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Parlamentarische Fragerechte | bpb.de

Parlamentarische Fragerechte

Hermann Butzer

/ 15 Minuten zu lesen

In einer Demokratie sind das Parlament und seine Mitglieder damit betraut, das Handeln der Regierung zu kontrollieren. Die Geschäftsordnung des Bundestages räumt zu diesem Zweck das Recht zu Großen und Kleinen Anfragen an die Bundesregierung ein.

"Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? – Wer nicht fragt, bleibt dumm." Mit dieser Zeile aus dem Intro der "Sesamstraße" startete bis 2016 die Eigeninformation des Deutschen Bundestages über parlamentarische Anfragen. Wären Abgeordnete nicht neugierig, wozu das Lied auffordert, und fragten sie nicht, könnte der Bundestag seine wichtige Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, nicht erfüllen.

Regierungskontrolle durch Fragen

Regierungskontrolle durch das Parlament meint, die Art und Weise der Staatsführung durch die Regierung für die Bürgerinnen und Bürger transparent, nachvollziehbar und bewertbar zu machen. Dazu gehört insbesondere, die Verantwortlichkeit des Kanzleramts, der Ministerien und der diesen jeweils nachgeordneten Behörden für bestimmte Entscheidungen und Handlungsweisen zu thematisieren. Erfolgen soll dies nicht nur als nachträgliche Kontrolle, die sich in einer kritischen Beurteilung des bereits abgeschlossenen Regierungshandelns erschöpft. Vielmehr ist, sofern das Parlament die ihm gemeinsam mit der Regierung obliegende Staatsleitungsaufgabe erfüllen will, eine mitwirkende, das Regierungshandeln fortlaufend begleitende gegenwärtige Kontrolle erforderlich.

Verfassungsrechtliche Basis

Für den Bundestag ist die Kontrollaufgabe nicht ausdrücklich im Grundgesetz verankert. Vielmehr taucht der Begriff "Kontrolle" nur im Zusammenhang mit dem Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 6), dem Wehrbeauftragten (Art. 45b) und der Parlamentarischen Kontrollkommission (Art. 45d) auf. Doch wird aus verschiedenen weiteren Einzelbestimmungen (etwa Art. 43 Abs. 1 – Zitierrecht, Art. 44, 45a Abs. 2 Satz 1 – Untersuchungsrecht, Art. 45c – Petitionsüberprüfungsrecht) sowie aus übergeordneten Prinzipien des parlamentarischen Regierungssystems, insbesondere aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 Satz 2) und dem Gewaltenteilungsgrundsatz, eine solche Aufgabe des Bundestages hergeleitet. Besteht eine Aufgabe, muss es auch die Mittel geben, um diese zu erfüllen. Deshalb wird in einem zweiten gedanklichen Schritt das Fragerecht deduziert: Besitze der Bundestag nicht die Möglichkeit, von der Bundesregierung umfassende Information einzufordern, sei weder eine sachverständige Beurteilung der von der Regierung eingebrachten und im Bundestag oder in seinen Ausschüssen und Gremien verhandelten Beratungsgegenstände noch eine Überwachung des sonstigen Regierungshandelns möglich.

Konkret kann die Ausübung von Kontrolle natürlich nur durch die Parlamentsmitglieder erfolgen. In dieser Selbstverständlichkeit wurzelt der andere Herleitungsstrang: Abgeordnete müssen, quasi als Vorstufe effektiver Ausübung der Kontrollfunktion durch den Bundestag als Ganzes, ein Recht auf Gespräche nicht nur mit Interessenvertretern von Verbänden, Organisationen oder Unternehmen haben, sondern auch ein Frage- und Informationsrecht gegenüber der Bundesregierung. Dabei kann jeder Abgeordnete selbst entscheiden, welche Informationen er sich auf welche Weise beschafft und ob und in welchem Umfang er Dritte über seine Quellen informiert. Abgestützt wird dies durch die Verfassungsgewährleistung des freien Mandats (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG).

In der Praxis wird die Wahrnehmung der Kontrollfunktion und damit auch die Ausübung des Fragerechts von der Aufteilung des Bundestages in Regierungsmehrheit und Opposition geprägt. Öffentlich beziehungsweise medial sichtbar mit ihrer Kritik und ihren sachlichen und personellen Alternativvorstellungen wird fast immer nur die Parlamentsminderheit, die ihrerseits – vor allem, wenn die Oppositionsfraktionen unterschiedlichen politischen Lagern entstammen – aber auch nicht immer auf einer Linie sein muss. Ungeachtet der Rollenverteilung zwischen Mehrheit und Minderheit beeinflusst jedoch auch die Parlamentsmehrheit das Regierungs- beziehungsweise das Ministerienhandeln, nur eben nicht in offener Debatte, sondern über allerlei interne Kommunikationskanäle und damit stiller und unauffälliger. Große Bedeutung hierfür besitzen die Fraktionsarbeitsgruppen oder -kreise. Ersichtlich wird das Ausüben von Kontrolle seitens der Regierungsfraktionen etwa am nach dem ehemaligen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) benannten "Struckschen Gesetz" ("Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es eingebracht worden ist"), das man noch erweitern müsste: "Kein Gesetzentwurf kommt (so) in den Bundestag hinein, wenn er von den Regierungsfraktionen (so) nicht gewollt ist."

Historische Entwicklung

Details zum parlamentarischen Frage- und Informationsrecht, dem "Interpellationsrecht", sind heute in der Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT) festgeschrieben. Dieser Regelungsort hat Tradition. Schon in der Geschäftsordnung der Zweiten Kammer des Preußischen Landtages (Preußisches Abgeordnetenhaus) vom 28. März 1849 war in Paragraf 28 festgehalten: "Interpellationen an die Minister müssen bestimmt formuliert und von 30 Mitgliedern unterzeichnet dem Kammer-Präsidenten überreicht werden". Von dort aus fand das Interpellationsrecht 1868 Eingang in die Geschäftsordnung des Reichstages des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichstages. Üblich war eine mündliche Antwort, wobei der Fragesteller "jederzeit erklären" konnte, "daß er sich mit einer schriftlichen Antwort begnüge". Eine Debatte über den materiellen Gegenstand der Interpellation war nicht gestattet. Seit 1912 konnten nach der Beantwortung von Interpellationen auch Anträge gestellt werden, "die dahin gehen, daß der Reichstag sich über die Billigung oder Nichtbilligung des Verhaltens des Reichskanzlers aussprechen möge". Dazu kam es erstmals in der Zabern-Affäre 1913, als rund um Proteste im elsässischen Zabern (französisch Saverne) gegen das deutsche Militär eine innenpolitische Krise erwuchs, nachdem ein deutscher Offizier die einheimische Bevölkerung beschimpft hatte. Allerdings musste Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg damals trotz eines eindrucksvoll deutlichen Misstrauensvotums nicht seinen Hut nehmen, denn laut Artikel 15 der Reichsverfassung von 1871 war er nur vom Vertrauen des Kaisers abhängig.

Nach dem Übergang zur parlamentarischen Demokratie wurde das Interpellationsrecht in der Geschäftsordnung des Weimarer Reichstages und von dort in die Geschäftsordnung des Bundestages übernommen. Mit der Geschäftsordnung von 1951 entfiel dabei der Begriff der "Interpellation", wenngleich der Begriff "Interpellationsrecht" bis heute als übergreifende Beschreibung für die parlamentarischen Fragerechte genutzt wird. Hinzu kam nach dem Vorbild der "Question Time" im englischen Parlament die Fragestunde und damit die Möglichkeit für jeden einzelnen Abgeordneten, die Regierung zu befragen.

Heutige Instrumente und Parlamentspraxis

Derzeit lassen sich in der Geschäftsordnung des Bundestages fünf verschiedene Frageinstrumente finden. "Kleine Anfragen" müssen von einer Fraktion beziehungsweise von fünf Prozent der Abgeordneten unterstützt werden. Es gibt, wenn nicht Fristverlängerung gewährt wird, eine Beantwortungsfrist von 14 Tagen; die Antwort erfolgt schriftlich. "Große Anfragen" haben dieselben Unterstützungsvoraussetzungen, sind thematisch umfangreicher und in der Beantwortung aufwändiger. Die ebenfalls schriftlich zu erteilende Antwort, die häufig erst nach mehreren Monaten vorliegt, wird im Gegensatz zu der Antwort auf eine Kleine Anfrage meist im Plenum debattiert. In der jetzt 75-jährigen Bundestagsgeschichte sind bis Ende Juni 2024 insgesamt 1456 Große Anfragen und 38412 Kleine Anfragen zu verzeichnen.

Beide Anfragetypen kommen ganz überwiegend aus den jeweiligen Oppositionsfraktionen, die damit die Regierung zur öffentlichen Darlegung ihrer Ansichten auf einem großen Politikfeld zwingen, um sie der Kritik und Kontrolle zugänglich zu machen. Es kommt aber auch vor, dass eine Fraktion des Regierungslagers eine solche Anfrage stellt, um einer eigenen Ministerin oder einem eigenen Minister Gelegenheit zu geben, umfassend über ein Vorhaben oder über Erfolge zu berichten. Obwohl sich Große Anfragen zum Agenda-Setting besonders eignen und eindeutig das weitreichendste Instrument im Fragerecht sind, ist ihre Zahl rückläufig. Das liegt an der oftmals langen Beantwortungszeit, die – anders als für Kleine Anfragen – nicht in der GO-BT festgelegt ist. Kurzfristig Auskünfte zu aktuellen Geschehnissen zu erhalten, ist mit Großen Anfragen kaum möglich, sodass das Instrument nur für wichtige politische Grundsatzfragen taugt, die nicht eilig sind.

Neben den Frageinstrumenten der Fraktionen besteht das Recht jedes einzelnen Abgeordneten, für die "Fragestunde", die mittwochs stattfindet, kurz vorher einzureichende Fragen zur mündlichen oder schriftlichen Beantwortung an die Vertreter der Bundesregierung zu stellen. Erlaubt sind pro Sitzungswoche zwei Fragen. Außerhalb der Fragestunde darf jeder Abgeordnete zudem pro Monat vier Fragen zur schriftlichen Beantwortung an die Bundesregierung richten. Die Antworten sind nach Eingang im Bundeskanzleramt innerhalb einer Woche zu erbringen und werden in einer Bundestagsdrucksache veröffentlicht. In jüngerer Zeit sind pro Wahlperiode 3000 bis 5000 Fragen im Kontext von Fragestunden und zuletzt weit über 20000 Fragen zur schriftlichen Beantwortung zusammengekommen. Schließlich kann jeder Abgeordnete im Rahmen der "Regierungsbefragung", die ebenfalls mittwochs vor der Fragestunde stattfindet, Fragen von aktuellem Interesse, vorrangig jedoch zur vorigen Kabinettssitzung, stellen. Hier sind die Eingaben – im Unterschied zur Regelung bei der Fragestunde – nicht vorher einzureichen.

In der derzeitigen Praxis dominieren Kleine Anfragen und Einzelfragen zur schriftlichen Beantwortung. Die Prominenz dieser Frageformen erklärt sich daraus, dass beide Instrumente den Anforderungen der Abgeordneten am besten entsprechen. Gerade die Schriftform der Antwort bewirkt ihre Eignung als Tätigkeitsnachweis gegenüber der Öffentlichkeit im Wahlkreis genauso wie sie die Chance auf Publicity bietet, wenn das Thema durch die Medien oder von Interessengruppen aufgegriffen wird. Allerdings hat der stark gestiegene Gebrauch dieser Instrumente eine Diskussion darüber bewirkt, ob die gestellten Fragen tatsächlich noch in erster Linie die Funktion eines Kontrollinstruments hätten oder ob sie nur noch "reines politisches Showgeschäft" seien. Von Vertretern der Exekutive wird die Zahl der eingehenden Fragen sowie deren Umfang und Detailtiefe vermehrt als "unbewältigbar" eingestuft und vorgeschlagen, bei Kleinen Anfragen die Gesamtzahl ebenso wie die Zahl der Unterfragen zu beschränken.

Antwortpflicht

Mit dem parlamentarischen Fragerecht korrespondiert eine grundsätzliche Antwortpflicht der Bundesregierung. Hier ist die verfassungsrechtliche Herleitung des Fragerechts wichtig, denn aus der GO-BT als Innenrecht des Bundestages ließe sich eine solche Pflicht nicht ableiten. Die Regierung muss den Abgeordneten beziehungsweise dem Bundestag die zur Ausübung der Kontrollaufgabe erforderlichen Informationen verschaffen und zeitnah eine vollständige und zutreffende Antwort geben. Mitzuteilen sind alle Informationen aus allen Regierungsdokumenten, außerdem das persönliche, nicht aktenkundige Wissen handelnder Personen. Da sich der parlamentarische Informationsanspruch wegen der möglichen politischen Bedeutung auch länger zurückliegender Vorgänge auch auf den Verantwortungsbereich früherer Regierungen erstreckt, kann die Bundesregierung im Rahmen des Zumutbaren eine Rekonstruktionspflicht treffen. Eine erschwerte Zugänglichkeit oder Auswertbarkeit von Quellen mag im Einzelfall dazu führen, dass sich die Regierung auf eine Unzumutbarkeit fristgerechter Beantwortung berufen darf, entbindet sie aber nicht von der Antwortpflicht. Zu beantworten sind allerdings nur hinreichend bestimmte, sachlich eingegrenzte oder eingrenzbare Informationsverlangen. Verbleiben nach der Auslegung der Frage Zweifel an deren Inhalt oder ist die Frage mehrdeutig, kann die Regierung bei der Antwort darauf hinweisen, dass sie die Frage in einem bestimmten Sinn versteht oder ihr zurzeit eine Beantwortung nicht möglich ist.

Ob die Regierung das Informations- beziehungsweise Kontrollinteresse insgesamt oder bezogen auf einzelne Anfragegegenstände für sachgerecht, sinnvoll oder bedeutsam hält, ist irrelevant. Auch Beweggründe und politische Ziele des fragenden Abgeordneten dürfen keine Rolle spielen, ebenso wenig der Erfüllungsaufwand oder der Aspekt, ob der Anfragende als "notorischer Fragen-König" bekannt ist. Die Pflicht zur Antwort kann unter Umständen auch "weh tun", etwa wenn es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße durch die Regierung selbst oder ihr nachgeordneter Behörden geht.

Gerade die grundsätzlich bestehende Antwortpflicht verstärkt die kontrollierende Wirkung des Fragerechts. Dessen Wirksamkeit als Kontrollinstrument liegt in der enormen Streubreite der Fragen ebenso wie in ihrer Zufälligkeit und dem aus beidem resultierenden "Drohpotenzial": Es kann praktisch jedes Thema angesprochen werden, ein länger zurückliegendes ebenso wie ein brandaktuelles. Vorkehrungen gegen womöglich "lästige" Fragen sind praktisch kaum zu treffen. Die Ministerialverwaltung muss also bei all ihrem Handeln antizipieren, dass sie zu allem und jedem gefragt werden könnte und dann im Stande sein, eine Antwort zu liefern, die nicht Nachfragen der Fragesteller, negative Presse und gegebenenfalls auch politische oder gerichtliche Folgen nach sich zieht.

Antwortverweigerungsrecht

Grenzenlos ist das parlamentarische Fragerecht nicht. Die Rechtsprechung hat vielmehr eine Reihe von Fallkonstellationen herausgearbeitet, in denen die Regierung ein Informationsverweigerungsrecht besitzt.

Fragen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs

Zunächst ist die Bundesregierung gegenüber dem Parlament nur insoweit zur Antwort verpflichtet, als sich das Informationsbegehren auf Sachverhalte aus ihrem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich einschließlich des Verantwortungsbereichs nachgeordneter Behörden bezieht. Die Bundesregierung muss also entsprechende Einwirkungsrechte innehaben. Zu Länderangelegenheiten etwa braucht sie keine Antworten zu geben; sie darf dies sogar nicht. Geht es dagegen um eine Bundesangelegenheit, gibt es keinen dem Fragerecht entzogenen Bereich. Auskunft muss daher auch gegeben werden zu Tätigkeiten privatrechtlicher Unternehmen im Bundeseigentum (etwa zur Deutschen Bahn AG) oder auch zu Finanzinstituten, an denen der Bund mehrheitlich beteiligt ist oder für die er Subventionen gewährt. Gegebenenfalls ist die Regierung verpflichtet, zur Informationsbeschaffung ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf das privatrechtlich organisierte Unternehmen zu nutzen.

Fragen zu internen Angelegenheiten

Bundestag und Abgeordnete haben die Bundesregierung bei ihren Fragen als eigenständiges Verfassungsorgan zu respektieren. Es gibt daher, das wird wesentlich auf das Gewaltenteilungsprinzip gestützt, einen kontrollfreien Internbereich, in dem die Regierung sicher vor "ausspähender" Kontrolle durch Abgeordnete agieren kann. Zu diesem Internbereich gehören insbesondere alle noch laufenden regierungsinternen Vorgänge, etwa die Meinungs- und Willensbildung zu Gesetzgebungsvorhaben oder Personalia einschließlich aller vorbereitenden Maßnahmen oder Verhandlungen in den Ressorts und im Kabinettsbereich. Würde dies nicht vertraulich bleiben, verlöre die Kabinettssitzung ihren Charakter als Gremium vertraulichen Austausches und Ort der Kompromiss- und Konsensbildung. Auch eine kabinettsinterne Bewertung, die einer öffentlichen Äußerung oder einem Agieren einer Bundesministerin oder eines Bundesministers nachfolgt, ist von den Abgeordneten nicht erfragbar. Die Kontrolle kann erst einsetzen, wenn die regierungsinterne Beratung abgeschlossen ist.

Fragen zu staatlichen Geheimnissen

Eine weitere Grenze des parlamentarischen Fragerechts bildet das Staatswohl, also das Wohl des Bundes oder eines Landes, das durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen gefährdet werden kann. Hier spielt eine Rolle, dass die Antworten der Regierung entweder im Plenum gegeben oder als Bundestagsdrucksache gedruckt werden. Damit ist die jeweilige Information automatisch öffentlich, das Geheimnis kein Geheimnis mehr. Dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zufolge begründen staatliche Geheimnisse aber nicht per se ein Antwortverweigerungsrecht. Einen dem Fragerecht von vornherein verschlossenen Bereich, ein "Arkanum", gebe es nicht, weder im innen- und nachrichtendienstlichen noch im außen- oder verteidigungspolitischen Verantwortungsbereich. Das Staatswohl sei Regierung und Parlament gemeinsam anvertraut. Das Parlament, seine Organe und seine Mitglieder seien deshalb im Verhältnis zur Regierung nicht etwa Außenstehende, sondern säßen mit ihr quasi in ein und demselben Boot.

Die Hürde für eine Antwortverweigerung ist also hoch. Eine Gefährdung des Staatswohls bei Auskunfterteilung hat das BVerfG etwa dann angenommen, wenn durch die Auskunft die Identität von sogenannten V-Leuten preisgegeben oder Rückschlüsse auf diese ermöglicht würden oder wenn – was die Bundesregierung plausibel zu machen hätte – durch Detailauskünfte über die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste deren Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden würde. Dagegen könnten trotz Existenz des Parlamentarischen Kontrollgremiums (vgl. Art. 45d GG) Informationen erfragt werden, welche in genereller Weise die Aufgabenerfüllung und Strukturierung der deutschen Nachrichtendienste betreffen. Auch im Bereich der Rüstungskontrolle soll die Bundesregierung die Beantwortung von Fragen verweigern dürfen, etwa zu im Bundessicherheitsrat noch nicht beschiedenen Genehmigungsanträgen. Und auch nach dessen Entscheidung soll der Informationsanspruch darauf beschränkt sein zu erfahren, ob der Export eines Rüstungsguts an ein bestimmtes Empfängerland genehmigt worden ist und welches Exportvolumen die Genehmigung umfasst. Nicht als Staatswohlbelang geltend gemacht werden kann dem BVerfG zufolge aber etwa der Werterhalt einer staatlichen Unternehmensbeteiligung, da bei Auskunftserteilung möglicherweise ein Kurssturz an der Börse erfolgen könnte, oder der Schutz von Arbeitsmethoden und Vorgehensweisen der Sicherheitsbehörden des Bundes im Hinblick auf ihre künftige Aufgabenerfüllung.

Soweit zum Schutz staatlicher Geheimnisse Antworten verweigert werden sollen, bedarf es einer gesonderten Begründung. In dieser muss, damit die Regierungskontrollaufgabe nicht unangemessen beschränkt wird, jenseits absolut evidenter Fälle plausibel gemacht werden, dass das Staatswohl durch die Auskunftserteilung wirklich wesentlich beeinträchtigt werden könnte. Als milderes Mittel gegenüber einer völligen Auskunftsverweigerung muss die Regierung etwa eine Teilantwort oder die Beantwortung der Anfrage unter Anwendung der Geheimschutzbestimmungen des Bundestages prüfen, also eine Unterrichtung in vertraulicher Ausschusssitzung ohne Protokollierung oder Einsichtnahme in die Antwort in der Geheimregistratur des Bundestages. Wer dann die Information dennoch weitergibt, würde sich wegen Verschwiegenheitsverletzung strafbar machen.

Rechtsmissbrauch und Überkontrolle

Aus den Gesichtspunkten der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Bundesregierung und der im Grundsatz der Organtreue wurzelnden Pflicht des Bundestages zur Rücksichtnahme gegenüber der Bundesregierung ergibt sich schließlich noch eine Missbrauchsgrenze. Es darf nicht zu einem Zustand kommen, in dem die Ministerien aufgrund einer Unzahl von Fragen mit hohem Verwaltungs- beziehungsweise Rechercheaufwand keine Zeit mehr finden, ihrer primären Aufgabe nachzukommen, "ihre" Ministerin oder "ihren" Minister beim Regieren zu unterstützen. Muss Personal eingestellt oder von anderen Regierungsaufgaben abgezogen werden, um alle gestellten Fragen ordnungsmäßig beantworten zu können, ist eine kritische Grenze zur "Überkontrolle" erreicht. Die Beweislast für Fragen ohne legitimes Informationsbedürfnis (etwa in Form monatlicher Serienanfragen) oder Überforderung trifft dabei die Bundesregierung. Auch bei extrem hohem Rechercheaufwand wird die Antwortpflicht allerdings – solange nicht Missbrauch gegeben ist – regelmäßig nicht ganz entfallen. Immer ist zumindest an eine Bitte um Fristverlängerung sowie an Teilantworten zu denken.

Abwägungsnotwendigkeit

Wegen ihrer Grundrechts- und Gesetzesbindung hat die Bundesregierung zu bedenken, ob ihre Antwort Informationen über Bürgerinnen und Bürger mit höchstpersönlichem Charakter offenlegt oder sogar Gefahren für Leib und Leben nach sich ziehen könnte. Ebenso muss sie, dies als Folge des Rechts auf Berufsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen beachten, an deren Nichtverbreitung ein Grundrechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Die bei Antworterteilung mögliche Beeinträchtigung schutzwürdiger Grundrechtsinteressen Dritter muss nicht unmittelbar als Folge der Antwort auf die parlamentarische Anfrage eintreten. Es reicht auch ein von der Antwort ausgelöstes nachfolgendes Gefährdungsverhalten Dritter. So kann etwa eine öffentliche Nennung von Namen oder Orten die Gefahr von Mobbing, Beleidigungen, körperlichen Angriffen oder Sachbeschädigungen hervorrufen.

Weil sowohl der parlamentarische Kontrollanspruch als auch die damit eventuell konfligierenden privaten Rechtsgüter auf der Ebene des Verfassungsrechts angesiedelt sind, muss die Regierung in solchen Fallkonstellationen abwägen und überlegen, ob und wie sie die jeweiligen Belange möglichst zu einem schonenden Ausgleich bringen kann. Die völlige Nichtbeachtung der Rechte Dritter, selbst wenn sie mit ihrem Handeln Anlass zu der parlamentarischen Anfrage gegeben haben, wird hier regelmäßig genauso unzulässig sein wie eine völlige Informationsverweigerung gegenüber dem Fragenden. Kompromisslinien können hier wie schon bei den Staatswohlbelangen darin liegen, die Anfrage in vertraulicher Ausschusssitzung zu beantworten, sonstige Geheimschutzmaßnahmen zu nutzen oder nur eine Teilantwort zu geben.

Stets muss die Regierung jedoch substantiiert und nicht lediglich formelhaft darlegen, aus welchem Grund ihr die angeforderte Information zum Schutz der Rechte Dritter geheimhaltungsbedürftig erscheint und warum es ihres Erachtens nicht möglich ist, die von ihr bei öffentlicher Information des Fragestellenden angenommenen Verletzungen oder Gefahren für Grundrechte Dritter auf anderem Wege abzuwehren. Erläutert werden muss seitens der Regierung auch, warum bestimmte Informationen möglicherweise auch noch Jahre nach Abschluss des betreffenden Vorgangs nicht Gegenstand einer öffentlichen Antwort sein können sollen. Der anfragende Abgeordnete oder die anfragende Fraktion muss aufgrund der regierungsseitigen Begründung beurteilen und entscheiden können, ob die nichtöffentliche Antwort akzeptiert oder ob weitere Schritte unternommen werden sollen, um eine öffentliche Antwort zu erlangen.

Durchsetzung

Zur Durchsetzung des Informationsanspruchs verfügen der Bundestag und seine Mitglieder über verschiedene Möglichkeiten. In politischer Hinsicht kann etwa eine unzureichende Regierungsantwort auf eine Anfrage oder eine Auskunftsverweigerung vor das Plenum und damit die (mediale) Öffentlichkeit gebracht werden. Ferner kann die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses entweder als Sachstands- oder als Missstands-Enquête verlangt werden (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG – für den Antrag ist ein Viertel der Bundestagsmitglieder erforderlich). Noch weiter gehende Kontrollmittel erfordern jedoch Mehrheitsentscheidungen im Plenum, etwa die inhaltliche Verpflichtung der Regierung zu einem bestimmten Handeln durch schlichten Parlamentsbeschluss, durch Parlamentsgesetz oder, als ultima ratio, der Sturz der Regierung (Art. 67 GG).

In rechtlicher Hinsicht steht vor allem das Organstreitverfahren vor dem BVerfG (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) zur Verfügung. Letzteres hat geringe Einleitungshürden: Es kann nicht nur vom Bundestag, also der Parlamentsmehrheit, und von Fraktionen oder Gruppen, sondern auch von jedem einzelnen Abgeordneten eingeleitet werden, eben weil das Fragerecht zu seinen sogenannten Statusrechten aus seinem freien Mandat (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) gehört. Streitigkeiten über die Reichweite des Fragerechts gehören daher seit jeher zum Alltagsgeschäft des BVerfG und der Landesverfassungsgerichte. Auch wenn die Eckpunkte zu Inhalt und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts von diesen Gerichten seit Langem festgezurrt sind, ist die Prognose sicher nicht gewagt, dass es auch zukünftig immer wieder ein beidseitiges Austesten der Grenzen und damit neues Fallmaterial für die Verfassungsgerichte geben wird. Nähmen (oppositionelle) Fraktionen oder Abgeordnete Auskunftsverweigerungen oder -beschränkungen stets klaglos hin, würden sie ihrer Regierungskontrollaufgabe nicht gerecht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Anfrage – ein wichtiges Recht der Parlamentarier (2011), Externer Link: http://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2011/37215383_kw52_instrumente_bundestag-207296.

  2. Näher vgl. Karl-Ulrich Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, Baden-Baden 1982; Walter Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, Baden-Baden 1984, S. 122ff.

  3. Vgl. Hans Hugo Klein, Stellung und Aufgaben des Bundestages, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, Heidelberg 20053, §50 Rn. 33ff.

  4. Anders verhält es sich teilweise in den Ländern. Siehe etwa Art. 7 Satz 2 Verf. Niedersachsen oder Art. 39 Abs. 2 Verf. Sachsen.

  5. Vgl. BVerfGE 67, 100 (130); 146, 1, Rn. 86.

  6. Vgl. BVerfGE 70, 324 (355); 150, 345, Rn. 58.

  7. Vgl. BVerfGE 114, 121 (149f.); Klein (N 3), §50 Rn. 34f.

  8. Näher vgl. Gertrud Witte-Wegmann, Recht und Kontrollfunktion der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen im Deutschen Bundestag, Berlin 1972, S. 14ff.

  9. Eigene Berechnung des Autors pro Wahlperiode (WP) auf der Grundlage von Zahlen bei Franziska Carstensen, Die Nutzung von Großen Anfragen im Bundestag und in den deutschen Landesparlamenten, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 3/2018, S. 477–497, hier S. 482; Statista, Einsatz parlamentarischer Kontrollinstrumente im Deutschen Bundestag von der 16. bis 20. Wahlperiode, Juli 2024, Externer Link: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1225143/umfrage/parlamentarische-kontrolltaetigkeit-im-bundestag; Deutscher Bundestag, Parlamentsdokumentation. Statistik der Parlamentarischen Kontrolltätigkeit – 20. Wahlperiode, 28.6.2024.

  10. Zur Hierarchie der Frageinstrumente vgl. Sven Hölscheidt, Frage und Antwort im Parlament, Rheinbreitbach 1992, S. 71.

  11. Vgl. Hans-Ulrich Geck, Die Fragestunde im Deutschen Bundestag, Berlin 1986, S. 98ff.

  12. Vgl. §105 GO-BT mit Anlage 4 (Teil I. bis III.). Zuletzt: 16. WP: 2703 Fragen; 17. WP: 6057; 18. WP 3119; 19. WP: 5150; bisherige 20. WP (2021-28.6.2024): 2503. Vgl. eigene Berechnung des Autors (Anm. 9).

  13. Vgl. §105 GO-BT mit Anlage 4 (Teil IV.). Zuletzt: 16. WP: 12789 Fragen; 17. WP: 20141; 18. WP: 13012; 19. WP: 25671; bisherige 20. WP (2021-28.6.2024): 17603. Vgl. eigene Berechnung des Autors (Anm. 9).

  14. Die Frage stellt (und verneint) Sven T. Siefken, Parlamentarische Frageverfahren – Symbolpolitik oder wirksames Kontrollinstrument?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 1/2010, S. 18–36.

  15. Vgl. Anna Deutelmoser/Julia Pieper, Das parlamentarische Fragerecht – eine hypertrophe Entwicklung?, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2020, S. 839–845, hier S. 842ff.; auch Siefken (Anm. 14), S. 35f.

  16. BVerfGE 146, 1, Rn. 86.

  17. Hierzu und zum Folgenden vgl. BVerfGE 57, 1 (5); 67, 100 (129); 70, 324 (355); 124, 161 (197); 137, 185, Rn. 124; 147, 50, Rn. 250f. Umfassend vgl. Michael Brenner, Reichweite und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts, Baden-Baden 2009, S. 22ff.

  18. In der Regel wird der Erfüllungsaufwand nicht beziffert. Eine Ausnahme ist LT NRW-Drucks. 16/10351, 30.11.2015, S. 13. Die Landesregierung gab hier in ihrer 629 Seiten starken Antwort auf eine Große Anfrage an, die Beantwortung von 287 Fragen zum "Bürokratie-Wust" in Nordrhein-Westfalen habe rund 350000 Euro gekostet. 5871 Arbeitsstunden seien angefallen.

  19. Hierzu und zum Folgenden vgl. BVerfGE 124, 161 (196); 139, 194, Rn. 107; 147, 50, Rn. 219, 304ff., bes. Rn. 311; 165, 167, Rn. 362. Vgl. VerfGH Nordrhein-Westfalen NVwZ-RR 2009, 41 (44).

  20. Vgl. BVerfGE 124, 161 (188f.); 137, 185, Rn. 137; 146, 1, Rn. 90; 165, 167, Rn. 61.

  21. Vgl. BVerfGE 147, 50, Rn. 246; 165, 167, Rn. 63.

  22. Vgl. BVerfGE 124, 78 (124); 137, 185, Rn. 138ff.; BVerfGE 165, 167, Rn. 68.

  23. BVerfGE 146, 1, Rn. 124.

  24. Vgl. BVerfGE 146, 1, Rn. 122ff.

  25. BVerfGE 137, 185, Rn. 141ff.

  26. BVerfGE 137, 185, Rn. 157.

  27. BVerfGE 147, 50, Rn. 325.

  28. BVerfGE 165, 167, Rn. 77ff.

  29. BVerfGE 147, 50, Rn. 247.

  30. BVerfGE 147, 50, Rn. 233; 165, 167, Rn. 62.

  31. BVerfGE 137, 185, Rn. 153; 147, 50, Rn. 233ff.

  32. Vgl. BVerfGE 124, 78 (123ff.); 137, 185, Rn. 193, 329.

  33. Vgl. hierzu und zum Folgenden BVerfGE 124, 78 (128f.); 124, 161 (193); 146, 1, Rn. 197; 147, 50, Rn. 256, 258; 165, 167, Rn. 73.

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ist Professor für Öffentliches Recht und Sozialrecht an der Leibniz Universität Hannover und seit 2018 Richter des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs.