Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Home Is Where the Office Is | bpb.de

Home Is Where the Office Is Zur Geschichte der Telearbeit

Michael Homberg Mirko Winkelmann

/ 16 Minuten zu lesen

Das Arbeiten von zu Hause gilt heute als Kennzeichen neuer Lebens- und Arbeitsmodelle im Zeichen des digitalen und technologischen Wandels. Was in den vergangenen Jahren oft als „New Work“ beschrieben wurde, hat jedoch eine lange Vorgeschichte.

Im Juli 1973 erprobte eine interdisziplinäre Forschergruppe um den ehemaligen Raketeningenieur Jack Nilles an der University of Southern California in Los Angeles in mehreren Feldversuchen ökonomische und ökologische Alternativen zur Büroarbeit. Dazu untersuchte die Gruppe die Möglichkeiten, die Computer und digitale Netzwerke boten, um neue Formen dezentralen Arbeitens zu etablieren. Möglich wurde dies durch Minicomputer in eigens eingerichteten Satellitenbüros, die über (Telefon-)Standleitungen mit den Großrechnern in den Zentralen der kooperierenden Unternehmen verbunden waren. Die Beschäftigten, zu Beginn vor allem Sachbearbeiter:innen in Banken und Versicherungen, konnten so wohnortnah arbeiten, statt täglich weite Strecken mit dem Auto zur Arbeit fahren zu müssen, was unter dem Eindruck der ersten Ölkrise 1973 zu einem dringlichen Anliegen wurde. Für diese Form der Substitution von Verkehr durch Telekommunikation wählte Nilles den Begriff "telecommuting", also "Telependeln".

Nilles und sein Team nahmen in ihrer Studie viele zentrale Argumente vorweg, die den US-amerikanischen und auch den deutschen Diskurs über Telearbeit in der Folgezeit bestimmen sollten. Ursprünglich ging es ihnen um die Entlastung des Verkehrssystems und die Verringerung der Energieabhängigkeit der amerikanischen Wirtschaft. Darüber hinaus skizzierten sie aber bereits die verschiedenen sozioökonomischen Facetten der neuen Form der Arbeitsorganisation – von einer stärkeren Leistungskontrolle über mehr Autonomie bis hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für die Beschäftigten. Insgesamt sah Nilles rosige Zeiten heraufziehen: "eine günstige Veränderung der Lebensqualität für den Einzelnen; eine Veränderung, die auf einer gesünderen Umwelt und einem stärkeren Gefühl der Identität mit seiner Gemeinde, seiner Familie und seinen Arbeitskollegen beruht".

Bemerkenswert an dieser Episode sind vor allem zwei Punkte: erstens die zentrale Rolle, die Telearbeit speziell in der breiteren gesellschaftlichen Diskussion um die "Zukunft der Arbeit" und vor allem um eine "Flexibilisierung" der Arbeit in der Folgezeit einnahm. Zweitens die Beständigkeit der zentralen Argumente, die seit den 1970er Jahren immer wieder – und zum Teil bis heute – zu diesem Thema vorgebracht werden und in denen sich die Euphorien und Ängste des digitalen Zeitalters exemplarisch widerspiegeln.

Die kurze Geschichte der Telearbeit in der Bundesrepublik, die hier in Diskurs und Praxis beschrieben wird, soll dazu dienen, den mit dem schillernden Begriff "New Work" bezeichneten Wandel der Erwerbsarbeit hin zu mehr Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung als ein Feld umfassender Verhandlungen über die Zukunft der Arbeit darzustellen. An ihrem Beispiel wollen wir diskutieren, wie der Weg in die digitale Gesellschaft verlaufen ist und welche Akteure ihn geprägt haben.

Heimarbeit: Von der Norm zum Normbruch

Das Arbeiten von zu Hause war über viele Jahre nichts Neues gewesen. Im Gegenteil: Ob hohe Beamte, Richter, Ärzte oder auch Lehrer – gerade im (Bildungs-)Bürgertum gehörte es über Jahrhunderte hinweg zur Normalität, im heimischen Arbeitszimmer Fachliteratur zu studieren, Schriftstücke zu verfassen oder Korrespondenzen zu pflegen. Auch für Kaufleute und Handwerker war eine Trennung von Arbeits- und Wohnort eher selten; meistens befanden sich Geschäftszimmer oder Werkstatt, zusammen mit Warenlager und Wohnräumen, unter einem Dach.

Mit dem Aufkommen der sozialen Frage zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Heimarbeit kritisch beäugt. Im Fokus standen hierbei aber nicht die bürgerlichen Schichten, sondern einfache Arbeiter:innen und landlose Bauern, die im Auftrag städtischer Händler im sogenannten Verlagssystem in ihren heimischen vier Wänden, in der Regel gegen Bereitstellung der Rohstoffe und per Stücklohn, Waren wie Tuch herstellten. Durch den Preisverfall bei diesen Produkten im Zuge der Industrialisierung war diese Art der dezentralen Erwerbstätigkeit bald nicht mehr einträglich. Ikonisch wurde das Elend der Heimarbeiter:innen im schlesischen Weberaufstand, dem eine entscheidende Rolle in der Vorgeschichte der politischen Umwälzungen von 1848 zukam. Noch um das Jahr 1900 wurde das Thema heiß diskutiert, nunmehr vor allem mit Blick auf die Beschäftigung von Frauen. Schon damals hieß es, es habe nur "selten (…) eine Frage mehr Staub aufgewirbelt, als die nach der Regelung der Heimarbeit."

Die klassische Heimarbeit wurde damit für lange Zeit zum Sinnbild prekärer Beschäftigungsverhältnisse und auch zur Folie der ersten Diskussionen über Telearbeit in Deutschland. Mit dem Siegeszug der Fabriken, dem Entstehen von Büros und dezidierten Gewerbegebieten sowie dem Bedeutungsverlust des landwirtschaftlichen Sektors wurde die Trennung von Arbeits- und Wohnort für die meisten Berufszweige in den Industrieländern zwar allmählich zur Norm. Ganz verschwand die klassische Heimarbeit jedoch nicht. Als eher schlecht entlohnter und meist wenig sinnstiftender (Neben-)Erwerb, beispielsweise zur Herstellung von Christbaumschmuck oder Montage von Kugelschreibern, wurde sie über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg weiter praktiziert. Der Anteil der Heimarbeiter:innen an der Gesamtzahl aller Erwerbstätigen sank indes weiter und lag 1980 bei gerade einmal 0,7 Prozent – also bei rund 148.000 Heimarbeitnehmer:innen.

Das heimische Arbeitszimmer verschwand nach 1945 allerdings keineswegs – insbesondere nicht das von Lehrern, Journalisten oder Juristen. An der Schwelle der 1960er Jahre erprobten zudem auch einzelne Computerfirmen im angloamerikanischen Raum neue Modelle des Arbeitens von zu Hause: etwa 1957 Computations Inc. in Harvard, Massachusetts, oder 1962 Freelance International in Chesham, 40km nördlich von London. Diese spezialisierten sich auf die Vermittlung von Programmierarbeiten. Angesichts der immensen Kosten und der schieren Größe der Elektronengehirne standen die Computer jedoch keineswegs in den Wohnungen der Angestellten. Vielmehr wurde der Code hier mit Stift auf Papier im heimischen Arbeitszimmer erstellt, dann postalisch an die Rechenzentren gesendet, wo er in Lochkarten gestanzt und schlussendlich in den Rechner eingegeben wurde.

Zugleich gab es bereits Mitte der 1960er Jahre erste praktische Versuche einer räumlichen Verlagerung von Erwerbsarbeit mittels neuer Computertechnik. In aller Regel war diese neue Heimarbeit eine Verlegenheitslösung, um etwa Programmiererinnen nach der Geburt eines Kindes im Betrieb zu behalten. Die Initiative für solche Arbeitsarrangements ging dabei in vielen Fällen von den Beschäftigten selbst aus. Die räumliche Flexibilisierung des Arbeitsortes ging schon in diesen Jahren mit der Lockerung von Regeln und Gewohnheiten im Bereich der Arbeitszeitorganisation einher, etwa mit dem Anstieg der Teilzeitarbeit, aber auch neuen, individuellen Arbeitszeitvereinbarungen. Diese sollten später auch die Auseinandersetzung um die elektronische Heimarbeit prägen.

Electronic Cottages

Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen klassischer Heimarbeit und dem, was wir heute Telearbeit – im heimischen Homeoffice oder in Form der mobilen Remote Work – nennen, ist die verwendete Technik. Die Entwicklung der neuen Arbeitsarrangements war daher eng mit der Ausbreitung neuer digitaler Hardware verbunden, allen voran von Terminals und PCs. Neben der Miniaturisierung der Computertechnik durch Mikrochips spielte auch die Entwicklung der kommunikationstechnischen Infrastrukturen, das heißt der Datenverbindungen und -dienste, eine große Rolle.

Dass die Geschichte des Telependelns – wie Nilles Experimente zeigen – Ende der 1970er Jahre in der Nähe des Silicon Valleys, der Heimstätte der Computer- und Halbleiterindustrie, ihren Ausgang nahm, mag daher kaum verwundern. Schon lange vor den ersten praktischen Versuchen war die Idee vernetzter Arbeitswelten über die amerikanische Westküste hinaus zum Gegenstand populärer Imaginationen geworden. Der Topos einer Dezentralisierung der Wirtschaft, der auch die gegenkulturell-libertären Vertreter:innen einer alternativen Ökonomie begeisterte, besaß im anglo-amerikanischen Raum eine längere Tradition. Die Medien zitierten diesen Topos gerne. So etwa das "New York Magazine", das in seiner Titelstory "Home Is Where The Office Is" ein schillerndes Bild des Arbeitens von zu Hause zeichnete.

Eine breitere Diskussion der Idee elektronisch vernetzter Gesellschaften setzte 1980 mit dem Erscheinen des globalen Bestsellers von Alvin und Heidi Tofflers "The Third Wave" ein – auch in Deutschland. Das amerikanische Futurologenehepaar, das schon 1970 mit "The Future Shock" für Aufsehen gesorgt und Begriffe wie die "Wegwerfgesellschaft" geprägt hatte, beschrieb hierin den Weg von "der Industriegesellschaft zu einer humaneren Zivilisation", so der Untertitel der deutschen Übersetzung.

Neben positiven Auswirkungen auf die Umwelt und hier insbesondere den Verkehr und Energieverbrauch, zu deren Erörterung sie ausgiebig auf die Studie von Nilles verwiesen, beleuchteten die Tofflers auch die sozialen Aspekte des Telecommutings. So bedeute die neue "Sesshaftigkeit", wie sie schrieben, "weniger erzwungene Mobilität, weniger Stress für den einzelnen, weniger flüchtige zwischenmenschliche Beziehungen". Bei ihnen avancierte die Telearbeit in den neuen "electronic cottages" damit zu einem Kernelement der Lebens- und Arbeitswelten von Morgen.

Werke der populären Zukunftsforschung wie "The Third Wave" hatten auch in Deutschland im "Age of Uncertainty" (John Kenneth Galbraith, 1977) der 1970er und 1980er Jahre, in denen apokalyptische Visionen etwa von den "Grenzen des Wachstums" (Club of Rome, 1972) dem Image als Krisendekaden Ausdruck verliehen, eine große Reichweite. Eine genauere Betrachtung dieser Szenarien einer anbrechenden "postindustriellen Gesellschaft" (Daniel Bell, 1973) zeigte indes, dass auch die sozialwissenschaftliche Forschung die neuen digitalen Technologien, trotz aller Ambivalenzen, wenigstens zu Beginn durchaus euphorisch herbeisehnte und als Schlüssel zur Gestaltung der "Zukünfte der Arbeit" diskutierte.

In der Bundesrepublik der 1970er Jahre skizzierten Intellektuelle wie der Kybernetiker Karl Steinbuch oder der Soziologe und Systemanalytiker Helmut Krauch Planungs- und Machbarkeitsvisionen aus dem Geiste des Computers. Bis zur Mitte der 1980er Jahre – vor allem vor dem Hintergrund des Orwell-Jahres 1984 – rückten dann die politischen, soziokulturellen und ökonomischen Belastungen und Bedrohungen durch den computergemachten Fortschritt stärker in den Fokus.

Arbeitsplätze und Kabelnetze

Anfang der 1980er Jahre schwappte die publizistische Welle des Telearbeitsdiskurses auch nach Europa und in die Bundesrepublik. Eine erste Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie erörterte 1982 die "Auswahl, Eignung und Auswirkungen von informationstechnisch ausgestalteten Heimarbeitsplätzen" – und noch im selben Jahr unternahm der Siemens-Konzern erste Versuche im Bereich der "autarken Texterfassung". So begann, wenn auch etwas zeitversetzt, die Praxis des Telearbeitens auch in Deutschland. Für einen Modellversuch in Baden-Württemberg wurden in der Folge zwischen 1984 und 1986 insgesamt 21 häusliche Telearbeitsplätze eingerichtet. Primär sollte es darum gehen, einen neuen Datenübertragungsdienst, der unter dem Namen "Teletex" von Siemens entwickelt wurde, zu erproben. Dieser bot die Möglichkeit, mittels elektronischer Speicherschreibmaschinen layout-getreue Texte zu versenden. Da im Bereich der Sekretariate und Schreibarbeiten vor allem Frauen für die Sachbearbeitung beschäftigt waren, waren die Teilnehmer des Versuchs ausnahmslos weiblich.

Der Modellversuch war in dieser Form prototypisch für die Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechniken im Bürobereich. Angesichts des damaligen Entwicklungsstandes der Technik kamen für die Rationalisierung des Büros vor allem einfache Routinetätigkeiten infrage, die – eingedenk des allgemein stark geschlechtsspezifisch gegliederten Arbeitsmarktes dieser Jahre – mehrheitlich von Frauen verrichtet wurden.

Die Telearbeitsexperimente erregten von Beginn an die Gemüter. So rangen Politik, Konzerne sowie Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände um die diskursive Deutung der Telearbeit. Dabei reichte das Spektrum von einer scharfen Ablehnung der elektronischen Heimarbeit, die insbesondere von den Gewerkschaften in Analogie zum historischen Heimarbeiterelend der schlesischen Weber des 19. Jahrhunderts gesehen wurde, bis hin zum Lobpreis als neue Form der persönlichen Entfaltung und Möglichkeit zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 1983 forderte die IG Metall gar ein Verbot der Telearbeit.

Die Kritiker der "elektronischen Heimarbeit" – allen voran aus den Gewerkschaften – bemerkten, dass die Advokaten des Arbeitens von zu Hause, besonders in der christlich-liberalen Koalition unter Kanzler Helmut Kohl, in der zeitlichen und räumlichen Flexibilisierung der Arbeitswelten ein Werkzeug sähen, um eine neue konservative Sozial- und Familienpolitik ins Werk zu setzen. Für sie erschien der Vorstoß, Kind und Karriere zusammenzubringen, so vor allem als ein Mittel, die werktätigen Frauen (einmal mehr) ans Haus zu binden, und sie sahen darin die Perpetuierung überkommener Rollenbilder und die Förderung einer "neuen Mütterlichkeit".

Bis in die 1990er Jahre wurden im Bundestag im Zusammenhang mit dieser Kontroverse engagierte Debatten über die Chancen und Risiken der neuen Technik, die Veränderung von Beschäftigungsverhältnissen, neue und alte Ungleichheitskonstellationen, Rollenbilder und Werte geführt. Trotz hitziger Auseinandersetzungen und weiterer, nun größerer Modellversuche, allen voran bei Unternehmen wie IBM oder der Telekom, blieb die viel diskutierte Verheißung vom mobilen Arbeiten aber ein Papiertiger.

"New Work" im Homeoffice?

Nur wenige Jahre später, um die Jahrtausendwende, sah der Blick auf Telearbeit schon ganz anders aus. Dies bezeugten auch die sich rapide verändernden politischen und gesellschaftlichen Diskurse über das digitale Zeitalter. Mit der zunehmenden Verbreitung der Technik veränderten sich auch die Haltungen zum Computer. So bauten viele Menschen in der Bundesrepublik über die wachsende Akzeptanz von PCs lange bestehende Berührungsängste gegenüber digitaler Technik ab. Noch 1985 nutzten einer Studie zufolge lediglich 5 Prozent der Haushalte in der Bundesrepublik einen Computer; dabei war auch die Akzeptanzrate für Telearbeit im europäischen Vergleich ausgesprochen gering: Von 10.000 befragten Haushalten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien interessierten sich in Deutschland lediglich etwas mehr als 8 Prozent der angestellten Beschäftigten für diese neue Arbeitsform. Allmählich wuchs die Zahl der installierten Computer und heimischen Internetanschlüsse, und bis 2000 besaßen bereits 47 Prozent der Haushalte einen PC. Um 2005 gab es rund 45 Millionen PCs in Deutschland, wobei rund 37,5 Millionen Nutzer:innen einen Internetzugang hatten.

Mit der Normalisierung der Computernutzung ab dem Jahr 2000 verlor das Telearbeiten vielerorts sein schlechtes Image. Zwar blieben die Kritiker des zunehmenden Globalisierungs- und Flexibilisierungsdrucks auch weiter hörbar, doch lenkten sie, allen voran die Gewerkschaften, unter dem Eindruck des Dotcom-Hypes letztlich ein. In der Hochphase des positiven Blicks auf die Globalisierung banden sich große Erwartungen an die Auslagerung von Arbeitsprozessen, die Mobilisierung von Expertise und die neue, digitale Vernetzung von Arbeitsmärkten. Das Credo der Stunde lautete "Being digital", und optimistische Prognosen aus den USA proklamierten, dass die durch digitale Technologien und allen voran durch das World Wide Web beschleunigte Vernetzung den Globus flach werden lasse – inklusive homogener Arbeitsbedingungen, Chancen und Löhne. Dabei zeitigte der digitale Wandel, gerade in globaler Perspektive, neue digitale Ungleichheiten und Risikokaskaden.

Die Nutzung der Arbeitsform Telearbeit blieb allerdings auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts weiterhin zurückhaltend. Dabei waren es nun zunehmend auch die – mehrheitlich männlichen – besser bezahlten und hoch ausgebildeten leitenden Angestellten und Manager, die aus dem Versprechen der Telearbeit Kapital schlugen, zumal wenn es sich um alternierende Modelle des Pendelns zwischen Büro und heimischem Arbeitszimmer handelte. Umso stärker erwies sich die Corona-Pandemie 2020 als Zäsur, als binnen weniger Wochen die computergestützte Verlagerung des Arbeitens ins Homeoffice – und speziell der Einsatz digitaler Videokonferenz-Tools – in vielen Branchen vorübergehend zum Standard erhoben wurde.

Schluss

Die langsame Verbreitung des Homeoffice in der Bundesrepublik bis ins 21. Jahrhundert spiegelt die weiten, verschlungenen Wege in die digitale Gesellschaft. So zeigt sich die kurze Geschichte der Telearbeit, insbesondere am Beispiel der Bundesrepublik, als widerständig gegenüber populären Revolutionsnarrativen, die den digitalen Wandel als disruptives Ereignis inszenieren. Vielmehr dauerte es, auch als die technischen Voraussetzungen einmal vorhanden waren, mehrere Dekaden, bis sich die digitale Technik verbreitete und nochmals länger, bis sie auch gesellschaftlich akzeptiert, beherrscht und großflächig eingesetzt wurde.

Die Dynamiken des Diskurses waren dabei von der realen Nutzungspraxis entkoppelt; so erschien die Telearbeitsdebatte gerade zu Beginn als Schauplatz überwiegend politischer und akademischer Auseinandersetzungen. Im deutschen Diskurs dominierte eingangs der 1980er Jahre die Rede von der "Computer-Heimarbeit", die zeitgenössisch vor allem als neue Arbeitsform für Frauen angesehen wurde. Im Versprechen, Familie, Kind und Karriere zusammenzubringen, erschien sie wahlweise als Chance für mehr Emanzipation oder, in ihrer Tendenz zur verstärkten Flexibilisierung des Arbeitens, als Impulsgeber neuerer Formen einer digitalen Leistungskontrolle, die soziale und ökonomische Risiken nach sich zieht und rechtliche Regelungen nötig macht. Zugleich oszillierte der Diskurs von Beginn an zwischen der Vorstellung von Telearbeiter:innen als Akkordarbeiter:innen, die routinisierten Schreibtischarbeiten nachgingen, und dem Ideal zusehends hoch bezahlter, besser ausgebildeter Fachleute, die die neuen Freiheiten des mobilen Arbeitens und des Arbeitens von zu Hause genossen.

In der Praxis blieb die digitale Technik am Arbeitsplatz ein durchaus ambivalentes Phänomen. Einerseits ermöglichte sie in vielen Fällen eine Autonomie, die im Anschluss an die Thesen der New-Work-Theoretiker auch als Sinnbild einer neuen Freiheit gesehen werden kann. Dabei entwickelte sich das Telearbeiten, als Arbeiten von zu Hause und später als mobiles Arbeiten, von einem Arbeitsarrangement, das keiner wollte, zu einer "Arbeit, die man wirklich, wirklich will". Andererseits drängte die andauernde, ubiquitäre "Erreichbarkeit" und "Konnektivität" im 24/7-Kapitalismus die Arbeitnehmer:innen in neue Abhängigkeiten und Zwänge. Das Ideal des kreativen, flexiblen, eigenverantwortlichen und risikobewussten "unternehmerischen Selbst" verkörperte die New Economy und ihren Trend zur "Entgrenzung" der Arbeit, der sich auch als Folge des digitalen Wandels darstellte. So erscheinen die aktuellen Debatten um das digitale Zeitalter aus der Perspektive einer "Vorgeschichte der Gegenwart" als Zielmarke einer längeren Konfliktgeschichte des Kapitalismus.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Jack M. Nilles et al., The Telecommunications-Transportation Tradeoff. Options for Tomorrow, New York 1976, S. 158 f., (eig. Übersetzung).

  2. Vgl. dazu allg. Frank Bösch, Euphorie und Ängste. Westliche Vorstellungen einer computerisierten Welt: 1945–1990, in: Lucian Hölscher (Hrsg.), Die Zukunft des 20. Jahrhunderts: Dimensionen einer historischen Zukunftsforschung, Frankfurt/M.–New York 2017, S. 221–252; Martina Heßler, Zur Persistenz der Argumente im Automatisierungsdiskurs, in: APuZ 18–19/2016, S. 17–24.

  3. Vgl. Roland Bettger, Verlagswesen, Handwerk und Heimarbeit, in: Rainer A. Müller et al. (Hrsg.), Aufbruch ins Industriezeitalter, Bd. 2, München 1985, S. 175–183. Vgl. dazu auch Jürgen Kocka, Kampf um die Moderne. Das lange 19. Jahrhundert in Deutschland, Bonn 2022, S. 67–75.

  4. Während um 1850 noch knapp 10 Prozent aller Beschäftigten im Heimgewerbe arbeiteten, waren es um 1900 nur noch 2,7 Prozent. Vgl. Jürgen Kocka, Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert, Bonn 1990, S. 224–264, hier S. 231–235; Karl Ditt/Sidney Pollard, Von der Heimarbeit in die Fabrik, Paderborn 1992; Friedrich Lenger, Metropolen der Moderne, München 2013, S. 63–78.

  5. So die Frauenrechtlerin Elisabeth Gottheiner zit. nach Eva Schöck-Quinteros, Heimarbeiterschutz für "die Mütter des arbeitenden Volkes". Deutschland 1896–1914, in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 9/1998, S. 183–215, hier S. 183.

  6. Vgl. Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.), ANBA. Arbeitsstatistik 1980 – Jahreszahlen, Nürnberg 1981, S. 24.

  7. Vgl. Janet Abbate, Recoding Gender. Women’s Changing Participation in Computing, Cambridge MA 2012, S. 113–143. Zur Rolle des Programmierens vgl. David Gugerli, Wie die Welt in den Computer kam. Zur Entstehung digitaler Wirklichkeit, Frankfurt/M. 2018, S. 37–59; Nathan Ensmenger, The Computer Boys Take Over, Cambridge MA 2010, S. 51–82; Mar Hicks, Programmed Inequality, Cambridge MA 2018, S. 205–216 sowie S. 225–240.

  8. Vgl. Abbate (Anm. 7), S. 115 f.; Mar Hicks, Sexism Is a Feature, Not a Bug, in: Thomas S. Mullaney et al. (Hrsg.), Your Computer Is on Fire, Cambridge MA, S. 135–158, hier S. 143–147.

  9. Darunter war z.B. auch Stewart Brand, der Begründer des "Whole Earth Catalog", der als Bibel der kalifornischen Computer-Alternativkultur um 1970 gelten kann. Vgl. dazu Fred Turner, From Counterculture to Cyberculture, Chicago 2006; Ursula Huws, The Making of a Cybertariat. Virtual Work in a Real World, New York 2003, S. 86–100.

  10. Vgl. Theodore Pettus, Home Is Where the Office Is, in: New York Magazine, 12.4.1982, S. 28–34.

  11. Vgl. Alvin Toffler, Die Zukunftschance. Von der Industriegesellschaft zu einer humaneren Zivilisation, München 1980. Zur Entstehung und Rezeption vgl. Torsten Kathke, Im Banne des "Zukunftsschocks". Zukunftsvorstellungen in populären Sachbüchern der 1970er-Jahre, in: Paulina Dobroc/Andie Rothenhäusler (Hrsg.), 2000 Revisited. Visionen der Welt von morgen im Gestern und Heute, Karlsruhe 2020, S. 141–157.

  12. Toffler (Anm. 11), S. 213.

  13. Vgl. dazu Elke Seefried, Zukünfte. Aufstieg und Krise der Zukunftsforschung 1945–1980, Berlin 2015.

  14. Vgl. exemplarisch Karl Steinbuch, Communication in the Year 2000, in: Robert Jungk/Johan Galtung (Hrsg.), Mankind 2000, London 1969, S. 165–170; Helmut Krauch, Computer-Demokratie. Hilft uns die Technik entscheiden?, München 1972, S. 58–60. Ein positives Bild der elektronisch "vernetzten Gesellschaft" prägten in der angloamerikanischen Debatte vor allem der britische Computerexperte James Martin ("The Wired Society", 1978) sowie in der Folge die US-Autoren Joseph Deken ("Electronic Cottage", 1983) und Tom Forester ("High-Tech Society", 1985).

  15. Vgl. Joseph Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt/M. 1977; Klaus Haefner, Der Große Bruder. Chancen und Gefahren für eine informierte Gesellschaft, Düsseldorf 1980. Zum Wandel des Diskurses ab den späten 1970er Jahren vgl. auch Daniel T. Rodgers, Age of Fracture, Cambridge MA 2011; Andreas Reckwitz, Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin 2017.

  16. Vgl. Hans-Ulrich Wegener, Telearbeit für das Büro: Ein Modellversuch der Siemens AG, in: Data Report 1/1983, S. 4–7; Hans-Jörg Bullinger et al., Telearbeit. Schaffung dezentraler Arbeitsplätze unter Einsatz von Teletex, Halbergmoos 1987.

  17. Zu den Auswirkungen der (Arbeitszeit-)Flexibilisierung, dem Wandel des Arbeitsmarktes und der Ausweitung des Dienstleistungssektors vgl. Christina von Oertzen, Teilzeitarbeit und die Lust am Zuverdienen. Geschlechterpolitik und gesellschaftlicher Wandel in Westdeutschland 1948–1969, Göttingen 1999, S. 210–232; Christiane Kuller, Ungleichheit der Geschlechter, in: Hans Günter Hockerts/Winfried Süß (Hrsg.), Soziale Ungleichheit im Sozialstaat. Die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien im Vergleich, München 2010, S. 65–88.

  18. Zu Diskurs und Praxis der Telearbeit in der Bundesrepublik vgl. eingehend Mirko Winkelmann, Vom Risiko zur Verheißung? Zukünfte des Arbeitens von zu Hause seit den 1980er Jahren, in: Franziska Rehlinghaus/Ulf Teichmann (Hrsg.), Vergangene Zukünfte der Arbeit: Aussichten, Ängste und Aneignungen im 20. Jahrhundert, Bonn 2019, S. 127–153; Michael Homberg/Anja Abendroth/Laura Lükemann, From "Home Work" to "Home Office Work"? Perpetuating Discourses and Use Patterns of Tele(home)work Since the 1970s, in: Work, Organisation, Labour & Globalisation 1/2023, S. 74–116, hier S. 83–90.

  19. Vgl. Angelika Bahl-Benker, Elektronische Heimarbeit: Die "schöne neue Arbeitswelt"?, in: Die Mitbestimmung 12/1983, S. 572–576; Ina Hönicke, Kinder, Küche und Computer: Teleheimarbeit: Traumjob oder Schlesische Verhältnisse?, in: Computerwoche Extra, 8.2.1985, S. 4–7.

  20. Vgl. dazu Hans-Ulrich Wegener, Autarke Texterfassung: Ein neues Organisationsmodell, in: Proceedings zum Kongress für Textverarbeitung Köln vom 25. bis 27.10.1982, Eschborn 1982, S. 75–90; Joseph Huber, Telearbeit. Ein Zukunftsbild als Politikum, Opladen 1987, S. 141–155.

  21. Zu dieser Kritik vgl. Angelika Bahl-Benker, Chips: Wegbereiter einer neuen Armut?, in: Vorgänge 1/1985, S. 84–96, hier S. 90 ff.; Huber (Anm. 20), S. 118–123.

  22. Vgl. Wilhelm R. Glaser/Margrit O. Glaser, Telearbeit in der Praxis. Psychologische Erfahrungen mit außerbetrieblichen Arbeitsstätten bei der IBM Deutschland GmbH, Berlin 1995.

  23. Vgl. Empirica, Trends and Prospects of Electronic Home Working. Results of a Survey in Four Major European Countries, Brüssel 1987, S. VII, S. 3, S. 16 ff.

  24. Vgl. Rudolf Stöber, Neue Medien. Geschichte: Von Gutenberg bis Apple und Google. Medieninnovation und Evolution, Bremen 2012, S. 123–128; Anteil der privaten Haushalte in Deutschland mit Personal Computern von 2000 bis 2022, 30.8.2023, Externer Link: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/160925/umfrage/ausstattungsgrad-mit-personal-computer-in-deutschen-haushalten.

  25. Zur Einordnung des Diskurses vgl. Michael Homberg, Mensch | Mikrochip. Die Globalisierung der Arbeitswelten in der Computerindustrie 1960 bis 2000 – Fragen, Perspektiven, Thesen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2/2018, S. 267–293.

  26. Nicholas Negroponte, Being Digital, New York 1995.

  27. Vgl. Thomas L. Friedman, The World Is Flat. A Brief History of the Twenty-First Century, New York 2005.

  28. Vgl. dazu exemplarisch Michael Homberg, Digitale Unabhängigkeit. Indiens Weg ins Computerzeitalter – eine internationale Geschichte, Göttingen 2022; Mary L. Gray/Siddharth Suri, Ghost Work. How to Stop Silicon Valley from Building a New Global Underclass, New York 2019; Lisa Nakamura et al., Technoprecarious, Cambridge MA 2020.

  29. Die Soziologie porträtierte dazu den Programmierer als Prototypen des "Flexiblen Menschen". Vgl. Richard Sennett, Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 2000, S. 27–30. Zur Praxis des Telearbeitens vgl. Bettina Maus/Gabriele Winkler, Bewegliche Geschlechterarrangements bei Telebeschäftigten, in: Gabriele Winkler (Hrsg.), Telearbeit und Lebensqualität. Zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Frankfurt/M. 2001, S. 17–60, hier S. 17 f. und S. 26–30. Zum Geschlechterverhältnis von Telearbeiter:innen ab den 1990er Jahren vgl. Homberg/Abendroth/Lükemann (Anm. 18), S. 91–95.

  30. Zum populären Narrativ vgl. Dave Cook, The Global Remote Work Revolution and the Future of Work, in: Jay Liebowitz (Hrsg.), The Business of Pandemics, Boca Raton 2020, S. 143–166; Tsedal Neeley, Remote Work Revolution. Succeeding from Anywhere, New York 2021.

  31. Vgl. dazu Mirko Winkelmann, Wende oder Wandel? Telearbeit, Homeoffice und die ‚Informationsgesellschaft‘ in der BRD seit den 1980er Jahren, in: Heike Weber (Hrsg.), "Technikwende"? Historische Perspektiven auf soziotechnische Umbrüche, Technikgeschichte 90, Baden-Baden 2023, S. 115–139.

  32. Zur Verrechtlichung von Telearbeitsarrangements vgl. Wolfgang Kilian/Wolfgang Borsum/Uwe Hoffmeister, Telearbeit und Arbeitsrecht. Forschungsbericht i.A. des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, Bonn 1987.

  33. Vgl. Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst, Frankfurt/M. 2007.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Michael Homberg, Mirko Winkelmann für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und der Autoren/-innen teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

ist Privatdozent für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
E-Mail Link: homberg@zzf-potsdam.de

ist Wissenschafts- und Technikhistoriker. Er leitet beim Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) ein bundesweites Programm zur Digitalisierung und Modernisierung von öffentlichen Bibliotheken in ländlichen Räumen.
E-Mail Link: winkelmann@gmail.com