hürde für eine Antwortverweigerung ist also hoch. Eine Gefährdung des Staatswohls bei Auskunfterteilung hat das BVerfG etwa dann angenommen, wenn durch die Auskunft die Identität von sogenannten V-Leuten preisgegeben oder Rückschlüsse auf diese ermöglicht würden oder wenn – was die Bundesregierung plausibel zu machen hätte – durch Detailauskünfte über die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste deren Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden würde.
Soweit zum Schutz staatlicher Geheimnisse Antworten verweigert werden sollen, bedarf es einer gesonderten Begründung. In dieser muss, damit die Regierungskontrollaufgabe nicht unangemessen beschränkt wird, jenseits absolut evidenter Fälle plausibel gemacht werden, dass das Staatswohl durch die Auskunftserteilung wirklich wesentlich beeinträchtigt werden könnte. Als milderes Mittel gegenüber einer völligen Auskunftsverweigerung muss die Regierung etwa eine Teilantwort oder die Beantwortung der Anfrage unter Anwendung der Geheimschutzbestimmungen des Bundestages prüfen, also eine Unterrichtung in vertraulicher Ausschusssitzung ohne Protokollierung oder Einsichtnahme in die Antwort in der Geheimregistratur des Bundestages.
Rechtsmissbrauch und Überkontrolle
Aus den Gesichtspunkten der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Bundesregierung und der im Grundsatz der Organtreue wurzelnden Pflicht des Bundestages zur Rücksichtnahme gegenüber der Bundesregierung ergibt sich schließlich noch eine Missbrauchsgrenze. Es darf nicht zu einem Zustand kommen, in dem die Ministerien aufgrund einer Unzahl von Fragen mit hohem Verwaltungs- beziehungsweise Rechercheaufwand keine Zeit mehr finden, ihrer primären Aufgabe nachzukommen, "ihre" Ministerin oder "ihren" Minister beim Regieren zu unterstützen. Muss Personal eingestellt oder von anderen Regierungsaufgaben abgezogen werden, um alle gestellten Fragen ordnungsmäßig beantworten zu können, ist eine kritische Grenze zur "Überkontrolle" erreicht. Die Beweislast für Fragen ohne legitimes Informationsbedürfnis (etwa in Form monatlicher Serienanfragen) oder Überforderung trifft dabei die Bundesregierung. Auch bei extrem hohem Rechercheaufwand wird die Antwortpflicht allerdings – solange nicht Missbrauch gegeben ist – regelmäßig nicht ganz entfallen. Immer ist zumindest an eine Bitte um Fristverlängerung sowie an Teilantworten zu denken.
Abwägungsnotwendigkeit
Wegen ihrer Grundrechts- und Gesetzesbindung
Weil sowohl der parlamentarische Kontrollanspruch als auch die damit eventuell konfligierenden privaten Rechtsgüter auf der Ebene des Verfassungsrechts angesiedelt sind, muss die Regierung in solchen Fallkonstellationen abwägen und überlegen, ob und wie sie die jeweiligen Belange möglichst zu einem schonenden Ausgleich bringen kann.
Stets muss die Regierung jedoch substantiiert und nicht lediglich formelhaft darlegen, aus welchem Grund ihr die angeforderte Information zum Schutz der Rechte Dritter geheimhaltungsbedürftig erscheint und warum es ihres Erachtens nicht möglich ist, die von ihr bei öffentlicher Information des Fragestellenden angenommenen Verletzungen oder Gefahren für Grundrechte Dritter auf anderem Wege abzuwehren.
Durchsetzung
Zur Durchsetzung des Informationsanspruchs verfügen der Bundestag und seine Mitglieder über verschiedene Möglichkeiten. In politischer Hinsicht kann etwa eine unzureichende Regierungsantwort auf eine Anfrage oder eine Auskunftsverweigerung vor das Plenum und damit die (mediale) Öffentlichkeit gebracht werden. Ferner kann die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses entweder als Sachstands- oder als Missstands-Enquête verlangt werden (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG – für den Antrag ist ein Viertel der Bundestagsmitglieder erforderlich). Noch weiter gehende Kontrollmittel erfordern jedoch Mehrheitsentscheidungen im Plenum, etwa die inhaltliche Verpflichtung der Regierung zu einem bestimmten Handeln durch schlichten Parlamentsbeschluss, durch Parlamentsgesetz oder, als ultima ratio, der Sturz der Regierung (Art. 67 GG).
In rechtlicher Hinsicht steht vor allem das Organstreitverfahren vor dem BVerfG (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) zur Verfügung. Letzteres hat geringe Einleitungshürden: Es kann nicht nur vom Bundestag, also der Parlamentsmehrheit, und von Fraktionen oder Gruppen, sondern auch von jedem einzelnen Abgeordneten eingeleitet werden, eben weil das Fragerecht zu seinen sogenannten Statusrechten aus seinem freien Mandat (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) gehört. Streitigkeiten über die Reichweite des Fragerechts gehören daher seit jeher zum Alltagsgeschäft des BVerfG und der Landesverfassungsgerichte. Auch wenn die Eckpunkte zu Inhalt und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts von diesen Gerichten seit Langem festgezurrt sind, ist die Prognose sicher nicht gewagt, dass es auch zukünftig immer wieder ein beidseitiges Austesten der Grenzen und damit neues Fallmaterial für die Verfassungsgerichte geben wird. Nähmen (oppositionelle) Fraktionen oder Abgeordnete Auskunftsverweigerungen oder -beschränkungen stets klaglos hin, würden sie ihrer Regierungskontrollaufgabe nicht gerecht.