Die gesellschaftliche Lage in Deutschland ist seit Jahren von Krisen geprägt. Unterbrochen von einigen Ruhephasen folgten mehrere Krisen aufeinander: Ab 2008 stand die Welt unter dem Eindruck des Zusammenbruchs von Lehman Brothers und der nachfolgenden Finanzkrise. Es folgten die Probleme rund um die griechischen Staatsschulden, die in die Eurokrise übergingen (2010–2013). Das medial allgegenwärtige Krisennarrativ wurde nach einer kurzen Ruhephase um die sogenannte Flüchtlingskrise ergänzt, in der das Unwort des Jahres 2014 von der "Lügenpresse" wieder auflebte. Parallel zur Debatte um die angebliche (Vertrauens-)Krise der Medien diskutierte die Öffentlichkeit – unter dem Eindruck des Brexit, Donald Trumps Präsidentschaft in den USA und der Wahlerfolge populistischer Parteien in Europa – auch über den Zustand der Demokratie auf dem Globus. Im Februar 2020 folgte mit der Corona-Pandemie die nächste gesellschaftliche Erschütterung. Als die Pandemie abklang, kündigte sich eine weitere Großkrise an: der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022, gefolgt von einer Energiekrise in Europa und weltweiter Inflation.
Für die Bürgerinnen und Bürger bedeuteten die vergangenen Jahre vor allem eines: andauernde Unsicherheit. Üblicherweise geht mit Unsicherheit ein erhöhtes Informationsbedürfnis einher.
Eine herausragende Rolle bei der Informationsversorgung spielt in der deutschen Medienlandschaft der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Er verfügte über Jahrzehnte, aller Kritik zum Trotz, über eine hohe Reputation und ein positives Image.
Vertrauen in Medien und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Vertrauen in Medien wird als Beziehung zwischen zwei Interaktionspartnern verstanden: den Medien auf der einen Seite und den Nutzerinnen und Nutzern auf der anderen Seite. Das kann sich ganz allgemein auf "die Medien" beziehen; damit ist das System der medialen Informationsvermittlung als Ganzes gemeint, also die Nachrichtenmedien im Allgemeinen. Das Vertrauen bezieht sich hier auf die Medien als gesellschaftliche Institution. Medienvertrauen kann aber auch spezifischer sein und sich auf Mediengattungen beziehen, also den öffentlich-rechtlichen oder privaten Rundfunk, überregionale oder lokale Tageszeitungen oder auch reine Onlineangebote. Vertrauensobjekt ist dann eine spezifische Gruppe von Medienangeboten, die aufgrund der Zugehörigkeit zur selben Mediengattung als zusammengehörig betrachtet werden.
In diesem Beitrag steht vor allem das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Fokus. Dieser hat in Deutschland die Aufgabe, vielfältige journalistische Angebote in einem Umfang bereitzustellen, den andere Anbieter nicht gewährleisten können. Er hat einen Informations- und Bildungsauftrag.
Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen
Die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen wird am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und am Institut für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchgeführt. Eine erste Pilotstudie fand 2008 statt, seit 2015 gab es jedes Jahr im Herbst/Winter eine Befragungsstudie zum Medienvertrauen. Im Jahr 2021 setzte die Datenerhebung einmalig aus. Die Studie ist wissenschaftlich unabhängig und wird seit der aktuellen Welle (2022) von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt. Die Unterstützung dient dazu, die Kosten des Umfrage-Dienstleisters zu tragen. Konzeption und Auswertung der Studie liegen in Händen der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Untersucht werden die Entwicklung, Ursachen und Folgen von Medienvertrauen.
Für die Befragungswelle 2022 wurden im Dezember bundesweit 1200 Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren in einer repräsentativen Telefonumfrage (CATI) durch das Meinungsforschungsinstitut Kantar befragt – ein kleiner Teil der Stichprobe wurde nach dem Jahreswechsel ergänzt (103 Interviews). Bei einer Sicherheitswahrscheinlichkeit von 95 Prozent beträgt die statistische Fehlertoleranz maximal 3 Prozentpunkte. Anlässlich der oben umrissenen Debatten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fragten wir in dieser Welle erstmals gezielt nach diesbezüglichen Einstellungen der Menschen.
Medienvertrauen in Krisenzeiten
Ganz allgemein gesprochen, gibt (und gab) es entgegen vielen mehr oder minder populären Mutmaßungen in Deutschland keine generelle Krise des Medienvertrauens. Im internationalen Vergleich rangiert das Vertrauen der Deutschen in ihre Medien nach wie vor auf einem hohen Niveau.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Krisenzeiten
Das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist trotz der jüngsten Diskussionen und Skandale hoch. Er rangiert im Ranking der vertrauenswürdigsten Mediengattungen nach wie vor auf Platz eins. Das Vertrauen ist 2022 gegenüber den Vorjahren jedoch zurückgegangen – ein Rückgang, der sich bei anderen Mediengattungen nicht gleichermaßen nachzeichnen lässt. Noch immer liegt der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor den Lokalzeitungen sowie den überregionalen Zeitungen, der Abstand ist allerdings geringer geworden.
Da sich ansonsten keine deutlichen Verschiebungen beim Vertrauen in bestimmte Mediengattungen zeigen, lässt sich der Rückgang beim Vertrauen in das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Jahr 2022 vorsichtig als Reaktion auf die jüngsten Skandale und Reformdebatten deuten, die ein erheblicher Teil der Bevölkerung wahrgenommen hat. Konkret nach den "jüngsten Problemen und Skandalen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, beispielsweise um die rbb-Intendantin Schlesinger" gefragt, gab eine knappe Mehrheit (51 Prozent) an, sie hätte "viel" oder "sehr viel" von den Problemen und Skandalen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mitbekommen. Nur 14 Prozent sagten, sie hätten davon gar nichts mitbekommen, und 33 Prozent antworteten "nicht viel" (2 Prozent "weiß nicht").
Viele Bürgerinnen und Bürger artikulieren auf unsere Fragen hin Reformbedarf: 40 Prozent stimmten der Aussage zu, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu aufgebläht und bürokratisch. Ähnliche Zustimmungswerte erreichten die Aussagen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk verschwenderisch mit den Rundfunkbeiträgen umgehe (38 Prozent) und dass er zu eng mit der Politik verflochten sei (37 Prozent). 30 Prozent der Befragten waren "eher" oder "voll und ganz" der Ansicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk streng genug kontrolliert werde, 40 Prozent wiederum meinten, dass er die Vielfalt der Meinungen in der Gesellschaft angemessen darstelle. Trotz solcher Kritik äußert eine große Mehrheit im Grundsatz Rückhalt: 72 Prozent stimmten der Aussage zu, dass die Informationsangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wichtig seien. 62 Prozent stimmten der Aussage zu, der öffentlich-rechtliche Rundfunk leiste einen wichtigen Beitrag zur Demokratie. 54 Prozent waren mit den Informationsangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zufrieden. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass eine Mehrheit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Institution im Prinzip gutheißt und bewahren will, seine konkreten Strukturen und Profile allerdings auf mehr oder weniger starke Kritik stoßen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Wahrnehmung der Skandale die Bewertung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beeinflusst. Dazu stellen wir Personen, die angaben, von den Skandalen viel oder sehr viel mitbekommen zu haben, diejenigen Menschen gegenüber, die von sich sagten, nicht viel oder gar nichts von den Skandalen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mitbekommen zu haben (Tabelle 1). Die Rückmeldungen beider Gruppen unterscheiden sich zum Teil sehr deutlich: Während diejenigen, die viel von den Skandalen mitbekommen haben, zu 52 Prozent angaben, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu aufgebläht und bürokratisch, wurde dieser Kritikpunkt von nur 28 Prozent derjenigen geäußert, die wenig oder nichts von den Skandalen wussten. Bei der Zustimmung zur Aussage, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu eng mit der Politik verflochten, unterschieden sich die beiden Gruppen jedoch kaum (38 vs. 35 Prozent). Generell gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung der Skandale und der Einstellung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk – in vielen Punkten äußerten gerade diejenigen, die die Skandale medial nachverfolgt haben, sogar eher positive Urteile.
Um zu überprüfen, in welchen Fällen die Wahrnehmung der Skandale die Bewertung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überzufällig und signifikant beeinflusst, haben wir zur statistischen Absicherung multivariate Regressionsanalysen gerechnet. Die jeweilige Bewertungsdimension (zum Beispiel "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zu aufgebläht und bürokratisch") ging dabei jeweils als abhängige, also zu erklärende Variable in die Berechnung ein. Die Frage, ob die Menschen viel oder wenig/nichts von den Skandalen mitbekommen hatten, wurde als unabhängige Variable, also als Erklärvariable, in die Analyse aufgenommen. Als Kontrollvariablen wurden die Nutzungshäufigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sowie Alter, Bildung und Geschlecht einbezogen. Auf diese Weise ließ sich bei zwei der Bewertungsdimensionen in der multivariaten Kontrolle ein statistisch signifikanter Zusammenhang finden – und zwar bei den Aussagen "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zu aufgebläht und bürokratisch" und "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird streng genug kontrolliert": Diejenigen, die mehr von den Skandalen mitbekommen hatten, bewerteten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinsichtlich der Einschätzung als "aufgebläht und bürokratisch" schlechter und bezüglich der Frage, ob er streng genug kontrolliert würde, besser. Tatsächlich ist es nicht ganz trivial, aus den zum Teil nur geringen Prozentwertunterschieden größere Unterschiede in den Wahrnehmungen des Publikums herauszulesen. Auch gilt es jeweils die multivariate Betrachtung zu berücksichtigen. Und schließlich treffen die verwendeten Statements inhaltlich sehr unterschiedliche Aussagen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: So sind vor allem die nicht signifikanten Aussagen eher genereller Natur und haben weniger mit der Wahrnehmung der konkreten Skandale zu tun. Aus den durchaus komplexen Anforderungen bei der Interpretation dieser Befunde folgt sicherlich weiterer Forschungsbedarf.
Abschließend dürfte besonders die Frage von Interesse sein, welche Faktoren generell zu einer größeren Vertrauenszuschreibung an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beitragen. Auch hier bietet sich eine multivariate Betrachtung im Rahmen einer Regressionsanalyse an: Auf diese Weise soll der Einfluss verschiedener möglicher Erklärungen auf das Entstehen eines hohen beziehungsweise niedrigen Vertrauens in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemeinsam betrachtet werden. Die Vertrauenswürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war somit die abhängige Variable, unabhängige Variablen waren die Frage, wie viel die Menschen von den Skandalen mitbekommen haben, die Nutzungshäufigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sowie Alter, Geschlecht und Bildung. Die größte Erklärungskraft geht dabei von der Nutzung aus:
Fazit
In Krisenzeiten müssen sich die Menschen ganz besonders auf die Medien verlassen können. In Deutschland tun die Bürgerinnen und Bürger das auch zu einem großen Anteil – sowohl in ruhigeren Phasen, als auch in Hochphasen von Krisen haben sie das Gefühl, sich auf die Informationen aus den Medien verlassen zu können. Es hat sich jedoch über die Jahre ein harter und nicht zu vernachlässigender Kern an eindeutig misstrauischen Bürgerinnen und Bürgern verfestigt.
Eine besondere Rolle spielt in der deutschen Medienlandschaft der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Er genießt eine prinzipiell hohe Reputation und ein positives Image. Ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger findet ihn vertrauenswürdig und weiß seine besondere Informations- und Orientierungsfunktion in unserer Gesellschaft zu schätzen. Ein leichter Vertrauensrückgang im Jahr 2022 weist den Daten der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen zufolge zwar darauf hin, dass die Skandale im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht spurlos an diesem vorübergegangen sind. Einen wirklichen Vertrauenseinbruch gab es aber nicht – und die Wahrnehmung der Skandale beeinflusste die Bewertung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur zum Teil, etwa hinsichtlich der konkreten Kritikpunkte einer zu großen Bürokratie und fehlender Kontrolle, jedoch nicht im Hinblick auf seine grundlegende Legitimität oder Vertrauenswürdigkeit. Einen wesentlich größeren Einfluss auf die Bewertung und auf die Vertrauenseinschätzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben die Nutzungserfahrungen der Menschen. Jedoch gehört gerade bei den jüngeren Menschen der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mehr standardmäßig zum Medienrepertoire.