Die Nato-Gipfel 2022 in Madrid und 2023 in Vilnius haben China wie auch Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea ins Blickfeld der Mitgliedstaaten gerückt, während der Hauptfokus zweifelsohne auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine lag: Das neue strategische Konzept der Nato findet klare Worte in Bezug auf China, und die vier asiatisch-pazifischen Partnerländer waren mit ihren Regierungschefs auf beiden Gipfeln vertreten.
Auch wenn diese beiden Entwicklungsstränge sich wohl über die nächsten Jahre verstetigen werden, steht kein Wandel hin zu einer "globalen Nato" bevor. Stattdessen befasst sich die transatlantische Allianz wieder vermehrt mit der Erkenntnis, dass sich viele sicherheitspolitische Bedrohungen nicht geografisch eingrenzen lassen und globale Partnerschaften für deren Bewältigung relevant erscheinen. Neu ist, wie explizit man China als Herausforderung wahrnimmt und wie eng man sich mit den Partnern in der Asien-Pazifik-Region verbunden sieht. Hierbei sei jedoch betont, dass das eine mit dem anderen nur bedingt überlappt: Die Haltung und Strategie gegenüber China ist und bleibt ein schwieriges Unterfangen der Nato-Staaten untereinander, während die institutionalisierten Beziehungen zu Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea weitaus älter, thematisch umfassender und konsensfähiger sind.
Klärungsbedarf: Die Nato und China
Die Rhetorik und öffentliche Haltung der Nato zu China haben sich in wenigen Jahren deutlich gewandelt. Das Joint Communiqué von 2019 erwähnte das Land erstmals in einem kurzen Satz, der den wachsenden Einfluss Beijings auf die internationale Politik als Quelle von Chancen und Herausforderungen beschreibt. Die Joint Communiqués von 2021, 2022 und 2023 sowie das strategische Konzept von 2022 sind dagegen explizit in der Benennung von Herausforderungen, die von China ausgehen. Zugleich wird die Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit mit der Volksrepublik betont.
Ein ähnlich deutlicher Wandel lässt sich auch in der Rhetorik der Nato-Generalsekretäre erkennen: Anders Fogh Rasmussen setzte sich 2012 für einen aktiveren Dialog und Kooperation mit China im Kontext seiner Vision einer Nato ein, die "globally aware, globally connected and globally capable" sein sollte.
In der Tat zeigt dies den Konsens an, der sich innerhalb der Allianz zu etablieren scheint. Während Russland die zentrale Bedrohung für die Nato bleibt, zeichnet sich ab, dass China aufgrund seiner wirtschaftlichen und technologischen Stärke eine zunehmend bedeutende Rolle als Gestaltungsmacht spielen wird. Von der Volksrepublik geht zwar keine direkte militärische Gefahr aus, aber sie stellt die Nato vor eine Bandbreite von Herausforderungen für die langfristige ökonomische und politische Sicherheit, Stabilität und die Interessen ihrer Mitgliedstaaten.
Allerdings wird es für die Nato eine kontinuierliche und schwierige Aufgabe bleiben, zwischen den transatlantischen Verbündeten eine gemeinsame Haltung gegenüber China zu koordinieren und umzusetzen. Die Vielfalt an Interessen und Politikansätzen unter den Mitgliedstaaten ist schlichtweg noch breiter als innerhalb der Europäischen Union und von prinzipiellen wie graduellen Unterschieden geprägt.
Auf der anderen Seite verhält sich China gegenüber der Nato zurückhaltend, wenn nicht ablehnend. Prägend sind hierfür das russische Narrativ über die Nato-Osterweiterung und die Wahrnehmung der Allianz als Instrument der sicherheitspolitischen Koalitionsbildung unter US-amerikanischer Führung.
Die Nato und ihre Partner in Asien-Pazifik
Das strategische Konzept der Nato benennt den Indo-Pazifik als bedeutende Region:
Aufgrund ihrer geografischen Lage werden die Partnerschaften mit Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea oft als Asien-Pazifik-Partnerschaften (AP4) zusammengefasst. Die AP4 eint einige weitere Gemeinsamkeiten: Alle trugen jeweils zur Nato-Mission in Afghanistan wie auch zur "Operation Ocean Shield" am Horn von Afrika bei. Das gemeinsame militärische Engagement zur Einhegung sicherheitspolitischer Gefahren, ausgehend von nicht-staatlichen Akteuren, waren zentral für die Institutionalisierung der AP4. Zudem startete die Allianz 2014 die "Partnership Interoperability Initiative" und spätere "Interoperability Platform", um die Erfahrungen kombinierter militärischer Fähigkeiten und praktischer Zusammenarbeit mit den vier Partnerländern und anderen Staaten weiter zu fördern.
Im genauen Vergleich wird jedoch deutlich, dass die AP4 sich im bisherigen Umfang wie auch in den zukünftigen Möglichkeiten der konkreten Zusammenarbeit mit der Nato klar unterscheiden, was die folgenden Ausführungen verdeutlichen.
Australien: Der aktive Partner
Bereits 2004 wurde Australien von der Nato als "key contact partner" bezeichnet, und der bilaterale Dialog ist seit 2005 formalisiert.
Unter den AP4 ist die Partnerschaft zwischen Australien und der Nato am aktivsten und umfangreichsten. Australiens geografische Lage und westliche Ausrichtung, damit einhergehende geteilte Sichtweisen und Interessen als auch die Fähigkeit und Bereitschaft zur militärischen Beteiligung prägen diese Partnerschaft. Bedingt durch seine Lage zwischen dem Indischen und Pazifischen Ozeanen hat Australien ein besonderes Interesse an maritimer Sicherheit und Stabilität in den angrenzenden Regionen. Nicht zuletzt deshalb verfügt das Land über Erfahrungen in der direkten multilateralen militärischen Zusammenarbeit, wie etwa in Ost-Timor 1999.
Australiens Außen- und Sicherheitspolitik bleibt zudem geprägt durch die Commonwealth-Mitgliedschaft und die militärische Allianz mit den USA. Neben der entsprechenden politischen Ausrichtung und Verbundenheit mit das Vereinigte Königreich und den Vereinigten Staaten sowie der geografischen und identitären Distanz zu Asien kann Australiens Unterstützung vergangener militärischer Nato-Operationen durchaus als Ausdruck verstanden werden, ein "guter" und "westlicher" Partner sein zu wollen.
Das jüngst vereinbarte "2023–2026 Australia-Nato Individually Tailored Partnership Programme" legt einen Schwerpunkt auf Festigung militärischer Interoperabilität, Aufbau militärischer wie auch technologischer und wissenschaftlicher Fähigkeiten. Als Themen für Konsultationen werden unter anderem Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung, neue und disruptive Technologien, Weltraum- und Cybersicherheit genannt.
Zu erwähnen ist schließlich auch, dass Australien in enger Koordination mit den USA regelmäßig großflächige und multinationale Militärübungen abhält, an denen sich Nato-Staaten wie Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich und Staaten aus der Indo-Pazifik-Region, darunter Japan, Südkorea und Neuseeland beteiligen.
Japan: Der verlässliche Partner
Sieht man von Australiens Commonwealth-Mitgliedschaft ab, verfügt Japan über die längsten Beziehungen zur Nato. Japans Unterstützung zur Stabilisierung des Westbalkans sorgte während der 1990er Jahre für erste Kontakte und Koordinierung mit der Allianz.
Prinzipiell sind Japan und die Nato einfache Partner: Aufgrund seiner Lage im Norden Ostasiens sieht sich Japan direkten Herausforderungen durch China, Nordkorea sowie Russland ausgesetzt. Sein langjähriges Bündnis mit den USA und die Beherbergung wichtiger Militärstützpunkte bilden das Fundament für ein hohes Maß an Interoperabilität und Verlässlichkeit. Entsprechend wurde Japan auch als Standort eines potenziellen Verbindungsbüros der Nato in Asien-Pazifik diskutiert.
Seit geraumer Zeit versteht Tokio die Nato als einen politischen und operationellen Partner, als eine weitere Möglichkeit der Zusammenarbeit mit den USA und als Schule multilateraler Kooperation.
Das "2023–2026 Japan-Nato Individually Tailored Partnership Programme" listet 16 Felder der praktischen Zusammenarbeit auf. Interoperabilität bleibt ein wichtiger Bestandteil und Ziel der Kooperation. Besonderes Interesse gilt aber auch dem Wissens- und Fähigkeitsaufbau bezüglich Cybersicherheit, neuen Technologien und maritimer Sicherheit. Zu diesem Zweck nimmt Japan an Aktivitäten des "Nato Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence" und der "Nato Science and Technology Organization" teil. Schließlich hat Japan einen Verbindungsoffizier zum "Nato Maritime Command" entsendet und beteiligt sich an Marineübungen der Allianz.
Südkorea: Der besondere Partner
Zeitlich ähnlich wie Australien nahmen Südkorea und die Nato ihren Dialog 2005 auf. Vergleichbar wie im Fall Japans beförderte Südkoreas Unterstützung der Nato-Operationen in Afghanistan und im Irak die Formalisierung einer Partnerschaft mit der Allianz. Diese zeichnet sich zugleich durch gewisse Alleinstellungsmerkmale aus.
Zum einen ist Südkoreas Außen- und Sicherheitspolitik relativ wechselhaft in ihren Ansätzen. Zwar bleiben die Allianz mit den USA und der Wunsch nach Austausch mit europäischen Partnern die zentralen Grundsätze. Gleichzeitig vertreten progressiv orientierte Regierungen in Seoul aber meist versöhnlichere Sichtweisen gegenüber Nordkorea, China und Russland.
Zum anderen liegt Südkoreas sicherheitspolitische Priorität auf Nordkorea und dem Abwenden eines erneuten Kriegs auf der koreanischen Halbinsel.
Besondere Möglichkeiten für die Partnerschaft mit der Nato bieten Südkoreas technologischer Fortschritt und die Rüstungsindustrie.
Darüber hinaus listet das "2023–2026 ROK-Nato Individually Tailored Partnership Programme" elf Felder der Zusammenarbeit. Neben Interoperabilität und militärischem Fähigkeitsaufbau spielen vor allem der Austausch und die Zusammenarbeit bezüglich der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und der Abwehr von biologischen, chemischen, nuklearen und radioaktiven Bedrohungen wie auch bezüglich neuer disruptiver Technologien und Cybersicherheit eine besondere Rolle. Wie Japan nimmt auch Südkorea an Marineübungen und Aktivitäten des "Nato Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence" teil und will die praktische Kooperation im Bereich Cybersicherheit und Informationsaustausch voranbringen.
Neuseeland: Der bescheidene Partner
Australien und Neuseeland nahmen beide auf der Basis besonderer Vereinbarungen mit dem Vereinigten Königreich an der Nato-geführten Stabilisierungsmission SFOR in Bosnien und Herzegowina teil.
Neuseelands Außen- und Sicherheitspolitik ist in vielerlei Hinsicht besonders. Seit dem Austritt des Landes aus der trilateralen Allianz mit Australien und den USA (ANZUS) 1986, gilt zwar offiziell nur Australien als Verbündeter, doch auch die Commonwealth-Mitgliedschaft und langjährige Beteiligung an der engen nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit Australien, dem Vereinigte Königreich, Kanada und den USA ("Five Eyes") geben die sicherheitspolitische Ausrichtung Neuseelands vor. Allerdings bemüht sich Wellington um eine "unabhängige" Sicherheitspolitik:
Zwei weitere Grundsätze unterscheiden Neuseeland von den anderen AP4 und prägen die laufende Überarbeitung seiner Partnerschaft mit der Nato: Neuseeland sieht die eigene nationale Sicherheit nicht durch militärische, sondern in erster Linie durch "nicht-traditionelle" Bedrohungen wie etwa den Klimawandel gefährdet. Neben dem außenpolitischen Fokus auf Handel und der Bedeutung guter wirtschaftlicher Beziehungen zu China verfügt Neuseeland über begrenzte militärische Fähigkeiten, die es nur bedingt gewillt ist einzusetzen und auszubauen.
Fazit: Kein Paradigmenwechsel
So unterschiedlich die AP4 sind, so überlappen sich doch grundlegende Werte und Interessen untereinander und mit der Nato. Priorität haben der Einsatz für einen regelbasierten Umgang zwischen Staaten wie auch für die Sicherheit der drei globalen Gemeinschaftsräume des maritimen, Cyber- und Weltraums. Auch wenn die meisten diesbezüglichen Herausforderungen von China, Nordkorea und Russland ausgehen, so wollen weder die Nato noch ihre vier asiatisch-pazifischen Partner die Situation unnötig verschärfen. Entsprechend besteht kein Interesse an einer militärischen Präsenz der Allianz in der Region. Überlegungen drehen sich stattdessen darum, wie die Zusammenarbeit mit den AP4 konstruktiv und pragmatisch ausgebaut werden kann, beispielsweise durch eine diplomatische Präsenz in Japan für die Vereinfachung des Dialogs und Informationsaustauschs mit der Nato.
Es gilt hierbei zu vermeiden, nicht nur China, Nordkorea und Russland zu weiteren Gegenreaktionen herauszufordern, sondern auch andere Staaten in der Region zu verschrecken. Das strategische Konzept der Nato lässt die Partnerschaften mit weiteren Staaten im Indo-Pazifik theoretisch offen.
Die Nato hätte entsprechend mehr Einfluss, wenn sie Klarheit herstellt: Die transatlantische Allianz hat kein Interesse daran, den Indo-Pazifik zu dominieren und selbst zu gestalten, sondern die Staaten in der Region in ihren Gestaltungsfähigkeiten – wo gewollt – zu unterstützen. Der Fokus auf Fähigkeitsaufbau passt zum Umfang und Interesse der AP4, sowie er auch regionalen Bedürfnissen entgegenkommen würde. Hierfür bräuchte es keine neuen formalen Partnerschaften, sondern konkrete Dialog- und Trainingsangebote, beispielsweise zu Fragen der maritimen Sicherheit, die gemeinsam mit den AP4 und bestehenden multilateralen Foren umgesetzt werden könnten. Solche Angebote würden verdeutlichen, dass die transatlantische Allianz nicht zu einer "globalen Nato" mutieren will, sondern dass die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts transregionalen Austausch und Zusammenarbeit erfordern.