Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Ende der kollektiven Interessenvertretung? | bpb.de

Ende der kollektiven Interessenvertretung? New Work als Herausforderung für Gewerkschaften und Betriebsräte

Samuel Greef Wolfgang Schroeder

/ 14 Minuten zu lesen

Hinter „New Work“ verbergen sich ambivalente Entwicklungen. Gewerkschaften und Betriebsräte sind notwendig, um diese moderne Arbeitswelt menschengerecht zu gestalten. Dafür muss sich die kollektive Interessenvertretung selbst an die veränderten Verhältnisse anpassen.

Der Begriff "New Work" hat in den vergangenen fünf Jahren einen Boom erlebt. In Google Trends lagen die Spitzenwerte der Suchanfragen aus Deutschland zu New Work im Januar und August 2022. Im Vergleich zu den Jahren 2004 bis 2015 haben sich die Anfragen vervierfacht, im Vergleich zu 2019 verdoppelt. In dem Hype um New Work zeichnen Medien und Unternehmen das Bild einer modernen Arbeitswelt, die mit Grundwerten und positiven Gefühlen verbunden ist: Es geht um Freiheit, Flexibilität, Erfüllung, Selbstbestimmung und Spaß. Agiles und mobiles Arbeiten, Work-Life-Blending, Sofalandschaften und Kickertische sind nicht mehr nur ein Aushängeschild für Startups, sondern scheinbar für alle Unternehmen Teil des Kampfes um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – in Zeiten des demografischen Wandels, des Arbeitskräftemangels, großer Transformationsherausforderungen und multipler Krisen.

Die empirisch feststellbaren Veränderungen der Arbeitsverhältnisse und -bedingungen sind jedoch nur ein Teil des Puzzles. Das ganze Bild erschließt sich erst, wenn man hinter die Fassade der schillernden Chiffren von New Work und der Arbeitswelt des digitalen Zeitalters blickt. Dann werden die Ambivalenzen sichtbar, die mit der vermeintlich neuen Normalität einhergehen – nämlich neue Unsicherheiten und Verwundbarkeiten. Diese zeigen sich besonders eindrücklich am Homeoffice und an der Plattformarbeit, die im Folgenden exemplarisch herangezogen werden. Nicht ohne Grund handelt es sich bei den Debatten um New Work zumeist um einen Chancen-Risiken-Diskurs. Damit ist gemeint, dass sowohl Gestaltungsnotwendigkeiten eröffnet werden als auch Gestaltungsmöglichkeiten und -perspektiven gefragt sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zukunft der Arbeit weder technologisch noch vertraglich eindeutig fixiert ist – die Entwicklungen verlaufen nicht deterministisch, sondern sind durch die beteiligten Akteure beeinflussbar.

In der Arbeitswelt übernehmen Gewerkschaften und Betriebsräte – sofern vorhanden und handlungsfähig – unterschiedliche Funktionen, um die Interessen der Beschäftigten zu vertreten und Entwicklungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Überbetrieblich agieren die Gewerkschaften als Arbeitsmarkt-, Solidaritäts- und Politikakteure. Den Betriebsräten obliegt die betriebliche Mitbestimmung. Mit Blick auf die hinter New Work verborgenen Veränderungsprozesse wird in diesem Beitrag die Frage nach den Auswirkungen auf die kollektive Interessenvertretung und dem damit möglicherweise einhergehenden Funktionswandel gestellt. Welchen Herausforderungen stehen Gewerkschaften und Betriebsräten in diesem Kontext gegenüber? Wie gehen sie mit den neuen Anforderungen um? Und letztlich: Welche Perspektive ergibt sich daraus für die Zukunft der kollektiven Vertretung der Beschäftigteninteressen? Stehen wir vor dem Ende des etablierten Aus- und Verhandelns oder transformiert sich die kollektive Interessenvertretung für einen Ausgleich des Interessengegensatzes zwischen Kapital und Arbeit?

Ambivalenter Begriff

Wenngleich die Aufmerksamkeit für den Begriff New Work erst in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen hat, entstand er bereits vor einem halben Jahrhundert. Der österreichisch-US-amerikanische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann, der den Begriff New Work in den 1970er Jahren prägte, tat dies aufgrund seiner Erfahrungen bei General Motors in Flint, Michigan. Vor dem Hintergrund der Jobverluste in einer tayloristisch getriebenen Automatisierung der Automobilindustrie stellte er sich die Frage, was dabei mit den Menschen passiert und wie deren neue Arbeit in Zukunft nicht nur aussehen könnte, sondern sollte. Die Freiheit der Arbeit war für ihn nicht nur durch Entscheidungs-, sondern auch durch Handlungsfreiheit gekennzeichnet. Unter diesen Eindrücken verfasste er 2004 sein Manifest "Neue Arbeit, neue Kultur", in dem New Work für diejenige Arbeit steht, die ein Mensch "wirklich, wirklich will" – wobei die Werte Freiheit, Selbstständigkeit und Teilhabe an der Gemeinschaft zentral seien. In seiner damaligen Konzeption einer modernen zukünftigen Arbeitswelt sollten innovative und smarte Technologien eingesetzt werden, um eine sinnvolle Arbeit zu gewährleisten, die gleichzeitig die Entwicklung eines lebendigeren, vollständigeren und stärkeren Menschen unterstützt. Im deutschen Kontext wurden die gleichen Aspekte von Arbeitswissenschaft und Gewerkschaften insbesondere in den Bemühungen um die sogenannte Humanisierung der Arbeitswelt seit den 1970er Jahren – und dann im staatlichen Forschungs- und Aktionsprogramm "Humanisierung des Arbeitslebens" von 1974 bis 1989 – aufgegriffen, um Antworten für eine menschenwürdige Mitgestaltung der Umbrüche in der Produktion zu finden.

Aus heutiger Perspektive sind diese Fragen aktueller denn je: Im Kontext der Digitalisierung werden erneut Rationalisierungs- und Automatisierungsdiskurse geführt. Diese läuten jedoch nicht, wie von einigen Akteuren proklamiert, das Ende der Arbeitsgesellschaft ein, sondern eröffnen neue Gestaltungsnotwendigkeiten und -chancen: Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Bergmanns normatives Verständnis von New Work spiegelt sich heute in den Konzepten der "Guten Arbeit" im Sinne des Deutschen Gewerkschaftsbundes oder der "nachhaltigen menschengerechten Arbeit", wie es der Rat der Arbeitswelt formuliert.

Wenn heute von New Work die Rede ist, dann geschieht dies meist verkürzt auf technologische Aspekte und eine vermeintlich schöne neue Arbeitswelt, die nicht mehr von hierarchischen und starren Arrangements, sondern von flachen Hierarchien, Flexibilität und Agilität geprägt ist. Sinnbildlich für diese Entwicklungen stehen das mobile Arbeiten und das Homeoffice. Diese spielen auch nach den pandemiebedingten Betriebsschließungen der Corona-Zeit eine deutlich größere Rolle als zuvor. 2022 arbeitete ein stabiler Anteil von 25 Prozent der Beschäftigten zumindest gelegentlich von zu Hause aus, während es vor der Pandemie nur 15 Prozent waren. Diese Form des mobilen, zeit- und ortsflexiblen Arbeitens wirkt sich sowohl auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Homeoffice als auch im Unternehmen aus. Besprechungen finden zunehmend virtuell statt, Unternehmen verkleinern ihre Büroflächen oder führen Desksharing ein, bei dem sich Beschäftigte einen Schreibtisch reservieren oder einen freien Arbeitsplatz suchen müssen. Gleichzeitig entwickeln sich neue Open-Space- und Co-Working-Bürokonzepte, die eher an bunte Wohnlandschaften als an triste Büros erinnern.

Der insbesondere durch die Digitalisierung vorangetriebene Wandel der Arbeitswelt findet nicht nur im Dienstleistungssektor statt – er macht auch vor den Werkstoren nicht halt. Beschäftigte in der Industrie nutzen verstärkt digital angereicherte Arbeitsmittel – vom smarten Handheld über Virtual-Reality-Brillen bis hin zu autonom und kollaborativ arbeitenden Robotern. In der Logistik sind automatische Routenplanung, digitale Empfangsbestätigungen oder GPS getrackte Fahrzeuge kaum wegzudenken.

Digitale Arbeitsinstrumente bieten das Potenzial für Unterstützung und Entlastung. Flexiblere Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung kommen der Autonomie und Selbstbestimmung der Beschäftigten entgegen. Diese Chancen für eine menschengerechtere Gestaltung der Arbeit stellen aber nur eine Seite der Medaille dar. Auf ihrer anderen Seite stehen die Risiken neuer digitaler Überwachungs- und Kontrollregime, die Selbstüberforderung, die zeitlich-räumliche Entgrenzung von Arbeit und die Ausweitung unregulierter Arbeitsverhältnisse wie Soloselbstständigkeit, Werkverträge oder Freiberuflichkeit. In Bezug auf New Work lassen sich drei zentrale Schlussfolgerungen ziehen: Erstens ist New Work ambivalent. Der Diskurs über Chancen und Risiken zeigt, dass New Work nicht automatisch auch "Good Work" ist. Zweitens realisieren sich die Chancen für gute Arbeit nicht automatisch. Risiken muss aktiv begegnet werden – es besteht also Gestaltungsbedarf, damit aus New Work auch Good Work wird. Und drittens trifft die positive Gestaltungsperspektive auf eine geschwächte Gestaltungslandschaft. Die vorgesehenen kollektiven Akteure in den betrieblichen und überbetrieblichen Arenen der Arbeitsbeziehungen – Betriebsräte und Gewerkschaften – verlieren weiter an Einfluss.

Kollektive Interessenvertretung

Das duale System der industriellen Beziehungen ist gekennzeichnet durch die gleichzeitige Trennung und Verkopplung von überbetrieblicher und betrieblicher Ebene der kollektiven Interessenvertretung. Grundgesetzlich abgesichert durch die Koalitionsfreiheit – das Recht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusammenzuschließen – vertreten Gewerkschaften als freiwillige kollektive Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern deren Interessen gegenüber Arbeitgebern, Politik und Öffentlichkeit. Während sie mit Arbeitgeberverbänden oder Unternehmen tarifvertraglich abgesicherte Arbeitsbedingungen aushandeln und in Arrangements zwischen Staat und Verbänden politischen Einfluss nehmen, gestalten Betriebsräte die Arbeitsorganisation auf betrieblicher Ebene mit. Die Kopplung von überbetrieblicher und betrieblicher Ebene erfolgt nicht nur über Betriebsräte, die sich in der gewerkschaftlichen Mitgliederwerbung, der Mobilisierung in Arbeitskämpfen und der Vermittlung von Forderungen, Beschlüssen oder Kompromissen engagieren.

Im Zuge der Verbetrieblichung und Dezentralisierung der Tarifpolitik, zum Beispiel durch Haustarifverträge und Öffnungsklauseln im Flächentarifvertrag, sind die Bedeutung und die Aufgaben der Betriebsräte über ihre Fokussierung auf die Mitbestimmung in sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten hinaus gewachsen. Dies gilt nicht in gleichem Maße für ihre zeitlichen und personellen Ressourcen. Einerseits bieten sich ihnen neue Möglichkeiten der beschäftigtenorientierten Mitgestaltung. Andererseits sind sie mit mehr Aufgaben, neuem Wissensbedarf und gestiegenen Kompetenzanforderungen sowie Erwartungen der Beschäftigten konfrontiert. Hier zeigt sich die umgekehrte Verkopplung der Arenen, indem die Gewerkschaften die betrieblichen Akteure direkt durch Weiterbildungsangebote oder indirekt durch gesetzliche Gestaltungsanforderungen unterstützen. Als System kommunizierender Röhren sind beide Ebenen und ihre Akteure von den New Work zugeschriebenen Entwicklungen in der Arbeitswelt betroffen.

Überbetriebliche Ebene

Positiv betrachtet bieten die Debatten um New Work Ansatzpunkte für die Humanisierung der Arbeit und damit für gewerkschaftliche Forderungen, Ideen und Initiativen. So zeichnete sich für das Homeoffice bereits frühzeitig eine überbetriebliche Gestaltungsperspektive ab. Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 18. Juni 2021 wurde diesem Anliegen Rechnung getragen und explizit ein Mitbestimmungsrecht bei der "Gestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird" eingeführt (§ 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG). Die Gewerkschaften waren sich der Ambivalenz mobiler Arbeit schon früh bewusst und ergänzten den Diskurs um ein "Recht auf Homeoffice" um den "Anspruch auf einen Arbeitsplatz im Betrieb". Vor dem Hintergrund von Soloselbstständigkeit, fehlender sozialer Absicherung und teilweise prekären Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie haben sie sich ebenso frühzeitig mit eigenen Regulierungsvorstellungen, Gestaltungsbemühungen und politischen Forderungen in den Prozess eingebracht.

Über die politische Ebene hinaus bearbeiten die Gewerkschaften New Work auf tarifpolitischer Ebene. Bereits vor der Pandemie regelte etwa die IG Metall 2018 mit dem Tarifvertrag zum Mobilen Arbeiten Fragen der Ruhezeiten, der Freiwilligkeit oder der Aussetzung von Regelungen zu Nacht- und Wochenendzuschlägen außerhalb der regulären Spät- und Nachtarbeit. Den negativen Aspekten von Crowdwork in der Plattformökonomie versucht die IG Metall durch Informationen und Anreize zur Selbstorganisation sowie durch Beteiligung an Selbstregulierungsinitiativen zu begegnen.

Eine große Herausforderung für die Gewerkschaften besteht in der doppelten Problemlage von Mitglieder- und Durchsetzungsschwäche auf der einen Seite und der sogenannten Gegnerkrise – also der abnehmenden Gestaltungsmacht der Arbeitgeberverbände – auf der anderen Seite. Dies zeigt sich vor allem in Bereichen der für New Work besonders affinen Digitalwirtschaft sowie in der hochqualifizierten Dienstleistungsarbeit. Hier sind die Gewerkschaften mit Blick auf ihre Mitglieder schlecht aufgestellt und wenig durchsetzungsfähig. Insbesondere in der Plattformökonomie ist es schwierig, die Beschäftigten zu organisieren. Gleichzeitig stehen viele Unternehmen der Sozialpartnerschaft ablehnend gegenüber; sie halten sich von Arbeitgeberverbänden fern oder gehen nur Mitgliedschaften ohne Tarifbindung ein. Auch Praktiken wie Union Busting oder die Verhinderung von Betriebsräten kommen vor.

Gewerkschaftsaverse (insbesondere hochqualifizierte) Beschäftigte und fehlende Zugänge zu Erwerbstätigen jenseits des Betriebs erschweren die Mitgliedergewinnung. Gleichzeitig müssen sich die Gewerkschaften auf veränderte Interessen und Erwartungen der Beschäftigten einstellen – etwa durch qualitative Tarifpolitik und partizipative Beteiligungsformate. Wenn sie weiterhin als status- und berufsunabhängige Branchengewerkschaften an ihrem integrativen Interessenverständnis festhalten wollen, sind sie gefordert, als Solidarorganisation Gemeinschaft und Zugehörigkeit unter widrigeren Umständen zu organisieren. Dabei müssen sie die Balance halten: Trotz einer stärkeren Berücksichtigung individueller Mitgliederinteressen und einer stärkeren Orientierung an selektiven Anreizen (Mitgliederlogik) dürfen sie nicht zu reinen Versicherungsbetrieben werden – denn das wäre das Ende der kollektiven Interessenvertretung, die einen solidarischen Interessenausgleich anstrebt und zugunsten der Durchsetzungsfähigkeit Interessen selektiert und aggregiert (Einflusslogik). Damit agieren sie in der neuen Arbeitswelt in einem verstärkten Spannungsverhältnis zwischen Mitglieder- und Einflusslogik.

Betriebliche Ebene

Infolge von Homeoffice und nicht direkt in die betrieblichen Prozesse eingebundenen Arbeitsverhältnissen (Werkverträge, Crowdwork) erodiert der Betrieb als sozialer und regulativer Ort. Wenn Beschäftigte selten oder gar nicht vor Ort arbeiten, fehlt nicht nur das soziale Miteinander – was von Beschäftigten, die nicht zu Hause arbeiten wollen, häufig als zentraler Grund genannt wird. Der kollegiale Austausch leidet und die Gelegenheiten, sich im Betrieb über den Weg zu laufen, fallen weg. Das kann für Betriebsräte bedeuten, dass sie seltener authentische Situationen vorfinden, um zu kommunizieren und ein offenes Ohr für die Stimmungen, Nöte und Interessen der Belegschaft zu haben. Ebenso besteht die Gefahr, dass Betriebsräte, die selbst im Homeoffice arbeiten, für die Beschäftigten nicht mehr direkt ansprechbar sind, weil die Tür zum Betriebsratsbüro verschlossen bleibt. Präsenz, Zugänglichkeit und Ansprechbarkeit müssen in virtuellen Kontexten nicht nur technisch ermöglicht, sondern auf allen Seiten neu vermittelt und gelernt werden.

Die Ausweitung von Arbeitsverhältnissen jenseits abhängiger Beschäftigung stellt Betriebsräte vor eine weitere große Herausforderung: die fehlende Zuständigkeit. Werkvertragsnehmerinnen und -nehmer, Soloselbstständige und Freelancer fallen nicht unter die verbrieften Rechte der betrieblichen Mitbestimmung. Auch hier zeigt sich die wechselseitige Abhängigkeit der betrieblichen und überbetrieblichen Akteure. Eine Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes, die den Realitäten der digitalisierten Arbeitswelt gerecht wird, muss von den Gewerkschaften als Akteure der politischen Interessenvertretung auf die gesetzgeberische Agenda gesetzt und gestaltet werden.

Insgesamt bringen die betrieblichen Entwicklungen nicht nur Gestaltungsnotwendigkeiten, sondern auch Gestaltungsmöglichkeiten und damit Einflussperspektiven mit sich. Mit der Einführung neuer digitaler Tools gehen Möglichkeiten der Überwachung, Verhaltens- und Leistungskontrolle einher. Big-Data-Analysewerkzeuge im Personalmanagement ermöglichen die automatisierte Auswertung von Fehlzeiten oder der Nutzungsdauer von Software. Mobile Endgeräte und GPS ermöglichen das Tracking von Bewegungs- und Standortdaten. Damit stellen sich zentrale ethische Fragen im Umgang mit diesen Mitarbeiterdaten. Diese werden nicht nur durch die Datenschutzgrundverordnung und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geregelt. Betriebsräte sind über die mitbestimmungspflichtige "Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen" (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) direkt eingebunden. Während die Gewerkschaften entsprechende tarifliche Regelungen und gesetzliche Rahmenbedingungen aushandeln, können Betriebsräte den Wandel durch innovative Betriebsvereinbarungen begleiten und gestalten.

Diesen Potenzialen für mehr Mitbestimmung stehen Gefahren der Überlastung und Überforderung gegenüber. Betriebsräte sollen die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Beschäftigten vertreten, die Gewerkschaften bei der Mitgliederwerbung und -mobilisierung unterstützen und im besten Fall die Innovationspotenziale der Belegschaft für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit im Strukturwandel oder in der sozial-ökologischen Transformation heben. Nicht immer sind Betriebsräte gut genug aufgestellt, um diese Aufgaben adäquat wahrnehmen zu können. Wenn sich ihr Aufgabenspektrum im Zuge der Digitalisierung stark erweitert und Themen wie Algorithmen und Künstliche Intelligenz neue Kompetenzen und Wissen erfordern, wird dies von Betriebsräten als Herausforderung empfunden (siehe Abbildung), und es stellt sich die Frage nach einer angemessenen Ressourcenausstattung und notwendigen Weiterqualifizierungen. Betriebsräte agieren damit in einem verstärkten Spannungsverhältnis zwischen Einflussnahme und Überforderung.

Schluss

Oft wird mit einem Hype verbunden, dass er so schnell vorbei sein kann, wie er gekommen ist. Für New Work trifft diese Annahme nicht zu. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es beispielsweise beim Thema Homeoffice auch einen Backlash von Unternehmen gibt, die ihre Beschäftigten zurück in die Firma beordern und eine Rückkehr zur Präsenzkultur anstreben. Jenseits dieser erwartbaren Versuche veränderungsaverser Organisationen steht der Übergang in ein neues Zeitalter außer Frage.

Die Arbeitswelt des digitalen Zeitalters unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der des Industriezeitalters. Transformative Wandlungsprozesse setzen kollektive Arbeitnehmerorganisationen grundsätzlich unter Anpassungsdruck, um ihrer Rolle als Interessenvertretung gerecht werden zu können. Die Gewerkschaften sind in der neuen Arbeitsarchitektur mit immer spezifischeren Interessen konfrontiert, die schwieriger zu organisieren sind. Gleichzeitig laufen sie Gefahr, auf die spezifischeren Interessen mit individuelleren Angeboten zu reagieren. Wenn sie die zunehmende Unsicherheit jedoch weniger kollektivvertraglich, sondern individualrechtlich abfedern, entwickeln sie sich zu Versicherungsbetrieben und belasten damit ihre solidarische Grundstruktur als kollektive Organisation. Betriebsräte laufen Gefahr, der Vielzahl neuer technischer, rechtlicher und psychischer Anforderungen nicht angemessen begegnen zu können, weil ihnen dafür die Ressourcen fehlen. Zugleich ergeben sich für die Gewerkschaften Chancen zur Unterstützung und Stärkung des Bündnisses in der dualen Interessenvertretung. Beide müssen sich also einerseits den neuen Bedingungen anpassen und sich damit selbst verändern. Andererseits verlaufen die Entwicklungen nicht deterministisch. Wohin sich die Arbeitswelt entwickelt, ist nicht vorherbestimmt, sondern gestaltbar. Transformationsherausforderungen und Einflusspotenziale treten somit gleichzeitig auf und verstärken die notwendige Anpassungsleistung auf Seiten der kollektiven Akteure.

Für die weitere Entwicklung der Arbeitsbedingungen und -verhältnisse im digitalen Zeitalter ist die Handlungsfähigkeit von Gewerkschaften und Betriebsräten zentral für eine menschengerechte Gestaltung der Arbeitswelt. Vielfach findet eine einseitige, risikoblinde, selbstgebastelte und selektive Bezugnahme auf das Konzept New Work statt – als zeitlich und räumlich flexibles, spaßorientiertes Arbeiten in einer bunten, selbstgestalteten Welt des Work-Life-Blending. Diese verkürzte und einseitige Sicht blendet aus, dass New Work nicht automatisch Good Work ist. Die Gefahr entgrenzter, auf Selbstoptimierung und Selbstausbeutung basierender Arbeit in prekären Beschäftigungsverhältnissen bedarf einer umfassenden Gestaltung.

Dabei eröffnet der vermehrte mitbestimmungspflichtige Einsatz von Algorithmen und Big Data auf betrieblicher Ebene neue Einflussmöglichkeiten für Betriebsräte. Allerdings steigen auch die Anforderungen an sie in Bezug auf Wissen, Kompetenzen und Ressourcen, sodass die Gefahr einer Überforderung besteht. Zudem erodiert mit der neuen mobilen Arbeitskultur nicht nur der Betrieb als sozialer Raum, sondern auch als etablierter Regulierungsanker – genauso wie der Arbeitnehmerstatus durch Soloselbstständigkeit und Werkverträge infrage gestellt wird. Dies fordert insbesondere die Gewerkschaften heraus – in einer Zeit, in der sie ohnehin seit Jahrzehnten durch Mitgliederschwund, Erosion der Flächentarifbindung und schwächelnde Arbeitgeberverbände unter Druck stehen.

Menschengerechte New Work zu gewährleisten, erfordert Engagement auf allen Ebenen: von der betrieblichen über die überbetriebliche bis hin zur politischen Ebene. Die Gewerkschaften sind dabei in allen Funktionen – als Arbeitsmarktakteur, als politischer Akteur und als Solidaritätsakteur – gefordert, sodass weiterhin ein Ausgleich zwischen Einfluss- und Mitgliederlogik notwendig ist. Dies umfasst einen adäquaten gesetzlichen Rahmen, der entsprechende Kompetenzen und Verantwortlichkeiten auf überbetrieblicher und betrieblicher Ebene sicherstellt, sowie die notwendigen Ressourcen für die Akteure. Gewerkschaften und Betriebsräte müssen sich entsprechend aufstellen, um ihre Aufgaben in einer veränderten digitalen Arbeitswelt weiterhin wahrnehmen zu können. Die kollektive Interessenvertretung ist die Antwort auf den Gestaltungsbedarf der digitalen Transformation und damit der New Work – zugleich muss sie selbst transformiert werden, um den Gestaltungsanforderungen gerecht zu werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Unternehmen vergeben über Internetplattformen (wie Clickworker) Arbeitsaufträge, die vermeintlich Soloselbstständige (weder Unternehmen noch Plattform sehen sich als Arbeitgeber) online (Crowdwork) oder ortsgebunden (Gigwork) bearbeiten.

  2. Personalräte im öffentlichen Dienst sind im Folgenden ebenfalls inbegriffen.

  3. Wie Gewerkschaften ihre Prioritäten zwischen den Funktionen austarieren, ist nicht festgelegt, sondern elementarer Teil gewerkschaftlicher Wandlungsprozesse und Strategiebildung. Vgl. Wolfgang Schroeder/Samuel Greef, Gewerkschaften und die Erosion der zivilgesellschaftlichen Basis: Von der Solidarorganisation zum Tarifverband, in: Cornelia Fraune/Klaus Schubert (Hrsg.), Grenzen der Zivilgesellschaft. Empirische Befunde und analytische Perspektiven, Münster 2012, S. 133–155.

  4. Vgl. Frithjof Bergmann, On Being Free, Notre Dame IN 1977.

  5. Vgl. ders., Neue Arbeit, neue Kultur, Freiburg/Br. 2004.

  6. Vgl. Stefan Müller, Das Forschungs- und Aktionsprogramm "Humanisierung des Arbeitslebens" (1974–1989), in: Nina Kleinöder et al. (Hrsg.), "Humanisierung der Arbeit": Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2019, S. 59–88.

  7. Vgl. Rat der Arbeitswelt, Transformation in bewegten Zeiten. Nachhaltige Arbeit als wichtigste Ressource, Berlin 2023, S. 60 ff.

  8. Vgl. Samuel Greef/Lukas Heller, Homeoffice in Hessen. Mobiles Arbeiten als Digitalisierungstrend der Arbeitswelt, in: Liv Dizinger et al. (Hrsg.), Aufgebrochen im Wandel. Bilanz und Perspektiven schwarz-grüner Regierungspolitik 1999–2023 in Hessen, Marburg 2023, S. 179–199.

  9. Die Debatten sind zwar anschlussfähig an die Diskurse zum Arbeitskraftunternehmen in den 1980er Jahren, gehen aber bezogen auf die betroffenen Erwerbstätigengruppen und die relevanten Dimensionen (Selbst-Kontrolle, Selbst-Ökonomisierung, Selbst-Rationalisierung) über diese hinaus. Vgl. Gerd-Günter Voß, Arbeitskraftunternehmer, in: Hartmut Hirsch-Kreinsen/Heiner Minssen (Hrsg.), Lexikon der Arbeits- und Industriesoziologie, Baden-Baden 2017, S. 49–52.

  10. Vgl. Walther Müller-Jentsch, Strukturwandel der industriellen Beziehungen. "Industrial Citizenship" zwischen Markt und Regulierung, Wiesbaden 2007.

  11. Vgl. Wolfgang Schroeder, Gewerkschaften im Transformationsprozess: Herausforderungen, Strategien und Machtressourcen, in: ders. (Hrsg.), Handbuch Gewerkschaften in Deutschland, Wiesbaden 2014, S. 13–45, hier S. 32 ff.

  12. Vgl. Samuel Greef/Wolfgang Schroeder, Plattformökonomie und Crowdworking: Eine Analyse der Strategien und Positionen zentraler Akteure, Forschungsbericht, Berlin 2017, S. 99, S. 31 ff.

  13. Vgl. Alexander Berzel/Wolfgang Schroeder, Homeoffice – eine Transformation der Arbeitswelt. Systematischer Überblick und Perspektiven der Gestaltung, in: i3 Kasseler Diskussionspapiere 12/2021, S. 6.

  14. Vgl. Samuel Greef/Benedikt Schreiter, Plattformökonomie und Gewerkschaften, in: Wolfgang Schroeder/Ursula Bitzegeio/Sandra Fischer (Hrsg.), Digitale Industrie. Algorithmische Arbeit. Gesellschaftliche Transformation, Bonn 2020, S. 208–232.

  15. Vgl. Samuel Greef et al., Plattformökonomie und Crowdworking als Herausforderungen für das deutsche Modell der Arbeitsbeziehungen, in: Industrielle Beziehungen 2/2020, S. 205–226.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Samuel Greef, Wolfgang Schroeder für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und der Autoren/-innen teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

ist Privatdozent am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Politisches System der BRD.
E-Mail Link: greef@uni-kassel.de

leitet seit 2006 das Fachgebiet Politisches System der BRD an der Universität Kassel, ist Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Mitglied des Rates der Arbeitswelt.
E-Mail Link: wolfgang.schroeder@uni-kassel.de