"9/11" hat nicht nur politische und gesellschaftliche Denkweisen über Art und Ausmaß der Bedrohung durch terroristische Gewalt verändert, sondern auch Vorstellungen darüber, welche Schritte im Kampf gegen diese Gefahr als notwendig und angemessen erachtet werden. Wenige Tage nach den Anschlägen erklärte der US-Präsident George W. Bush dem transnationalen Terrorismus den Krieg und versprach, die USA und ihre Verbündeten in diesem Kampf mit aller Entschlossenheit zum Sieg zu führen.
20 Jahre später mag die Hochphase des offenen "Kriegs gegen den Terror" weitgehend vorbei sein; seine politischen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen sind aber immer noch wirkmächtig und spürbar. Viele der eingeführten Maßnahmen, etwa zur Telekommunikationsüberwachung, sind weiterhin in Kraft und wurden in dauerhaftes Recht überführt. Darüber hinaus beförderten die Reaktionen auf 9/11 längerfristige Trends im Umgang mit transnationalen Sicherheitsrisiken, zum Beispiel die immer weiter voranschreitende Verlagerung behördlicher Maßnahmen ins Vorfeld möglicherweise drohender Gewalthandlungen. Aktuelle Diskussionen über den Umgang mit der Corona-Pandemie verdeutlichen zudem die fortdauernde Relevanz grundsätzlicher Fragen nach dem Verhältnis von Sicherheit, Freiheit und Demokratie in Zeiten allgegenwärtiger Krisen- und Unsicherheitsdiagnosen.
Im Folgenden gehe ich daher der Frage nach, wie sich die Anschläge vom 11. September 2001 auf Vorstellungen von Sicherheit und Freiheit in liberalen Demokratien ausgewirkt haben. Im Fokus stehen dabei die Konstruktion eines politischen und rechtlichen Ausnahmezustands sowie die Ausbreitung einer umfassenden Sicherheitslogik, die auch andere Politikfelder und Lebensbereiche erfasste. Diese politische Logik hat sich über längere Zeit "normalisiert" und verstetigt, es zeigen sich aber auch die Möglichkeiten demokratischer Politik zur Korrektur und öffentlichen Diskussion. Abschließend argumentiere ich, dass terroristische Gewalt als ein politisches Problem neben anderen betrachtet werden sollte, das sich mit den Mitteln des demokratischen Rechtsstaats und auf der Basis öffentlicher Abwägungen alternativer Handlungsoptionen bearbeiten lässt.
Versicherheitlichung demokratischer Politik
Insbesondere die USA und einige ihrer Verbündeten griffen der Logik des war on terror folgend in ihrer Antiterrorpolitik zu drastischen Schritten, wobei Art und Intensität mitunter deutlich variierten. Zu diesen Maßnahmen zählten etwa die Folter durch vorgetäuschtes Ertränken (waterboarding) oder die Entführung von Terrorverdächtigen, die dann in Geheimgefängnissen rund um die Welt ohne Gerichtsverfahren inhaftiert wurden. Die US-Regierung sprach danach verharmlosend von "verbesserten Verhörmethoden" (enhanced interrogation) und "außerordentlichen Auslieferungen" (extraordinary renditions). Die National Security Agency (NSA) und andere westliche Nachrichtendienste legten – teils an den nationalen Parlamenten vorbei – Programme zur umfassenden Überwachung auch der eigenen Bürger*innen auf, die teilweise später unter anderem von Edward Snowden aufgedeckt wurden. Der USA Patriot Act ermöglichte den Sicherheitsbehörden unter anderem weitgehende Einblicke in Bank- und Finanzdaten sowie Hausdurchsuchungen ohne Wissen der Betroffenen. Einige demokratische Staaten wie das Vereinigte Königreich erlaubten die zeitlich unbefristete Inhaftierung ausländischer Terrorverdächtiger ohne Gerichtsbeschluss. Auch in Deutschland beschloss der Bundestag 2001 und 2002 mit den Sicherheitspaketen 1 und 2 neue Befugnisse für die Sicherheitsbehörden, etwa zur Erfassung biometrischer Merkmale oder Speicherung von Telekommunikationsdaten. In der Folge weiterer islamistischer Anschläge, etwa in Madrid 2004 und London 2005 oder durch Anhänger des "Islamischen Staates" nach 2014, wurden diese Gesetzespakete immer wieder erweitert und angepasst.
Viele autoritäre oder diktatorische Staaten nutzten den Verweis auf vermeintliche Terrorgefahren zu noch weiter gehenden Maßnahmen gegen innere Feinde, so etwa die chinesische Regierung bei der Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang. Der "Krieg gegen den Terror" bot diesen Regimen eine willkommene Rechtfertigung, und westliche Demokratien taten sich in diesem Kontext oftmals schwer, die Menschenrechtsverletzungen entschlossen zu kritisieren.
Der Kampf gegen den Terrorismus hatte liberale Demokratien bereits in früheren Zeiten zu weitgehenden Schritten veranlasst, etwa zur "Rasterfahndung" in der Auseinandersetzung mit sozialrevolutionären Gruppen wie der Roten Armee Fraktion (RAF) in den 1970er Jahren oder zur Entsendung der britischen Armee im Inland während der Hochphase des Nordirland-Konfliktes. Die Qualität und Quantität der Reaktionen auf 9/11 sowie ihre globalen Auswirkungen waren allerdings neu und lassen sich nur durch die "suggestive Macht der Eindrücke des 11. September" sowie deren politische und mediale Darstellung und Instrumentalisierung erklären.
Insgesamt ließ sich dabei ein Trend beobachten, den Politikwissenschaftler*innen als "Versicherheitlichung" bezeichnen.
In liberalen Demokratien bedürfen solche weitreichenden Eingriffe in Freiheitsrechte aber selbst in Krisenzeiten der öffentlichen Rechtfertigung, jedenfalls solange sie nicht verdeckt erfolgen. Begründet wurden viele der erwähnten Einschnitte in die individuellen Grund- und Menschenrechte mit der Notwendigkeit, den Fortbestand freiheitlich-demokratischer Ordnungen als Ganze zu sichern. Selbst wenn der islamistische Terrorismus nie auch nur ansatzweise über die Möglichkeit verfügte, die staatliche Existenz etablierter Demokratien zu gefährden, bewirkten die Anschläge vom 11. September 2001 und ihre öffentliche Darstellung eine deutliche Verschiebung im politischen Diskurs.
In einer Rede vor dem US-Kongress im September 2001 sagte Präsident Bush: "Die Nacht brach über eine andere Welt herein, eine Welt, in der die Freiheit selbst Angriffen ausgesetzt ist."
Das Risiko terroristischer Anschläge ist dabei ebenso allgegenwärtig wie diffus. Es herrscht ein hohes Maß an Ungewissheit bezüglich möglicher Täter*innen sowie ihrer Fähigkeiten und Intentionen. Anschläge können zwar überall und zu jedem Zeitpunkt erfolgen, bleiben jedoch extrem selten und unwahrscheinlich. Bildlich zum Ausdruck kommt dies im Begriff der "abstrakten Gefährdungslage", mit dem Politiker*innen, Behördenvertreter*innen und Sicherheitsexpert*innen die Situation regelmäßig zu beschreiben versuchen. Trotz dieser Ungewissheit herrscht ein hoher, durch die politischen Akteure teils selbst geschürter, Handlungs- und Erwartungsdruck, dass ein neuer Anschlag unter nahezu allen Umständen zu verhindern sei. Die Legitimität des demokratischen Staates hängt aus dieser Sicht an der – mindestens subjektiv wahrgenommenen – Erfüllung seines Schutzversprechens an die Bürger*innen. Dies gilt es aufrechtzuerhalten, auch wenn sich umfassende Sicherheit im Umgang mit einer diffusen Gefahr wie dem Terrorismus, bei dem Zeit, Ort und Ausmaß möglicher Anschläge gar nicht absehbar sind, immer weniger garantieren lässt. Der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld fasste dies während einer Pressekonferenz in der vielzitierten Formel zusammen, dass er sich vor allem Sorgen um unknown unknowns mache, also um Bedrohungen, von denen man noch gar nicht wisse, dass man sie nicht kennt, gegen die es wegen ihres potenziellen Schadensausmaßes aber trotzdem bereits jetzt Vorkehrungen zu treffen gelte.
Dieser Rationalität folgend, sind gerade auch unwahrscheinliche Worst-Case-Szenarien wie Anschläge mit chemischen, biologischen und radiologischen Materialien zu antizipieren und abzuwehren. Terrorismus ist in diesem Sinne ein klassisches Beispiel für ein Risiko als "handlungsaktivierendes Noch-Nicht-Ereignis", das weitreichende Handlungen in der Gegenwart erfordert, um den Eintritt imaginierter, mehr oder weniger möglicher Ereignisse in der Zukunft zu verhindern.
Sicherheitslogik und Präventionsstaat
Vor dem Hintergrund dieser Denkweisen erwies sich der Kampf gegen den Terrorismus als ein wesentlicher Treiber eines breiteren Wandels der "Sicherheitskultur", der neue Vorstellungen und Praktiken der Sicherheit hervorbrachte.
Eine erste zentrale Konsequenz liegt in einer Ausweitung der Sicherheitslogik auf immer neue gesellschaftliche und politische Bereiche. Die Reaktionen auf den 11. September 2001 beschränkten sich nicht auf klassische Maßnahmen des Strafrechts oder der polizeilichen und nachrichtendienstlichen Ermittlung. Sie betrafen unter anderem Regeln zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, zur Sicherung des öffentlichen Raums und des Luftverkehrs, zum Handel mit bestimmten Chemikalien, zum Zivil- und Katastrophenschutz oder zum Schutz "kritischer Infrastrukturen" wie Energie- oder Wassernetze. Dadurch wurden etwa Banken, Baumärkte oder Fluglinien verpflichtet, den Imperativ des Antiterrorkampfes auf oftmals eher unscheinbare Weise in ihre Arbeit zu integrieren, zum Beispiel durch erweiterte Sicherheitsstandards oder Meldepflichten. So entstand ein neues Feld der "zivilen Sicherheit", in dem Terrorismus als Ausdruck der komplexen Verwundbarkeit globalisierter, hochtechnologisierter Gesellschaften betrachtet wurde, etwa durch Cyberangriffe. Gleichzeitig wurde diese Hochtechnologie, etwa in Form von Körperscannern, Datenbanken, Videokameras oder Gesichtserkennungssoftware, auch als bevorzugte Lösung für diese Sicherheitsprobleme betrachtet, wovon auch die durch sinkende Militärausgaben nach dem Ende des Kalten Krieges geschwächte "Sicherheitsindustrie" profitierte.
Insbesondere mit dem zunehmenden Fokus auf "Radikalisierung" als zentraler Ursache terroristischer Gewalt rückten weitere Personengruppen und Lebensbereiche in den Blickpunkt der Sicherheitslogik. Das Radikalisierungsnarrativ benennt einen schrittweisen Prozess der Aneignung "radikaler" Ideen durch Individuen und Kleingruppen als Treiber eines möglichen Weges in die Gewalt, wobei bestimmte Gruppen und Kontexte, etwa orientierungslose Jugendliche in als problematisch markierten Stadtteilen, als besonders anfällig beziehungsweise "vulnerabel" gelten. Im Zuge des Ausbaus der Radikalisierungsprävention wurden auch Bereiche wie Sozial-, Bildungs- oder Integrationspolitik zunehmend als ein möglicher Aspekt der Antiterroragenda betrachtet. Im Vereinigten Königreich etwa wurden Schulen und Universitäten im Rahmen der sogenannten prevent duty verpflichtet, "verdächtige" Äußerungen oder Verhaltensweisen im Unterricht zu melden. Dabei ist aber oftmals unklar, ab wann Radikalität eigentlich zum Problem wird und woran sich ein entsprechender Verdacht konkret festmachen und erkennen lässt. Zudem besteht so die Gefahr der Diskriminierung bestimmter Personengruppen, Überzeugungen oder Orte, insbesondere wenn sich die Agenda der Radikalisierungsprävention mit ohnehin kontroversen Debatten um Integration und Migration verbindet.
Eine zweite zentrale Konsequenz liegt in der immer weiteren Verlagerung von Sicherheitsmaßnahmen ins Vorfeld gewalttätiger oder strafbarer Handlungen. Dies greift einen bereits länger bestehenden Trend auf und kann als "konsequente Frucht eines Sicherheitsdenkens im Präventionsstaat" betrachtet werden.
Darüber hinaus wurden polizeiliche Ermittlungen und rechtliche Maßnahmen zunehmend in Bereiche ausgedehnt, in denen strafbare Aktivitäten noch nicht konkret erkennbar waren, sondern Sicherheitsbehörden lediglich davon ausgingen, dass es in Zukunft welche geben könnte. Aufgrund bestimmter Merkmale wird Personen dabei unterstellt, dass sie potenziell Anschläge begehen oder planen könnten, auch ohne zu wissen, ob, wann und wie dies der Fall sein wird. Besonders deutlich kommt dies in der Figur des "Gefährders" zum Ausdruck. Nach dem Motto better safe than sorry können gegen diese Personen mitunter weitreichende Freiheitsbeschränkungen bis hin zu elektronischen Fußfesseln erlassen werden, selbst wenn sich die unterstellte Gefahr vielleicht auch sonst nicht eingestellt hätte. Viele Polizeigesetze der Bundesländer haben dieses Grundprinzip inzwischen unter der Überschrift der "drohenden Gefahr" übernommen. Selbst in der Schweiz, die bislang praktisch keine terroristischen Anschläge zu verzeichnen hatte, stimmten die Bürger*innen im Juni 2021 per Bürgerentscheid einem neuen Gesetz über "polizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus" zu, das unter anderem Hausarrest für als Gefährder eingestufte Personen vorsieht. Frühere Entwürfe der Regierung umfassten gar die Idee einer "Präventivhaft". Diese durch 9/11 wesentlich beförderte Präventionslogik wird in der Kriminalpolitik als "neue Denkweise"
Normalisierung oder Politisierung?
In liberalen Demokratien bleiben die bisher beschriebenen Entwicklungen und Trends grundsätzlich auch in Krisenzeiten Bestandteil politischer und gesellschaftlicher Diskussions- und Aushandlungsprozesse, durch die sie bestätigt, kritisiert oder verändert werden können. Dabei lassen sich vor allem zwei widerstreitende Dynamiken identifizieren, die die längerfristige Entwicklung der Antiterrorpolitik in liberalen Demokratien prägen.
Auf der einen Seite finden sich Anzeichen einer "Normalisierung" der in Reaktion auf 9/11 beschlossenen Maßnahmen sowie der sie tragenden Denk- und Argumentationsweisen. Die Idee des Ausnahmezustands ist ursprünglich auf einen bestimmten Zeitraum und genau beschriebene Kompetenzen begrenzt und impliziert die anschließende Rückkehr zum vorherigen Normalzustand. In vielen Fällen aber werden Teile der "Ausnahmen" schrittweise und oftmals unmerklich in einen langfristigen Normalzustand überführt. Die Öffentlichkeit gewöhnt sich im Moment der Krise an zuvor höchst kontroverse Rechtfertigungen für drastische Freiheitseinschränkungen, die dann zunehmend in reguläres Recht übersetzt und als alltägliche Handlungspraxis verinnerlicht werden.
Dies zeigt sich exemplarisch am Beschluss des Deutschen Bundestags aus dem November 2020, mit dem das Parlament ohne größere öffentliche Anteilnahme die ursprünglich befristeten Regelungen der nach dem 11. September 2001 verabschiedeten Sicherheitsgesetze nach mehreren Verlängerungen endgültig entfristete. Die Verabschiedung dieser Gesetze wurde ursprünglich unter anderem damit begründet, dass die Maßnahmen vor dem spezifischen Hintergrund von 9/11 zeitlich begrenzt seien und ihre Notwendigkeit und Angemessenheit regelmäßig überprüft würden. Die bisher erfolgten Evaluierungen stießen bei Expert*innen auf Kritik; in ihrem Rahmen wurde oftmals lediglich überprüft, ob die Behörden die jeweiligen Maßnahmen einsetzten und wie sie diese aus ihrer Praxis heraus bewerteten. Dennoch erfolgte die endgültige Verstetigung. Der "Zeit"-Journalist Kai Biermann beschrieb dies als "schleichenden und letztlich gefährlichen Umbau" staatlicher Sicherheitspolitik, gerade weil deren Tragweite nach einem längeren Prozess der Gewöhnung weiten Teilen der Öffentlichkeit kaum noch bewusst ist.
Die Normalisierung des "Kriegs gegen den Terror" wurde und wird auch durch mediale Berichterstattungen, öffentliche Inszenierungen und popkulturelle Darstellungen vorangetrieben. Zahlreiche Filme und Serien, die das Thema aufgriffen, reproduzierten die Vorstellung, dass Terrorist*innen eine besondere Art von "Bösewichten" seien und Ermittler*innen es im existenziellen Kampf gegen den Terrorismus und beim Einsatz für die "nationale Sicherheit" mit den Regeln des Rechtsstaats, etwa dem Verbot der Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen Verdächtige, im Zweifel nicht allzu eng nehmen müssten.
Auf der anderen Seite besitzen demokratische Rechtsstaaten auch in Momenten der Krise die Mittel und Fähigkeiten für offene Diskussionen und politische Korrekturen. Diese kamen auch nach 9/11 durchaus zum Einsatz. Einige Parlamente haben Untersuchungsausschüsse zur Aufarbeitung von Geheimdienstskandalen und besonders drastischen Antiterrorpraktiken eingesetzt. Gerichte haben immer wieder einzelne Maßnahmen rechtsstaatlich überprüft und teilweise für rechtswidrig erklärt. So gibt es etwa in Deutschland mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten sowie zur Telekommunikationsüberwachung im Ausland. Medien und zivilgesellschaftliche Gruppen haben regelmäßig verdeckte Operationen oder Skandale aufgedeckt. Auch Whistleblower*innen wie Edward Snowden oder Chelsea Manning haben dabei eine zentrale Rolle gespielt. Einige Maßnahmen konnten bereits vor ihrer Einführung verhindert oder abgeschwächt werden, etwa in Bezug auf sogenannte Körperscanner an Flughäfen. Aktuell laufen derartige Kontroversen beispielsweise um die Anwendung von Technologien zur Gesichtserkennung. Es zeigen sich also durchaus auch Formen einer "Politisierung" der nach 9/11 beschlossenen Sicherheitsmaßnahmen, selbst wenn die Diskussionen darum oftmals vor allem ohnehin schon politisch aktive Kreise erfasst haben (wie im Fall der Diskussionen über die Enthüllungen Edward Snowdens) und viele Beschlüsse dennoch in Kraft bleiben.
Sicherheitspolitische Entscheidungen in liberalen Demokratien können sich letztlich also demokratischer Kontrolle und öffentlicher Diskussion nicht vollständig entziehen. Dies verlangt allerdings funktionierende demokratische Institutionen und Prozesse. Der "Krieg gegen den Terror" erwies sich daher dort als besonders problematisch, wo entsprechende Kontrollmechanismen ohnehin unter Druck stehen oder ihre Rolle nur noch bedingt erfüllen können. Hier kann die Terrorismusbekämpfung breitere Entdemokratisierungsprozesse weiter vorantreiben und vermeintlich rechtfertigen. Als Beispiel kann etwa die Türkei dienen, wo seit dem Putschversuch 2016 zahlreiche Aktivist*innen, Journalist*innen oder Wissenschaftler*innen mit dem Verweis auf eine angebliche Unterstützung von Terrororganisationen inhaftiert oder anderweitig diskriminiert wurden.
Fazit
20 Jahre nach 9/11 ist der "Krieg gegen den Terror" im öffentlichen Bewusstsein in den Hintergrund gerückt, und einige seiner sichtbarsten Exzesse konnten revidiert oder eingeschränkt werden. Seine Nachwirkungen dauern aber immer noch an. Die beschriebenen Reaktionen und ihre Begründungen haben Diskussionen über das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit in liberalen Demokratien nachhaltig geprägt und langfristige Verschiebungen und Trends befördert, die auch den Umgang mit zukünftigen Sicherheitsrisiken und Krisen prägen könnten. Der Umgang mit 9/11 hat die Gefahren eines politischen und rechtlichen Ausnahmezustands verdeutlicht, wenn in "normalen" Zeiten kaum denkbare Freiheitseingriffe möglich und zum Teil verstetigt werden, während gleichzeitig offene politische Diskussion und demokratische Kontrolle unter einem übergreifendem Sicherheitsimperativ leiden. Eine wesentliche Gefahr besteht in der schleichenden Gewöhnung an eine solche Sicherheitslogik und die damit verbundenen Freiheitseinschränkungen. Gleichzeitig sind einem umfassenden Ausnahmezustand in liberalen Demokratien mit funktionierenden Institutionen und kritischer Öffentlichkeit Grenzen gesetzt, und demokratische Politik kann sich selbst in Krisenzeiten ihre Spielräume zurückerobern. Dies setzt allerdings voraus, dass politische Institutionen und demokratische Öffentlichkeiten ihre Rechte und Möglichkeiten gerade auch in diesen Phasen wahrnehmen und einfordern.
Terroristische Gewalt hat moderne Gesellschaften immer wieder in unterschiedlichen Formen und in unterschiedlicher Intensität getroffen. Außerhalb von Gebieten mit akuten bewaffneten Konflikten wie Afghanistan oder Irak gefährdet sie aber nicht die grundsätzliche Existenz von Staaten, und die mit terroristischen Anschlägen verbundenen Risiken bleiben im Vergleich zu anderen Bedrohungen eher gering. Der Schutz ihrer Bürger*innen vor Anschlägen ist für demokratische Staaten durchaus ein legitimes Ziel, das im gut zu begründenden Einzelfall auch streng begrenzte Freiheitseinschränkungen rechtfertigen kann. Terrorismus ist aber weder ein alle Mittel rechtfertigender Ausnahmezustand noch ein nicht beeinflussbares natürliches Risiko, bei dem es nur um die Abmilderung der Konsequenzen geht. Terrorismus ist vielmehr ein politisches Problem neben vielen anderen, das sich in letzter Konsequenz nicht aus der Welt schaffen, aber im Rahmen demokratischer und rechtsstaatlicher Politik durch eine Vielzahl unterschiedlicher Instrumente bearbeiten lässt. Welche Reaktionen dabei als angemessen und notwendig erachtet werden, gilt es sowohl in Momenten der Krise als auch in scheinbar "normalen" Zeiten immer wieder durch ergebnisoffene öffentliche Diskussionen auszuhandeln, ohne dabei einen pauschalen Freifahrtschein für übergreifende Sicherheitsnarrative auszustellen.