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Editorial | NSU-Komplex | bpb.de

NSU-Komplex Editorial Was wir wissen, was wir nicht wissen. Der Rechtsterrorismus des NSU Reclaim and Remember. Die NSU-Tribunale als solidarische Gerechtigkeitspraxis "Szenetypische Straftaten". Zur Rolle der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex Vertrauensschutz und Staatswohl? Grenzen der juristischen Aufarbeitung im NSU-Komplex Postmigrantisches Gedenken. Solidarische Praktiken gegen institutionellen Rassismus Zeugnis ablegen und gehört werden. Betroffenenperspektiven auf ein mögliches Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex Vielstimmig aufarbeiten. Zivilgesellschaftliche Perspektiven auf ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex

Editorial

Johannes Piepenbrink

/ 2 Minuten zu lesen

Am 11. September 2000 erlag der 38-jährige Enver Şimşek den Schusswunden, die ihm zwei Tage zuvor die Rechtsterroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) zugefügt hatten. Neun weitere Todesopfer folgten: Abdurrahim Özüdoğru (49) am 13. Juni 2001 in Nürnberg, Süleyman Taşköprü (31) am 27. Juni 2001 in Hamburg, Habil Kılıç (38) am 29. August 2001 in München, Mehmet Turgut (24) am 25. Februar 2004 in Rostock, İsmail Yaşar (50) am 9. Juni 2005 in Nürnberg, Theodoros Boulgarides (41) am 15. Juni 2005 in München, Mehmet Kubaşık (39) am 4. April 2006 in Dortmund, Halit Yozgat (21) am 6. April 2006 in Kassel sowie Michèle Kiesewetter (22) am 25. April 2007 in Heilbronn. Darüber hinaus wurden zahlreiche Menschen bei Sprengstoffanschlägen 1999 in Nürnberg sowie 2001 und 2004 in Köln verletzt.

Was die Angehörigen der ersten neun Opfer zusätzlich traumatisierte, war der Umgang der Sicherheitsbehörden mit der Mordserie: Ein rassistisches Motiv wurde nicht in Betracht gezogen, stattdessen gegen die betroffenen Familien ermittelt. Dies änderte sich erst mit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 – obwohl Akteure aus rechtsextremen Netzwerken und dem Umfeld des NSU den Verfassungsschutzämtern seit Jahren als "Vertrauenspersonen" berichtet hatten und die Gefährlichkeit der Szene bekannt war. Über ein Dutzend parlamentarische Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Landesebene haben sich seither mit dem NSU befasst, ebenso ein Strafprozess vor dem Oberlandesgericht München. Doch nach wie vor sind Fragen offen.

Zudem hat die juristische Aufarbeitung Grenzen: Zwar wurden einige Beteiligte einer Strafe zugeführt, für eine umfassende gesellschaftliche Aufarbeitung bedarf es jedoch deutlich mehr. In ihrem Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien 2021 festgeschrieben, "die Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer des NSU" zu unterstützen. Zivilgesellschaftliche Überlegungen und Vorarbeiten dazu gibt es schon seit Langem. Diese nicht zu übergehen und vor allem die Betroffenen einzubeziehen, wird für ein Gelingen entscheidend sein.