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Zu teuer, zu abhängig, zu irrelevant? | Öffentlich-rechtlicher Rundfunk | bpb.de

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk Editorial Vom Monopol zu komplizierter Konkurrenz. 75 Jahre öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Deutschland Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zwischen Recht und Politik Zu teuer, zu abhängig, zu irrelevant? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in internationaler Perspektive What next, Auntie Beeb? Die BBC vor ungewisser Zukunft "Wir müssen unbedingt debattenfähig bleiben". Ein Gespräch über Ausgewogenheit, "false balance" und falsche Vorstellungen von politischer Einflussnahme Medienvertrauen in Krisenzeiten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Kontext aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen Der Osten als Chance. Ostdeutsche Perspektiven auf die Reformdebatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Im Transit zwischen gestern und morgen. Zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Zu teuer, zu abhängig, zu irrelevant? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in internationaler Perspektive

Barbara Thomaß

/ 16 Minuten zu lesen

In der derzeitigen Reformdiskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gerät allzu schnell aus dem Blick, was dieser für Gesellschaft und Demokratie leistet. Ein vergleichender Blick in andere Mediensysteme kann hier hilfreich sein.

Die 2022 ans Licht gekommenen Vorgänge beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) rund um Vettern- und vermeintliche Misswirtschaft haben den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland insgesamt in eine Legitimationskrise gestürzt, die von begründet-kritischen bis aggressiv-hämischen Diskursen begleitet wird. Die Erwartungen, die an eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland gestellt werden, sind gewaltig – ebenso wie die Notwendigkeit, diesen Erwartungen Genüge zu tun. Die Motivation, eine Reform einzuleiten, scheint bei den meisten Beteiligten hoch zu sein. Doch auch die Gefahr, an den überbordenden Erwartungen zu scheitern und mit sich möglicherweise ändernden politischen Mehrheiten in den Ländern einem langsamen Siechprozess ausgesetzt zu sein, ist durchaus real. In der aufgeregten Debatte gerät dabei allzu schnell aus dem Blick, welche Leistungen das deutsche Mediensystem mit seinem vergleichsweise starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk erbringt – nicht nur für die individuellen Nutzer:innen, sondern auch für die demokratische Gesellschaft insgesamt.

Für die Debatte kann es daher nützlich sein, die Perspektive zu erweitern, indem man einen Blick in die Mediensysteme anderer Länder wirft und danach fragt, wie sich diese mit oder ohne (starken) öffentlichen Rundfunk entwickelt haben. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal von Mediensystemen sind dabei die Ordnungsvorstellungen, die ihnen zugrunde liegen. Für den Rundfunk sind sie von besonderer Bedeutung, da die zu seiner Entstehungszeit (und auch noch lange danach) knappen Übertragungsfrequenzen sowie die ihm zugeschriebene Wirkmächtigkeit es jedem politischen System notwendig erscheinen ließen, ihn einer eigenen Regulierung zu unterwerfen.

Ein für den öffentlichen Rundfunksektor wesentliches Prinzip war und ist in vielen Ländern die Organisation fern von kommerziellen Verwertungsinteressen, für die der Staat einen Rahmen vorgibt, ohne selbst den Rundfunk zu beeinflussen. Dieses Prinzip, das in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als "öffentlich-rechtlicher Rundfunk" etabliert wurde, wird international als "Public Service Broadcasting" oder – angesichts der vielen Kanäle, auf denen er seine Nutzer:innen mittlerweile erreicht – als "Public Service Media" (PSM) bezeichnet. Weil sich der deutsche Begriff "öffentlich-rechtlich" nicht ohne Weiteres auf andere Rundfunksysteme anwenden lässt, wird hier im Folgenden vor allem von PSM oder "öffentlichen Medien" gesprochen. Wiewohl diese in verschiedenen Ländern sehr unterschiedliche Formen annehmen können, sind doch drei Merkmale prägend:

  • Die öffentliche Finanzierung – durch Rundfunkbeiträge, Steueraufkommen oder öffentliche Fonds – schützt Medienhäuser, die dieser Regulierung unterliegen, in gewissem Maße vor den Kräften des Marktes.

  • Der Auftrag, der den öffentlich finanzierten Medienhäusern auferlegt wird, zielt auf grundlegende demokratische, soziale oder kulturelle Zwecke, die jenseits der Sicherung allein von Verbraucherinteressen liegen. Er ist demokratierelevant.

  • Die Kontrolle durch die Öffentlichkeit soll die Funktionserfüllung überwachen.

"Staatsrundfunk" hingegen, bei dem die Kontrolle über ein Medienhaus in der Hand der jeweiligen Regierung liegt, ist von öffentlichem Rundfunk grundsätzlich zu unterscheiden, auch wenn er sich oft mit dem Wort "public" versieht und der Übergang vom einen zum anderen fließend sein kann. Im Folgenden soll es vor allem um die Frage gehen, wie die unterschiedlichen Mediensysteme in Hinblick auf die Organisation des Rundfunks und weiterer Nachrichtenmedien ausgestaltet sind – und wie sich die Leistungen, die diese für die Demokratie erbringen, unterscheiden.

Organisationsformen

Organisationsform, Finanzierung und Auftrag öffentlicher Rundfunkveranstalter differieren weltweit. Das föderale Prinzip prägt vor allem den deutschen öffentlichen Rundfunk. Die meisten anderen Länder haben eher zentralistische Institutionen geschaffen und zudem ganz andere Organisationsformen gefunden. Während die britische BBC unter einer sogenannten Royal Charter agiert, die ihr für eine Dauer von zehn Jahren vom Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreiches gewährt wird, jedoch keine konstitutionellen Rechte garantiert, haben andere öffentliche Rundfunkanstalten ein gesetzlich abgesichertes Mandat, in Deutschland etwa durch den Medienstaatsvertrag. Die Trägerschaft der öffentlichen Medien kann dabei unterschiedliche Formen annehmen: Während in der Bundesrepublik mehrere Anstalten öffentlichen Rechts existieren, die in einer föderalen Struktur zusammenarbeiten, war öffentlicher Rundfunk in Italien lange Zeit in der Form von Aktiengesellschaften entlang der Parteien organisiert. Heute ist er eine staatliche Aktiengesellschaft, deren Spitzenpositionen von einem Parlamentsausschuss besetzt werden, in dem die jeweilige Regierungsmehrheit dominiert. In den Niederlanden sind es von Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gruppen getragene Vereine, die gemeinsam als Stiftung öffentlichen Rundfunk veranstalten. In Frankreich wiederum hat man sich für eine Staatsholding als Organisationsform entschieden, während Portugal mit einem öffentlichen Kanal experimentiert, der von unterschiedlichen öffentlichen und privaten Organisationen getragen wird.

Auch die für Deutschland typische Mischfinanzierung vornehmlich aus Beitragseinnahmen, die durch einen geringen Anteil von Werbeeinnahmen ergänzt wird, ist längst nicht in allen Ländern zu finden. Die BBC etwa ist – wie auch die NRK in Norwegen und Schwedens SVT – werbefrei, in Frankreich wurde France Télévision lange nur zu etwa 60 Prozent aus Gebühren finanziert, bei gleichzeitiger Deckelung der Werbeeinnahmen. Letzteres wurde nun zugunsten einer (noch unsicheren) Finanzierung aus dem Staatshaushalt abgeschafft. Beim spanischen öffentlichen Rundfunk wurde die Finanzierung sogar bis zu 86 Prozent aus Werbeeinnahmen bestritten, bevor 2009 ein Werbeverbot erlassen wurde und die Finanzierung nun aus Steuermitteln vorgenommen wird. In anderen Staaten wie den baltischen, der Schweiz oder Belgien beträgt die öffentliche Finanzierung etwa zwei Drittel des Gesamtbudgets. In den Niederlanden ist die Rundfunkgebühr abgeschafft worden, die NPO wird, wie die kanadische CBC, aus dem Staatshaushalt alimentiert – in den Niederlanden mit garantiertem und indexiertem Budget, in Kanada muss dies jährlich neu verhandelt und beschlossen werden.

Auch der Auftrag der öffentlichen Medien ist je nach nationalem Kontext unterschiedlich. Zwar sind drei Elemente so gut wie allen gemein: spezifische Genres (etwa Informations-, Bildungs- oder Kulturprogramme), Ziele und Funktionen (gesellschaftliche Integration, Partizipation, nationale Identität) und Merkmale der journalistischen Praxis (zum Beispiel, innovativ, ausgewogen und unparteiisch zu berichten). Doch finden sich in vielen Ländern neben öffentlichen Medienanbietern mit universellem Auftrag auch solche, die mit besonderen Zielsetzungen beauftragt sind, etwa einem Service für Minderheitengruppen (so zum Beispiel der SBS in Australien), quotierte Inhalte oder Sprachen zu bedienen (Frankreich) oder die Werke von unabhängigen Produzenten einzubeziehen (etwa in Großbritannien). Die Verbreitung der Inhalte über Online- und nichtlineare Dienste haben alle Gesetzgeber der untersuchten Länder in den Aufgabenbereich der PSM aufgenommen. Die Verabschiedung der Europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste 2007, die mehrmals aktualisiert wurde, hat hier zu einer Vereinheitlichung der Auftragsformulierung für die öffentlichen Medien in den EU-Mitgliedsländern geführt.

Demokratiefunktionalität

Unabhängig von den unterschiedlichen nationalen Ausformungen finden öffentliche Medien ihre Legitimation in dem aufklärerischen Ideal einer politischen Öffentlichkeit, in der sich das politische und soziale Leben einer Nation entfaltet, wie es von Jürgen Habermas in seiner kritischen Analyse vom "Strukturwandel der Öffentlichkeit" herausgearbeitet wurde. "Öffentlichkeit" bezeichnet hier ein Forum, in dem Interessenkonflikte vermittelt und diskutiert werden und in dem die Legitimität und die Leistung wirtschaftlicher und politischer Akteure sowie ihr Handeln kontrolliert werden. Öffentlichkeit setzt damit auch die Idee von Bürger:innen voraus, die auf einer gemeinsamen Grundlage miteinander verbunden sind. Die Funktionen des öffentlichen Raumes sind somit eine Antwort auf die Anforderungen, die an heutige pluralistische Demokratien gestellt werden – und können auch auf die Medien übertragen werden. Ohne die Beachtung der grundlegenden Normen von Universalität, Objektivität und Ausgewogenheit sind Meinungsbildung, Kontrolle der Regierenden sowie ein Verständnis der Bürger:innen für komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge unmöglich. Die Achtung dieser Grundsätze ist damit eine wesentliche Voraussetzung für eine lebendige Demokratie.

Medien, die funktional für die Demokratie sind, bieten eine kontinuierliche Berichterstattung über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die für die politische Meinungs- und Willensbildung der Bürger:innen konstitutiv ist. Sie bieten ein Forum für politische und gesellschaftliche Debatten. Sie üben Kritik und kontrollieren die Regierenden. Und sie vermitteln zwischen Bürger:innen auf der einen Seite und Regierung, Parlament und Verwaltung auf der anderen. Damit sie diese Funktionen erfüllen können, müssen sie journalistische Berichterstattung in ein breiteres Angebot von Unterhaltung, Kultur und praktischer Orientierung in Lebensfragen aller Art einbetten. Vielfalt und Attraktivität der Genres ist ein Schlüsselelement ihres Erfolgs, der angesichts der unendlichen Fülle von Medienangeboten im Internet und auf Social-Media-Plattformen jedoch immer schwieriger zu erhalten ist.

Ob öffentliche Medien die von ihnen erwarteten demokratischen Funktionen tatsächlich erbringen können, ist von einer Fülle von Faktoren abhängig. Am wichtigsten sind hier die Finanzierungsstrukturen und die faktische Unabhängigkeit von staatlichem oder privatem Einfluss.

Mit Blick auf die Finanzierung von Journalismus lässt sich feststellen, dass eine Marktfinanzierung zwar den Vorteil der Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme mit sich bringt, dieser jedoch mit den Nachteilen einer Kommerzialisierung der Inhalte, einer Abhängigkeit von der Werbewirtschaft und der Tendenz zur Monopolisierung erkauft wird. Die zunehmend diskutierte und sich verbreitende Finanzierung durch Stiftungen und/oder Spenden wendet den Nachteil der Abhängigkeit von Werbewirtschaft oder Staat ab, besitzt aber einerseits nur beschränktes finanzielles Potenzial und zieht andererseits die Gefahr der Einflussnahme durch Mäzene nach sich – bei ungewissem langfristigen Engagement. Die vielen journalistischen Gratisangebote im Internet wiederum steigern zwar die Vielfalt, beruhen jedoch auf der (Selbst-)Ausbeutung von Journalist:innen – und sind ihrerseits hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit fraglich. Die öffentliche Finanzierung – meist in Form der Unterstützung öffentlicher Medien, aber auch durch Subventionierung kommerzieller Medien –, hat demgegenüber den Vorteil, dass sie die geförderten Medien unabhängig(er) von konjunkturellen Schwankungen und Einschaltquoten macht und eine Orientierung der Medien an publizistischen Kriterien ermöglicht. Allerdings birgt sie, bei mangelnden strukturellen Voraussetzungen, die Gefahr staatlicher Einflussnahme. Die Kontrolle öffentlicher Medien ist damit vermutlich der kritischste Punkt für ihre Unabhängigkeit, da sich hier manifestiert, ob Staatsferne tatsächlich gegeben ist, oder ob – etwa über die Besetzung wichtiger Positionen in Leitungs- oder Aufsichtsgremien – staatlicher Einfluss ausgeübt und die für die demokratische Informationsvermittlung und Meinungsbildung so wichtige Unabhängigkeit unterlaufen wird.

Pluralität der Mediensysteme

Diese grundlegenden Normvorstellungen von der Rolle der Medien in einer Demokratie teilen zwar nahezu alle pluralistischen Gesellschaften, doch haben sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Mediensysteme herausgebildet, in denen sich wiederum die Stellung der öffentlichen Anbieter deutlich unterscheidet.

Zur Einteilung westlicher Mediensysteme hat sich das Modell der Kommunikationswissenschaftler Daniel Hallin und Paolo Mancini etabliert. Nach diesem lassen sich drei Typen von Mediensystemen unterscheiden: Erstens das "polarisierte pluralistische Modell", das sich durch eine hohe Parteipolitisierung der Medien, eine starke Nutzung des Fernsehens, eine geringe Verbreitung von Zeitungen und eine geringe Professionalisierung des Journalismus auszeichnet. Diesem Typ lassen sich alle europäischen Mittelmeerländer zuordnen. Zweitens das "demokratisch-korporatistische Modell", dem alle nordeuropäischen Länder mit wohlfahrtsstaatlichen Traditionen zugerechnet werden können, und das durch hohe Zeitungsauflagen, eine starke Professionalisierung des Journalismus, einen relativ hohen Grad an politischer Parallelität zwischen Medien und Parteien ("Parallelismus") und starke staatliche Interventionen in Form von bedeutenden öffentlichen Rundfunkanstalten und staatlicher Presseförderung gekennzeichnet ist. Das "liberale Modell" schließlich zeichnet sich drittens durch eine hohe Reichweite des Pressemarktes, eine schwache Rolle des Staates, einen geringen Grad an politischem Parallelismus, eine starke Professionalisierung und eine journalistische Kultur der Neutralität und Objektivität aus – und entspricht hauptsächlich der Medienlandschaft der angelsächsischen Länder.

Das Modell von Hallin und Mancini berücksichtigt jedoch nicht, wie sehr sich Mediensysteme wandeln und wie sehr sich jene der mittel- und osteuropäischen Staaten mittlerweile ausdifferenziert haben. Hier lassen sich "hybrid-liberale", "politisierte", "transitorische" und "Mainstream"-Mediensysteme unterscheiden, die aber nach wie vor dynamischen Entwicklungen unterliegen. Im Folgenden sollen exemplarisch die Besonderheiten ausgewählter Mediensysteme im Hinblick auf die Stellung der öffentlichen Medienanbieter betrachtet werden, um anschließend ein Fazit bezüglich der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Medien für die Demokratie ziehen zu können.

Vereinigte Staaten

Am deutlichsten lassen sich die Folgen der Schwäche öffentlicher Medien in den Vereinigten Staaten beobachten. Im durch und durch kommerziellen Mediensystem der USA gibt es nur das Public Broadcasting System (TV) und das National Public Radio als öffentliche Anbieter, die spendenfinanziert (und mit sehr geringer staatlicher Zuwendung) ein randständiges Dasein mit geringen Einschaltquoten fristen. Als Informationsquelle für gebildete Schichten – und auch manchen gesellschaftlichen Diskurs – sind sie zwar bedeutsam, ansonsten aber gehen sie in der Fülle der kommerziellen Angebote, die ihrerseits hoch polarisiert sind, unter. Der Kommunikationswissenschaftler Klaus Kamps erkennt in den USA ein "politisierte[s], multimediale[s] Medienökosystem" aus klassischen Medien und Blogs, Youtubern, Radioformaten und Onlinemagazinen, das durch "partisan media" gekennzeichnet ist, "in denen sich (…) parteipolitische Identitäten als strategische Leitlinien aufdrängen". Die offenkundige Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft ist nicht zuletzt auch diesem Mediensystem geschuldet, dem es kaum noch gelingt, Foren für den offenen Austausch unterschiedlicher Gruppen in der Gesellschaft zu bieten.

Ungarn und Polen

Mit Ungarn und Polen finden sich innerhalb der Europäischen Union zwei Beispiele dafür, wie öffentliche Rundfunkanbieter, die unter die Kontrolle der Regierung geraten, den Charakter eines Staatsfunks annehmen können. Ungarns führende Regierungspartei Fidesz hat einen Großteil des ungarischen Staates und die meisten ungarischen Medien unter ihre Kontrolle gebracht. Die Regierung verfolgt eine partikularistische Medienpolitik, die darauf abzielt, einige Stimmen zu fördern und andere zu diskriminieren, das heißt, den ungleichen Zugang zu Medienressourcen zu fördern. Der demokratische Diskurs ist weitgehend verstummt. Am Beispiel der Anti-Migrationskampagne von 2015 konnte gezeigt werden, wie dieses Meinungskartell die öffentliche Meinung beeinflusst, die Selbstdarstellung von Viktor Orbáns rechtspopulistischer Regierung als Retterin der europäischen, ungarischen und christlichen Werte in Szene setzt und Wirkungen erzielt, die vor allem dem begrenzten politischen und medialen Pluralismus geschuldet sind.

Die antidemokratischen Entwicklungen in den illiberalen Demokratien Ungarn und Polen zeigen zudem sehr anschaulich, dass es sich hier oft um länger andauernde Prozesse handelt, die ihre Resultate erst mit Verzögerung offenbaren. Im Fall des polnischen Mediensystems betrifft dies zum Beispiel den langfristigen Autonomieverlust der einst zu den öffentlichen Anbietern zählenden Telewizja Polska (TVP S.A.). Der frühere sozialistische Staatsrundfunk erfuhr zunächst eine tiefgreifende Transformation in Richtung des Modells eines öffentlichen Rundfunks westlicher Prägung. Doch immer wieder drohte ein Rückfall in bereits überwunden geglaubte autoritäre Einflussnahmen, weil TVP S.A. als Staatskonzern konzipiert und gerade nicht dem Modell der Staatsferne nachempfunden wurde. Dass ein solcherart organisierter Rundfunk leicht zum Spielball der jeweils herrschenden Regierungspartei(en) werden kann, wurde spätestens mit den 2015 eingeleiteten Regulierungsmaßnahmen deutlich, die einer weiteren staatlichen Einflussnahme durch die aktuelle polnische Regierung Tür und Tor geöffnet haben. Das Beispiel verdeutlicht überdies die Bedeutung der Zivilgesellschaft für einen funktionierenden öffentlichen Rundfunk, deren Einfluss im polnischen Rundfunksystem freilich nie verankert war.

Dänemark, Frankreich, Vereinigtes Königreich

Mögen die USA, Ungarn und Polen auch Extrembeispiele von Mediensystemen mit – aus demokratietheoretischer Perspektive – gefährlichen Entwicklungen sein, so zeigt ein kursorischer Blick nach Westeuropa, dass auch hier öffentliche Medien aus unterschiedlichen Gründen nicht immer den Erwartungen an ein unabhängiges, demokratieförderndes Angebot gerecht werden.

In Dänemark beispielsweise kulminierte 2018 der politische Druck auf den größten öffentlichen Anbieter des Landes, den DR, in einem Beschluss der damaligen rechtskonservativen Regierung, der die Rundfunkanstalt bis 2023 zur Einsparung von 20 Prozent ihres Budgets zwang. Dies führte zu massiven Kürzungen im Angebot des Senders, was nach Ansicht mancher Beobachter damit zu tun hatte, dass "viele konservative Politiker_innen DR wegen einer vermeintlichen linken Schlagseite seit Jahrzehnten kritisch" sahen und dies die medienpolitischen Verhandlungen mitgeprägt hat.

Auch in Frankreich lässt sich ein hohes Maß der Einflussnahme durch Politik und Behörden auf den öffentlichen Rundfunk beobachten. Zwar grenzt dieser sich nach wie vor von den kommerziellen Angeboten darin ab, "was er macht (Dokumentationen, investigative Berichterstattung, Politik, Bildung, Wissenschaft, Kultur und Unterhaltung) und wie er es macht (vielfältiger, mit mehr Tiefgang, in größere Kontexte eingebettet, ausgewogener und sachlicher)". Doch erlegen die Behörden den öffentlichen Sendern zunehmend widersprüchliche Auflagen auf und zwingen sie zu massiven Einsparungen. Dies führte zuletzt dazu, dass die Beitragsfinanzierung der Sender durch eine Steuerfinanzierung ersetzt wurde, was die politische Abhängigkeit noch erhöhen wird.

In Großbritannien schließlich kämpft der öffentliche Rundfunk – lange gepriesen als Hort wahrhafter Unabhängigkeit und gehaltvoller Inhalte – seit Langem mit einer feindlich gesinnten Regierung und sieht sich mit einem zunehmend skeptischen Publikum konfrontiert. Konservative Premierminister versuchten immer wieder, die BBC auf Regierungskurs zu bringen, doch sind die Angriffe vor allem unter der Regierung von Boris Johnson beispiellos massiv gewesen. Der Regierung ist es gelungen, das BBC-Management weitgehend mit Tory-Vertretern zu besetzen. Zudem wird die BBC mittlerweile gemeinsam mit dem kommerziellen Rundfunk durch das Office of Communications (Ofcom) reguliert, was dazu geführt hat, dass dem besonderen Charakter des gemeinwohlorientierten Senders BBC nicht mehr hinreichend Rechnung getragen wird. In der Folge dieser Entwicklungen ist ein "stetige[r] Abbau ihrer politischen Unabhängigkeit und die Entstehung einer zunehmend vorsichtigen Leitartikel-Kultur" zu beobachten. "Gebeutelt von Jahren der Kürzungen und Auseinandersetzungen, hat besonders die BBC einen Großteil ihrer Strahlkraft eingebüßt." Struktureller Hintergrund dieser problematischen Entwicklungen ist, dass Berufungen in den Vorstand der BBC und Entscheidungen über die Höhe der Fernsehbeiträge nicht – wie etwa in Deutschland – unabhängigen Gremien obliegen, sondern der Regierung.

Öffentlicher Rundfunk und Demokratie

Um zu ermessen, welche Leistungen öffentlich-rechtliche Medien für die Demokratie erbringen und wo Gefahren für ihren Auftrag lauern, ist ein Vergleich also hilfreich. Der von einer internationalen Forscher:innengruppe konzipierte "Media for Democracy Monitor", der mithilfe zahlreicher Indikatoren den Zustand der Demokratie in Beziehung zur Stärke öffentlich-rechtlicher Medien setzt, zeigt, dass Länder, in denen öffentlich-rechtliche Medien eine vergleichsweise starke Position im Medienmarkt einnehmen, in Bezug auf die übergreifenden Dimensionen Freiheit/Information, Gleichheit/Interessenvermittlung, Mediation und Kontrolle besser abschneiden als Länder, in denen öffentliche Medien einen geringeren Zuschaueranteil erreichen und eine schwächere Position einnehmen. Kurz gesagt: Länder mit einem starken öffentlichen Mediensektor rangieren in den oberen Regionen der relevanten Demokratieindikatoren. Deutschland liegt im Rahmen der untersuchten Länder zusammen mit Dänemark, Finnland, Großbritannien und Schweden in der Spitzengruppe. Öffentliche Medien behaupten also nicht nur, für die Demokratie relevant zu sein, sondern sie erbringen tatsächlich Dienstleistungen, die positive Effekte für die Demokratie haben.

Diese Auswirkungen sind durch zahlreiche Studien belegt worden, die unter anderem zeigen konnten, dass die individuelle Nutzung von Nachrichten der öffentlichen Medien und das Vorhandensein eines bedeutenden öffentlichen Medienangebots das Wissen über eine Vielzahl von Nachrichtenthemen – politische Zusammenhänge, aktuelles Zeitgeschehen, internationale Ereignisse – erhöht. Wenn es also so ist, dass öffentlich-rechtliche Medien die (auch vom Bundesverfassungsgericht) erwarteten Leistungen für die Demokratie zumindest vergleichsweise zufriedenstellend erbringen, stellt sich die Frage, aufgrund welcher Bedingungen und Strukturen sie das können. Das deutsche Beispiel ist hier durchaus aufschlussreich.

Die öffentlich-rechtlichen Medien haben in Deutschland eine starke Stellung im Mediensystem – sowohl im Hinblick auf die Zuschauerakzeptanz als auch mit Blick auf die Finanzierung. Der Rundfunkbeitrag ist einer der höchsten in der EU, nicht nur hinsichtlich des Beitrags pro Haushalt, sondern auch bezüglich der Gesamtsumme, die durch die hohe Zahl der Beitragszahler erbracht wird. Was oft als Problem gedeutet wird ("zu teuer"), kann aus einer anderen Perspektive auch als Stärke verstanden werden: Es ist ausreichend Geld im System vorhanden für unterschiedliche Produktionen, kulturelle Aktivitäten, qualifiziertes Personal, ein weltweites Korrespondentennetz, gute Arbeitsbedingungen und anderes mehr. Erst das Zusammenspiel dieser Faktoren ergibt ein attraktives Programm.

In der Zuschauerakzeptanz liegen die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender im europäischen Vergleich im oberen Drittel. Die Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF sind regelmäßig jene Nachrichtenmarken, denen am meisten vertraut wird. Dies hat nicht zuletzt mit einer weiteren Stärke der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland zu tun: der strukturellen Absicherung ihrer Unabhängigkeit. Hier verfügen die öffentlich-rechtlichen Medien mit ihrer juristisch mehrfach abgesicherten Unabhängigkeit über eine einzigartige Stellung in Europa. In kaum einem anderen Land der EU ist das Konstrukt des öffentlichen Rundfunks so konsequent darauf ausgelegt, Staats- und Wirtschaftsferne herzustellen. Diese wird auch durch das weltweit einzigartige, mehrstufige Verfahren der Festsetzung der Finanzmittel der Anstalten durch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) und die Länderparlamente abgesichert. Dieses – Expertise und föderale Strukturen kombinierende – Verfahren birgt allerdings auch eine gewisse Blockadegefahr, wie in der Auseinandersetzung um die jüngste Beitragserhöhung zu erkennen war.

Das föderale System der Rundfunkanstalten, das im Hinblick auf seine Mehrfachstrukturen derzeit heftig in der Kritik steht, bringt eine weltweit einzigartige Vielfalt an Inhalten und Perspektiven mit sich, die dem normativen Gebot einer vielfältigen Medienlandschaft fast vorbildlich entspricht. Mit der Einbeziehung der sogenannten gesellschaftlich relevanten Gruppen in den Gremien der öffentlichen Medien wird zudem auch in der programmlichen Kontrolle eine Vielfalt an Perspektiven und gesellschaftlichen Sichtweisen abgebildet, die in anderen Systemen weit weniger gegeben ist.

Nicht zuletzt der Blick auf die Mediensysteme anderer Länder – und auf die Gefahren, die den öffentlichen Medien dort drohen – sollte uns zeigen, dass trotz aller Defizite, die in der aktuellen Debatte in Deutschland mitunter zu Recht benannt werden, das hiesige System viele Vorteile mit sich bringt, die es zu verteidigen gilt. Wie schrieb doch der US-Historiker Timothy Snyder in seiner Streitschrift über den Aufstieg des Trumpismus so treffend? "Verteidige Institutionen! (…) Institutionen schützen sich nicht selbst. Sie stürzen eine nach der anderen, wenn nicht jede von ihnen von Anfang an verteidigt wird."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Corinne Schweizer/Manuel Puppis, Public Service Media in the "Network" Era. A Comparison of Remits, Funding, and Debate in 17 Countries, in: Gregory Ferrell Lowe/Hilde van den Bulck/Karen Donders (Hrsg.), Public Service Media in the Networked Society, Göteborg 2018, S. 109–124.

  2. Vgl. Richtlinie (EU) 2018/1808 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten, Externer Link: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32018L1808.

  3. Vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Frankfurt/M. 1962.

  4. Vgl. Josef Trappel et al., What Media Crisis? Normative Starting Points, in: Josef Trappel/Jeanette Steemers/Barbara Thomass (Hrsg.), European Media in Crisis. Values, Risks and Policies, London 2015, S. 3–19.

  5. Vgl. Manuel Puppis/Matthias Künzler, Formen der Medienfinanzierung und Medienförderung, Zürich 2011, Externer Link: http://www.researchgate.net/publication/281728027.

  6. Vgl. Daniel C. Hallin/Paolo Mancini, Comparing Media Systems. Three Models of Media and Politics, Cambridge 2004.

  7. Vgl. Bogusłąwa Dobek-Ostrowska, 25 Years After Communism: Four Models of Media and Politics in Central and Eastern Europe, in: dies./Michał Głowacki (Hrsg.), Democracy and Media in Central and Eastern Europe 25 Years On, Berlin 2015, S. 11–44.

  8. Vgl. Hans J. Kleinsteuber, Nordamerika, in: Barbara Thomaß (Hrsg.), Mediensysteme im internationalen Vergleich, Konstanz 2013, S. 257–270.

  9. Klaus Kamps, Das Mediensystem der Vereinigten Staaten von Amerika, Stuttgart 2023, S. 300.

  10. Vgl. Péter Bajomi-Lazar, Particularistic and Universalistic Media Policies: Inequalities in the Media in Hungary, in: Javnost – The Public 2/2017, S. 162–172.

  11. Vgl. ders., An Anti-Migration Campaign and Its Impact on Public Opinion: The Hungarian Case, in: European Journal of Communication 6/2019, S. 619–628.

  12. Vgl. Magdalena Ploch, Das PSM Governance Analysemodell in akteurtheoretischer Perspektive. Die Autonomie von TVP S.A. Governance 1989–2015, Wiesbaden 2023.

  13. David Nicolas Hopmann, Zick-Zack-Kurs. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Dänemark, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2021, S. 1, Externer Link: http://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/17211.pdf.

  14. Sébastien Poulain, Kein Programm links von der Mitte. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Frankreich, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2022, S. 2, Externer Link: http://www.fes.de/cgi-bin/gbv.cgi?id=19078&ty=pdf.

  15. Des Freedman, Verlorene Ausstrahlung? Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Großbritannien, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2020, S. 2, Externer Link: http://library.fes.de/pdf-files/akademie/16555.pdf.

  16. Vgl. Josef Trappel/Tales Tomaz (Hrsg.), Success and Failure in News Media Performance. Comparative Analysis in the Media for Democracy Monitor 2021, Göteborg 2022.

  17. Vgl. Barbara Thomass et al., Public Service Media: Exploring the Influence of Strong Public Service Media on Democracy, in: Trappel/Tomaz (Anm. 16), S. 187–209, hier S. 204.

  18. Vgl. Rasmus Kleis Nielsen et al., Analysis of the Relation Between and Impact of Public Service Media and Private Media, Oxford 2016.

  19. Timothy Snyder, Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand, München 2021, S. 13.

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ist Professorin im Ruhestand am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum und Senior Researcher am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut in Hamburg. Sie ist zweite stellvertretende Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrates.
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