Im Juli 1973 erprobte eine interdisziplinäre Forschergruppe um den ehemaligen Raketeningenieur Jack Nilles an der University of Southern California in Los Angeles in mehreren Feldversuchen ökonomische und ökologische Alternativen zur Büroarbeit. Dazu untersuchte die Gruppe die Möglichkeiten, die Computer und digitale Netzwerke boten, um neue Formen dezentralen Arbeitens zu etablieren. Möglich wurde dies durch Minicomputer in eigens eingerichteten Satellitenbüros, die über (Telefon-)Standleitungen mit den Großrechnern in den Zentralen der kooperierenden Unternehmen verbunden waren. Die Beschäftigten, zu Beginn vor allem Sachbearbeiter:innen in Banken und Versicherungen, konnten so wohnortnah arbeiten, statt täglich weite Strecken mit dem Auto zur Arbeit fahren zu müssen, was unter dem Eindruck der ersten Ölkrise 1973 zu einem dringlichen Anliegen wurde. Für diese Form der Substitution von Verkehr durch Telekommunikation wählte Nilles den Begriff "telecommuting", also "Telependeln".
Nilles und sein Team nahmen in ihrer Studie viele zentrale Argumente vorweg, die den US-amerikanischen und auch den deutschen Diskurs über Telearbeit in der Folgezeit bestimmen sollten. Ursprünglich ging es ihnen um die Entlastung des Verkehrssystems und die Verringerung der Energieabhängigkeit der amerikanischen Wirtschaft. Darüber hinaus skizzierten sie aber bereits die verschiedenen sozioökonomischen Facetten der neuen Form der Arbeitsorganisation – von einer stärkeren Leistungskontrolle über mehr Autonomie bis hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für die Beschäftigten. Insgesamt sah Nilles rosige Zeiten heraufziehen: "eine günstige Veränderung der Lebensqualität für den Einzelnen; eine Veränderung, die auf einer gesünderen Umwelt und einem stärkeren Gefühl der Identität mit seiner Gemeinde, seiner Familie und seinen Arbeitskollegen beruht".
Bemerkenswert an dieser Episode sind vor allem zwei Punkte: erstens die zentrale Rolle, die Telearbeit speziell in der breiteren gesellschaftlichen Diskussion um die "Zukunft der Arbeit" und vor allem um eine "Flexibilisierung" der Arbeit in der Folgezeit einnahm. Zweitens die Beständigkeit der zentralen Argumente, die seit den 1970er Jahren immer wieder – und zum Teil bis heute – zu diesem Thema vorgebracht werden und in denen sich die Euphorien und Ängste des digitalen Zeitalters exemplarisch widerspiegeln.
Die kurze Geschichte der Telearbeit in der Bundesrepublik, die hier in Diskurs und Praxis beschrieben wird, soll dazu dienen, den mit dem schillernden Begriff "New Work" bezeichneten Wandel der Erwerbsarbeit hin zu mehr Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung als ein Feld umfassender Verhandlungen über die Zukunft der Arbeit darzustellen. An ihrem Beispiel wollen wir diskutieren, wie der Weg in die digitale Gesellschaft verlaufen ist und welche Akteure ihn geprägt haben.
Heimarbeit: Von der Norm zum Normbruch
Das Arbeiten von zu Hause war über viele Jahre nichts Neues gewesen. Im Gegenteil: Ob hohe Beamte, Richter, Ärzte oder auch Lehrer – gerade im (Bildungs-)Bürgertum gehörte es über Jahrhunderte hinweg zur Normalität, im heimischen Arbeitszimmer Fachliteratur zu studieren, Schriftstücke zu verfassen oder Korrespondenzen zu pflegen. Auch für Kaufleute und Handwerker war eine Trennung von Arbeits- und Wohnort eher selten; meistens befanden sich Geschäftszimmer oder Werkstatt, zusammen mit Warenlager und Wohnräumen, unter einem Dach.
Mit dem Aufkommen der sozialen Frage zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Heimarbeit kritisch beäugt. Im Fokus standen hierbei aber nicht die bürgerlichen Schichten, sondern einfache Arbeiter:innen und landlose Bauern, die im Auftrag städtischer Händler im sogenannten Verlagssystem in ihren heimischen vier Wänden, in der Regel gegen Bereitstellung der Rohstoffe und per Stücklohn, Waren wie Tuch herstellten.
Die klassische Heimarbeit wurde damit für lange Zeit zum Sinnbild prekärer Beschäftigungsverhältnisse und auch zur Folie der ersten Diskussionen über Telearbeit in Deutschland. Mit dem Siegeszug der Fabriken, dem Entstehen von Büros und dezidierten Gewerbegebieten sowie dem Bedeutungsverlust des landwirtschaftlichen Sektors wurde die Trennung von Arbeits- und Wohnort für die meisten Berufszweige in den Industrieländern zwar allmählich zur Norm. Ganz verschwand die klassische Heimarbeit jedoch nicht. Als eher schlecht entlohnter und meist wenig sinnstiftender (Neben-)Erwerb, beispielsweise zur Herstellung von Christbaumschmuck oder Montage von Kugelschreibern, wurde sie über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg weiter praktiziert. Der Anteil der Heimarbeiter:innen an der Gesamtzahl aller Erwerbstätigen sank indes weiter und lag 1980 bei gerade einmal 0,7 Prozent – also bei rund 148.000 Heimarbeitnehmer:innen.
Das heimische Arbeitszimmer verschwand nach 1945 allerdings keineswegs – insbesondere nicht das von Lehrern, Journalisten oder Juristen. An der Schwelle der 1960er Jahre erprobten zudem auch einzelne Computerfirmen im angloamerikanischen Raum neue Modelle des Arbeitens von zu Hause: etwa 1957 Computations Inc. in Harvard, Massachusetts, oder 1962 Freelance International in Chesham, 40km nördlich von London. Diese spezialisierten sich auf die Vermittlung von Programmierarbeiten. Angesichts der immensen Kosten und der schieren Größe der Elektronengehirne standen die Computer jedoch keineswegs in den Wohnungen der Angestellten. Vielmehr wurde der Code hier mit Stift auf Papier im heimischen Arbeitszimmer erstellt, dann postalisch an die Rechenzentren gesendet, wo er in Lochkarten gestanzt und schlussendlich in den Rechner eingegeben wurde.
Zugleich gab es bereits Mitte der 1960er Jahre erste praktische Versuche einer räumlichen Verlagerung von Erwerbsarbeit mittels neuer Computertechnik. In aller Regel war diese neue Heimarbeit eine Verlegenheitslösung, um etwa Programmiererinnen nach der Geburt eines Kindes im Betrieb zu behalten. Die Initiative für solche Arbeitsarrangements ging dabei in vielen Fällen von den Beschäftigten selbst aus.
Electronic Cottages
Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen klassischer Heimarbeit und dem, was wir heute Telearbeit – im heimischen Homeoffice oder in Form der mobilen Remote Work – nennen, ist die verwendete Technik. Die Entwicklung der neuen Arbeitsarrangements war daher eng mit der Ausbreitung neuer digitaler Hardware verbunden, allen voran von Terminals und PCs. Neben der Miniaturisierung der Computertechnik durch Mikrochips spielte auch die Entwicklung der kommunikationstechnischen Infrastrukturen, das heißt der Datenverbindungen und -dienste, eine große Rolle.
Dass die Geschichte des Telependelns – wie Nilles Experimente zeigen – Ende der 1970er Jahre in der Nähe des Silicon Valleys, der Heimstätte der Computer- und Halbleiterindustrie, ihren Ausgang nahm, mag daher kaum verwundern. Schon lange vor den ersten praktischen Versuchen war die Idee vernetzter Arbeitswelten über die amerikanische Westküste hinaus zum Gegenstand populärer Imaginationen geworden. Der Topos einer Dezentralisierung der Wirtschaft, der auch die gegenkulturell-libertären Vertreter:innen einer alternativen Ökonomie begeisterte,
Eine breitere Diskussion der Idee elektronisch vernetzter Gesellschaften setzte 1980 mit dem Erscheinen des globalen Bestsellers von Alvin und Heidi Tofflers "The Third Wave" ein – auch in Deutschland. Das amerikanische Futurologenehepaar, das schon 1970 mit "The Future Shock" für Aufsehen gesorgt und Begriffe wie die "Wegwerfgesellschaft" geprägt hatte, beschrieb hierin den Weg von "der Industriegesellschaft zu einer humaneren Zivilisation", so der Untertitel der deutschen Übersetzung.
Neben positiven Auswirkungen auf die Umwelt und hier insbesondere den Verkehr und Energieverbrauch, zu deren Erörterung sie ausgiebig auf die Studie von Nilles verwiesen, beleuchteten die Tofflers auch die sozialen Aspekte des Telecommutings. So bedeute die neue "Sesshaftigkeit", wie sie schrieben, "weniger erzwungene Mobilität, weniger Stress für den einzelnen, weniger flüchtige zwischenmenschliche Beziehungen".
Werke der populären Zukunftsforschung wie "The Third Wave" hatten auch in Deutschland im "Age of Uncertainty" (John Kenneth Galbraith, 1977) der 1970er und 1980er Jahre, in denen apokalyptische Visionen etwa von den "Grenzen des Wachstums" (Club of Rome, 1972) dem Image als Krisendekaden Ausdruck verliehen, eine große Reichweite.
In der Bundesrepublik der 1970er Jahre skizzierten Intellektuelle wie der Kybernetiker Karl Steinbuch oder der Soziologe und Systemanalytiker Helmut Krauch Planungs- und Machbarkeitsvisionen aus dem Geiste des Computers.
Arbeitsplätze und Kabelnetze
Anfang der 1980er Jahre schwappte die publizistische Welle des Telearbeitsdiskurses auch nach Europa und in die Bundesrepublik. Eine erste Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie erörterte 1982 die "Auswahl, Eignung und Auswirkungen von informationstechnisch ausgestalteten Heimarbeitsplätzen" – und noch im selben Jahr unternahm der Siemens-Konzern erste Versuche im Bereich der "autarken Texterfassung". So begann, wenn auch etwas zeitversetzt, die Praxis des Telearbeitens auch in Deutschland. Für einen Modellversuch in Baden-Württemberg wurden in der Folge zwischen 1984 und 1986 insgesamt 21 häusliche Telearbeitsplätze eingerichtet. Primär sollte es darum gehen, einen neuen Datenübertragungsdienst, der unter dem Namen "Teletex" von Siemens entwickelt wurde, zu erproben. Dieser bot die Möglichkeit, mittels elektronischer Speicherschreibmaschinen layout-getreue Texte zu versenden. Da im Bereich der Sekretariate und Schreibarbeiten vor allem Frauen für die Sachbearbeitung beschäftigt waren, waren die Teilnehmer des Versuchs ausnahmslos weiblich.
Der Modellversuch war in dieser Form prototypisch für die Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechniken im Bürobereich. Angesichts des damaligen Entwicklungsstandes der Technik kamen für die Rationalisierung des Büros vor allem einfache Routinetätigkeiten infrage, die – eingedenk des allgemein stark geschlechtsspezifisch gegliederten Arbeitsmarktes dieser Jahre – mehrheitlich von Frauen verrichtet wurden.
Die Telearbeitsexperimente erregten von Beginn an die Gemüter.
Die Kritiker der "elektronischen Heimarbeit" – allen voran aus den Gewerkschaften – bemerkten, dass die Advokaten des Arbeitens von zu Hause, besonders in der christlich-liberalen Koalition unter Kanzler Helmut Kohl, in der zeitlichen und räumlichen Flexibilisierung der Arbeitswelten ein Werkzeug sähen, um eine neue konservative Sozial- und Familienpolitik ins Werk zu setzen. Für sie erschien der Vorstoß, Kind und Karriere zusammenzubringen, so vor allem als ein Mittel, die werktätigen Frauen (einmal mehr) ans Haus zu binden, und sie sahen darin die Perpetuierung überkommener Rollenbilder und die Förderung einer "neuen Mütterlichkeit".
Bis in die 1990er Jahre wurden im Bundestag im Zusammenhang mit dieser Kontroverse engagierte Debatten über die Chancen und Risiken der neuen Technik, die Veränderung von Beschäftigungsverhältnissen, neue und alte Ungleichheitskonstellationen, Rollenbilder und Werte geführt. Trotz hitziger Auseinandersetzungen und weiterer, nun größerer Modellversuche, allen voran bei Unternehmen wie IBM
"New Work" im Homeoffice?
Nur wenige Jahre später, um die Jahrtausendwende, sah der Blick auf Telearbeit schon ganz anders aus. Dies bezeugten auch die sich rapide verändernden politischen und gesellschaftlichen Diskurse über das digitale Zeitalter. Mit der zunehmenden Verbreitung der Technik veränderten sich auch die Haltungen zum Computer. So bauten viele Menschen in der Bundesrepublik über die wachsende Akzeptanz von PCs lange bestehende Berührungsängste gegenüber digitaler Technik ab. Noch 1985 nutzten einer Studie zufolge lediglich 5 Prozent der Haushalte in der Bundesrepublik einen Computer; dabei war auch die Akzeptanzrate für Telearbeit im europäischen Vergleich ausgesprochen gering: Von 10.000 befragten Haushalten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien interessierten sich in Deutschland lediglich etwas mehr als 8 Prozent der angestellten Beschäftigten für diese neue Arbeitsform.
Mit der Normalisierung der Computernutzung ab dem Jahr 2000 verlor das Telearbeiten vielerorts sein schlechtes Image. Zwar blieben die Kritiker des zunehmenden Globalisierungs- und Flexibilisierungsdrucks auch weiter hörbar, doch lenkten sie, allen voran die Gewerkschaften, unter dem Eindruck des Dotcom-Hypes letztlich ein. In der Hochphase des positiven Blicks auf die Globalisierung banden sich große Erwartungen an die Auslagerung von Arbeitsprozessen, die Mobilisierung von Expertise und die neue, digitale Vernetzung von Arbeitsmärkten.
Die Nutzung der Arbeitsform Telearbeit blieb allerdings auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts weiterhin zurückhaltend. Dabei waren es nun zunehmend auch die – mehrheitlich männlichen – besser bezahlten und hoch ausgebildeten leitenden Angestellten und Manager, die aus dem Versprechen der Telearbeit Kapital schlugen, zumal wenn es sich um alternierende Modelle des Pendelns zwischen Büro und heimischem Arbeitszimmer handelte.
Schluss
Die langsame Verbreitung des Homeoffice in der Bundesrepublik bis ins 21. Jahrhundert spiegelt die weiten, verschlungenen Wege in die digitale Gesellschaft. So zeigt sich die kurze Geschichte der Telearbeit, insbesondere am Beispiel der Bundesrepublik, als widerständig gegenüber populären Revolutionsnarrativen, die den digitalen Wandel als disruptives Ereignis inszenieren.
Die Dynamiken des Diskurses waren dabei von der realen Nutzungspraxis entkoppelt; so erschien die Telearbeitsdebatte gerade zu Beginn als Schauplatz überwiegend politischer und akademischer Auseinandersetzungen. Im deutschen Diskurs dominierte eingangs der 1980er Jahre die Rede von der "Computer-Heimarbeit", die zeitgenössisch vor allem als neue Arbeitsform für Frauen angesehen wurde. Im Versprechen, Familie, Kind und Karriere zusammenzubringen, erschien sie wahlweise als Chance für mehr Emanzipation oder, in ihrer Tendenz zur verstärkten Flexibilisierung des Arbeitens, als Impulsgeber neuerer Formen einer digitalen Leistungskontrolle, die soziale und ökonomische Risiken nach sich zieht und rechtliche Regelungen nötig macht.
In der Praxis blieb die digitale Technik am Arbeitsplatz ein durchaus ambivalentes Phänomen. Einerseits ermöglichte sie in vielen Fällen eine Autonomie, die im Anschluss an die Thesen der New-Work-Theoretiker auch als Sinnbild einer neuen Freiheit gesehen werden kann. Dabei entwickelte sich das Telearbeiten, als Arbeiten von zu Hause und später als mobiles Arbeiten, von einem Arbeitsarrangement, das keiner wollte, zu einer "Arbeit, die man wirklich, wirklich will". Andererseits drängte die andauernde, ubiquitäre "Erreichbarkeit" und "Konnektivität" im 24/7-Kapitalismus die Arbeitnehmer:innen in neue Abhängigkeiten und Zwänge. Das Ideal des kreativen, flexiblen, eigenverantwortlichen und risikobewussten "unternehmerischen Selbst" verkörperte die New Economy und ihren Trend zur "Entgrenzung" der Arbeit, der sich auch als Folge des digitalen Wandels darstellte.