Dieser Artikel geht auf ein Gespräch zwischen İbrahim Arslan und Madlyn Sauer zurück, nachdem Sauers Buch "Wir klagen an!" zu den NSU-Tribunalen im Dezember 2022 im Unrast-Verlag erschienen war und sich darin zu wenige Betroffenenperspektiven in Form von Gesprächs- und Interviewpartner*innen fanden.
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Es darf kein Vergessen geben. Ein einfacher Satz. Hinter ihm versammeln sich die Geschichten und Erfahrungen unzähliger Betroffener und Opfer rechter Gewalt. Als Hauptzeug*innen des Geschehenen müssen ihre Erinnerungen zur Erinnerung aller werden. Ein würdiges Gedenken an die Opfer, Überlebenden und Betroffenen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ihre Namen, ihre Leben, ihre Träume und Wünsche bilden das Fundament unserer solidarischen Kämpfe für eine bessere Zukunft. Hierfür gilt es, die Erinnerung zurück zu erkämpfen: reclaim and remember.
In Erinnerung an:
Enver Şimşek,
Abdurrahim Özüdoğru,
Süleyman Taşköprü,
Habil Kılıç,
Mehmet Turgut,
İsmail Yaşar,
Theodoros Boulgarides,
Mehmet Kubaşık,
Halit Yozgat,
Michèle Kiesewetter,
Atilla Özer
und die vielen Verletzten, Überlebenden und weiteren Betroffenen der drei NSU-Bombenanschläge in Nürnberg und Köln.
Wir klagen an!
Vom 17. bis 21. Mai 2017 berief das bundesweite Aktionsbündnis "NSU-Komplex auflösen" sein erstes Tribunal für fünf Tage am Schauspiel Köln ein.
Parallel zum NSU-Prozess am Oberlandesgericht in München und nach zahlreichen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen positionierte sich das zivilgesellschaftliche Tribunal als Gegenprozess aus Betroffenenperspektive und forderte mit seiner antirassistischen und antifaschistischen Vision der "Gesellschaft der Vielen" einen gesamtgesellschaftlichen Wandel ein. Die NSU-Tribunale sind Teil einer weltweiten Geschichte und eine Praxis sozialer Bewegungen: Im Rahmen eines selbstorganisierten symbolischen Strafprozesses werden Verbrechen und systemisches Unrecht – begangen von Regierungen, Militär, Behörden und Unternehmen – öffentlich gegenhegemonial untersucht und moralisch angeklagt, um die Würde der Betroffenen wiederherzustellen und dadurch Gerechtigkeit zu üben.
Ihren Anfang nahm diese spezifische Rechts- und Gerechtigkeitspraxis mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal für Vietnam, das 1966 vom britischen Friedensaktivisten Bertrand Russell einberufen wurde, um die Verbrechen der USA und ihrer Verbündeten im Vietnamkrieg zu untersuchen. Seither wurden zahlreiche internationale peoples’ tribunals (Völkertribunale) organisiert, die der legalistischen Verfahrensweise des Vietnam-Tribunals folgen. Dazu zählen weitere Russell-Tribunale wie das Welttribunal für den Irak 2005, das Internationale Iran Tribunal 2012 sowie die insgesamt 52 Sitzungen des 1979 in Rom gegründeten Tribunale permanente dei Popoli, des Ständigen Völkertribunals. Daneben gibt es unzählige regionale und eher community-basierte Prozesse, in denen die Organisator*innen teils sehr kreative und innovative, künstlerische und aktivistische Formate und Praktiken des Bezeugens, Anerkennens, Anklagens, Erinnerns und Versammelns entwickeln. Zu ihnen gehören auch die vier NSU-Tribunale in Köln 2017, Mannheim 2018, Chemnitz und Zwickau 2019 sowie Nürnberg 2022.
Treten klassischerweise Menschenrechtsverteidiger*innen und Rechtsanwält*innen als Initiator*innen in Erscheinung, wurden die NSU-Tribunale vornehmlich von Aktivist*innen aus autonomen antirassistischen und antifaschistischen Bewegungen sowie von politischen Bildner*innen, Kunst-, Theater- und Kulturschaffenden, Betroffenen und Angehörigen sowie Journalist*innen organisiert. Unter dem Dach des Aktionsbündnisses "NSU-Komplex auflösen" kamen neben "Keupstraße ist überall" verschiedene weitere Aufklärungs- und Erinnerungsinitiativen wie die "Initiative 6. April" aus Kassel, "Das Schweigen durchbrechen" aus Nürnberg, die "Ortsgruppe Jena", der "Freundeskreis in Gedenken an die Brandanschläge in Mölln 1992", die "Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektas" aus Berlin und die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" aus Dessau und Berlin zusammen. In ihrem gemeinsamen Kampf machten sie die jahrzehntelange und bis in die Gegenwart reichende Kontinuität rechter und rassistischer Gewalt in Deutschland sichtbar.
Die Idee des Kölner NSU-Tribunals entstand im Frühjahr 2015, als sich für viele Aktivist*innen zeigte, dass der Münchner Gerichtsprozess das Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass "alles" getan werde, "um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken",
Somit brauchte es einen anderen öffentlichen Verhandlungsraum, ein Tribunal explizit für die Perspektiven der Betroffenen. Ihnen eine öffentliche Plattform zu schaffen, auf der sie selbstbestimmt und frei von Restriktionen ihr Wissen und ihre Geschichten teilen können, war Ausgangspunkt und Motivation der Bündnisarbeit. Die Organisator*innen gestalteten ihre Gegenposition zum Münchner Gericht nicht attackierend oder provozierend, sondern empathisch und empowernd. Sie stellten der staatlichen und gesellschaftlichen Ignoranz die Präsenz und Stärke solidarischer Beziehungen entgegen. Und so sprechen die NSU-Tribunale kein Recht, sondern praktizieren gemeinschaftlich Anerkennung und Gerechtigkeit. Offensiv, mutig und kreativ ließen die Organisator*innen konventionelle Vorstellungen von Tribunalen als Strafprozessen hinter sich und experimentierten mit neuen und inklusiveren Formen des Sprechens, Zuhörens und Verhandelns.
Betroffenenwissen und Betroffenenarbeit
Schon früh nach den Taten des NSU benannten die Betroffenen und die Opferangehörigen Nazis als Täter*innen und Rassismus als Motiv. Jahrelang wehrten sie sich gegen die Kriminalisierung und Stigmatisierung ihrer Familien durch Polizei, Medien und ihre sozialen Umfelder. Von diesen Kämpfen und Widerständen zeugen die beiden Trauermärsche "Kein 10. Opfer" in Kassel und Dortmund, organisiert von den Familien Yozgat, Kubaşık und Şimşek.
Im Wissen um die Notwendigkeit und Kraft der Empathie und Solidarität rief das Kölner NSU-Tribunal rund ein Jahrzehnt später aus: "Zuhören ist eine politische Tat!" Eine Tat, die im NSU-Komplex womöglich viele Morde und Anschläge hätte verhindern können. Der Akt des empathischen und aufrichtige Zuhörens war ein wichtiger Schritt, die Betroffenen als Hauptzeug*innen des Geschehen anzuerkennen und ihre Würde öffentlich wiederherzustellen.
Das NSU-Tribunal in Köln wurde als gemeinsamer Raum des Trauerns, Erinnerns, Anklagens und des Engagements für eine bessere Zukunft geschaffen. Gamze Kubaşık, Semiya Şimşek, Osman und Okan Taşköprü, Gavriil Voulgaridis, Mandy Boulgarides, Mitat Özdemir, Öczan und Hasan Yıldırım, Abdulla Özkan, A.S., Mehmet O., Mitat Özdemir, Ali Demir, Meral Şahin, Esther Bejarano, İbrahim und Faruk Arslan, Melek Bektas, Gülüstan Avci, Zühal Bilir-Meier, Ibraimo Alberto, Mai-Phuong Kollath, Gianni Jovanovic, Saliou Diallo, Abou Jabbi, Sibel und Hasan Leyla, Esperanca Bunga, Serpil Unvar, Hayrettin Saraçoğlu, İsmet Tekin und Mollie Sharfman sind einige der Opferangehörigen, Überlebenden, Betroffenen und Zeitzeug*innen rassistischer, antisemitischer, gadjé-rassistischer und antimuslimischer Verbrechen, die auf den vier NSU-Tribunalen zusammenkamen und ihre Geschichten des Überlebens, des Verlustes und des Kampfes öffentlich teilten.
Die fundamentale und mühsam aufgebaute bundesweite Vernetzung setzte sich nicht nur in den weiteren NSU-Tribunalen fort, sondern auch später in den solidarischen Zusammenkünften nach den Anschlägen in Halle an der Saale 2019 und Hanau 2020. Claims wie "Keupstraße ist überall" leben in "Hanau ist überall" fort.
Beklagen, Anklagen, Einklagen
Der Dreiklang aus Beklagen, Anklagen und Einklagen bildet das dramaturgische Fundament aller NSU-Tribunale. Diese drei Klageformen sind mit verschiedenen Ideen von Gerechtigkeit verbunden, die sich in jeweils spezifischen Praktiken und Haltungen ausdrücken.
Das Beklagen bietet Ruhe und einen Raum des gemeinsamen, solidarischen Trauerns und Erinnerns an jene Menschen, die von der rassistischen Gewalt getötet oder verletzt und traumatisiert wurden und deren Würde wiederhergestellt werden soll. Die Forderung nach Aufklärung und Konsequenzen findet sich in der Dimension des Anklagens: Täter*innen und Akteur*innen werden recherchiert und in einer Anklageschrift öffentlich verantwortlich gemacht. In einer fast schon gegensätzlichen Haltung bedeutet das Einklagen ein gegenseitiges Anerkennen und Empowern sowie ein – trotz aller Frustrationen, Schmerzen und Niederlagen – Würdigen und Zelebrieren des bereits Erreichten und Geschaffenen, der historisch gemeinsam erkämpften Migrationsgesellschaft.
Die ausgerufene "Gesellschaft der Vielen" wurde nicht als eine in der Ferne liegende Zukunft propagiert, sondern als sofort umsetzbare und praktische Idee, zu der jede*r im Kleinen und im Großen, im Alltäglichen und Besonderen beitragen kann. Hierfür wurde das Tribunal zu einem Forum für (post-)migrantisches, romanes, muslimisches, jüdisches und Schwarzes Wissen und zeigte die Gegenwart und Vielfalt heutiger antirassistischer und antifaschistischer Arbeit auf.
Aus dieser Trias konzipierten die Organisator*innen ein kreatives Tribunalformat. Elemente von Völkertribunalen, Wahrheitskommissionen, Protestcamps, Gedenken und Mahnmälern, Werkstätten, Kongressen, Konzerten, Festivals, Ausstellungen, Theateraufführungen, Bildungs- und Diskursveranstaltungen und Aktionsformen wurden zu einem intensiven Programm verdichtet. Das öffentlich verfügbare Wissen und Material zum NSU-Komplex wurde zusammengetragen und im Sinne der Betroffenenperspektiven neu kuratiert. Das Programm des Kölner Tribunals war mit seinem bundesweiten Fokus auf den NSU-Komplex, rechten Terror und die Geschichte (post-)migrantischen Widerstands mit insgesamt 38 Veranstaltungen das aufwendigste. Das Mannheimer Tribunal konzentrierte sich auf das Rhein-Neckar-Gebiet, insbesondere auf antisemitische und antiromaistische Gewalt. Ein weiterer Fokus lag auf dem Urteil im NSU-Prozess, das im Juli 2018 verkündet wurde, auf das nur wenige Wochen später das erste Drohschreiben des "NSU 2.0" an die Anwältin Seda Başay-Yıldız folgte, eine Nebenklageanwältin der Familie Şimşek. Im Chemnitzer Tribunal stand die Stärkung migrantischer, antirassistischer und antifaschistischer Perspektiven und Kämpfe in Ostdeutschland im Mittelpunkt. Das vierte NSU-Tribunal in Nürnberg verhandelte die Kontinuität rechten Terrors in Bayern, dem Bundesland, in dem allein fünf der NSU-Opfer gelebt haben.
Höhepunkte bildeten, was bereits im Format des Tribunals angelegt ist, die öffentlichen Verlesungen der vorab ausformulierten Anklageschriften gegen insgesamt 130 Personen.
Wie aktuell die Notwendigkeit nach wie vor ist, zeigte sich auch im bereits zum zweiten Mal verhinderten parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg, den die Familie Taşköprü seit Jahren einfordert. Die Grünen-Politikerin Miriam Block bezahlte ihr Votum für die Einrichtung des Ausschusses im April 2023 mit der Enthebung von ihren Fraktionsämtern, weil sie den parteiinternen Kompromiss nicht mit ihrem Gewissen gegenüber der Familie Taşköprü vereinbaren konnte.
Erinnerungssolidarität statt Opferkonkurrenz
Viele der Aufklärungs- und Erinnerungsinitiativen, die sich im Aktionsbündnis "NSU-Komplex auflösen" zusammenschlossen, hatten sich nach der NSU-Selbstenttarnung an der Seite der Opfer- und Betroffenenfamilien gegründet, um die Wünsche der Familien für ein würdiges Erinnern zu unterstützen. Vielerorts wie in Köln, Hamburg, Kassel oder Rostock war das von Stadtpolitiker*innen öffentlich geäußerte Mitgefühl und Beileid schnell in Ignoranz und Verweigerung umgeschlagen, sobald sich die Betroffenen nicht mit oberflächlichen und sie erneut an den Rand drängenden Gedenk- und Erinnerungsakten abspeisen ließen.
Die staatlichen und städtischen Erinnerungspolitiken im NSU-Komplex sind teilweise Paradebeispiele dafür, wie Praktiken der "Wiedergutmachung" die Betroffenen erneut marginalisieren können, wenn das Gedenken im rückwärtsgewandten Wiederherstellungsmodus eines "Jetzt ist aber genug" vollzogen wird. Immer wieder wird offizielle Anerkennung und Öffentlichkeit als "knappe Ressource" gehandelt, die sich Opfer wie einen Kuchen teilen müssten.
Der institutionellen Spaltungslogik – dem Gegenteil von Solidarität – setzten die NSU-Tribunale ihr vielstimmiges und wechselseitiges Erinnern entgegen, indem sie im Unterschiedlichen das Gemeinsame suchten und fanden.
Inspiriert von den vielfältigen Praktiken des Erinnerns und Gedenkens, die auf den NSU-Tribunalen auf Panels und in Workshops geteilt wurden, gründeten sich bundesweit weitere Gruppen, die lokale Morde und Anschläge neu recherchierten, Kontakt zu den Familien und Betroffenen aufnahmen und erste öffentliche Gedenken veranstalteten. Der Anschlag im Münchner Olympia-Einkaufszentrum 2016 wurde erstmals auf dem Nürnberger NSU-Tribunal 2022 verhandelt. In einem Workshop kamen solidarische Menschen mit Hasan und Sybil Leyla, den Eltern des beim Anschlag ermordeten Can Leyla, zusammen und bereiteten ein Gedenken zum sechsten Jahrestag vor. Die Familie Leyla hat jahrelang für die offizielle Anerkennung des rassistischen Motivs gekämpft. Obwohl der Täter seine rassistische Gesinnung unter anderem in einem Manifest niederschrieb, wurde die Tat viele Jahre offiziell als Amoklauf eingestuft.
Solidarisch gedacht ist nicht solidarisch gemacht
Für die Betroffenen markierten die NSU-Tribunale Meilensteine – sie boten außergewöhnliche Orte des Vernetzens, des Aufklärens und des Erinnerns aus einer sonst vielfach übergangenen Perspektive. In der praktischen Zusammenarbeit waren sie jedoch auch mit internen Konflikten und Herausforderungen konfrontiert. Denn der Anspruch, ein Tribunal für Betroffene zu sein, ist kein geringer.
In Köln wurden grundlegende Fragen darüber, wie zusammenzuarbeiten sei, zu einer Zerreißprobe, als Betroffene, Betroffeneninitiativen und BIPoCs (Black, Indigenous, People of Color) ein eigenes Tribunal auf dem Tribunal organisieren wollten, um den weißdominierten Umgang mit ihnen zu kritisieren. Schließlich einigten sich alle auf ein im Programm integriertes, geschütztes Betroffenenforum. Das Kölner Tribunal bot Raum für solch kritische Reflexionen und förderte das Verständnis für die Vielschichtigkeit und Komplexität der Thematik.
Inspiriert von und aufbauend auf dem Kölner Tribunal fanden weitere Tribunale in Mannheim, Chemnitz und Nürnberg statt. Allerdings mit knapperen Vorbereitungszeiten, kleineren Budgets und Teams sowie insgesamt begrenzteren Möglichkeiten. Es blieben kaum Zeit und Raum für eine nachhaltige Gemeinschafts- und Vertrauensbildung mit den Betroffenen, die das Fundament des Kölner Tribunals gebildet hatte. Insbesondere in den Nachbereitungsprozessen der Tribunale fehlte es an angemessenen Möglichkeiten zur Reflexion sowie an Initiative, die begonnene Selbstorganisierung mit den Betroffenen auszubauen.
Üblicherweise entfalten zivilgesellschaftliche Tribunale ihre politische Kraft, die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen, maßgeblich durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie durch Publikationen, weshalb sie auch als opinion tribunals, also Meinungstribunale, bezeichnet werden. Leider haben die Organisator*innen der NSU-Tribunale viele Chancen verpasst, ihre Wirksamkeit durch solche Maßnahmen zu gestalten. Bis heute gibt es seitens des Bündnisses keine offizielle Dokumentation der Tribunale.
Auch Nachbesprechungstreffen kamen zu kurz. Während auf das Kölner Tribunal eine bundesweit organisierte Nachbesprechung in Kassel folgte, fehlt bis heute ein solcher Reflexionsraum für das Nürnberger Tribunal. Dabei gibt es wichtige Kritikpunkte, etwa an der Organisation. Obwohl in Nürnberg so viele Betroffene rechter Gewalt zusammenkamen wie auf keinem NSU-Tribunal zuvor, gab es keine angemessene Betreuung der Betroffenen. Einige von ihnen fühlten sich alleingelassen und kehrten aufgrund von Unsicherheiten, Unbehagen und fehlender Kommunikation seitens der Veranstalter*innen frühzeitig ins Hotel zurück. In der Zusammenarbeit mit Betroffenen gibt es noch viel zu lernen, zu überdenken und wieder zu erlernen, denn oft ist solidarisch gedacht noch nicht solidarisch gemacht.
Eine entscheidende Komponente ist die transparente und ehrliche Vermittlung der Ziele der NSU-Tribunale gegenüber den Betroffenen. Es ist wichtig zu klären, was die Tribunale erreichen wollen und können und wie sie ihre Ziele verwirklichen möchten. Obwohl die Tribunale bei vielen Betroffenen eine enthusiastische Stimmung erzeugten und neuen Mut und Hoffnung auf Aufklärung und Gerechtigkeit weckten, blieben am Ende viele von ihnen enttäuscht zurück. Diese Enttäuschung wurde durch den Eindruck verstärkt, dass sich einige ehemalige Organisator*innen aus Kunst, Theater, Wissenschaft und politischer Bildung in neuen beruflichen Positionen als Expertinnen zum NSU-Komplex positionierten. Es ist wünschenswert, dass engagierte Antirassist*innen, Antifaschist*innen und BIPoCs wichtige institutionelle Posten besetzen, wovon wiederum auch die Betroffenen profitieren können. Dennoch sollten diese "Karriere-Vorwürfe" nicht ignoriert werden, da sie klassistische gesellschaftliche Verhältnisse und paternalistische Logiken und Strukturen in den sozialen Bewegungen widerspiegeln und aufzeigen.
Es ist von großer Bedeutung, dass alle Beteiligten die Selbstreflexion und den Dialog suchen, um die Zusammenarbeit mit den Betroffenen kontinuierlich zu verbessern. Möchte man die Ziele der NSU-Tribunale erfolgreich verwirklichen und langfristige Veränderungen bewirkten, braucht es einen inklusiven, respektvollen und transformativen Ansatz.
Die Organisator*innen der NSU-Tribunale haben mit Empathie und Kreativität einen Raum geschaffen, der die Perspektiven der Betroffenen in den Vordergrund gestellt und solidarische Gemeinschaften aufgebaut hat. Diese Tribunale waren ein wichtiger Schritt, um die Betroffenen zu stärken und rechte Gewalt anzuklagen. Allerdings sollten auch die Kritik und Herausforderungen, die die Tribunale erfahren haben, anerkannt und als Lernmöglichkeit für zukünftige Aktionen und Veranstaltungen betrachtet werden, um sie noch solidarischer zu gestalten. Durch gemeinsame Solidarität erreichen wir nachhaltige Veränderungen für eine gerechte, würdevolle und selbstbestimmte Gesellschaft für alle.