Anfang Mai 2023 haben wir eine Konzeptions- und Machbarkeitsstudie für ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex in Südwestsachsen vorgelegt.
Wir schreiben aus einer zivilgesellschaftlichen Perspektive
Im zeitlichen Verlauf des NSU-Komplexes spiegelt sich das deutlich wider. Nach der Ermordung von Halit Yozgat und Mehmet Kubaşık organisierten die Angehörigen und ihre Unterstützer*innen im Frühjahr 2006 Demonstrationen in Kassel und Dortmund. Unter der Losung "Kein 10. Opfer" gedachten mehrere Tausend Menschen der Ermordeten und erinnerten an die sieben weiteren Opfer der sogenannten Česká-Mordserie Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar und Theodoros Boulgarides. Die Redner*innen trugen Trauer, Verzweiflung und Wut in die Öffentlichkeit. Sie formulierten die Erwartung, dass die Ermittlungsbehörden die Täter*innen stoppen und der Mordserie ein Ende bereiten. Sie wiesen auf die entscheidende Leerstelle in den bisherigen Ermittlungen hin: "Alle Opfer sind Migranten, da ist doch ein rechtsextremistischer Hintergrund sehr einleuchtend."
Ihre Appelle fanden nicht die notwendige Resonanz. Die Mordserie mit der Česká-Pistole als Tatwaffe endete zwar nach dem Mord an Halit Yozgat. Das dafür verantwortliche rechtsterroristische Netzwerk tötete aber weiter: Im April 2007 erschoss der NSU die Polizistin Michèle Kiesewetter und verletzte einen weiteren Beamten schwer. Die Ermittlungen blieben erneut ergebnislos. Im Zuge einer gescheiterten Flucht nach einem Banküberfall bekannte sich der NSU zu zehn Morden und zwei Bombenanschlägen zwischen 2000 und 2007.
Am 11. Juli 2018 verkündete das Oberlandesgericht (OLG) München das Urteil im NSU-Prozess. Die Hoffnung auf Aufklärung und Gerechtigkeit erfüllte der Richterspruch trotz eines fünfjährigen Mammutprozesses nicht, entscheidende Fragen blieben unbeantwortet. Ayşe Yozgat, Mutter von Halit, erklärte: "Sie haben wie Bienen gearbeitet, aber keinen Honig produziert."
Warum ein Dokumentationszentrum in Sachsen?
"In unserem Land – in meinem Land – muss sich jeder frei entfalten können, unabhängig von Nationalität, Migrationshintergrund, Hautfarbe, Religion, Behinderung, Geschlecht oder sexueller Orientierung."
Schon kurz nach der Selbstenttarnung des NSU wurde in Zwickau im Frühling 2012 von Stadtverwaltung, Landesregierung und Polizei gemeinsam entschieden, dass das Haus, in dem der NSU zuletzt gewohnt hatte, abgerissen werden soll. Der Abriss führte später zu kunstaktivistischen und erinnerungspolitischen Protestaktionen durch die Initiativen "Grass Lifter" und "Sternendekorateure" aus Zwickau. Der Kulturverein Alter Gasometer e.V. begründete die Zwickauer "Novembertage" und schuf damit ein Format, das bis heute die Auseinandersetzung mit dem NSU und das Gedenken an seine Opfer fördert.
Die Aufarbeitung des NSU-Komplexes in Sachsen wird seitdem maßgeblich von der Zivilgesellschaft vorangebracht: So gründeten sich mehrere Geschichtswerkstätten und ein Ableger des Watchblogs "NSU Watch". Mit dem Theatertreffen "Unentdeckte Nachbarn" wurden 2016 Theaterinszenierungen zum NSU-Komplex nach Chemnitz und Zwickau eingeladen; sie thematisierten die Perspektiven der Überlebenden und Hinterbliebenen beispielsweise in dem Stück "Die Lücke". Zugleich veröffentlichte das Kulturbüro Sachsen e.V. 2017 die Broschüre "Unter den Teppich gekehrt – Das Unterstützungsnetzwerk des NSU in Sachsen". 2019 wurde im Rahmen des Tribunals "NSU-Komplex auflösen" in Zwickau für wenige Tage ein Interimsdokumentationszentrum errichtet. Außerdem erarbeitete das Projekt "Offener Prozess – NSU-Aufarbeitung in Sachsen" des ASA-FF e.V. eine Ausstellung. Sie wurde im zehnten Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU in Jena, Chemnitz und Berlin gezeigt und war Teil des bundesweiten Theaterprojektes "Kein Schlussstrich".
Die Diskussion über ein Dokumentationszentrum ist eng verknüpft mit dem langjährigen Fehlen eines Erinnerungsortes in Zwickau. Die Idee für ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex entstand dort in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen bereits 2012: Denn mit Beginn des NSU-Prozesses vor dem OLG München und den Erkenntnissen aus dem ersten Bundestagsuntersuchungsausschuss 2013 wuchs das Wissen über die Rolle der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden und den strukturellen Rassismus im NSU-Komplex. Darüber hinaus wurde deutlich, dass Sachsen Dreh- und Angelpunkt im NSU-Komplex gewesen war. Für die sächsische Zivilgesellschaft stellten sich daher spezifische Fragen: Warum konnte in der eigenen Stadtgesellschaft eine rechtsterroristische Gruppe unerkannt leben? Wie war das Unterstützungsnetzwerk in Sachsen strukturiert? Und bis heute ist die Frage virulent, welche Aktivitäten die Protagonist*innen entfalten, nachdem sie weitgehend straflos aus dem NSU-Prozess hervorgegangen sind.
Gleichzeitig ist das Thema Migration und die Anerkennung der postmigrantischen Realität in Sachsen nach wie vor umkämpft. Rechte Mobilisierungen, unter anderem seitens der AfD, zielen auf eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung.
Nicht zuletzt ist rechte und rassistische Gewalt in Sachsen ein Alltagsphänomen, wie auch die Statistik der Opferberatung Support des RAA Sachsen e.V. zeigt:
Der junge Zwickauer Autor Jakob Springfeld hat in seinem Buch "Unter Nazis" eindrücklich geschildert, wie sich diese Normalität rechter Gewalt auf den Lebensalltag engagierter Jugendlicher auswirkt.
Auf dem Weg zur Umsetzung
In enger Verbindung mit der Forderung der Opfer und Angehörigen, den NSU-Komplex umfassend aufzuklären, sowie vor dem spezifischen Hintergrund der Auseinandersetzung mit antidemokratischen Kräften entstand in der sächsischen Zivilgesellschaft die Forderung, ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex zu schaffen. Seit sie 2012 erstmals erhoben wurde, hat sie immer mehr Befürworter*innen gewonnen, etwa Pia Findeiß und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke). 2019 verankerten die damaligen Oppositionsparteien im Sächsischen Landtag Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke die Forderung nach dem Dokumentationszentrum in ihrem abweichenden Abschlussbericht zum zweiten sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss. Nach der Landtagswahl im Herbst 2019 nahm die neue Regierungskoalition aus CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Unterstützungszusage in ihren Koalitionsvertrag auf. Dies ermöglichte es dem Verein RAA Sachsen gemeinsam mit dem Kooperationspartner ASA-FF e.V., das Projekt "Konzeption eines Dokumentationszentrums zum NSU-Komplex" umzusetzen und im Mai 2023 die eingangs erwähnte Konzeptions- und Machbarkeitsstudie vorzulegen. Beide Vereine hatten bereits nach der Bundestagswahl 2021 mit zahlreichen Unterstützer*innen einen offenen Brief an die voraussichtlichen Regierungsparteien gerichtet und gefordert, dass auch im Koalitionsvertrag auf Bundesebene eine Unterstützungszusage aufgenommen wird.
Tatsächlich fand die Forderung Eingang in den Vertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP: "Wir unterstützen die Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer des NSU." Seit 2022 ist die Bundeszentrale für Politische Bildung mit der Einholung von Expertisen und der Erarbeitung eines Gutachtens zum Dokumentationszentrum befasst. Damit hat die langjährige Forderung der Überlebenden und Angehörigen und des mit ihnen verbundenen Netzwerks, eine nachhaltige und abgesicherte Aufarbeitung zu ermöglichen, politische Verantwortungsträger*innen in Land und Bund erreicht und wird inzwischen durch staatliche Strukturen unterstützt.
Gelingensbedingungen
Die Institutionalisierung der Aufarbeitung des NSU-Komplexes kann nur erfolgreich sein, wenn sie sich der bestehenden Ausgangssituation gewahr ist. Dabei sind zwei grundsätzliche Feststellungen zentral:
Erstens: Die Aufarbeitung des NSU-Komplexes wird seit 2011 bundesweit von einer basisdemokratischen Bewegung aus Betroffenen und Zivilgesellschaft getragen, die an unterschiedlichen Orten im Sinne eines dezentralen Netzwerks mit jeweils lokalspezifischer Ausprägung aktiv ist. Dieses gesellschaftliche Bündnis ist wissenschaftlich als herausragendes Merkmal aller Aufarbeitungsbemühungen analysiert worden;
Zweitens: Der Staat hingegen ist im NSU-Komplex so hochgradig belastet, dass seit 2012 insgesamt 15 parlamentarische Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Länderebene eingerichtet wurden, von denen zum jetzigen Zeitpunkt – mehr als zehn Jahre nach der Selbstenttarnung – noch immer einer arbeitet. Trotzdem ist weder in diesen noch im Rahmen des mehrjährigen juristischen Strafprozesses eine vollständige Aufklärung der staatlichen Rolle im NSU-Komplex gelungen. Daraus ergibt sich, dass eine Aufarbeitungsinstitution, die in einer rein staatlichen Sphäre gegründet würde, kaum Legitimität zuwachsen kann; sie erscheint zwangsläufig als "Versöhnungstheater" mit Schuldentlastungsfunktion.
Vor diesem Hintergrund braucht es inhaltliche Mindestkriterien, die als grundsätzliche Kategorien darüber entscheiden, ob die Gründung eines Dokumentationszentrums als erfolgreich bewertet werden kann:
Von der Gründung soll eine politische Signalwirkung für die Betroffenen ausgehen, sie sollen Anerkennung und Sichtbarkeit erfahren.
Die Arbeit des Dokumentationszentrums muss politisch unabhängig sein.
Entscheidungsgremien dürfen nicht nur durch politische Mandats- oder behördliche Amtsträger*innen besetzt werden, sondern müssen Betroffene und zivilgesellschaftliche Akteur*innen als gleichberechtigte Mitentscheider*innen berufen.
Das Dokumentationszentrum muss sich selbst als gleichrangiger Teil innerhalb des Aufarbeitungsnetzwerks verstehen; es arbeitet nicht in Konkurrenz zu diesem, sondern soll es stärken.
Zu den inhaltlichen Kriterien treten drei formale Bedingungen:
Die Finanzierung der Arbeit des Dokumentationszentrums muss langfristig abgesichert sein.
Dazu ist eine Einbindung in öffentliche Haushalte und die Bund-/Länderpolitik nötig.
Schließlich braucht die Organisationsform die formellen Voraussetzungen dafür, überhaupt als Trägerstruktur von Institutionen in Bezug auf Personalaufbau, Verwaltung etc. sowie optional für die Vergabe von Fördermitteln geeignet zu sein.
Nach Prüfung verschiedener institutioneller Modelle
Ort der Vielstimmigkeit
Wie kann ein Ort konzipiert werden, der dem Auftrag einer umfassenden Aufklärung des NSU-Komplexes gerecht wird?
Die Opfer und Betroffenen, mit denen wir sprechen konnten und deren Perspektiven mit der Künstlerin Ülkü Süngün in die Öffentlichkeit getragen wurden,
Um der Komplexität des NSU als gesellschaftliches Phänomen
die Assembly als Ort der Versammlung und Selbstorganisation von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt,
der Ausstellungsbereich als musealer Wirkungsraum,
die Bildungs- und Vermittlungsarbeit,
der wissenschaftliche Forschungszweig,
das Archiv, die wissenschaftliche Sammlung und der Bibliotheksbereich,
der Digitale Raum als Ort der Bereitstellung von Wissen sowie der Erinnerung und Vernetzung.
Mit dieser Struktur soll das Dokumentationszentrum Beteiligungsräume schaffen und solidarische Allianzen stärken, marginalisierte Perspektiven durch Kunst und Wissenschaft sichtbar machen, aufklären und erinnern, Forschung und Monitoring rechter Gewalt fördern sowie Wissen schaffen, vermitteln, archivalisch bewahren und zugänglich machen.
Bei der Vorstellung der Machbarkeitsstudie wurde zudem von Betroffenen eingebracht, dass sie sich eine stärkere psychosoziale, medizinische und ökonomische Unterstützung durch den Staat und eine Etablierung entsprechender Angebote durch das Dokumentationszentrum wünschen. Die Auswahl der Arbeitsbereiche ergibt sich auch aus den Aufklärungsbemühungen verschiedener nichtstaatlicher Akteur*innen vor und nach der Selbstenttarnung des NSU. Zugleich hat der Staat durch seine Verwicklung und Versäumnisse im NSU-Komplex eine besondere Verantwortung. Dieser im Rahmen des Dokumentationszentrums gerecht zu werden, bedeutet zum einen, die Rehabilitierung der Opfer und Betroffenen des NSU-Komplexes finanziell zu unterstützen, sowie zum anderen die langfristige Förderung einer Trägerstruktur auf den Weg zu bringen und damit unabhängige wissenschaftliche und künstlerische Aufarbeitung, Archivierung, Forschung und Bildung zu gewährleisten.
In der Machbarkeitsstudie schlagen wir als Antwort auf die Forderung "Kein Schlussstrich unter den NSU-Komplex!" einen multiperspektivischen Ansatz vor: Interdisziplinäre Arbeitsbereiche und partizipative Ansätze sollen Vielstimmigkeit sicherstellen. Das Dokumentationszentrum soll viele Geschichten erzählen, um der Gefahr eines hegemonialen Narrativs entgegenzuwirken, wie es die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie mit dem Ausdruck "the danger of the single story" beschreibt.
Das Dokumentationszentrum sollte von Opfern und Betroffenen, Künstler*innen, politischen Bildner*innen und Wissenschaftler*innen gestaltet und mit Leben gefüllt werden und durch vielfältige und vielstimmige Angebote eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen. Ausstellungen, Forschungsaufenthalte internationaler Wissenschaftler*innen, Publikationen, politische Bildungsarbeit, kritische Stadtspaziergänge, Betroffenenvernetzungen, Zeitzeug*innenvorträge, ein Archiv, kontinuierliche Monitoringstrukturen rechter Gewalt, museale Angebote für Jugendliche, Theaterkooperationen, Weiterbildungsangebote für Polizei- und Verwaltungsbehörden und vieles mehr sollen das Dokumentationszentrum zu einem lebendigen Ort der Auseinandersetzung und Erinnerung machen.
Dahinter steht die Vision, einen Ort zu schaffen, dessen Narrativ und Deutungshoheit von den Opfern und Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt geprägt wird und deren Beteiligung und kontinuierliche Mitbestimmung auf allen Ebenen der Planung, Umsetzung und im langfristigen Betrieb gewährleistet wird. In der Machbarkeitsstudie werden die notwendigen Grundlagen dafür beschrieben.
Ausblick
Mit der Konzeptions- und Machbarkeitsstudie liegt nunmehr ein detaillierter Vorschlag vor, wie die NSU-Aufarbeitung in Sachsen verstetigt werden kann. Zusätzlich wird mit der Rechtsform der Stiftung ein Modell empfohlen, das es ermöglicht, bundesweit Aufarbeitungsinitiativen zu stärken und miteinander zu vernetzen.
Aus zivilgesellschaftlicher Perspektive braucht es stärkere Anstrengungen für eine NSU-Aufarbeitung in Sachsen, insbesondere mit Blick auf die staatlichen Einrichtungen und die Vermittlung in der Öffentlichkeit. Eine nennenswerte Verantwortungsübernahme durch die staatlichen Institutionen, gerade angesichts der eigenen Rolle im NSU-Komplex, ist lange Zeit ausgeblieben. Verantwortung übernommen haben hingegen zivilgesellschaftliche Initiativen, Teile der parlamentarischen Opposition und einzelne kommunale Verantwortliche. Sie haben hingeschaut, Wissen generiert, (selbst-)kritische Fragen gestellt und gesellschaftlich blinde Flecken in puncto rechter Gewalt und ihrer Ursachen thematisiert. Sie haben im stetigen Austausch mit bundesweiten Initiativen Ansätze entwickelt, um Konsequenzen aus dem NSU-Komplex zu ziehen. Der Fokus auf die Perspektiven der Betroffenen des NSU-Terrors und rechter Gewalt war und ist dabei essenziell – genauso wie die Anerkennung einer migrantischen ostdeutschen Realität und die Zurückdrängung der Neonazinetzwerke, mit deren Hilfe sich bereits der NSU formieren konnte.
Aber auch auf bundesweiter Ebene gibt es mit Blick auf den NSU-Komplex Handlungsbedarf: Vor dem Hintergrund der historischen Kontinuität rechten Terrors in Deutschland braucht es mehr langfristig abgesicherte (psycho-)soziale und materielle Unterstützung für Hinterbliebene und Überlebende von Anschlägen, es braucht Ressourcen für die selbstorganisierte Vernetzung von Betroffenen rechter Gewalt, genauso wie für Bildungs- und Aufklärungsarbeit zum NSU-Komplex. Ansätze sind bereits in verschiedenen Städten zu erkennen – etwa in München mit dem Gedenkraum zum Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum 2016, der von der Initiative "München Erinnern!" betrieben wird, oder in Köln, wo der Initiative "Herkesin Meydanı" seit Juni 2023 Räume in der Keupstraße zur Verfügung stehen. Damit solche Räume nicht allein von den kommunalen Möglichkeiten abhängig sind, sollten auch sie durch den Bund unterstützt werden, sofern es vor Ort gewünscht ist.
In diesem Sinne versteht sich unsere Studie als Vorschlag: Ihre Empfehlungen sollen von den Akteur*innen der Aufarbeitungsbewegung kritisch gelesen und besprochen werden – und wenn sie auf Zustimmung treffen, im Sinne eines dezentralen Aufarbeitungsnetzwerks aufgegriffen werden. Ob und wie weit die vorgeschlagene Konzeption tatsächlich im politischen Feld Unterstützung findet, ist derzeit noch offen. Die Berücksichtigung in den Koalitionsverträgen in Sachsen und im Bund eröffnet zumindest eine Gelegenheit. Der nächste Schritt wäre eine Finanzierungsvereinbarung zur Errichtung der Trägerstruktur. Gleichzeitig zeigt das zähe Ringen um das Demokratiefördergesetz, dass auch wichtige Vorhaben nicht vor Verschleppung gefeit sind.
Zwei an dieser Stelle bedenkenswerte Punkte für das Gelingen des Dokumentationszentrums hat Ülkü Süngün im Rahmen der Vorstellung der Studie benannt. Erstens: Es ist auf die Unterstützung und Akzeptanz durch die Betroffenen angewiesen, denn "sie legitimieren dieses Zentrum erst". Und zweitens: Es ist kein Thema "für parteipolitische Schnellschüsse und Erfolge, die einer Legislaturperiodenlogik folgen".
Dies umreißt das grundsätzliche Spannungsfeld, in dem sich das Dokumentationszentrum bewegt: Es braucht Anerkennung, woraus sich der Anspruch auf eine langfristige finanzielle Absicherung ableitet. Es braucht Unabhängigkeit, damit der kritische Blick (auch) auf die Rolle staatlicher Institutionen möglich wird. Und es braucht eine Einbettung, die dem dezentralen Aufarbeitungsnetzwerk gerecht wird.