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"Szenetypische Straftaten" | NSU-Komplex | bpb.de

NSU-Komplex Editorial Was wir wissen, was wir nicht wissen. Der Rechtsterrorismus des NSU Reclaim and Remember. Die NSU-Tribunale als solidarische Gerechtigkeitspraxis "Szenetypische Straftaten". Zur Rolle der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex Vertrauensschutz und Staatswohl? Grenzen der juristischen Aufarbeitung im NSU-Komplex Postmigrantisches Gedenken. Solidarische Praktiken gegen institutionellen Rassismus Zeugnis ablegen und gehört werden. Betroffenenperspektiven auf ein mögliches Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex Vielstimmig aufarbeiten. Zivilgesellschaftliche Perspektiven auf ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex

"Szenetypische Straftaten" Zur Rolle der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex

Heike Kleffner

/ 20 Minuten zu lesen

Welche Verantwortung tragen die Institutionen der deutschen Sicherheitsarchitektur dafür, dass die beispiellose Mord- und Anschlagsserie des NSU weder verhindert oder gestoppt noch vollständig aufgeklärt wurde? Welche Lehren müssen daraus gezogen werden?

Als "beschämende Niederlage der deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden" bezeichneten die Obleute des ersten NSU-Untersuchungsausschusses 2013 im Deutschen Bundestag die Tatsache, dass weder die Mord- und Anschlagsserie des Netzwerks des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) verhindert, noch die Täter ermittelt werden konnten. Ein Jahrzehnt liegt diese für Polizei, Justiz und Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern verheerende Bilanz der Abgeordneten von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und FDP nun zurück.

Seitdem haben sich insgesamt 15 parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Bund und fast allen Tatortländern der NSU-Mordserie mit der Arbeit von Polizei und Justiz im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex sowie mit dem Handeln der Verfassungsschutzämter beschäftigt. Zuletzt legte der zweite Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags im Juli 2023 seinen Abschlussbericht vor. In Mecklenburg-Vorpommern hat die Beweisaufnahme des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag im Januar 2023 begonnen. Im Mittelpunkt des öffentlichen und parlamentarischen Interesses stehen nach wie vor die Fragen: Welche Verantwortung tragen die Institutionen der Sicherheitsarchitektur dafür, dass die in der blutigen Geschichte des deutschen Rechtsterrorismus beispiellose Mord- und Anschlagsserie weder verhindert oder gestoppt noch vollständig aufgeklärt wurde? Welche Lehren müssen daraus gezogen werden? Und welche andauernden Nachwirkungen hat die Kette des staatlichen Versagens für die direkt Betroffenen des NSU-Terrors?

Anhaltend offene Fragen

Angesichts der Heterogenität und der fortschreitenden Diversifizierung von Täter:innen und Unterstützer:innen rechtsterroristischer Attentate und Netzwerke ist ein Rückblick auf die Rolle von Polizei, Justiz und Geheimdiensten dringend notwendig. Denn der NSU-Komplex ist kein abgeschlossenes Kapitel; bis heute quält es die Hinterbliebenen und Verletzten, dass Antworten auf ihre zentralen Fragen fehlen: Wie kam es dazu, dass ausgerechnet ihre Väter, ihre Brüder und Söhne, ihre Tochter ermordet wurden? Wer waren die Helfer:innen des NSU-Kerntrios an den Tatorten? Was wussten die Verfassungsschutzämter über das NSU-Netzwerk? Und wer übernimmt dafür die Verantwortung?

Auch für die Ermittlungsbehörden ist der NSU-Komplex – zumindest formal – nicht abgeschlossen. Noch immer führt die Generalbundesanwaltschaft drei Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gegen vier namentlich bekannte Neonazis aus dem engsten Umfeld des NSU-Kerntrios. Darunter ist auch die Ehefrau von André Eminger, eine der engsten Vertrauten von Beate Zschäpe während des Jahrzehnts, in dem das Kerntrio in Zwickau lebte, von wo aus es den Terror plante. Auch ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren gegen "unbekannt" wird beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe weiterhin geführt. Zuletzt schien es, dass die Ermittlungsbehörden von einer kurzen Bemerkung in der Vernehmung von Beate Zschäpe durch Obleute des Bayerischen Untersuchungsausschusses in der Frauenhaftanstalt Chemnitz Ende Mai 2023 aufgeschreckt wurden. Auf die Frage nach den Gründen für ein Ende der bislang bekannten Mordserie nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007 antwortete sie: "Aber vielleicht hat es ja dann gar nicht aufgehört und die haben das nachher einfach nicht mehr auf die DVD draufgemacht."

Die Frage nach weiteren, bislang nicht dem NSU-Netzwerk zugeordneten Morden oder Anschlägen steht ohnehin schon seit der Aussage des geständigen NSU-Unterstützers Carsten S. im Prozess am Oberlandesgericht (OLG) München im Juni 2013 im Raum: Erst als der Angeklagte sein Wissen zum Sprengstoffattentat am 23. Juni 1999 auf die Pilsbar "Sonnenschein" in Nürnberg preisgab, wurde dieser erste NSU-Anschlag überhaupt bei Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesanwaltschaft bekannt. Der damals 18-jährige Mehmet O. war durch hochexplosiven Sprengstoff, der in einer Taschenlampe versteckt war, schwer verletzt worden. Bis zur Aussage von Carsten S. hatte kein Ermittler diesen Anschlag dem rechtsterroristischen Netzwerk zugeordnet. Die auf Verdächtigungen gegen das Opfer und dessen Freundeskreis fokussierten Ermittlungsansätze "Schutzgelderpressung", "türkeistämmige Mafia" und "Ausländerextremismus", die die Nürnberger Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgt hatten, sollten sich fortan wie ein roter Faden in allen weiteren Ermittlungen von Polizei und Justiz in der Mord- und Anschlagsserie wiederholen. Mehmet O. beschrieb erstmals im Oktober 2022 im zweiten Bayerischen Untersuchungsausschuss öffentlich, wie dieser Ermittlungsansatz ihn stigmatisierte und dazu führte, dass er seine Heimatstadt Nürnberg schließlich traumatisiert verließ.

Kriminalisierung und Täter-Opfer-Umkehr

Nach dem Tod des 38-jährigen Blumenhändlers Enver Şimşek am 11. September 2000, der zwei Tage zuvor auf der Ladefläche seines mobilen Blumenstands in Nürnberg durch fünf Schüsse unter anderem aus einer Pistole vom Typ "Česká 83" schwer verletzt worden war, richtete sich der Verdacht der Mordkommission im Polizeipräsidium Nürnberg rasch gegen seine trauernde Witwe. Zunächst unterstellen die Ermittler:innen, Adile Şimşek habe gemeinsam mit ihrem Bruder ihren Ehemann aus Habgier ermordet. Dann behauptete die Mordkommission, der getötete Familienvater habe Verbindungen zum organisierten Drogenhandel gehabt – und begründete dies mit seinen beruflichen Fahrten in die Niederlande. Die Wohnung der Familie wurde durchsucht und observiert, das Telefon abgehört. Immer wieder musste Adile Şimşek zu Vernehmungen erscheinen; auch ihre 14-jährige Tochter Semiya wurde stundenlang und ohne erwachsene Begleitpersonen verhört. Derweil verbreiteten Lokalmedien ungeprüft die Ermittlungshypothesen weiter – und damit auch die Verdächtigungen gegen die Familie.

Nach jedem der noch folgenden acht rassistischen NSU-Morde gerieten Adile und Semiya Şimşek wieder in den Fokus der Polizei. So auch nach den Morden am 39-jährigen Mehmet Kubaşık und am 21-jährigen Halit Yozgat am 4. und 6. April 2006 in Dortmund und Kassel: Im Dezember standen Ermittler der sogenannten Besonderen Aufbauorganisation (BAO) "Bosporus", einer von Nürnberg aus geleiteten bundesweit agierenden Sonderkommission, wieder in der Wohnung der Familie Şimşek. Bei der "Befragung" übersetzte die Tochter für ihre Mutter. Vier Wochen später wurden Adile Şimşek und ihre beiden Kinder erneut aufgesucht. Dieses Mal blieben die Beamten vier Stunden, wieder übersetzte Semiya Şimşek. Obwohl zu diesem Zeitpunkt längst eine zweite "Operative Fallanalyse" des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) vorlag, bei der Profiler "Türkenhass" beziehungsweise "Fremdenfeindlichkeit" als Tatmotiv vermuteten, stellten die Polizist:innen zum wiederholten Mal ausschließlich die bekannten Fragen zu Geschäftsbeziehungen von Enver Şimşek und dessen Freundes- und Bekanntenkreis. Adile und Semiya Şimşek blieben diesen Verdächtigungen über ein Jahrzehnt lang ausgesetzt – dabei gab es nie Hinweise darauf, dass Enver Şimşek in kriminelle Machenschaften verstrickt gewesen wäre. Ein rassistisches Motiv zogen weder Polizei noch Staatsanwaltschaft jemals ernsthaft in Erwägung. "Elf Jahre lang durften wir nicht einmal reinen Gewissens Opfer sein", sagte Semiya Şimşek im Februar 2012 beim offiziellen Trauerakt der Bundesregierung.

Von Anfang an, das betont Seda Başay-Yıldız, die Anwältin und Nebenklagevertreterin der Familie Şimşek, hätten sich die Ermittler von der Hypothese einer unbekannten kriminellen Organisation leiten lassen, die ihrer Vorstellung nach aus einem migrantischen Milieu heraus agierte. Wahlweise, und je nach Biografie, Beruf oder Aufenthaltsstatus der neun ermordeten Männer, sollte es sich dabei um eine "Blumenmafia", "Dönermafia", "Drogenmafia" oder "Menschenschmugglerbande", die kurdische PKK oder die "Türkische Hisbollah" handeln. Um diesen Hypothesen nachzugehen, scheuten die Ermittler:innen der Sonderkommission "Halbmond" und später der BAO "Bosporus" keinen Aufwand: Nachdem der 24-jährige Kurde Mehmet Turgut am 25. Februar 2004 in einem Imbiss in Rostock-Toitenwinkel als fünftes Opfer der damals sogenannten Česká-Mordserie regelrecht hingerichtet worden war, reisten beispielsweise deutsche Polizeibeamte bis in den Herkunftsort seiner Familie in einer entlegenen kurdischen Provinz der Türkei. Dort vernahmen sie Geschwister, Eltern und auch entfernteste Verwandte. Die Fragen der Ermittler auf der Suche nach einer vermeintlichen kriminellen Organisation aus dem Drogen- oder Geldwäschemilieu stigmatisierten die Familie in ihrem sozialen Umfeld massiv, sodass sie schließlich ihr Heimatdorf verließ.

Bestärkt wurden die Polizeibeamt:innen hingegen durch Verfassungsschutzämter, deren Abteilungen für Organisierte Kriminalität regelmäßig Gerüchte ihrer Informanten über vermeintlich kriminelle Aktivitäten im Umfeld der jeweiligen Mordopfer an die BAO "Bosporus" weitergaben. Aber auch die Profiler des LKA Baden-Württemberg stärkten in einer dritten "Operativen Fallanalyse" vom Winter 2007 diesen Ansatz. Die Spezialist:innen spekulierten darin über die Herkunft der Täter:innen: "Auch spricht der die Gruppe prägende rigide Ehrenkodex eher für eine Gruppierung im ost- bzw. südosteuropäischen Raum (nicht europäisch westlicher Hintergrund). (…) Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist". Die Tatsache, dass die Hinterbliebenen keine brauchbaren Hinweise auf mögliche Täter lieferten, wurde von den Ermittlern mit der Existenz eines vermeintlich "milieutypischen Schweigekartells" begründet.

Im Juli 2006 etwa berichtete die "Berliner Zeitung" über ein Gespräch mit Wolfgang Geier, dem damaligen Leiter der BAO "Bosporus" beim Polizeipräsidium Nürnberg, der die Ermittlungen der einzelnen Mordkommissionen an den Tatorten koordinieren sollte. Geier sprach über seine Vermutung, "dass ihm bei den Befragungen nicht immer die Wahrheit gesagt werde. Oder nicht die ganze Wahrheit. Ich denke an Bekannte, Freunde und Verwandte der Opfer. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie uns nichts sagen können oder nichts sagen wollen. Von dieser Seite kamen jedenfalls keine wichtigen Hinweise." Der "Berliner Zeitung" zufolge sprach Geier von einer Parallelwelt, in die er geblickt habe und in der es kein Vertrauen zu den Behörden gebe. Vor einiger Zeit, so Geier, hätten die Ermittlungsbehörden die Belohnung für Hinweise von 30.000 auf 300.000 Euro erhöht und gehofft, dass sich selbst in kriminellen Organisationen jemand finde, der bei einer solchen Summe schwach würde. "Aber es blieb still." Noch 2010 präsentierte der damalige BKA-Präsident Jörg Ziercke die sogenannte Česká-Mordserie bei einem Vortrag zur Organisierten Kriminalität als herausragendes Beispiel für einen ungelösten Fall aus diesem Kriminalitätsbereich.

Zweifelhafte Methoden

Die Ermittler:innen schreckten auch vor dem Einsatz verbotener Vernehmungsmethoden nicht zurück. Mehrere Hinterbliebene – darunter Adile Şimşek sowie Yvonne Boulgarides, die Witwe des am 15. Juni 2005 in München ermordeten Schlüsseldienstinhabers und siebten NSU-Mordopfers Theodoros Boulgarides – haben beschrieben, wie ihnen von den bayerischen Ermittlern Fotos einer ihnen unbekannten blonden Frau vorgelegt wurden. Dann seien sie mit der Behauptung konfrontiert worden, ihre ermordeten Ehemänner hätten ein außereheliches Verhältnis mit dieser Frau gehabt. Semiya Şimşek hat dies in erschütternden Details beschrieben: "Irgendwann erzählten sie uns, dass mein Vater noch eine zweite Familie gehabt hätte. Angeblich eine deutsche Frau – blond soll sie gewesen sein –, mit der er ebenfalls zwei Kinder hätte. Sie zeigten meiner Mutter sogar Fotos: Schauen Sie, Ihr Mann war mit dieser Frau zusammen. Auch diese bizarre Szene wiederholte sich, die Polizisten erzählten immer wieder, dass Vater andere Frauen hatte. Meine Mutter fiel darauf nicht herein, sie hat das nie geglaubt und antwortete: Wenn das stimmt, können seine anderen Kinder bei uns wohnen, und die Frau kann auch zu uns ziehen. Das sind dann auch meine Kinder, unser Haus ist ihr Haus. Die Polizei hat wohl einfach ausgetestet, wie wir reagieren. Einer von ihnen räumte lange nach einer dieser Vernehmungen ein, dass es nur ein Versuch war, reine Taktik. Er redete meiner Mutter zu, sie solle ihren Mann genauso in Erinnerung behalten, wie sie ihn kannte. Ihnen sei es nur darum gegangen, die Möglichkeiten abzuklopfen, sie zu verunsichern, herauszufinden, ob sie, mit solchen Behauptungen konfrontiert, etwas aussagt, das den Verdacht erhärtet."

Yvonne Boulgarides reagierte – fünf Jahre und sechs Morde später – auf die "Hypothese" der Ermittler, eifersüchtige Ehefrauen hätten in Serie ihre treulosen Ehemänner mit der immer gleichen Tatwaffe ermordet, mit zorniger Fassungslosigkeit. Auf die Unterstellung, sie selbst oder ein von ihr engagierter Killer hätte ihren griechischstämmigen Ehemann umgebracht, entgegnete sie: "Und damit es nicht auffällt, habe ich vorher sechs Türken ermordet?" Die Ermittler richteten auch hier ihren Tatverdacht lange Zeit gegen den Bruder des Ermordeten. Die damals 15-jährige Tochter vernahmen sie unmittelbar nach dem Tod des Vaters ohne Beistand einer erwachsenen Bezugsperson. Die Nebenklagevertreterin von Yvonne Boulgarides, die Anwältin Angelika Lex, stellte zu Beginn des Prozesses am OLG München im April 2013 fest: "Die Ermittlungsbehörden haben die Angehörigen nicht als Opfer von rassistischen Gewalttaten wahrgenommen, sondern sie kriminalisiert und diffamiert. Sie wurden als Beteiligte an kriminellen Machenschaften gesehen, die angeblich in organisierte Kriminalität, in Banden- und Rauschgiftgeschäfte, in Prostitution verstrickt waren. Nur weil im rassistischen Weltbild dieser Ermittler schlicht nicht vorkam, dass Menschen nichtdeutscher Herkunft Opfer rassistischer Gewalt werden."

Institutioneller Rassismus

Knapp zehn Jahre später hat Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag nochmals betont: Verantwortlich für das Scheitern der Ermittlungsbehörden im NSU-Komplex sei der institutionelle Rassismus der Polizeibehörden, der die bürgerlichen Existenzen der Angehörigen der Mordopfer und der Überlebenden der Bombenattentate zerstört habe. Die Reaktion von Politiker:innen, damit würden Polizist:innen pauschal als Rassist:innen abgestempelt, kennt die Anwältin seit Jahren. Sie verweist dann unter anderem auf einen Parallelbericht für den UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung, in dem sie mit weiteren Nebenklagevertreter:innen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaftler:innen und Einzelpersonen bereits 2015 festhielt: "Institutioneller Rassismus bedeutet nicht, dass notwendigerweise alle Personen, die in entsprechenden Institutionen arbeiten, persönlich rassistische Absichten verfolgen. Der Rassismus ist stattdessen oft in Routinen und Regelungen eingewoben, welche diese Diskriminierung erzeugen, ohne dass es den Beteiligten auffallen muss." Institutioneller Rassismus sei somit – und hier wird die international gängige Definition der MacPherson-Kommission übernommen – "das kollektive Versagen einer Institution, die Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Kultur oder ethnischen Herkunft nicht angemessen und professionell behandelt." Auch wenn diese Definition international Anwendung findet, hält in Deutschland die Auseinandersetzung sowohl um den Begriff als auch um den konkreten Bezug zum NSU-Komplex an.

Viele der an den Ermittlungen zum NSU-Komplex beteiligten Polizist:innen und Staatsanwält:innen weisen die Analyse vehement zurück, dass institutioneller Rassismus und ein mangelndes Verständnis von Rechtsterrorismus ihnen den Weg zu Ermittlungserfolgen versperrt hätten. Im zweiten Bayerischen Untersuchungsausschuss sprach etwa Bundesanwalt Jochen Weingarten, der die Anklage am OLG München vertreten hatte, von einem objektiven Strafverfolgungsversagen, betonte aber, den einen Fehler in den Ermittlungen habe es nicht gegeben. Andere Ermittler:innen verweisen auf fehlende Bekennerschreiben zur Mordserie. Für eine massivere Abwehrhaltung steht exemplarisch die Zeugenaussage des inzwischen verstorbenen langjährigen Leiters der Münchener Mordkommission, Josef Wilfling, vor dem OLG München im Juli 2013: "Jetzt wollen wir mal bitte nicht so tun, als ob es keine türkische Drogenmafia gibt", antwortete er sichtlich erregt auf die Kritik von Nebenklagevertreter:innen. Diese hatten Wilfling vorgeworfen, nach dem Mord an dem Münchner Gemüsehändler Habil Kılıç am 29. August 2001 seien die von ihm angeordneten Ermittlungsschritte von rassistischen Stereotypen, nicht aber von Fakten geleitet gewesen. Nach ähnlichen Aussagen von Polizist:innen im ersten Bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss stellte eine Gruppe von Nebenklagevertreter:innen resigniert fest: "Ermittler, die noch nicht einmal Fehler in ihrer Polizeiarbeit zugeben können, können erst recht nicht erkennen, dass institutioneller Rassismus ein Grundübel für die Nichtaufklärung der Taten des NSU gewesen ist, geschweige denn über Konzepte nachzudenken, wie diese beseitigt werden könnten." Und sie mahnten: Mit solchen Mordermittlern werde es "auch in Zukunft schwierig werden, rechtsterroristische Taten aufzuklären."

Fahrlässige Straflosigkeit

Neben den Ermittlungen von Polizei und Justiz zur Mord-, Anschlags- und Banküberfallserie des NSU-Netzwerks stand auch die Strafverfolgung der Neonaziszene der 1990er Jahre im Mittelpunkt zahlreicher Untersuchungsausschüsse – schließlich war dies die Zeit, in der viele Rechtsextremisten politisiert und sozialisiert wurden. In ihren fraktionsübergreifenden Bewertungen kamen die Obleute des ersten Bundestagsuntersuchungsausschusses zu einem deutlichen Urteil: "Die frühen 1990er Jahre waren geprägt durch eine Welle rassistischer und neonazistischer Gewalttaten, insbesondere gegen Flüchtlinge und Migranten. Diese rassistisch motivierte Gewalt wurde in den neuen Bundesländern vielfach im öffentlichen Raum, vor den Augen zahlreicher – oftmals sympathisierender – Anwohner verübt, ohne dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden wirksam auf Seiten der Opfer eingriffen und effektiv und erkennbar gegen die Täterinnen und Täter vorgingen. Potenzielle Nachahmer und Sympathisanten der extremen Rechten konnten sich dadurch ermutigt und bestätigt fühlen."

Dies gelte auch für das spätere NSU-Kerntrio und seine Unterstützer:innen aus dem "Thüringer Heimatschutz" (THS), so die Obleute: "Der Ausschuss hat den Eindruck gewonnen, dass schleppend verlaufende polizeiliche Ermittlungen gegen Neonazi-Aktivisten mit darauf folgenden Einstellungen durch Staatsanwaltschaften oder Gerichte in den 1990er Jahren in Thüringen zum Alltag gehörten. Damit vermittelten sowohl die Polizei als auch Staatsanwaltschaften und Gerichte den Eindruck, dass rechtsextrem motivierte Straftaten nur halbherzig verfolgt würden und die Täter letztendlich kaum mit schwerwiegenden Konsequenzen zu rechnen hätten." Der Ausschuss sei daher zu der Überzeugung gekommen, "dass die Strafverfolgungsorgane in Thüringen damit die Radikalisierung innerhalb des ‚THS‘ und der mit ihm verbundenen Kameradschaften nicht ausreichend ernst genommen, die in diesem Zusammenhang verübten Straftaten nicht mit dem notwendigen Nachdruck verfolgt und geltendes Recht nicht konsequent angewendet haben. Dies hat sicherlich dazu beigetragen, dass das Trio und seine Unterstützer aus Thüringen davon ausgehen konnten, auch mit schweren Gewalttaten straffrei davon zu kommen."

Rolle des Verfassungsschutzes

Nicht minder drastisch ist das Urteil der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse hinsichtlich der Rolle der Verfassungsschutzämter. Unter der Überschrift "Unterschätzung und Verharmlosung" stellen die Obleute dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln sowie den Landesämtern (LfV) insbesondere in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ein verheerendes Zeugnis aus: "Die Analyse der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zur rechtsterroristischen Gefahr war falsch und grob verharmlosend." Dass es in Deutschland so etwas wie rechtsterroristische Strukturen gebe, sei sowohl vom BfV als auch vom BKA im untersuchten Zeitraum stets bestritten worden.

Beispielhaft für die Verharmlosung der seit Mitte der 1990er Jahre offensichtlichen Entwicklung der Neonazi-Netzwerke "Blood and Honour", "Hammerskins" und "Thüringer Heimatschutz", in denen das NSU-Kerntrio und seine engsten Unterstützer:innen aktiv waren, stehen Aussagen des ehemaligen BfV-Vizepräsidenten und späteren Geheimdienstkoordinators der Bundesregierung, Klaus-Dieter Fritsche. Nachdem die Strafverfolger im Sommer 2003 einen von Aktivist:innen der neonazistischen "Kameradschaft Süd" geplanten Sprengstoffanschlag mit 1,2 Kilogramm TNT auf die feierliche Grundsteinlegung für das Jüdische Gemeindezentrum in München verhindern konnten, fragten Journalist:innen das Bundesinnenministerium (BMI), ob der Verfassungsschutz die Entstehung einer "braunen RAF" befürchte. Das BMI gab die Frage an das BfV weiter, dessen Vizepräsident Fritsche daraufhin schriftlich antwortete: "Bei einem Vergleich mit der RAF muss zumindest das wesentliche Merkmal dieser terroristischen Bestrebungen berücksichtigt werden. Die RAF führte ihren bewaffneten Kampf aus der Illegalität heraus. Das heißt, die Gruppe lebte unter falscher Identität, ausgestattet mit falschen Personaldokumenten und Fahrzeugdubletten in konspirativen Wohnungen. Dies erforderte ein hohes Know-how und ein Sympathisantenumfeld, das bereit war, den bewaffneten Kampf aus der Illegalität zu unterstützen. Zur Finanzierung dieses Kampfes wurden Raubüberfälle begangen. Absichten, einen Kampf aus der Illegalität heraus mit den damit verbundenen Umständen zu führen, sind in der rechten Szene nicht erkennbar. Es gibt derzeit auch keine Anhaltspunkte, dass eine solche Gruppe ein Umfeld finden würde, das ihr einen solchen Kampf ermöglicht. (…) In der Presse wird angeführt, dass es im Rechtsextremismus sehr wohl ein potentielles Unterstützerfeld gebe. Hierzu wird auf drei Bombenbauer aus Thüringen verwiesen, die seit mehreren Jahren ‚abgetaucht‘ seien und dabei sicherlich die Unterstützung Dritter erhalten hätten. Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Personen auf der Flucht sind und – soweit erkennbar – seither keine Gewalttaten begangen haben. Deren Unterstützung ist daher nicht zu vergleichen mit der für einen bewaffneten Kampf aus der Illegalität."

Zum Zeitpunkt dieser Einschätzung hatte das NSU-Netzwerk schon Enver Şimşek und Abdurrahim Özüdoğru in Nürnberg, Süleyman Taşköprü in Hamburg und Habil Kılıç in München ermordet und mehrere Banken überfallen. Das NSU-Kerntrio war seit seiner erfolgreichen Flucht vor der Polizei im Januar 1998 Dank der Hilfe von Wohnungs- und Fahrzeuganmietungen seiner Unterstützer:innen von Chemnitz nach Zwickau umgezogen und plante den Mord an Mehmet Turgut. Nach einer Spende aus einem der Raubüberfälle – übermittelt per Brief mit dem Absender "NSU" – veröffentlichte der Neonazi-Rundbrief "Der Weisse Wolf" in der Ausgabe 8/2002 den Hinweis: "Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen."

Belastende Beispiele wie diese wurden in den Untersuchungsausschüssen zahlreich zusammengetragen. Nicht zuletzt waren Polizei und Geheimdienste nach mehreren Razzien mit Waffen- und Sprengstofffunden im gesamten Bundesgebiet sowie durch neonazistische V-Personen und Informant:innen über den steigenden Grad der Bewaffnung der Neonaziszene gut informiert.

Das V-Leute-System

Schon Mitte der 1990er Jahre beschwerte sich das BKA beim BMI über die exzessive Anwerbung von führenden Neonazis als V-Leute durch das Bundesamt und zahlreiche Landesämter für Verfassungsschutz. Die Strafverfolger beschrieben einen "Brandstifter-Effekt": Die V-Leute würden mit dem Geld der Verfassungsschutzämter ihre Führungspositionen zementieren und sich gegenseitig zu immer militanteren Aktionen und Aufmärschen anstacheln, um so ihren Wert als "Quelle" unter Beweis zu stellen und gleichzeitig die Neonazistrukturen weiter auszubauen. Weil V-Leute-Führer ihre jeweiligen Schützlinge im Vorfeld von Hausdurchsuchungen und anderen polizeilichen Maßnahmen warnten, würde die Arbeit der Strafverfolger zusätzlich erschwert.

Am Prinzip des "Quellenschutzes vor Strafverfolgung" änderte sich jedoch nichts. Im Gegenteil: In seinem Plädoyer im NSU-Prozess vor dem OLG München beschrieb Gamze Kubaşıks Anwalt Sebastian Scharmer eindrücklich, dass zwischen 1994 und 2006 mindestens ein Dutzend Neonazis im Netzwerk der engen Unterstützer:innen des Kerntrios als V-Personen und Informant:innen von Verfassungsschutzämtern und Polizeien geführt wurden. Einige von ihnen – wie etwa Tino Brandt, der von 1994 bis 2001 dem Thüringischen LfV aus dem Führungskreis des "Thüringer Heimatschutzes" berichtete – erhielten für die Informationen aus der Neonaziszene über 100.000 Euro.

In zahlreichen Beweisanträgen und Zeug:innenbefragungen im Prozess am OLG München ebenso wie in den Untersuchungsausschüssen, in Fernsehdokumentationen und Büchern steht daher vor allem eine Frage im Mittelpunkt: Was wussten die Geheimdienste des Bundes und der Länder durch die neonazistischen V-Leute im "Blood and Honour"-Netzwerk, in den thüringischen und sächsischen Kameradschaften und in den "Hammerskin"-Chaptern in Thüringen und Sachsen über die Unterstützung des mutmaßlichen NSU-Kerntrios durch polizei- und verfassungsschutzbekannte Neonazis in Thüringen, Chemnitz und Zwickau? Gab beziehungsweise gibt es V-Leute oder V-Mann-Führer, die Informationen über die Bewaffnung des NSU, dessen Raubüberfälle oder die rassistische Mord- und Anschlagsserie hatten? Und wenn ja, was ist mit diesem Wissen jeweils passiert? Haben neonazistische V-Leute – wie der Zwickauer Neonazi Ralf Marschner (V-Mann "Primus" des BfV), der Thüringer "Blood and Honour"-Chef Marcel Degner (V-Mann "Hagel" des Thüringer LfV) oder der Thüringer Neonazi Michael See (V-Mann "Tarif" des BfV) – ihr Wissen verheimlicht und ihre V-Mann-Führer angelogen? Oder haben sie – wie Carsten Sczepanski (V-Mann "Piatto" des LfV Brandenburg) oder Tino Brandt (V-Mann "Otto" des LfV Thüringen) – den jeweiligen V-Mann-Führern Informationsbrocken zu den Aufenthaltsorten des gesuchten Neonazi-Trios geliefert, die dann in den Behörden entweder aufgrund der Verharmlosung von neonazistischen Terrorstrukturen falsch bewertet oder zu wenig beachtet wurden? Oder gab es daraufhin Geheimdienstmaßnahmen, die den Parlamenten und der Öffentlichkeit bisher vorenthalten wurden?

Beispielhaft sei hier auf das umfassende Kapitel im Abschlussbericht des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages zur Rolle von V-Mann Ralf Marschner alias "Primus" in Zwickau verwiesen: Der damals 20-Jährige wurde 1992 vom BfV als V-Mann übernommen, nachdem seit 1991 gegen ihn wegen Rädelsführerschaft bei einem koordinierten Angriff von 100 Neonazis auf eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft ermittelt wurde. Weder dieses noch eines der zahlreichen folgenden Ermittlungsverfahren führte je zu einer Verurteilung. So, wie es sein langjähriger V-Mann-Führer im Untersuchungsausschuss einschätzte, habe es sich nicht um "schwerwiegende", sondern um "szenetypische Straftaten" gehandelt. Marschner sei "eben ein typischer Vertreter der subkulturellen Skinhead-Szene mit allen Vor- und Nachteilen" gewesen. Während seiner V-Mann-Tätigkeit bis 2002 produzierte und vertrieb "Primus" mithilfe des Verfassungsschutzes neonazistische Musik und organisierte einschlägige Konzerte, bei denen rassistische Morde und die Shoah glorifiziert wurden. Schwerer noch als der Vorwurf der Unterstützung des NSU-Kerntrios durch deren zeitweilige Beschäftigung in seinen Läden beziehungsweise in dem von ihm betriebenen "Marschner Bauservice" in Zwickau wiegt jedoch die bis heute nicht widerlegte Annahme, dass die Anmietungen von drei Mietautos durch den V-Mann zum jeweiligen Tatzeitpunkt der Ermordung von Abdurrahim Özüdoğru am 13. Juni 2001 in Nürnberg, Süleyman Taşköprü am 27. Juni 2001 in Hamburg und an Habil Kılıç am 29. August 2001 in München im Zusammenhang mit der rassistischen Mordserie standen. Denn für diese Morde des NSU-Netzwerks – als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach Aussagen von Arbeitskollegen und dem damaligen Bauleiter für den "Marschner Bauservice" in dessen Abrisskolonne bundesweit tätig waren – existieren, anders als bei den beiden Sprengstoffanschlägen des NSU-Netzwerks in Köln und den sieben weiteren Mordtaten, keine Autoanmietungen unter den bekannten Alias-Namen von Mundlos und Böhnhardt. Das Votum der Obleute aller Fraktionen zu Marschners Rolle als Unterstützer des NSU-Kerntrios fiel daher einhellig aus: "Der Untersuchungsausschuss geht (…) davon aus, dass M[arschner] Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe kannte."

Blockierte Aufklärung

Wie Verfassungsschutzbeamte unliebsame Informationen von und über V-Leute im Umfeld des NSU-Netzwerks den Prozessbeteiligten und der Öffentlichkeit vorenthielten und warum, hat der langjährige Referatsleiter im BfV mit dem Tarnnamen "Lothar Lingen", der wenige Tage nach der Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios zahlreiche V-Leute-Akten vernichten ließ, in einer Vernehmung beim Generalbundesanwalt beschrieben. Wörtlich sagte "Lingen" in der Vernehmung, von der er wohl annahm, sie bliebe vertraulich: "Mir war bereits am 10./11. November 2011 völlig klar, dass sich die Öffentlichkeit sehr für die Quellenlage des BfV in Thüringen interessieren wird. Die bloße Bezifferung der seinerzeit in Thüringen vom BfV geführten Quellen mit acht, neun oder zehn Fällen hätte zu der – ja nun auch heute noch intensiv gestellten – Frage geführt, aus welchem Grunde die Verfassungsschutzbehörden über die terroristischen Aktivitäten der Drei [gemeint sind die NSU-Kernmitglieder] eigentlich nicht informiert gewesen sind. Die nackten Zahlen sprachen ja dafür, dass wir wussten, was da läuft, was aber ja nicht der Fall war. Und da habe ich mir gedacht, wenn der quantitative Aspekt, also die Anzahl unserer Quellen im Bereich des THS und in Thüringen nicht bekannt wird, dass dann die Frage, warum das BfV von nichts was gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht."

Und nicht zuletzt auch, weil die Anwesenheit des hessischen V-Mann-Führers Andreas Temme am Tatort zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel nach unabhängigen Recherchen der britischen Wissenschaftler von "Forensic Architecture" neu bewertet werden muss, werfen Nebenklagevertreter:innen und auch Parlamentarier:innen den Geheimdiensten eine Blockade der umfassenden Aufklärung vor, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel den Hinterbliebenen und Überlebenden bei der zentralen Trauerfeier 2012 versprochen hatte.

Das verlorene Vertrauen wirkt auch im Umgang mit späteren rechtsterroristischen Taten nach. So sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Februar 2021 in seiner Rede zum ersten Jahrestag des rassistischen Anschlags von Hanau mit Blick auf den Wunsch der Angehörigen nach umfassender Aufklärung von einer "Bringschuld des Staates". Doch die vielen Aktenvernichtungen im NSU-Kontext, die verweigerten Informationen, die den Prozessbeteiligten und der Öffentlichkeit über Jahrzehnte mit dem Verweis auf "Quellenschutz" entzogenen Informationen – wie etwa die NSU-Akten in Hessen – sprechen eine andere Sprache. Und sie schaffen Fakten.

ist freie Journalistin und Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. Sie war wissenschaftliche Referentin für die NSU-Untersuchungsausschüsse der Linksfraktion im Bundestag.