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Pragmatische Arbeitsmoral? Die Social-Media-Trends Quiet Quitting und Tang Ping

Gregor Ritschel

/ 14 Minuten zu lesen

Quiet Quitting und Tang Ping problematisieren die Arbeitskultur des karrieristischen Überengagements, das von der vagen Aussicht auf beruflichen Aufstieg getragen wird. Sie können als Symptom für die Nichteinlösung des New-Work-Versprechens verstanden werden.

Im Juli 2022 postete Zaid Kahn, ein Ingenieur aus New York, auf der Social-Media-Plattform TikTok ein nur wenige Sekunden langes Video mit sanfter Musik und positiven Alltagsszenen. Die aufgezeichnete Nachricht darin lautete: "Ich habe kürzlich von dem Begriff Quiet Quitting gehört. Dabei kündigt man nicht seinen Job, sondern verabschiedet sich von der Vorstellung, immer mehr zu leisten. Du erfüllst deine Pflichten, aber du löst dich von der Hustle-Kultur, die dir sagt, dass Arbeit dein Leben ist. Arbeit ist nicht dein Leben. Dein Wert als Person wird nicht durch deine produktive Leistung definiert." Quiet Quitting bedeutet also nicht, wie man zunächst vermuten könnte, still und heimlich zu kündigen oder bereits einen anderen Job im Auge zu haben. Vielmehr bedeutet es, in seinem Lohnarbeitsverhältnis nicht mehr die Extrameile zu gehen, nicht mehr über die Belastungsgrenze hinaus zu gehen – sich also von der sogenannten Hustle-Kultur zu lösen.

Der im deutschen Diskurs seit Langem bekannte Begriff der "stillen" oder "inneren" Kündigung schließt die Möglichkeit von Glück und Sinnerfüllung in der Arbeit tendenziell aus. Zudem wird der Begriff häufig als Vorstufe zur tatsächlichen Kündigung verstanden. Dies muss beim Quiet Quitting nicht der Fall sein. Hier geht es um die bewusste Kultivierung einer Abgrenzungshaltung gegenüber Überforderungen durch den Arbeitgeber oder durch strukturell entgrenzte Arbeitsroutinen. Im Folgenden wird gezeigt, dass sich diese Abgrenzungshaltung aus unterschiedlichen Quellen speisen kann. Dabei kann die Tätigkeit durchaus noch als sinnvoll und auch mit Freude besetzt empfunden werden.

Quiet Quitting problematisiert zunächst die Arbeitskultur des karrieristischen Überengagements, das von der vagen Aussicht auf beruflichen Aufstieg getragen wird. Gleichzeitig kann der Social-Media-Trend auch als Symptom für die Nichteinlösung des New-Work-Versprechens verstanden werden. New Work verhieß einst die Aufhebung der Entfremdung der Arbeit durch die Wiederentdeckung und Einbindung intrinsischer Motivation. Die Idee des Konzepts bestand darin, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass man die Arbeit "wirklich, wirklich will". Doch immer mehr Menschen ziehen es vor, sich den aktuellen Arbeitsbedingungen so weit wie möglich zu entziehen, und suchen ihren Sinn jenseits der Arbeitswelt. Die Versprechen der alten Arbeitskultur scheinen nicht mehr zu gelten. Das neue Arbeitsideal der Generationen Y und Z ist häufig eine Arbeit, die vor allem weniger Zeit in Anspruch nimmt.

Zeitlicher Kontext für die Entstehung des Phänomens Quiet Quitting ist die sogenannte Great Resignation, die große Kündigungswelle in den Vereinigten Staaten in den Jahren der Corona-Pandemie 2021 und 2022. Auch in Deutschland blieb die vermeintliche Arbeitsmüdigkeit der jüngeren Generationen nicht unbemerkt und löste eine breite Debatte im Feuilleton aus. "Der Spiegel" titelte am 27. Mai 2023: "Wir machen uns nicht mehr kaputt! Warum die Generation Z anders arbeiten will – und alle ansteckt". Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann hat in der "Zeit" das neue Streben der Generation Z nach einer gelungenen Work-Life-Balance in digital entgrenzten Zeiten folgendermaßen beschrieben: "Wir reden hier von Menschen, die digital groß geworden sind. Sie wissen, dass man theoretisch 24 Stunden am Tag erreichbar ist, an sieben Tagen in der Woche. Sie fürchten, dass der Arbeitgeber permanent etwas fordern kann. Und sie haben große Angst, dass sie in einen Burn-out hineinrutschen. Denn viele von ihnen haben im Umfeld, manchmal sogar bei den eigenen Eltern, erlebt, wie schnell das geht. (…) Deswegen wollen sie nur noch so viel arbeiten, dass sie davon leben können. Sie wollen keine Überstunden machen, freitags früher gehen und an manchen Tagen gar nicht arbeiten. Viele aus den älteren Generationen der über 50-jährigen Babyboomer können das einfach nicht verstehen und finden diese Haltung unverschämt." Hurrelmanns Perspektive auf das Phänomen ist meines Erachtens richtig, aber vermutlich in ihrer Erklärungskraft nicht umfassend, denn heute spielen neben generationsspezifischen Merkmalen oder arbeitskulturellen Einstellungen auch ökonomische Settings wie die Verteilung von Produktionsgewinnen eine Rolle bei der Erklärung des Phänomens Quiet Quitting.

Vorbild Bartleby?

Einige Beobachter dieses Trends meinen, in Hermann Melvilles literarischer Figur Bartleby ("Bartleby der Schreiber", 1853) mit seinem berühmten Ausspruch "I would prefer not to" den Urvater der Quiet Quitter zu erkennen. Der Erzähler ist ein nicht namentlich genannter älterer Anwalt mit einem Büro an der Wall Street. Er beschäftigt Schreiber, die Dokumente von Hand abschreiben, darunter auch den verloren wirkenden Bartleby. Zunächst fertigt Bartleby mit großem Eifer hochwertige Abschriften an. Doch als er eines Tages vom Erzähler gebeten wird, bei der Korrektur eines Dokuments zu helfen, antwortet Bartleby: "Ich würde es lieber nicht tun" – was bald zu seiner ständigen Antwort auf jede Anfrage wird. Verwirrt übernimmt der Erzähler selbst diese Aufgabe. Bartlebys höfliche Weigerungen häufen sich in den folgenden Wochen, bis er schließlich gar nichts mehr tut und nur noch aus dem Fenster starrt. Der wohlwollende Erzähler unternimmt noch mehrere vergebliche Versuche, mit Bartleby zu sprechen, der mittlerweile im Büro wohnt. Auch der Versuch, Bartleby gewaltsam aus der Kanzlei zu entfernen, scheitert, und selbst eine großzügige Abfindung lehnt Bartleby höflich ab. Am Ende sieht sich der Erzähler gezwungen, die Kanzlei zusammen mit den anderen Mitarbeitern zu verlassen. Seine Nachmieter lassen Bartleby von der Polizei ins Gefängnis werfen, wo er bald die Nahrungsaufnahme verweigert und stirbt.

Folgt man Zahid Kahns Definition, ist Bartleby nicht der Urvater der Quiet Quitter, da es diesen nicht um eine völlige Arbeitsverweigerung geht. Sie mögen ihren Job, wollen aber nicht, dass er ihr Leben völlig dominiert und suchen nach einer gelungenen Work-Life-Balance. Was bleibt, ist die Rätselfrage, warum gerade in den vergangenen zwei Jahren so viele Menschen ihren Job gekündigt haben oder zu Quiet Quittern geworden sind. Angesichts zusätzlicher Aufgaben sagten auch sie ganz höflich "I would prefer not to".

Erschöpfte Ideale

Um Quiet Quitting zu beleuchten, lohnt sich ein Blick auf die US-amerikanische Arbeitskultur der 1980er und 1990er Jahre, in der die sogenannte Hustle-Kultur ihren Ursprung hat. Getragen wurde diese von der Sozialfigur der Yuppies und jener Aufstiegswilligen, die das Versprechen des Neoliberalismus zu ihrem Credo gemacht hatten. Für sie galt und gilt: "Work hard, play hard". In diesem Setting leisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr als vertraglich vereinbart. Sie arbeiten schneller, länger und jederzeit, vor allem seit der Erfindung von Handy und E-Mail. Treibende Kraft ist die Hoffnung, bei der nächsten Beförderungsrunde berücksichtigt zu werden. Man glaubt, seines Glückes Schmied zu sein und am Ende zu Geld und Anerkennung zu kommen. Für viele der heutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die der Hustle-Kultur huldigen, gilt, dass sie auch in ihrer Freizeit an ihre Projekte denken, die sie voll und ganz in Beschlag nehmen. Diese Kultur bildet die Kontrastfolie des Quiet Quitting.

Relevant für Quiet Quitting sind ebenso die Veränderungen der Arbeitswelt der vergangenen 30 Jahre. Insbesondere die Bewältigung der Corona-Pandemie hat zu einem Überdenken des Stellenwerts von Arbeit geführt. In dieser Ausnahmesituation, in der vor allem Care-Tätigkeiten ins Blickfeld gerieten, stellte sich die Frage, welche Tätigkeiten die Gesellschaft eigentlich tragen. Und manch einer fragte sich, ob er – in Anlehnung an das gleichnamige Buch von David Graeber – nicht in einem "Bullshit-Job" arbeitete.

In der Wissensgesellschaft haben sich die Tätigkeiten von der industriellen Produktion in die Büros verlagert. Auch das Management hat sich schleichend angepasst. Man ging zu einigen Prinzipien von New Work über. Starre Arbeitszeitregelungen wichen zunehmend flexiblen Arbeitszeiten. Anwesenheitspflichten wurden durch mobiles Arbeiten ersetzt. Und autoritäre Führungsformen machten flachen Hierarchien Platz. In Zeiten multipler Krisen sind lange Planungs- und Produktionszyklen überflüssig geworden. Stattdessen werden agile Arbeitsformen praktiziert, die einer zunehmend instabilen Welt angepasst sind. Man arbeitet mit Prototypen, holt sich laufend Feedback vom Kunden ein und absolviert jede Woche einen neuen Sprint mit einem selbst definierten Teilziel. Damit das funktioniert, braucht es ein ständiges Abgleichen, die Förderung der Kreativität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch eine Verlagerung der Steuerung von der Chefetage hin zur kollektiven Selbststeuerung. Man ist zwar angestellt, trägt aber auch Führungsverantwortung. In einer solchen agilen Arbeitswelt wird es immer schwieriger, am Feierabend einen mentalen Schlussstrich zu ziehen.

Das einst emanzipatorische und kapitalismuskritische New-Work-Konzept, wie es Frithjof Bergmann entwarf und das beispielsweise zeitliche Freiräume jenseits der Lohnarbeit zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit vorsah, wird heute oft in eine Managementstrategie umgemünzt, die sich darauf beschränkt, Arbeitsplätze etwas attraktiver zu gestalten oder den Beschäftigten mehr Eigenverantwortung zu übertragen, um mehr Leistung aus ihnen herauszuholen. Dem ursprünglichen ganzheitlichen, an der Entwicklung der Persönlichkeit interessierten Ansatz Bergmanns wird dies oft nicht gerecht, wie Bergmann selbst noch vor einigen Jahren in einem Interview kritisierte.

Für das Verständnis von Quiet Quitting ist außerdem die Great Resignation von 2021 und 2022 in den USA von Bedeutung, bei der insgesamt fast 100 Millionen Menschen ihre Jobs kündigten. Als Beweggründe wurden vor allem schlechte Arbeitsbedingungen, gesundheitliche Bedenken, aber auch empfundene Sinnlosigkeit genannt. Konservative Stimmen beklagten eine vermeintliche Faulheit sowie falsche Anreize durch sozialstaatliche Leistungen in der Krise – oder sie verurteilten das Quiet Quitting moralisch als unerklärliche Verkommenheit der Jugend. Andere Kommentatoren wie Trevor Noah, ehemaliger Moderator der Daily Show, nahmen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Schutz, weil diese oft nicht mehr von ihrem Lohn leben könnten. Zeitgleich formierte sich auf Internetseiten wie "Reddit" die Anti-Work-Bewegung. All dies geschieht vor dem Hintergrund der Verrentung der Babyboomer. Diese Trends verschärfen den Arbeitskräftemangel in vielen Bereichen. Damit wächst auch der Druck auf die Arbeitgeber, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen und höhere Löhne zu zahlen.

Doch nicht jeder kann ad hoc den Arbeitgeber wechseln. Oft fehlt es an geeigneten Alternativen, sei es in zeitlicher, finanzieller, inhaltlicher oder örtlicher Hinsicht. Eine Kündigung ohne neuen Job ist riskant, vor allem in Krisenzeiten. In solchen Fällen kann zumindest an der Work-Life-Balance gearbeitet werden. Der Financial-Times-Kolumnist John Gapper kommentiert den Quiet-Quitting-Trend so: "Nach Jahrzehnten der zunehmenden Arbeitsintensität, der ausgedehnten Ziele und der Hustle-Kultur haben junge Arbeitnehmer eine effiziente Methode entwickelt, um sich zu wehren." Das Problem der Arbeitgeber scheint ihm selbstverschuldet, da sie Arbeitsplätze ausgelagert und die Arbeitsplatzsicherheit eingeschränkt hätten. Dies habe dazu geführt, dass sich junge Arbeitnehmer nach Nebenjobs umsehen oder ihre eigenen kreativen Projekte entwickeln. Dadurch wird es wahrscheinlicher, dass sie ihren Job aufgeben und mehr Zeit und Energie für ihre eigenen Ideen aufwenden. Unter den gegebenen Bedingungen ist es oft durchaus rational, einen Job als "Standbein" zu nutzen, der beispielsweise die Sozialversicherungen abdeckt, und daneben das "Spielbein" zu pflegen, also den Nebenjob, in dem die eigentliche Freude am Schaffen liegt.

Tang Ping in China

Die Erschöpfung, die viele junge Menschen mit den bisherigen Arbeitsidealen empfinden, ist nicht auf die westliche Welt beschränkt. Dies wird durch den chinesischen Social-Media-Trend "Tang Ping" ("Flach hinlegen") deutlich. Nicht wenige Chinesinnen und Chinesen haben genug vom 996-System – Arbeit von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends an sechs Tagen in der Woche. Sie machen sich keine Illusionen mehr über die Aufstiegschancen in einem bereits gesättigten Arbeitsmarkt mit hohem Konkurrenzdruck. Sie beginnen sich von der vorrangigen Arbeitsethik ihrer Elterngeneration zu distanzieren und tun dies mit den Ausdrücken "Tang Ping" und "Bai Lan" ("es verrotten lassen"). Auch in China geht es darum, den hohen Druck in der Arbeitswelt kritisch zu hinterfragen.

Der Begriff "Tang Ping" tauchte erstmals zu Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 auf der Plattform "Weibo" auf. Junge Chinesinnen und Chinesen tauschten sich dort unter dem Hashtag über ihre Erfahrungen im Arbeitsleben aus und erwogen immer häufiger, nur noch in Teilzeit zu arbeiten oder sich in abgelegene Tempel zurückzuziehen, um ihre Lebensentwürfe zu überdenken. Insbesondere wurde die Absurdität eines sich ständig verschärfenden Wettbewerbs beklagt. Die Idee, Lebensziele durch unermüdliche Arbeit zu erreichen, wurde infrage gestellt, da sie keine Zeit zum Leben oder gar zum Konsum lasse.

In China ist es die ständige Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, der man sich entziehen will. Diese wird auch als Wolfskultur bezeichnet. Die Idee von Tang Ping besteht darin, nur so viel zu arbeiten, dass die Lebenshaltungskosten gedeckt sind. Ziel ist es, sich von gesellschaftlichen Zwängen zu befreien und einen gewissen Postmaterialismus zu leben. Dem chinesischen Soziologen Sun Liping zufolge konzentriert sich die Bewegung auf Chinesinnen und Chinesen, die es sich leisten können, weniger zu arbeiten – meist weil sie wohlhabende Eltern haben. Andere chinesische Kommentatoren stehen der Bewegung wohlwollender gegenüber und teilen die Kritik: Warum sich auf diese Arbeitsverhältnisse einlassen, wenn ein sozialer Aufstieg ohnehin kaum möglich ist? In China trifft derzeit in den Städten eine hohe Akademikerquote auf einen gesättigten Arbeitsmarkt. Staatschef Xi Jinping appelliert deshalb unter dem Motto "Esst die Bitterkeit" an die Jugend, auch aufs Land zu ziehen und Jobs unterhalb ihres Qualifikationsniveaus anzunehmen. Perspektivisch wird der demografische Wandel in China sicherlich zu einer Stärkung der Erwerbsbevölkerung führen. Dennoch waren im April 2022 immer noch 16 Prozent der Chinesen zwischen 16 und 24 Jahren arbeitslos. Das Unbehagen der Jugend speist sich also einerseits aus der Arbeitslosigkeit und den enttäuschten Erwartungen angesichts mangelnder Aufstiegschancen bei den Erfolglosen, andererseits aus der Überarbeitung der Erfolgreichen. Eine Umverteilung der Arbeit könnte sich hier auf beiden Ebenen positiv auswirken.

Stagnation der Reallöhne

Die Entwicklung der Unzufriedenheit im Berufsleben in Deutschland wurde 2022 durch eine Forsa-Umfrage beleuchtet. Demnach stieg die Unzufriedenheit von 25 Prozent 2021 auf 37 Prozent 2022. Es wurden unterschiedliche Gründe für einen beabsichtigten Jobwechsel beziehungsweise für die Unzufriedenheit am Arbeitsplatz genannt: 28 Prozent der Unzufriedenen empfanden das Führungsverhalten als problematisch, 27 Prozent wünschten sich eine bessere Work-Life-Balance und 24 Prozent ein attraktiveres Arbeitsumfeld, während nur 19 Prozent finanzielle Anreize und 15 Prozent eine attraktivere Position als Grund für einen beabsichtigten Jobwechsel nannten.

Quiet Quitter achten besonders auf ihre Work-Life-Balance und vermeiden Überstunden. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Überstunden in Deutschland im Zeitverlauf, so zeigt sich, dass die jährliche Überstundenquote 2000 bei rund 31 bezahlten und 28 unbezahlten Überstunden lag – 2020 waren es nur noch 14 bezahlte und 17 unbezahlte Überstunden.

Vielleicht sind es also nicht nur die Überstunden, die ein Quiet Quitting motivieren: Die Schlagzeilen sind seit Jahren geprägt von Managerboni und Meldungen über hohe Dividendenausschüttungen. Gleichzeitig belegen die Statistiken eine seit Jahrzehnten anhaltende Reallohnkrise, und die grassierende Inflation verschärft die Situation. Bis zur Corona-Pandemie und mit Ausnahme der Finanzkrise 2008 ist das Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gestiegen. Erst Ende 2022 und im ersten Quartal 2023 ist wieder ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Grund dafür ist die inflationsbedingte Konsumzurückhaltung, die sich insbesondere in den Bereichen Nahrungsmittel, Bekleidung und Mobilität bemerkbar macht. Die Reallöhne hingegen sind 2022 gegenüber dem Vorjahr um 4 Prozent gesunken. Zwar sind sie in den vergangenen 20 Jahren im Durchschnitt stetig leicht gestiegen, doch hat sich die Schere zwischen Bruttoinlandsprodukt und Reallöhnen immer weiter geöffnet.

Dass der nicht mehr vorhandene Aufopferungswille der jüngeren Generation ökonomische Gründe hat, lässt sich auch mit soziologischen Zeitdiagnosen stützen. Wurde die Bundesrepublik der Nachkriegszeit noch als "nivellierte Mittelstandsgesellschaft" (Helmut Schelsky) bezeichnet – und sprach man später noch von einer Aufstiegsgesellschaft, in der zumindest alle Schichten wie in einem Fahrstuhl gemeinsam nach oben fuhren, auch wenn dabei Abstände erhalten blieben, so charakterisiert etwa der Soziologe Oliver Nachtwey die Gegenwart der Bundesrepublik als "Abstiegsgesellschaft". Die Stellung in der Gesellschaft gleiche dabei eher einer abwärts fahrenden Rolltreppe, auf der man immer schneller laufen müsse, um nicht abzusteigen. Auch wird immer deutlicher, dass ein hoher sozialer Status eher erblich bedingt ist. Dies wird für eine Demokratie, in der das Leistungsideal nach wie vor hochgehalten wird, zunehmend zum Problem.

In nicht planbaren Krisenzeiten verschiebt sich der Fokus der jungen Erwerbstätigen auf das Hier und Jetzt, auf ihre Gesundheit, auf Familie und Freunde und auf soziale Aktivitäten. Hinzu kommt, dass für die Mehrheit der Beschäftigten (und nach wie vor insbesondere für Frauen) der Alltag jenseits der Lohnarbeit mit Betreuungs-, Pflege- und Erziehungsaufgaben ausgefüllt ist. Diese Aufgaben lassen häufig keine Überstunden zu. Schon die Norm der 40-Stunden-Woche ist hier schlicht zu hoch angesetzt. Zusammen mit dem Gender Pay Gap und der unsichtbaren Decke für Frauen und Minderheiten ist ein abgekühltes Verhältnis zur Lohnarbeit durchaus plausibel.

Less is Beautiful

Fasst man die Hintergründe von Quiet Quitting zusammen, so lassen sich zunächst zwei Ebenen unterscheiden. Betrachtet man die individuelle Bedürfnislage der Beschäftigten, so kann es punktuell an Wertschätzung oder Führungskompetenz in der Arbeitssituation mangeln. Auch fehlende Karriere- oder Gestaltungsmöglichkeiten können problematisch sein. Diese Umstände können aber angesichts der Abhängigkeit vom Job durchaus ausgehalten werden. Auf gesellschaftlicher Ebene ist die ausufernde Hustle-Kultur zu nennen, von der sich die Quiet Quitter abgrenzen wollen. Ihre Selbstbeschränkung kann als Reaktion auf die Entgrenzung der Arbeit verstanden werden.

Quiet Quitting ist insgesamt als Einzelkämpferstrategie zu bewerten, insofern hier nicht der Weg einer gewerkschaftlichen Aktion zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse beschritten wird. Die Form der Kritik lässt sich damit erklären, dass in den USA, dem Ursprungsland des Trends, die Gewerkschaften zumindest in den vergangenen Jahrzehnten eher schwach waren, während es in China keine organisierte Zivilgesellschaft gibt. Die Generationen Y und Z sind aber nicht unsozial, sondern entdecken das Soziale neu, ebenso wie die drängenden globalen Probleme, die die Klimakrise mit sich bringt. Aufstieg durch Arbeit scheint aber immer weniger möglich oder gar attraktiv. So wird der sich immer schneller drehende Kreislauf von Produktion und Konsum angesichts globaler Grenzen zunehmend infrage gestellt. Gleichzeitig ist Wohneigentum in den Städten unbezahlbar geworden. Insofern wird immer häufiger darauf verzichtet, sich lebenslang mit Krediten zu belasten. Aktuell gibt es eine neue Knappheit auf dem Arbeitsmarkt, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine bessere Verhandlungsposition verschafft, auch wenn die Reallöhne derzeit noch sinken. Das Quiet Quitting ist jedoch nur für nicht prekäre Arbeitssituationen geeignet. So sind beispielsweise Personen, deren Aufenthaltsstatus an den Arbeitsplatz gebunden ist, gezwungen, sich übermäßig zu engagieren.

Quiet Quitting ist ein Symptom einer pragmatisch gewordenen Arbeitsmoral. Die sich herausbildende neue Arbeitskultur scheint sich weitgehend vom New-Work-Ideal des "wirklich, wirklich Wollens" zu verabschieden. Gute Arbeit kann heute einfach weniger Arbeit bedeuten, beispielsweise in Form einer Vier-Tage-Woche. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass die Beschäftigten damit zufriedener sind, weniger krank werden und auch die Produktion nicht sinkt. Derzeit wünschen sich rund 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten die Vier-Tage-Woche, die überwiegende Mehrheit in Verbindung mit vollem Lohnausgleich. In einer Gesellschaft, in der mehr Zeit zur Verfügung steht, könnten immer mehr Menschen neue kreative und soziale Tätigkeiten entdecken, die ihnen und der Gesellschaft guttun.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Lehrer:innenbildung und Schulforschung der Universität Leipzig mit dem Schwerpunkt politische Bildung und Medienbildung.
E-Mail Link: gregor.ritschel@uni-leipzig.de