Eine große Mehrheit in Deutschland ist im Grundsatz für die Energiewende. So gaben jüngst 83 Prozent der Befragten einer repräsentativen Studie zur Akzeptanz der Energiewende an, den Ausbau der erneuerbaren Energien für wichtig zu erachten.
Denn gerade der Ausbau der erneuerbaren Energien stößt trotz der grundsätzlichen Akzeptanz auf vielfache Widerstände vor Ort. Windkraft- und Photovoltaikanlagen im ländlichen Raum sowie der parallel erforderliche Ausbau der Übertragungsnetze werden landesweit durch eine Vielzahl von Bürgerinitiativen bekämpft und vor Gerichten beklagt.
In diesem Beitrag beleuchten wir das postulierte Phänomen eines "Energiewende-Populismus" und seine Bedeutung für die Energiewende im lokalen Raum. Wir sind der Überzeugung: Nur mit einer demokratischen Konfliktkultur werden wir die Energiewende auch in Krisenzeiten voranbringen können. Als Grundlage dienen uns Überlegungen und empirische Befunde, die im Rahmen des von der Stiftung Mercator geförderten Projekts "DEMOKON – eine demokratische Konfliktkultur für die Energiewende" erarbeitet wurden.
Grundmuster und Akteure
Gesellschaftliche Krisenzeiten bereiten dem Populismus den Boden, so die verbreitete These. Tatsächlich wird der Populismus über alle Megatrends gespielt, die grundlegende Veränderungen einfordern. Sie können sich zugespitzt als Krise manifestieren – sei diese objektiv feststellbar oder lediglich subjektiv wahrgenommen. Da der anthropogene Klimawandel eine globale Langfristkrise ist, ist es nicht verwunderlich, dass Populismus auch in der damit verknüpften Energiewende eine Rolle spielt.
Das populistische Narrativ
Die Grundlogik des Populismus bildet das Gerüst für diverse inhaltlich-thematische Füllungen und unterschiedliche politische Ausrichtungen. Sie zeigt sich unserem Verständnis nach sowohl als politische Ideologie als auch als Strategie des Machterwerbs. Entsprechend spiegelt sie sich im Auftreten von Akteuren, in Proklamationen von Bewegungen und Parteien, öffentlichen Diskursen und medialer Darstellung ebenso wie den Haltungen und Handlungen von Bürger:innen wider, abzulesen nicht zuletzt bei Wahlen und auf der Straße. Populismus ist seinem Wesen nach ein dynamisches Phänomen im Wechselspiel zwischen diesen Ebenen und im Aufschaukeln bis hin zur Radikalisierung.
Mindestens ein Fünftel der erwachsenen deutschen Bevölkerung vertritt repräsentativen Meinungsumfragen zufolge derzeit klar populistische Einstellungen, erfasst in ihren zentralen Dimensionen der Elitenkritik, des Antipluralismus und der Forderung nach Volkssouveränität.
Auch weitere Akteure im Feld von Klimawandel und Energiewende bedienen sich einer populistischen Logik. Die 2013 gegründete "Bundesinitiative Vernunftkraft e.V." sieht sich als Dachverband der Antiwindkraftbewegung in Deutschland, in der eigenen Angaben zufolge über 600 Bürgerinitiativen engagiert sind – wobei nicht alle die Fundamentalkritik an der Energiewende teilen, sondern einfache Nimby-Organisationen sind. Ziel ist vor allem der Stopp des Ausbaus von Windkraft, die von "Vernunftkraft" verächtlich als "Zufallsstrom" bezeichnet wird. Die weitere Nutzung von Kohlekraft- und Atomkraftwerken gilt trotz vorgeblicher "Technologieoffenheit" als unerlässlich. Die Energiewende wird als Projekt einer politischen Elite geschildert, die Gesetze nur im Interesse einer rein profitorientierten Windkraftlobby mache und damit die Interessen der Mehrheit des Volkes sowie des Natur- und Landschaftsschutzes verrate.
Das "Europäische Institut für Energie & Klima" (EIKE) operiert in dem Feld als eine Art Thinktank und legt großen Wert auf seine Wissenschaftlichkeit. Von den elf Mitgliedern des Fachbeirats tragen sieben einen Professorentitel, mehrheitlich befinden sie sich im Ruhestand. Die meisten sind keine Klimaexperten, stilisieren sich aber als eine Art Gegen-IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, der Weltklimarat) und organisieren "Kongresse", auf denen sich Klimaskeptiker:innen vernetzen. EIKE leugnet den menschengemachten Klimawandel, lehnt Klimapolitik und die deutsche Energiewende als unsinnig und hysterisch ab und feiert "Vernunftkraft" als einen der "am besten organisierten Verteidiger der Kommunen Deutschlands".
Die inhaltlichen und personellen Verflechtungen zwischen "Vernunftkraft", EIKE und AfD sind erheblich. So nutzt die AfD ihre parlamentarischen Ressourcen auf Bundes- und Landesebene, um "Wissenschaftlern" von EIKE eine Plattform zu geben, umgekehrt kandidieren Personen aus diesen klimawandel- und energiewendeskeptischen Organisationen für die Partei.
Energiewende-Populismus
Die Positionen dieser und weiterer Akteure finden nicht nur Eingang in den energiepolitischen Diskurs, sondern auch in jenen der breiten Bevölkerung. Es zeichnet sich – so die dem DEMOKON-Projekt zugrunde liegende These – das Risiko eines Energiewende-Populismus ab, der sich der populistischen Grundlogik bedient, diese durch klima- und energiebezogene Inhalte füllt und darüber hinaus einige spezifische Dimensionen und Aspekte aufweist (Abbildung).
Klimaschutz sei demnach das Projekt einer korrupten politischen Elite, die ohne Mandat und gegen die Interessen der Mehrheit die Energiewende von oben durchsetze und dem Volk die Mehrkosten dafür aufbürde – in Gestalt von Ökostrom-Umlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), Landschaftszerstörung durch Windkraftanlagen oder Belastungen durch Lärm und Ultraschall. Zu dieser Elite zählten neben der Bundesregierung "willfährige" Landesregierungen, Energieagenturen und Genehmigungsbehörden. Diese verträten die Interessen einer gesellschaftlichen Minderheit, die aus einer vermeintlichen Klimahysterie heraus die bewährte Energieversorgung infrage stelle und damit den Wohlstand des Landes gefährde. Ihr Kern werde von profitgierigen Windanlagenbauern und einer gut verdienenden, urban-kosmopolitischen links-grünen Minderheit gebildet, die sich, anders als die Mehrheit, die Energiewende leisten könne, sich öffentlich als ökologische Gutmenschen geriere, insgeheim aber einen CO2-intensiven Lebensstil pflege. Die moralische Mehrheit, der von dieser Minderheit Klimaneutralität anempfohlen werde, setze sich aus den hart arbeitenden "normalen" Menschen zusammen, die – insbesondere auf dem Land – mit hohen Energiekosten leben müssten, und deren heimatliche Landschaft dem "Windwahn" geopfert werde.
In Wirklichkeit wird der Klimawandel jedoch von der Mehrheit der Bürger:innen in Deutschland als menschengemachte Bedrohung eingeschätzt, nicht nur von jenen, die sich politisch im linken Spektrum verorten.
Im Rahmen einer im DEMOKON-Projekt realisierten Bevölkerungsbefragung unter 2013 Bürger:innen haben wir nun erstmals in größerem Umfang energiebezogen-populistische Aussagen angelehnt an verbreitete Skalen zur Erfassung populistischer Einstellungen operationalisiert. Begleitend wurden qualitative Fokusgruppen- und Einzelinterviews geführt sowie lokale Akteure und Diskurse analysiert. Im Ergebnis zeichnet sich tatsächlich das Muster eines spezifischen Energiewende-Populismus ab. In der differenzierten Analyse werden hinter den energiebezogenen Einstellungen fünf Dimensionen erkennbar:
Wie beim allgemeinen Populismus tritt die Erzählung eines von korrupten Eliten betrogenen Volkes klar hervor: In diesem Fall müsse es die Zeche für die Energiewende zahlen. Diese Erzählung ist begleitet von verschwörungsmythischen Argumenten gegen Politik, Medien und Wissenschaft, die sich unter anderem in der Vermutung zeigen, am Windkraftanlagenausbau wollten sich Unternehmer:innen und Politiker:innen bereichern, Medien und Politik steckten bei der Energiewende unter einer Decke, und Studien zum Klimawandel seien gefälscht.
Auch die antiplurale Dimension des Populismus tritt hervor, beispielsweise in der Behauptung, das "einfache Volk sei gegen die Energiewende", "sogenannte Klimaschützer" seien "weltfremde Gutmenschen".
Damit verknüpft, aber als eigenständige Dimension erkennbar, steht ein Ausspielen von Naturschutz gegen Klimaschutz mit nostalgisch-bewahrenden Untertönen in Bezug auf eine vermeintlich "bewährte Energieversorgung" und einen "wahren Naturschutz", der Windkraft quasi grundsätzlich ausschließe.
Umgekehrt findet sich als weitere Dimension auch ein Pro-Klimaschutz und Pro-Energiewende-Populismus, der ähnlich rigoros, vereinfachend, emotional und ohne Zweifel gedacht und kommuniziert wird. Hier wird beispielsweise der Verdacht geäußert, die Energiewende werde "von den Eliten systematisch ausgebremst". Es wird die Forderung aufgestellt, dem Klimaschutz müssten alle anderen Belange einschließlich demokratischer Spielregeln (notfalls) geopfert werden.
Als weitere Dimension bildet sich ein abwägend-überlegter Zugang zur Energiewende ab, der diese als kompliziert begreift und bei der Planung von Energiewendemaßnahmen ein Abwägen verschiedener Interessen für sinnvoll erachtet. Menschen, die dieses Einstellungsmuster zeigen, sind weder für den Pro- noch für den Kontra-Energiewende-Populismus anfällig.
Lokale Effekte
Nicht jeder Protest gegen Windkraftanlagen oder Stromtrassen ist per se populistisch. Die Motivlagen der Menschen, die dagegen auf die Straße gehen, Petitionen unterschreiben oder sogar zu klagen bereit sind, sind vielfältig: Den einen geht es um Naturschutz, den anderen um das Landschaftsbild, wieder anderen um die menschliche Gesundheit, den Wald vor Ort, den Wert des eigenen Grundstücks, die als ungerecht wahrgenommenen Grundrenten oder noch etwas anderes.
Beispielhaft lässt sich dies in einer Verlautbarung der Freien Friedländer Wiese, einer Bürgerinitiative in Vorpommern von 2020 ablesen: "Wir stellen mit großer Enttäuschung fest, dass sich die Regierungsparteien, Grüne und Linke sowie ein Großteil der Einwohner der Städte von der im ländlichen Raum lebenden Bevölkerung entsolidarisiert hat (…). Wir empfinden es als zynisch, wenn Ministerpräsidentin Manuela Schwesig meint, Geldzahlungen an Betroffene wären eine angemessene Maßnahme zur Herstellung von Akzeptanz. (…) Vor diesem Hintergrund erklären wir, dass wir die Fortsetzung der Energiewende in Form eines massiven Windkraftausbaus ablehnen. Weder wollen wir Windkraftanlagen im eigenen Lebensumfeld, noch wollen wir sie anderen Menschen zumuten oder in den letzten unzerschnittenen Räumen aufstellen. (…) Es gibt in der Landbevölkerung, sieht man von wenigen Profiteuren ab, keine Akzeptanz für diese Energiewende mehr!"
Der Energiewende-Populismus wird dabei über zwei Mechanismen lokal wirksam: Zum einen nehmen die – oft langjährigen – Gegner:innen von sich aus Kontakt zu populistischen Akteuren auf und übernehmen deren Argumente. Dies kann bisweilen auch in strategischer Absicht geschehen, um durch einen (laut)stärkeren Bündnispartner auf sich aufmerksam zu machen. Zum anderen suchen populistische Akteure die Nähe zu lokalen Protestorganisationen und dienen ihnen ihre Deutungsmuster und Ressourcen an. Die AfD agiert hier bisweilen recht geschickt, indem sie die Vorbehalte einzelner Mitglieder von Bürgerinitiativen gegen sie einkalkuliert und eine Art Deal vorschlägt: Geboten wird eine Plattform für die eigenen Anliegen – zum Beispiel im Rahmen einer organisierten Anhörung zu Windkraft im Deutschen Bundestag –, als Gegenleistung wird sich mit Distanzierungserklärungen gegenüber der Partei zurückgehalten. Wird das populistische Narrativ übernommen, kommt es im Kern zu vier Effekten:
Fundamentalisierung der Protestinhalte: Es geht dann nicht mehr nur gegen eine bestimmte Windkraftanlage, es geht gegen die Energiewende überhaupt.
Radikalisierung der Protestformen: Aus Gegnern werden Feinde, die bösartig und unvernünftig sind; mit Gegnern kann man diskutieren, Feinde muss man bekämpfen.
Vereinnahmung und Einschüchterung der "schweigenden Mehrheit": Wer die Energiewende und ein konkretes Projekt an sich gut findet, aber sich bisher nicht aktiv dafür engagiert, wird durch die Radikalisierung des Protests tendenziell davor abgeschreckt, sich positiv zu äußern. Gerade in ländlichen Regionen, wo man sich eher kennt und aufeinander angewiesen ist, könnte daraus zur Konfliktvermeidung die Maxime "eher nichts sagen" folgen.
Delegitimierung staatlicher Institutionen und Diffamierung öffentlicher Akteure: Staatliche Stellen, die im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben abwägen müssen und Planungen vorantreiben, werden als Vertreter der korrupten Eliten diffamiert, die mit dem Projekt Energiewende "gegen das Volk" arbeiteten.
Klimapolitik demokratisch weiterdenken
Nicht nur der Umgang mit einer "Tyrannei der Mehrheit" (Alexis de Tocqueville) ist für die Demokratie herausfordernd, sondern auch jener mit einer Tyrannei lauter, populistischer Minderheiten, insbesondere dann, wenn sie im Umfeld einer oft schweigenden Mehrheit operiert. Populismus wird dabei sowohl als "Totengräber" als auch als "Korrektiv" für Demokratie gehandelt.
Die Mehrheit der Protestgruppen gegen Energiewende-Projekte ist nicht grundsätzlich gegen die Energiewende eingestellt, viele kämpfen sogar für eine andere, zum Beispiel dezentralere Energiewende.
Das populistische Narrativ einer alternativlosen Energiewende von oben – noch dazu als links-grünes Projekt – ist eine Erfindung. Sie verdeckt, dass um die Energiewende und ihre Ausgestaltung gerungen wird, dabei nicht alle Lobbyinteressen gleichermaßen machtvoll und auf das Allgemeinwohl ausgerichtet sind und sich zudem viele Bürger:innen am Ausbau der Erneuerbaren aktiv beteiligen. Nicht selten kleidet sich die berechtigte Frage nach der Verteilung von Lasten in einen psychologisch bequemen Zweifel an der Sicherheit der Klimawissenschaft. Die Parole "Listen to the science", wie von "Fridays for Future" gefordert, führt hier nicht viel weiter. Kein noch so großer klimawissenschaftlicher Konsens kann die mit der Energiewende verbundenen sozialen Fragen lösen. Der reine Rekurs auf Fakten, so wichtig sie sind, würde Politik durch Expertokratie ersetzen; auch Fakten können tyrannisch wirken, wenn sie nicht nur informieren, sondern den demokratischen Willensbildungsprozess ersetzen.
Die dringend notwendige Kraftanstrengung hin zu einer sowohl natur- als auch umwelt- und klimaschonenden Energieversorgung bedarf vielmehr des transdisziplinär – also auch sozialwissenschaftlich – informierten politischen Diskurses, der mit Blick auf die realen Probleme eines Übergangs zu einer klimaneutralen Gesellschaft eine breite gesellschaftliche Debatte über die Wege dorthin lostritt. Es braucht dafür eine demokratischere Konfliktkultur um die Energiewende, geleitet von der "kooperativen Suche" nach Lösungen, und zwar nicht nur aus einer Grundüberzeugung heraus, sondern weil sie alle betrifft und nur funktionieren wird, wenn sie von möglichst allen getragen wird. Über die Energiewende muss mehr gestritten werden, denn wir legen damit nicht nur eine beliebige technische Infrastruktur fest, sondern prägen auch unsere Naturverhältnisse, Kostenstrukturen, wirtschaftliche Chancenverteilungen und vieles andere mehr. Sie braucht mehr Transparenz über Entscheidungsprozesse und die dahinterstehenden Wertentscheidungen – und damit verknüpft auch über die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen (Neben-)Folgen etwa einer CO2-Abgabe oder der Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien.
Insbesondere die Lokalpolitik, die zunehmend (populistischen) Anfeindungen ausgesetzt ist, muss besser unterstützt werden. Dazu gehört auch, Transparenz über Konfliktakteure herzustellen und deren Strategien einzuordnen, ebenso wie für den Blick über das eigene kleine Wohl hinaus zu werben. Zugleich braucht es Differenzierung: Ausgemacht populistische Akteure mit antidemokratischer Agenda gilt es zu dechiffrieren und explizit auszuladen, wobei es wichtig ist, dies klar zu begründen. Jene, die sich populistischer Logik bedienen, um konkrete Vorhaben aus persönlicher Motivlage heraus zu verhindern, brauchen ein Gesprächsangebot. Die leise und oft schweigende Mehrheit, die die Energiewende mal motiviert, mal zähneknirschend mitmacht, braucht mehr Aufmerksamkeit und Umwerbung, auch dezentrale Diskursräume, in denen das überall im Land angewachsene Halbwissen zu Klima- und Energiethemen seinen Ort und Einordnung findet. Und es braucht die finanzielle Beteiligung der Kommunen auf dem Land, die mit Bevölkerungsschwund und Infrastrukturproblemen kämpfen.
Es gilt, Beschleunigung und Beteiligung zusammenzudenken, nicht zuletzt auch zur Beförderung von Demokratie.