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New Work und die Zukunft der Arbeit | bpb.de

New Work und die Zukunft der Arbeit

Bettina-Johanna Krings

/ 14 Minuten zu lesen

Versteht man New Work als ein Konzept von Arbeits- und Lebensräumen, in denen Menschen die Tätigkeiten verrichten, die sie „wirklich wirklich“ tun wollen, dann ist damit die Aufforderung verbunden, das Konzept der modernen Erwerbsarbeit grundlegend zu hinterfragen.

Die Auseinandersetzung mit dem Begriff "New Work" führt tief in die Welt des Organisations- und Individualcoachings. Die dort zu findenden Beschreibungen und Kriterien beziehen sich allerdings nur noch bedingt auf die Ursprungsidee des Philosophen Frithjof Bergmann, der den Begriff und die soziale Bewegung von New Work in den 1970er Jahren ins Leben rief. Bergmann entwickelte das Konzept in Zeiten großer Umbrüche, als in der US-amerikanischen Autostadt Flint ein ganzer Industriezweig schloss, was viele Menschen in Arbeitslosigkeit, Existenzangst und ohne Lebensperspektive zurückließ. Aus der Kritik am vorherrschenden Modell der Lohnarbeit sollten neue Arbeitsformen entstehen, die auf den handwerklichen, geistigen und künstlerischen Fähigkeiten der Menschen aufbauen und die Möglichkeit eröffnen sollten, eigene Fähigkeiten zu entwickeln, zu fördern und in Arbeitsprojekten umzusetzen. Auf diese Weise sollten Beschäftigungsmodelle entstehen, die man "wirklich wirklich will" und die somit die Selbstentfaltung der Beschäftigten erlauben. Eingebettet werden sollten diese neuen Arbeitsformen in technisch avancierte und gemeinschaftlich organisierte Lebens- und Produktionsformen, die den Menschen ein gutes Leben ermöglichen. Kurz: Der emanzipatorische Charakter der Arbeit wurde als Gegenkonzept zur Lohnarbeit in kapitalistisch organisierten Systemen entworfen. Bergmanns Ideen und Visionen führten weltweit zu einer sozialen und kulturellen Bewegung, die in sehr unterschiedlichen Initiativen umgesetzt und weitergedacht wurden.

Auch ohne Branchenzusammenbrüche wie in Flint in den 1970er Jahren ist die Arbeit seit Jahrzehnten weltweit im Umbruch. Die Digitalisierung, das Entstehen neuer Geschäftsfelder und Märkte, der demografische Wandel und nicht zuletzt die Corona-Pandemie haben zu einem ungeahnten Wandel der Arbeit geführt. Starre Arbeitszeiten sind Optionen des mobilen Arbeitens gewichen. Unternehmen und Gewerkschaften stehen vor der Herausforderung, diesen Umbruch zu gestalten. Gleichzeitig entstehen durch die Digitalisierung neue Arbeitsformen wie Plattformarbeit, die erhebliche Risiken für die Beschäftigten bergen. Die (monetäre) Kluft zwischen einfacher und qualifizierter Arbeit sowie zwischen formeller und informeller Arbeit hat sich deutlich vergrößert, was zu neuen Formen der Prekarisierung von Arbeit geführt hat.

In diesem Beitrag knüpfe ich an den Ursprungsgedanken von Bergmann an, das Konzept von New Work als einen weitreichenden Kulturwandel der Erwerbsarbeit zu deuten. Eine solche Perspektive stellt dezidiert die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt. Diese Ausrichtung wurde in den vergangenen Jahren zwar auch im Rahmen der vielfältigen Debatten um die Digitalisierung der Arbeit in fast allen Branchen diskutiert. Allerdings, so meine These, wird nur ein kleiner Teil von New Work umgesetzt. In der Regel setzen die Konzepte bei den Beschäftigten an, ohne die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen. So sollen aus Sicht der Unternehmen im Rahmen von New Work verstärkt Kompetenzen der Beschäftigten entwickelt und ihre Motivation gefördert werden. Auf diese Weise soll die Bindung an das Unternehmen gestärkt und die Effizienz der Arbeitsprozesse erhöht werden. Diese Ziele werden heute auch von einem Großteil der jüngeren Erwerbstätigen eingefordert, was die Unternehmen – begünstigt durch die Personalknappheit in fast allen Branchen – unter einen enormen Handlungsdruck setzt.

Die andere, noch weitgehend unausgefüllte Seite des Konzepts bezieht sich auf New Work als einen weitreichenden gesellschaftlichen Wandel von Arbeit. Versteht man New Work als ein Konzept von Arbeits- und Lebensräumen, in denen Menschen die Tätigkeiten verrichten, die sie "wirklich wirklich" tun wollen, dann ist damit die Aufforderung verbunden, das Konzept der modernen Erwerbsarbeit grundlegend zu hinterfragen und neu zu denken. Dem komme ich im Folgenden nach und nehme New Work als normativen Orientierungsrahmen für die Zukunft der Arbeit in den Blick. Dabei zeichne ich die von Frithjof Bergmann entwickelten Prämissen von New Work nach. Darauf aufbauend werden ausgewählte Aspekte moderner Arbeitsverhältnisse diskutiert, die in kritischen Debatten über neue Formen der Erwerbsarbeit reflektiert werden. In einem kurzen Fazit werden Überlegungen zu New Work als Vision für die Zukunft der Arbeit vorgestellt.

Pathologien der Erwerbsarbeit

Bergmanns Visionen von New Work wurzeln tief in der Kritik an einem auf Wachstum basierenden Wirtschaftsmodell, dessen negative Auswirkungen bis heute anhalten. Schon früh vergleicht er das Zerstörungspotenzial dieses Systems mit dem Bild eines Zuges, der nicht mehr zu stoppen ist. Diese Kritik schließt sowohl westlich-kapitalistische als auch kommunistisch geprägte Wirtschaftsformen ein. Seine Beschreibungen des auf fossilen Rohstoffen basierenden Wirtschaftssystems erscheinen aktueller denn je, wobei sich die Kollateralschäden dieses Systems bei Bergmann nicht nur auf die ökologischen Folgen beschränken. Mit seiner Kritik am Konzept der modernen Erwerbsarbeit zielt er auf die "Pathologie[n] des Lohnarbeitssystems". Diese seien in den Ursprüngen des Lohnarbeitssystems selbst angelegt und hätten sich – unterbrochen von einer kurzen Phase allgemeiner Wohlstandsentwicklung – bis heute durchgesetzt. Mit Blick auf die US-amerikanischen Rahmenbedingungen der Erwerbsarbeit beschreibt er drei strukturelle Problembereiche moderner Arbeitskonzepte.

  • Polarisierung von Armut und Reichtum im sozialen Gefüge: Damit ist zum einen die soziale Polarisierung im Hinblick auf den Zugang zu Erwerbsarbeit gemeint. Zum anderen beschreibt er die wachsende Zahl von working poor, also von Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr mit einem einzigen Job bestreiten können. Mit dem Thema Polarisierung formuliert Bergmann auch einen zweiten Befund. Während auf der einen Seite die Armut zunehme, stiegen auf der anderen Seite die Anforderungen und der Druck in der Erwerbsarbeit stetig an, was zu stressbedingten Erkrankungen bei einem großen Teil der Beschäftigten führe.

  • Kontinuierliche Automatisierung menschlicher Arbeit: Bergmann vermutete weltweit große Entlassungswellen, etwa in der privaten und öffentlichen Verwaltung sowie in der Industrie. Im Zusammenhang mit der Automatisierung von Arbeit beschäftigte er sich immer wieder mit der Frage, wie Produktivität in Arbeitsprozessen entsteht. So würden in der Industrie bestimmte Arbeitsabläufe automatisiert, andere aber nicht, was dazu führe, dass es junge Menschen gebe, die den ganzen Tag "eine Scheibe Hackfleisch zwischen zwei Brötchenhälften" legten. Es sei wichtig, so Bergmann, über den Einsatz von Technik nachzudenken und darüber, ob Produktivität heute nicht viel stärker an der Qualität der Arbeit gemessen werden müsse.

  • Globalisierung von Produktions- und Arbeitsketten: Aus der verengten Sicht der Wirtschaftsakteure, so Bergmann, steht das Wort "global" vor allem für den globalen Markt. Globalisierung sei verbunden mit neuen Geschäftsmodellen und den Folgen global organisierter Wertschöpfungsketten. Der Fokus auf die rasch wachsenden Handels- und Produktionsmöglichkeiten verstelle jedoch den Blick auf die negative Seite der Globalisierung, nämlich dass immer mehr Menschen auf der Suche nach Arbeit seien. Die weltweite Kapitalisierung von Sektoren wie der Landwirtschaft führe dazu, dass es nicht nur im Norden, sondern auch im globalen Süden immer schwieriger werde, von der Arbeit ein menschenwürdiges Leben zu führen. Auf der Suche nach Arbeit setzten sich große Migrationsströme in Bewegung. Diese wiesen auf die Alternativlosigkeit des Systems der Lohnarbeit hin, das weltweit immer mehr zur Existenzgrundlage der Menschen werde.

Für Bergmann überwiegen die strukturellen Probleme des historisch gewachsenen Lohnarbeitsverhältnisses in modernen Gesellschaften. Er plädiert dafür, dieses durch ein neues Verständnis von Arbeit zu ersetzen. New Work solle helfen, diesen Übergang vom System der Lohnarbeit zu einem intelligenteren und humaneren System der Arbeit zu vollziehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies nicht die Abschaffung des Wirtschaftssystems, sondern dessen evolutionäre Weiterentwicklung. Vor diesem Hintergrund wurde und wird in zahlreichen New-Work-Zentren weltweit versucht, eine neue Arbeitskultur zu entwickeln. Das erste Zentrum für New Work entstand in Flint, weitere folgten mit dem Ziel, Bergmanns Ideen in die Praxis umzusetzen. Die dort gelebte Arbeitskultur setzt konsequent beim Individuum an und betont den Wandel von der Ausübung der Arbeit als existenzielle Notwendigkeit hin zur Ausübung der Arbeit als Berufung. Aus dieser Perspektive soll jeder Beschäftigte mit der Frage konfrontiert werden, was er oder sie "wirklich, wirklich" tun will. Diese direkte Frage ist der Kern von New Work. Dieser Aufforderung zu folgen, fällt vielen Menschen nicht leicht, weil sie nie gelernt haben, nach ihren inneren Bedürfnissen zu leben. Dennoch sind viele ambitionierte Projekte entstanden, wie zum Beispiel in Vancouver, wo obdachlos gewordene Jugendliche auf den Dächern mehrerer Hochhäuser in der Innenstadt in sogenannten Bio-Blocks Gemüse anbauen.

New Work als neue Arbeitskultur

Bergmann berichtet in seinen Büchern anschaulich von vielen Initiativen, in denen Menschen für sich neue Arbeitsinhalte entwickeln. Am Anfang stehen meist gesellschaftliche "Problemfälle", die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen oder nie integriert wurden. Seien es arbeitslos gewordene Menschen, Jugendliche mit Drogenproblemen, Strafgefangene, die jede Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben verloren haben. Er erzählt aber auch von ehemals erfolgreich integrierten Menschen wie Bankern und Informatikerinnen aus dem Silicon Valley, die im Hamsterrad ihres Berufsalltags erfolglos, krank und schließlich aus dem Arbeitssystem herausgeschleudert wurden. Projekte in den USA, Europa und Osteuropa haben Bergmanns Erfahrungshorizont über die vielfältigen Ausprägungen des Lohnarbeitssystems erweitert und sein Wissen über die vielen Facetten von Arbeit bereichert. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen entwickelte er die folgenden übergeordneten Ziele einer neuen Arbeitskultur.

  • Neue Formen des Wirtschaftens: Laut Bergmann ist die auf Massenproduktion ausgerichtete Wirtschaft so weit fortgeschritten, dass sie zu komplex, zu teuer und zu unökologisch geworden ist. Die Billigpreise der Produkte verschleiern die Externalisierung der Folgekosten wie Rohstoffabbau mit seinen ökologischen Folgen, die sozialen Probleme der Massenproduktion sowie die große Verschwendung der Produkte selbst. Er schlägt kleinere Produktionseinheiten wie regional eingebettete Werkstätten vor, in denen 30 bis 50 verschiedene Produkte, zum Beispiel Möbel, hergestellt werden. Grundlage wäre ein Netzwerk kleiner lokaler Produktionswerkstätten, die in die Vielfalt der Regionen eingebettet sind.

  • Förderung und Integration avancierter Technologien: Obwohl viele der New-Work-Projekte in subsistenzwirtschaftlichen Strukturen angesiedelt sind, unterstützt Bergmann nachdrücklich das Ziel, fortschrittliche Technologien zu entwickeln und in neuen Arbeitsformen einzusetzen. So sind für ihn digitale Technologien per se geeignet, seine Vorstellungen von New Work umzusetzen. Er betrachtet digitale Technologien als Vernetzungsmöglichkeiten, die Hierarchien überflüssig machen und effizientere, horizontale Arbeitsstrukturen hervorbringen. Vergleichbar etwa mit der sozialen Bewegung rund um dezentrale Produktionsformen auf Basis von 3D-Druckern in den vergangenen Jahren sieht Bergmann den Verdienst der Nutzung digitaler Technologien darin, neue gemeinschaftliche und solidarische Nutzungsformen zu erproben. Damit sollen branchenübergreifend (neue) Arbeitszusammenhänge gefördert werden.

  • Veränderte Einstellung zur Arbeit: In den New-Work-Zentren sollen sich die Menschen auf die Suche nach einer Tätigkeit machen, die sie als etwas Schönes empfinden. Arbeit soll als Tätigkeit verstanden werden, die sie als Person stärkt. Die vielfältigen Formen des Tätigseins werden hier als Möglichkeit verstanden, sich aus starren gesellschaftlichen Strukturen zu befreien, sich selbst und seine Talente zu entdecken und zu entfalten. Hier grenzt Bergmann das Konzept dezidiert von modernen qualifizierten bis hochqualifizierten Arbeitsformen ab, bei denen diese Erwartungen (Engagement, Commitment) auch von den Arbeitgebern an die Beschäftigten herangetragen werden. New Work soll aber die Menschen ermächtigen, sie (wieder) in ihre eigene Lebendigkeit hineinführen und nicht nur ein "Zahlungsmittel" für den Erhalt der eigenen Existenz sein.

Alle drei Ziele nehmen in Bergmanns Werk einen hohen Stellenwert ein. Arbeit als Mittel zur Emanzipation wirkt allerdings in den Beschreibungen Bergmanns häufig idealisiert und wird der Vielfalt heutiger Arbeitsrealitäten kaum gerecht. Die Philosophin Lisa Herzog weist in diesem Zusammenhang auf zwei Aspekte hin, die Berücksichtigung finden sollten: Zum einen sollte Erwerbsarbeit für die Lebensgestaltung nicht überbetont werden. Vielfältige "Möglichkeiten zur Reduzierung von Arbeit und zur Effizienzsteigerung" sollten auch zur "Schonung natürlicher Ressourcen" genutzt werden. Zum anderen sollten arbeitspolitische Errungenschaften, die zu sichtbaren Verbesserungen der Lohnarbeit geführt haben, nicht außer Acht gelassen werden. So hat beispielsweise die Etablierung von industriellen Beziehungen – Beziehungen zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten beziehungsweise zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften –, Sozialversicherungen und betrieblicher Mitbestimmung im vergangenen Jahrhundert zu einer deutlichen Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten geführt.

Erkennen und Gestalten der eigenen Freiheit

Sowohl die negativen Auswirkungen des Wirtschaftssystems als auch die Herausforderungen, die sich aus den strukturellen Problemen der Lohnarbeit ergeben, sind zwar seit vielen Jahrzehnten Gegenstand der arbeitssoziologischen und sozialphilosophischen Forschung. Die Forschungsarbeiten von Frithjof Bergmann sind jedoch besonders eindrucksvoll. In der Sichtbarmachung von Einzelschicksalen liegt zweifellos das große Verdienst seiner Arbeit und der Arbeit der New-Work-Zentren. Einerseits zeigt er große Empathie für die Menschen, die durch das gesellschaftliche Raster der Erwerbsarbeit gefallen sind. Andererseits ist er empört über den unerschütterlichen Glauben dieser Menschen, "selbst schuld an ihrer Arbeitslosigkeit" zu sein. Bergmanns Ansätze sind radikal und gesellschaftspolitisch aktuell. Sie verweisen auf den Ansatz der Selbstermächtigung und Emanzipation der Individuen in Arbeitsprozessen. Seine Kritik am gesellschaftlichen Konzept der Lohnarbeit, eingebettet in das kapitalistische System einer Wachstumslogik, wird seit Jahrzehnten in vielen wissenschaftlichen und öffentlichen Diskursen aufgegriffen und diskutiert.

Weitgehender Konsens in den aktuellen Debatten ist die Annahme, dass auch in wohlfahrtsstaatlich organisierten Gesellschaften der Trickle-down-Effekt nicht (mehr) funktioniert. Dieser besagt, dass "wirtschaftliche Zuwächse von den wohlhabenden Schichten der Gesellschaft irgendwie zu den weniger Privilegierten ‚hinuntertröpfeln‘". Die vergangenen Jahrzehnte machten jedoch zunehmend deutlich, dass gesellschaftliche Probleme nicht allein der Gestaltungsmacht der Märkte überlassen werden dürfen. Im Gegenteil: Spätestens die Pandemie, aber auch jüngere Krisen wie der Krieg in der Ukraine haben gezeigt, dass eine "demokratische Kontrolle der Wirtschafts- und Arbeitswelt" notwendig ist, die weit in die Arbeitswelt hineinreicht. An zwei Beispielen, der Automatisierung von Arbeitsprozessen und der Erweiterung des Arbeitsbegriffs, wird dies im Folgenden skizziert.

  • Automatisierung von Arbeitsprozessen: Die herausragende Rolle der technologischen Entwicklung im New-Work-Konzept entspricht den aktuellen (kritischen) Debatten um die Automatisierung von Arbeitsprozessen durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Auch in diesen Diskussionen werden digitale Technologien als zentrale Voraussetzung für den Fortschritt in Arbeitsbereichen wie der Produktion oder der Medizin gesehen. Zunehmend werden auch soziale und ethische Aspekte in die Gestaltung digitaler Technologien in Arbeitsumgebungen einbezogen. Vor allem Debatten über ethische Dimensionen, beispielsweise im Gesundheitswesen, müssen verstärkt geführt werden. Denn hier werden Entscheidungen darüber getroffen, ob sich digitale Technologien in einem System entwickeln, in dem die ökonomische Effizienz von Arbeitsprozessen und damit die Anpassungsbereitschaft der Menschen zum Maßstab wird, oder ob Ideen umgesetzt werden, bei denen die Qualität der Arbeit im Vordergrund steht.

  • Neubewertung und Erweiterung des Arbeitsbegriffs: Die Diskussion um eine Neubewertung des Arbeitsbegriffs hat eine lange Tradition und erhielt im Zuge der Debatte um Postwachstumsgesellschaften neuen Auftrieb. Im Rahmen dieser Diskussionen gibt es viele Parallelen zum Konzept von New Work, etwa in der Debatte um den Sinn von Arbeit, Arbeit als "Vorsorgendes Wirtschaften" oder in Konzepten, die Arbeiten, Wirtschaften und Leben zusammenführen. Ihnen allen liegt die Annahme zugrunde, dass alle Tätigkeiten wie Fürsorgearbeit, Reproduktionsarbeit, künstlerische und gestalterische Arbeit als Arbeit zu verstehen sind. Darüber hinaus geht es auch um die Frage, wie Existenzsicherung, sozialstaatliche Absicherung und gesellschaftliche Teilhabe vom System der Lohnarbeit entkoppelt und in neue gesellschaftliche Lebens- und Arbeitsmodelle integriert werden können.

Die Neubewertung von Arbeit, neue Formen der gesellschaftlichen Anerkennung von Arbeit, die Rückkehr zu kleineren, regionalen Produktionseinheiten oder die Umdeutung innovativer Technologien in Arbeitsprozessen, die einer "vorsorgenden" Wirtschaftsweise dienen sollen, sind Themen, die seit Jahrzehnten in kritischen, wissenschaftlichen Debatten verhandelt werden. Sie basieren auf der Annahme, dass das "Erwerbsarbeitssystem umgebaut" werden muss, um eine "gleichberechtigte Einbeziehung der Menschen in das Gemeinwesen" zu ermöglichen. Vor diesen Forderungen stellt Bergmann seine Frage an die Menschen, was sie in ihrem Leben wirklich, wirklich tun wollen. Bei dieser Frage geht es um nichts weniger als um das individuelle Erkennen und Gestalten der eigenen Freiheit. Der Freiheitsbegriff des New-Work-Konzepts ist tief verwurzelt in den Freiheitsversprechen unserer Gegenwartsgesellschaft. New Work setzt zweifellos bei den Menschen an, um dieses Freiheitsversprechen Schritt für Schritt einzulösen, was auch als utopische Seite des Konzepts verstanden werden kann.

Schluss

Geht man zu den Ursprüngen von New Work zurück, so fasst das folgende Zitat des Sozialphilosophen Oskar Negt die Grundgedanken gut zusammen:

"Wir müssen ganz andere und reichhaltigere Formen der Arbeit entwickeln und fördern, in denen die Menschen sich in ihren Ansprüchen an Selbstverwirklichung wiedererkennen, weil sich ihre individuelle Tätigkeit gleichzeitig als verantwortungsbewusste Arbeit für das Gemeinwesen erweist."

Bergmann hatte einen ganz anderen Adressatenkreis im Blick als heutige New-Work-Konzepte. Heute steht meist die Entfaltung des Individuums in Arbeitszusammenhängen im Vordergrund, meist aus der Perspektive der Unternehmen. Gerade in der Zeit nach der Pandemie werden große Anstrengungen unternommen, Arbeitswelten nach New-Work-Kriterien zu schaffen. Hier entstand und entsteht eine enorme Vielfalt dessen, was unter dem Label New Work firmiert. Individuelle Coaching-Strategien, Self-Assessments, digitale Tools werden in allen Branchen in Unternehmensstrategien umgesetzt, um die Motivation und Eigenverantwortung der Beschäftigten zu steigern. Gleichzeitig wird an der physischen Gestaltung der Arbeitsumgebung gearbeitet. "Neue und offene Arbeitswelten mit Rückzugs- und Spielmöglichkeiten" sollen den Beschäftigten ein angenehmes Arbeitsklima ermöglichen. New Work steht weitgehend für intelligente Arbeitsbedingungen und flexibel nutzbare Arbeitswelten.

Gleichzeitig kann der Blick auch auf neue, experimentelle Arbeitsformen gerichtet werden. Hier sind in den vergangenen Jahren zahlreiche sozialinnovative Start-ups entstanden, die unter dem Schlagwort "New Work" neue Unternehmensmodelle erproben. Ein Ansatz versucht etwa, ganz im Sinne Bergmanns, die individuelle Entwicklung der Menschen zu fördern und mit den Unternehmenszielen in Einklang zu bringen. So beschreibt etwa die Aussage "New Work needs inner Work" die individuellen Entwicklungsprozesse, die Menschen durchlaufen, um in flexiblen und selbstorganisierten Teams gleichberechtigt zusammenzuarbeiten. Empathiefähigkeit, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die gemeinsame Entwicklung von Unternehmenszielen sind beispielsweise Eigenschaften, die hier in langsamen Prozessen gemeinsam erlernt werden. Aber, und hier schimmert doch wieder die ursprüngliche Idee von New Work durch, es werden auch Grundelemente guter (Selbst-)Führung wie Sinnstiftung, Wertschätzung, Vertrauen und Verantwortung erarbeitet, die individuell entwickelt und im Team zur Entfaltung gebracht werden sollen.

Das große Verdienst von New Work ist, dass es ein Konzept ist, das sich in der Praxis bewähren muss. Es ist kein theoretisches Konzept, das in der Kritik am Lohnarbeitssystem verharrt, sondern das sich an den Erfahrungen der Menschen messen lassen will. Lösungsstrategien orientieren sich an den Bedürfnissen der Menschen. Sie sind regional in Gemeinschaftsprojekten verankert und zielen darauf ab, das auszudrücken, was die Menschen wirklich wollen. Im Gegensatz zu heutigen Ansätzen wandte sich Bergmann explizit an Menschen, die bereits durch das gesellschaftliche Raster gefallen waren und kaum noch eine gesellschaftliche Perspektive hatten. Vor diesem Hintergrund entwickelte er Arbeitsutopien, die heute in vielfältiger Weise weiterentwickelt werden. Aber auch für die aktuellen New-Work-Ansätze ist es notwendig, die gesellschaftspolitische Dimension von New Work nicht aus den Augen zu verlieren. Nur wenn man bei New Work das Ganze im Blick behält, kann das Konzept realisiert werden und kreative normative Potenziale entfalten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Frithjof Bergmann, Neue Arbeit, neue Kultur, Freiburg/Br. 2004.

  2. New Work Charta, Externer Link: https://humanfy.de/new-work-charta.

  3. Siehe hierzu auch die Beiträge von Samuel Greef/Wolfgang Schroeder und von Hans-Jürgen Urban in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  4. Vgl. António B. Moniz/Bettina-Johanna Krings, Robots Working With Humans or Humans Working With Robots? Searching for Social Dimensions in New Human-Robot Interaction in Industry, in: Societies 3/2016.

  5. Vgl. Bergmann (Anm. 1), S. 30.

  6. Ebd., S. 83.

  7. Vgl. Burkart Lutz, Der kurze Traum immerwährender Prosperität. Eine Neu-Interpretation der industriell-kapitalistischen Entwicklung im Europa des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1984.

  8. Vgl. Bergmann (Anm. 1), S. 83 ff.

  9. Vgl. für die USA auch Carl Benedikt Frey/Michael A. Osborne, The Future of Employment: How Susceptible Are Jobs to Computerisation?, in: Technological Forecasting and Social Change 114/2017, S. 254–280.

  10. Bergmann (Anm. 1), S. 87.

  11. Vgl. Robert Castel, Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherheiten und die Zukunft des Individuums, Hamburg 2011.

  12. Vgl. Lisa Herzog, Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf, München 2019.

  13. Vgl. Bergmann (Anm. 1), S. 163.

  14. Vgl. ders./Stella Friedmann, Neue Arbeit kompakt – Vision einer selbstbestimmten Gesellschaft, Freiburg/Br. 2007.

  15. Für Kritik an diesen Erwartungen vgl. auch Luc Boltanski/Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003.

  16. Bergmann (Anm. 1), S. 379.

  17. Herzog (Anm. 12), S. 23 ff.

  18. Bergmann (Anm. 1), S. 100.

  19. Herzog (Anm. 12), S. 20.

  20. Ebd., S. 22.

  21. Vgl. Bettina-Johanna Krings/António B. Moniz/Philipp Frey, Technology as Enabler of the Automation of Work? Current Cocietal Challenges for a Future Perspective of Work, in: Revista Brasileira de Sociologia 21/2021, S. 206–229.

  22. Vgl. Arne Manzeschke/Alexander Brink, Die Digitalisierung im Gesundheitswesen: Ethische Perspektiven, in: Alexandra Manzei-Gorsky/Cornelius Schubert/Julia von Hayek (Hrsg.), Digitalisierung und Gesundheit, Baden-Baden 2022, S. 25–66, hier S. 50.

  23. Vgl. Irmi Seidl/Angelika Zahrnt (Hrsg.), Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft, Marburg 2019.

  24. Adelheid Biesecker/Uta von Winterfeld, Erwerbsarbeit im Schatten – im Schatten der Erwerbsarbeit? Plädoyer für ein schattenfreies Arbeiten, 18.3.2011, Externer Link: https://gegenblende.dgb.de/artikel/++co++a3a26b18-5167-11e0-79ac-001ec9b03e44.

  25. Vgl. Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, Frankfurt/M. 1994.

  26. Seidl/Zahrnt (Anm. 23), S. 13.

  27. Oskar Negt, Arbeit und menschliche Würde, Göttingen 2001, S. 713 ff.

  28. Stefanie Hutschenreuther, Arbeiten 4.0: Bunt, vielfältig, individuell, in: Anzeigensonderveröffentlichung zur Zukunft der Arbeit, 2019, Externer Link: http://www.faz.net/-4-0-16426239.html.

  29. Joana Breidenbach/Bettina Rollow, New Work Needs Inner Work, München 2019.

  30. Vgl. ebd., S. 45

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ist Senior Scientist am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
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