Der Begriff "New Work" ist in aller Munde. Dabei ist New Work kein exakt definierter Terminus technicus. Vielmehr kann er in der aktuellen Debatte als Chiffre für alles verstanden werden, was neu an der Arbeit der Zukunft sein oder vermutet wird, und zugleich für das, was neu sein soll. Somit findet New Work als analytischer, prognostischer und zugleich als normativer Begriff Anwendung.
Begriffshistorisch geht der Terminus "New Work" auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück.
In den folgenden Ausführungen ist unter New Work oder Neuer Arbeit eine Erwerbsarbeit zu verstehen, die auf der Grundlage digitalisierter Arbeits- und Kommunikationsmittel an Orts- und Zeitflexibilität gewinnt und die sich oftmals in einer neuen, freilich interessenpolitisch umkämpften Arbeitskultur entwickelt. Dabei richtet sich der Blick aus der Interessenperspektive der abhängig Arbeitenden auf Möglichkeiten und Gefahren der Neuen Arbeit, um Elemente einer arbeitskraftzentrierten Gestaltungspolitik zu skizzieren. Im Vordergrund steht das Modell des Homeoffice als eine dominante Form digitalisierter und mobiler Arbeit. Homeoffice kann in der Sozialform der abhängigen Beschäftigung innerhalb der Arbeits- und Sozialverfassung, aber auch als soloselbstständige Arbeit im Rahmen von Click- und Crowdworking in der Plattformökonomie organisiert sein.
Verwilderung der Arbeitsbeziehungen
Die folgenden Überlegungen beruhen auf der Diagnose, dass sich die Umbrüche in der Arbeit im Kontext der allgemeinen Veränderungsdynamiken des Gegenwartskapitalismus vollziehen.
Diese Entwicklung ist soziologisch als Verwilderung der Arbeitsbeziehungen beschrieben worden.
Die Verwilderungsanalyse richtet den Blick zum einen auf Beschäftigungsverhältnisse, die sich außerhalb der Institutionen der Arbeitsbeziehungen etablieren (externe Verwilderung). Typische Beispiele hierfür sind Click- und Crowdworking, die sich in der Sozialform der Soloselbstständigkeit in der digitalen Plattformökonomie entwickeln. Plattformarbeit kann als standardisierte Routinearbeit (zum Beispiel Textproduktion oder Datenauswertung bei Umfragen) oder als kreative Arbeit im Designbereich sowie beispielsweise als innovative IT-Arbeit geleistet werden. Die Auslagerung von Aufgaben durch Crowdsourcing und/oder die Überführung von Beschäftigten in den Status der Selbstständigkeit bedeutet die Verschiebung der Arbeits- und Sozialverfassung in andere Rechtsräume. Erhebliche Verschlechterungen wesentlicher Sozialstandards sind häufig die Folge.
Die Verwilderungsanalyse erfasst aber auch soziale Konflikte, die sich innerhalb der institutionellen Arbeits- und Sozialverfassung und damit in Arbeitsverhältnissen mit einem gewissen arbeits-, tarif- und sozialrechtlichen Schutz abspielen (interne Verwilderung). Von besonderer Bedeutung sind hier Konflikte um die Regulierung von Leistungsbedingungen, den Schutz der psychischen Gesundheit und die Arbeitszeit. Gerade in diesen Bereichen prallen die Folgen verschärfter Produktivitätsvorgaben auf die gestiegenen Ansprüche der Beschäftigten nach Leistungsgerechtigkeit und sozialer Anerkennung. Mit dem Einsatz digitaler Arbeitsmittel verstärken sich, zum Teil differenziert nach Qualifikation und Arbeitssituation, die Belastungsfaktoren wie Arbeitsintensität, Zeitdruck und Anforderungsprofile. Digitaler oder technikbedingter Stress nehmen vor allem durch intensivierte und häufig gestörte Arbeit zu – dies umso mehr, je länger und flexibler die Arbeitszeiten sind.
Neue Regeln für die neue Arbeitswelt
Es ist also davon auszugehen, dass die Verwilderung der Arbeitsbeziehungen die Aktivierung der humanisierungspolitischen Potenziale erschwert. Zugleich sind neue Gefahren für die Gesundheit und Lebensqualität der orts- und zeitflexibel Arbeitenden offensichtlich. Dabei spielt offenbar die Existenz oder das Fehlen von Schutz- und Partizipationsrechten der Betroffenen eine wichtige Rolle. "Nach aktuellem Forschungsstand ist (…) festzuhalten, dass Arbeit von zuhause ohne konkrete betriebliche Vereinbarungen mit durchschnittlich höheren Anforderungen und einem größeren Risiko der negativen Beanspruchungsfolgen einhergeht."
Orts- und Zeitsouveränität
Ein wesentliches Regulierungsziel sollte die Sicherung einer möglichst weitreichenden Orts- und Zeitsouveränität der Beschäftigten sein. Arbeitswissenschaftliche Forschungen zeigen, dass nicht das Homeoffice an sich, sondern vor allem die Entscheidungsbefugnis der Beschäftigten über Einsatz und Dauer des Homeoffice die Arbeitszufriedenheit erhöht.
Aber nicht nur der externe Arbeitsplatz, sondern auch die verbleibende Arbeit im Betrieb bedarf arbeitspolitischer Aufmerksamkeit. Nicht selten korrespondiert Homeoffice mit einer weitreichenden Neuorganisation der betrieblichen Büro- und Wissensarbeit. Begriffe wie Modern Workspaces oder -places, Desksharing und hybride Teams stehen für Konzepte des Raummanagements, in denen Arbeitsabläufe neu strukturiert und feste Arbeitsplätze abgeschafft werden. Diese Konzepte zielen darauf ab, neue Motivations- und Produktivitätspotenziale bei den Beschäftigten zu aktivieren, aber auch Miet- und Arbeitsmittelkosten zu senken. Für die Beschäftigten beginnt der Arbeitstag nicht selten mit der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz im Betrieb. Arbeitsplatzsuche unter Zeitdruck, unzureichende ergonomische Ausstattung, Lärmbelastung in Großräumen und Störungen beim konzentrierten Arbeiten werden zu Gesundheitsrisiken mobiler Büroarbeit im Betrieb. Problemgerechte Raum- und Arbeitsorganisationskonzepte müssen diesen Risiken entgegenwirken.
Soziale Mindeststandards
Die Sicherung sozialer Mindeststandards ist insbesondere bei der Soloselbstständigkeit auf und mit Onlineplattformen ein zentrales Regulierungsfeld. Dabei geht es um Rechte auf Entlohnung für geleistete Arbeit. Und zwar auch dann, wenn das Arbeitsangebot nicht oder nicht in vollem Umfang angenommen wird. Da diese Arbeit in der Regel auf der Basis von Werk- und Dienstverträgen geleistet wird, greifen arbeits- und sozialrechtliche Regelungen, die etwa Gegenstand des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes sind, kaum.
Zur sozialen Absicherung selbstständiger Plattformarbeit könnte der Ausbau der Sozialversicherungssysteme zu Erwerbstätigenversicherungen mit Versicherungsschutz für alle Erwerbstätigen beitragen. Denkbar wären auch die Schaffung eines eigenen Rechtsraumes und der Aufbau einer neuen Institution. Diskussionswürdig sind Vorschläge zur Ergänzung der Sozialversicherungssysteme durch ein Modell der "Digitalen Sozialen Sicherheit" (DSS). Es sieht vor, "direkt in die Plattformen einen digitalen Mechanismus zu implementieren, der mit jeder Beendigung eines Jobs einen bestimmten Prozentsatz des vereinbarten Entgelts auf das DSS-Konto des Plattformarbeiters überweist."
Schutz vor Entgrenzung
Zahlreiche Studien belegen bei orts- und zeitflexibler Arbeit einen starken Trend zur Entgrenzung der Arbeitszeit, zur Vermischung von Arbeits- und Lebenszeit und den damit verbundenen gesundheitlichen Belastungen.
Darüber hinaus zeigen Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis, dass Homeoffice mitunter nicht die Alternative zur Arbeit im Betrieb ist, sondern eine Form der Mehrarbeit nach Ende der regulären Arbeitszeit, um das anfallende Arbeitsvolumen bewältigen zu können. Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass mögliche Gefährdungen durch orts- und zeitflexibles Arbeiten in die vom Arbeitgeber durchzuführende Gefährdungsbeurteilung (§5 ArbSchG) einzubeziehen sind. Dazu gehören physische und psychische Belastungsfaktoren ebenso wie Fragen der Arbeitszeit, der Arbeitsorganisation und der sozialen Beziehungen. Empirische Studien zur Verbreitung von Gesundheitsgefährdungen zeigen hier eklatante Defizite in den Betrieben.
Arbeitspolitische Flankierung
Die skizzierten Maßnahmen können dazu beitragen, das institutionelle Setting der Arbeitsbeziehungen auf die Potenziale und Risiken der Neuen Arbeit anzupassen. Eine gelingende Rechtssetzung allein garantiert aber noch nicht ihre Wirksamkeit. Arbeits- und Sozialrechte bedürfen auch arbeitsorganisatorischer und arbeitskultureller Flankierungen, wenn ihre Wahrnehmung nicht an der Realität kapitalistischer Rentabilitäts- und Produktivitätszwänge scheitern soll.
Reale Arbeitsautonomie
Die arbeitssoziologische Forschung verweist seit geraumer Zeit auf mitunter subtile, arbeitsorganisatorische oder unternehmenskulturelle Mechanismen der Verhaltensbeeinflussung der Beschäftigten. Mit Begriffen wie "indirekte Steuerung",
Auch in der neuen Arbeitswelt werden Unternehmen, die einem harten Marktwettbewerb ausgesetzt sind, dazu neigen, partizipative Elemente zur Kostensenkung oder Produktivitätssteigerung zu instrumentalisieren. Dabei werden etwa teilautonome Organisationsmodelle den Beschäftigten zusätzliche Aufgaben bei der Planung und Organisation von Arbeitsabläufen abverlangen, die für die Unternehmen entsprechende Planungs- und Organisationskosten senken, für die Beschäftigten aber mit zusätzlichen und unbezahlten Anstrengungen verbunden sind. Auch Maßnahmen zur Abflachung von Hierarchien und zur Eröffnung zusätzlicher Handlungsspielräume für Individuen und Teams in neuen agilen Arbeitsformen können neue Selbstbestimmungsräume eröffnen, sie können aber auch schnell auf Kosten- und Produktivitätsziele ausgerichtet und damit in ihren emanzipatorischen Potenzialen beschnitten werden. Es wird deutlich, dass die Realisierung von Selbstorganisation und Partizipation nicht allein durch positives Recht gesichert werden kann. Sie beruhen auf Voraussetzungen, die nur durch eine entsprechende Arbeitspolitik und revitalisierte Konzepte einer "Demokratisierung von Arbeit" gesichert werden können.
Sinnstiftende Arbeitskulturen
Dies gilt auch für die arbeitskraftzentrierte Sinnstiftung in der Arbeit. Neben hoher Orts- und Zeitflexibilität, agilen und projektbasierten Organisationsformen, veränderten Führungsstrukturen durch Enthierarchisierung und partizipativen Entscheidungsmechanismen spielen "Wertebasierung und Sinnstiftung durch Arbeit" eine zentrale Rolle im New-Work-Konzept.
Ressourcenbasiertes Empowerment
Die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers, Gesundheitsgefährdungen auch bei mobiler Arbeit zu ermitteln, zu beurteilen und zu minimieren, steht außer Frage. Doch schon die Fragen, welche Ausstattungsstandards (bei Bildschirmen, Tastaturen oder etwa Headsets) einzuhalten sind, wie deren Umsetzung in der Privatwohnung überprüft wird und wer die Kosten trägt, erweisen sich häufig als Konfliktpunkte. Insbesondere die Überwachung der einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften am Arbeitsplatz wird strukturell erschwert, wenn der Arbeitsort im Rahmen multilokaler Arbeit ständig wechselt. Eine zentrale Anforderung besteht darin, auf die "Unsichtbarkeiten" des Arbeitsschutzes bei orts- und zeitflexibler Arbeit zu reagieren.
Dieser arbeitsschutzpolitischen Sprachlosigkeit müssen die Arbeitsschutzakteure entgegentreten. Aufgrund des Fehlens entsprechender Kontrollmechanismen im Homeoffice sind nicht zuletzt die Beschäftigten selbst gefordert, drohende Schutzlücken zu vermeiden. Sie müssen zum Beispiel mithilfe arbeitswissenschaftlich abgesicherter Checklisten auf die Einhaltung von Arbeitszeit- und Ergonomiestandards achten und sind damit als Kontrolleure ihrer eigenen Arbeitsbedingungen gefordert. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Selbstbeobachtung, kurz: Empowerment, wird zur Schlüsselressource. Allerdings unterscheiden sich arbeitskraftzentrierte Empowermentstrategien von rein psychologischen Ansätzen, die in Managementkonzepten häufig vorherrschen.
Ausblick
Vieles spricht dafür, dass Konflikte um reale Orts- und Zeitautonomie, gegen entgrenzte Arbeitszeiten und Leistungsanforderungen sowie um ressourcenbasiertes Empowerment Schlüsselkonflikte in der New-Work-Welt sein werden. Bei alledem werden die arbeitsinhaltlichen Ansprüche und sozialen Sinnbezüge, die gerade hochqualifizierte Beschäftigte in der Arbeit realisiert sehen wollen, mitschwingen. Dabei müssen soziale Rechte mit arbeitsorganisatorischen Gelingensbedingungen einhergehen. Letztlich geht es darum, das Versprechen einer gesundheitsförderlichen, selbstbestimmten und sinnerfüllten Arbeit, die der Idee von New Work entspringt, in die reale Arbeitswelt zu übertragen und gegen starke Rationalisierungs- und Ökonomisierungstendenzen durchzusetzen. Konflikte um New Work öffnen ein Politikfeld, das für betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretungen Möglichkeiten und Fallstricke enthält. Gerade solidarische Gestaltungskonzepte müssen sich der Spaltungsdynamik bewusst sein, die einer Konzentration auf hochqualifizierte Wissensarbeit in den Unternehmen oder den Branchen der Digital- und Kreativwirtschaft innewohnt. Eine solche arbeitspolitische Engführung übersieht, dass die digitale Neuorganisation von Arbeit alle Bereiche der Arbeitsorganisation verändert. Auch in der unmittelbaren Produktion oder bei gering qualifizierter Arbeit steigen die Schutzbedürfnisse und Anforderungen an Gute Arbeit. Auch diese Bereiche müssen als arbeitspolitische Gestaltungsfelder bearbeitet werden.
Zugleich eröffnet die Gestaltung von New Work den Interessenvertretungen einen Zugang zu den oft hochqualifizierten Belegschaftsteilen, die den Gewerkschaften traditionell eher distanziert gegenüberstehen. Die neuen digitalen Kommunikationswege ermöglichen schnelle und kostengünstige Formen der wechselseitigen Information und Kooperation. Und je stärker die Konflikte um die Regeln der Neuen Arbeit als partizipative Prozesse organisiert werden, desto eher entstehen belastbare Vertrauensbeziehungen, die die Grundlage für gemeinsames politisches Handeln bilden können. Die Hoffnung, dass der Kampf um Neue Arbeit einen Beitrag zur Revitalisierung der Gewerkschaften leisten kann, ist durchaus berechtigt.